16. VIII. 16
Nebel, die einen Aufstieg nicht rätlich erscheinen ließen. Nach St. Christoph; 9–12½h. – Die Wirtin von St. Christoph gebraucht häufig das Wort „jütelen“ für „wucherischen Handel treiben“ (selbstverständlich nur in der Einbildung, der Handel vonder Christen, Protestanten u. dgl. sei dagegen rechtschaffener Handel). Ich gab ihr die entsprechende Belehrung, was ihr aber, wie leider zu erwarten ist, ihr sicher den Sprachgebrauch nicht austreiben wird. — — Beim Frühstück bemerkt die Frau. Generalleutnant (in den „ M. N. N. “ lesend 1 ): „Die Baralong-Sache 2 wird breitgetreten.“ Darauf er: „Ach!“ Welche Gesinnung gegenüber einer Regierung, die geradezu verdächtigt wird, den Baralongfall blos „breitzutreten“! — — Vom Bankverein Brief u. Geld. — Von Frau Pairamall Br.: es gehe ihr besser. — *Rumänien neuerdings sich Rußland zuneigend. 3 — — [illeg]Harnack’s Stellungnahme gegenüber den abscheulichen, in der deutschen Privatwirtschaft während des Krieges zutage tretenden Wuchertendenzen; enthalten in seiner Rede, die er im Nationalausschuß hielt. – Der Großindustrielle Th ieyssen fühlte sich durch diese Rede beleidigt u. trat aus dem Nationalausschuss aus! 4 Wie sehr er aber den Professor Harnack durch sein Gebahren [sic] beleidigt hat, darnach fragt ein Herr Thiessen nicht! Der Vorsprung der Injurie liegt ja sicher auf Thiessens Seite: am Anfang war sein Wucher u. seine Gesinnung, hernach folgte erst kam die Abwehr Harnacks. Aber der im Wucher abgestumpfte Krämer empfindet schon die Abwehr des Geplünderten als einen Angriff. — *{380} Zigarrenankauf Zigarrenankäufe in zwei Geschäften, : 10 u. 5 Portoricos. — 6–7h plötzlich Sturm u. Regen. — — Abend Gespräche der Gäste untereinander; Gegenstand: Reisen in fernen Erdteilen, . wo Man entnimmt, daß sie leider ebensowenig wie zu hause gesehen haben. ; Mmeist gingist es das Gespräch um Hotels, Restaurants, Weinstuben, Schiffsküche, um Orte, in denen man gut u. um billiges Geld aß! 5 — *Anschauung: Kinder, die zum erstenmal in die Welt sehen, sammeln Erfahrungen an Gegenständen, die jedenfalls in ihrem künftigen Leben eine Rolle zu spielen haben. Sie sind nicht etwa blos [mit] Vergnügungsreisenden zu vergleichen, die, wenn sie wollten, die Reise auch unterlassen könnten. Doch ganz anders verhält es sich mit den Reisen der Erwachsene nr , u. Ueberreifen zumal jener, die d sich aus ihrem Beruf bereits zurückgezogen haben. Was sie auf ihren Reisen allenfalls noch sammeln, ist nur mehr ein totes Kapital u., wenn man so sagen darf, noch toter, wenn es mit den früheren Beschäftigungen ganz u. gar nicht zusammenhängt. Ein so fruchtloses Herumjagen denerviert schließlich auch den Vergnügungssüchtigsten, der nirgend mehr Anschluss findet, nicht an seine eigene Vergangenheit, auch nicht an andere Menschen. Vom national-oekonomischen Standpunkt aus sind solche Reisen nun ebenfalls zu mißbilligen; sie stellen eine wirtschaftliche Vergeudung vor, der kein Ertrag gegenübersteht. 6 — *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 16, 1916.
