Gmain / Reichenhall 22. XII. 20.

Lieber, hochverehrter Meister!

Zu 1 Weihnachten erlaube ich mir, Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin auch von Seiten meiner Frau alles Gute zu wünschen und gleichzeitig damit schon heute ein gesundes neues, erfolgreiches Schaffensjahr. Dürfen wir an 1921 auch die Hoffnung auf eine allmählige Besserung der allgemeinen Verhältnisse knüpfen? Ich glaube nicht; denn der Geist, der heute herrscht, ist nicht der wahre Geist, nicht der Geist des Fortschritts, des Aufstiegs und der Verjüngung. Hierzu bedarf es wohl noch einer langen schmerzhaften Schulung und Prüfung. Was wir in der Musik so qualvoll empfinden und erleben, ist ja nur ein Glied in der Kette des ganzen Elends. Wenn wir nur, Ihnen als unserem grossen Führer folgend, erst wieder das Fundament schaffen können, auf dem [recte den] glücklicheren Generationen der Aufstieg ermöglicht wird!!

{2} Hat der Druck des zweiten Contrapunkt-Bandes schon begonnen? Und wie steht es mit opus 101? Und mit der Kleinen Bibliothek? Mein Egoismus fragt danach und doch sollte ich lieber fragen, ob Sie auch Brennmaterial zum Heizen und alles andere was „notwendig“ ist, haben! Der Winter ist bei uns sehr streng und trotzdem wir mitten ins Holzüberfluss leben, versteht es die Wucher-Geschicklichkeit doch, auch hier eine kaum überwindliche Knappheit bei entsprechenden Phantasiepreisen zu erzeugen. Der menschliche Verstand steht jetzt wahrlich vor würdigen Aufgaben.

Wenn Sie gelegentlich einmal Zeit zu einer Zeile an mich finden, würden Sie mich, verehrtester Meister, sehr glücklich machen.


Mit den herzlichsten Grüssen
allerseits
verbleibe ich
Ihr stets treu ergebener
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2010


Großgmain near Reichenhall December 22, 1920

Dear, highly revered Master,

I 1 take the liberty of wishing you and your dear wife (also on behalf of my wife) all the best at Christmas and at the same time in advance a healthy, new and productive creative year. May we also establish in 1921 the hope for a gradual improvement in general relations? I think not; because the spirit that prevails today is not the true spirit, not the spirit of progress, of ascendency and of rejuvenation. For this still truly requires a long and painful amount of schooling and testing. What we in music perceive and experience so distressfully is simply a single link in the chain of calamity. If we could only create the foundation once again (following you as our great leader), an ascension would then be made possible for more fortunate generations to come!!

{2} Has the printing of the second volume of Counterpoint begun yet? And what is the status of Op. 101 ? And with the Little Library ? It is my egotism that asks such a question, and yet I should have asked whether you also have fuel for heating and all other such things that are "necessary"! The winter is for us here very harsh and in spite of the fact that we live in the middle of an abundance of wood, neverthess extortion is craftily at work to create an unbearable shortage even here, with correspondingly high prices. Human understanding is now truly confronted with worthy tasks.

If you happen to find some time to write a few lines to me, you would make me very happy, most revered master.


With most cordial greetings,
in every way,
I remain
your ever-devoted
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2010


Gmain / Reichenhall 22. XII. 20.

Lieber, hochverehrter Meister!

Zu 1 Weihnachten erlaube ich mir, Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin auch von Seiten meiner Frau alles Gute zu wünschen und gleichzeitig damit schon heute ein gesundes neues, erfolgreiches Schaffensjahr. Dürfen wir an 1921 auch die Hoffnung auf eine allmählige Besserung der allgemeinen Verhältnisse knüpfen? Ich glaube nicht; denn der Geist, der heute herrscht, ist nicht der wahre Geist, nicht der Geist des Fortschritts, des Aufstiegs und der Verjüngung. Hierzu bedarf es wohl noch einer langen schmerzhaften Schulung und Prüfung. Was wir in der Musik so qualvoll empfinden und erleben, ist ja nur ein Glied in der Kette des ganzen Elends. Wenn wir nur, Ihnen als unserem grossen Führer folgend, erst wieder das Fundament schaffen können, auf dem [recte den] glücklicheren Generationen der Aufstieg ermöglicht wird!!

{2} Hat der Druck des zweiten Contrapunkt-Bandes schon begonnen? Und wie steht es mit opus 101? Und mit der Kleinen Bibliothek? Mein Egoismus fragt danach und doch sollte ich lieber fragen, ob Sie auch Brennmaterial zum Heizen und alles andere was „notwendig“ ist, haben! Der Winter ist bei uns sehr streng und trotzdem wir mitten ins Holzüberfluss leben, versteht es die Wucher-Geschicklichkeit doch, auch hier eine kaum überwindliche Knappheit bei entsprechenden Phantasiepreisen zu erzeugen. Der menschliche Verstand steht jetzt wahrlich vor würdigen Aufgaben.

Wenn Sie gelegentlich einmal Zeit zu einer Zeile an mich finden, würden Sie mich, verehrtester Meister, sehr glücklich machen.


Mit den herzlichsten Grüssen
allerseits
verbleibe ich
Ihr stets treu ergebener
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2010


Großgmain near Reichenhall December 22, 1920

Dear, highly revered Master,

I 1 take the liberty of wishing you and your dear wife (also on behalf of my wife) all the best at Christmas and at the same time in advance a healthy, new and productive creative year. May we also establish in 1921 the hope for a gradual improvement in general relations? I think not; because the spirit that prevails today is not the true spirit, not the spirit of progress, of ascendency and of rejuvenation. For this still truly requires a long and painful amount of schooling and testing. What we in music perceive and experience so distressfully is simply a single link in the chain of calamity. If we could only create the foundation once again (following you as our great leader), an ascension would then be made possible for more fortunate generations to come!!

{2} Has the printing of the second volume of Counterpoint begun yet? And what is the status of Op. 101 ? And with the Little Library ? It is my egotism that asks such a question, and yet I should have asked whether you also have fuel for heating and all other such things that are "necessary"! The winter is for us here very harsh and in spite of the fact that we live in the middle of an abundance of wood, neverthess extortion is craftily at work to create an unbearable shortage even here, with correspondingly high prices. Human understanding is now truly confronted with worthy tasks.

If you happen to find some time to write a few lines to me, you would make me very happy, most revered master.


With most cordial greetings,
in every way,
I remain
your ever-devoted
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2010

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/2, p. 2305, December 25, 1920: " Von Dahms (Br.): Wünsche für Weihnachten u. Neujahr, erkundigt sich nach Werken." ("From Dahms (letter): Christmas and New Year's wishes, asks about writings.").