Mist, which makes an ascent seem inadvisable. To St. Christoph, 9 to 12:30. – The landlady at St. Christoph often uses the word jütelen to mean "to pursue extortionate business practice," obviously only in the delusion that the business of Christians, Protestants and the like is, by contrast, honest practice). I gave her the appropriate lesson which, however, will unfortunately not rid her of this manner of speech. — — At breakfast, the lieutenant general's wife remarks (reading from the Münchner Neueste Nachrichten 1 ): "The Baralong affair 2 will be talked about at length." To which he replies: "Alas!" What an attitude to take against a government that is suspected merely of "talking at length" about the Baralong case! — — From the Bankverein, letter and money. — Letter from Mrs. Pairamall: she is feeling better. — *Romania turning recently in the direction of Russia. 3 — — Harnack's position with respect to the despicable profiteering tendencies that have emerged in the German private economy during the war; contained in his speech made before the National Assembly. – The industrialist Thyssen felt insulted by the speech and walked out of the National Assembly! 4 But the extent to which he offended Professor Harnack by his behavior, that is something a Mr. Thyssen would not say! The impetus of the offense lies surely on Thyssen's side: in the beginning was his profiteering, and only then came Harnack's defense. But the businessman, blunted in his extortionate dealings, already perceives the exploited man's defense as an attack. — *{380} Purchases of cigars in two shops: ten and five Puerto Ricans. — From 6 to 7 o'clock, a sudden storm and rain. — — In the evening, conversations among the guests. Topic: travelling to the far corners of the earth. One can gather that they have seen just as little as they have seen at home. Mostly the discussion was about hotels, restaurants, wine bars, cuisine aboard ship, and in places in which one ate well and cheaply! 5 — *Viewpoint: children who see the world for the first time collect experiences that will have a role to play in their future life. They should not be compared simply with holiday makers who, if the wished, could even dispense with the trip. For things are completely different with trips taken by adults, all the more so those who have already retired from their profession. What they still collect on their trips, at any rate, is only a dead capital – and, if one may say so, an even deader one if it is entirely unconnected to their earlier occupations. Such a fruitless dashing about ultimately desensitizes even those who are most eager for pleasure, who will not find contact anywhere, neither with their own past nor with other people. From a national-economic standpoint, such trips are likewise to be deplored; they represent a financial squandering, to which no gain may be associated. 6 — *
© Translation William Drabkin. |
16. VIII. 16
Nebel, die einen Aufstieg nicht rätlich erscheinen ließen. Nach St. Christoph; 9–12½h. – Die Wirtin von St. Christoph gebraucht häufig das Wort „jütelen“ für „wucherischen Handel treiben“ (selbstverständlich nur in der Einbildung, der Handel vonder Christen, Protestanten u. dgl. sei dagegen rechtschaffener Handel). Ich gab ihr die entsprechende Belehrung, was ihr aber, wie leider zu erwarten ist, ihr sicher den Sprachgebrauch nicht austreiben wird. — — Beim Frühstück bemerkt die Frau. Generalleutnant (in den „ M. N. N. “ lesend 1 ): „Die Baralong-Sache 2 wird breitgetreten.“ Darauf er: „Ach!“ Welche Gesinnung gegenüber einer Regierung, die geradezu verdächtigt wird, den Baralongfall blos „breitzutreten“! — — Vom Bankverein Brief u. Geld. — Von Frau Pairamall Br.: es gehe ihr besser. — *Rumänien neuerdings sich Rußland zuneigend. 3 — — [illeg]Harnack’s Stellungnahme gegenüber den abscheulichen, in der deutschen Privatwirtschaft während des Krieges zutage tretenden Wuchertendenzen; enthalten in seiner Rede, die er im Nationalausschuß hielt. – Der Großindustrielle Th ieyssen fühlte sich durch diese Rede beleidigt u. trat aus dem Nationalausschuss aus! 4 Wie sehr er aber den Professor Harnack durch sein Gebahren [sic] beleidigt hat, darnach fragt ein Herr Thiessen nicht! Der Vorsprung der Injurie liegt ja sicher auf Thiessens Seite: am Anfang war sein Wucher u. seine Gesinnung, hernach folgte erst kam die Abwehr Harnacks. Aber der im Wucher abgestumpfte Krämer empfindet schon die Abwehr des Geplünderten als einen Angriff. — *{380} Zigarrenankauf Zigarrenankäufe in zwei Geschäften, : 10 u. 5 Portoricos. — 6–7h plötzlich Sturm u. Regen. — — Abend Gespräche der Gäste untereinander; Gegenstand: Reisen in fernen Erdteilen, . wo Man entnimmt, daß sie leider ebensowenig wie zu hause gesehen haben. ; Mmeist gingist es das Gespräch um Hotels, Restaurants, Weinstuben, Schiffsküche, um Orte, in denen man gut u. um billiges Geld aß! 5 — *Anschauung: Kinder, die zum erstenmal in die Welt sehen, sammeln Erfahrungen an Gegenständen, die jedenfalls in ihrem künftigen Leben eine Rolle zu spielen haben. Sie sind nicht etwa blos [mit] Vergnügungsreisenden zu vergleichen, die, wenn sie wollten, die Reise auch unterlassen könnten. Doch ganz anders verhält es sich mit den Reisen der Erwachsene nr , u. Ueberreifen zumal jener, die d sich aus ihrem Beruf bereits zurückgezogen haben. Was sie auf ihren Reisen allenfalls noch sammeln, ist nur mehr ein totes Kapital u., wenn man so sagen darf, noch toter, wenn es mit den früheren Beschäftigungen ganz u. gar nicht zusammenhängt. Ein so fruchtloses Herumjagen denerviert schließlich auch den Vergnügungssüchtigsten, der nirgend mehr Anschluss findet, nicht an seine eigene Vergangenheit, auch nicht an andere Menschen. Vom national-oekonomischen Standpunkt aus sind solche Reisen nun ebenfalls zu mißbilligen; sie stellen eine wirtschaftliche Vergeudung vor, der kein Ertrag gegenübersteht. 6 — *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 16, 1916.
Mist, which makes an ascent seem inadvisable. To St. Christoph, 9 to 12:30. – The landlady at St. Christoph often uses the word jütelen to mean "to pursue extortionate business practice," obviously only in the delusion that the business of Christians, Protestants and the like is, by contrast, honest practice). I gave her the appropriate lesson which, however, will unfortunately not rid her of this manner of speech. — — At breakfast, the lieutenant general's wife remarks (reading from the Münchner Neueste Nachrichten 1 ): "The Baralong affair 2 will be talked about at length." To which he replies: "Alas!" What an attitude to take against a government that is suspected merely of "talking at length" about the Baralong case! — — From the Bankverein, letter and money. — Letter from Mrs. Pairamall: she is feeling better. — *Romania turning recently in the direction of Russia. 3 — — Harnack's position with respect to the despicable profiteering tendencies that have emerged in the German private economy during the war; contained in his speech made before the National Assembly. – The industrialist Thyssen felt insulted by the speech and walked out of the National Assembly! 4 But the extent to which he offended Professor Harnack by his behavior, that is something a Mr. Thyssen would not say! The impetus of the offense lies surely on Thyssen's side: in the beginning was his profiteering, and only then came Harnack's defense. But the businessman, blunted in his extortionate dealings, already perceives the exploited man's defense as an attack. — *{380} Purchases of cigars in two shops: ten and five Puerto Ricans. — From 6 to 7 o'clock, a sudden storm and rain. — — In the evening, conversations among the guests. Topic: travelling to the far corners of the earth. One can gather that they have seen just as little as they have seen at home. Mostly the discussion was about hotels, restaurants, wine bars, cuisine aboard ship, and in places in which one ate well and cheaply! 5 — *Viewpoint: children who see the world for the first time collect experiences that will have a role to play in their future life. They should not be compared simply with holiday makers who, if the wished, could even dispense with the trip. For things are completely different with trips taken by adults, all the more so those who have already retired from their profession. What they still collect on their trips, at any rate, is only a dead capital – and, if one may say so, an even deader one if it is entirely unconnected to their earlier occupations. Such a fruitless dashing about ultimately desensitizes even those who are most eager for pleasure, who will not find contact anywhere, neither with their own past nor with other people. From a national-economic standpoint, such trips are likewise to be deplored; they represent a financial squandering, to which no gain may be associated. 6 — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Die Sühne für ‚Baralong'," Münchner Neueste Nachrichten, No. 413, August 15, 1916, 69th year, p. 1. 2 On 19 August 1915 the Royal Navy warship HMS Baralong sank the German submarine U-27. About a dozen of the crewmen managed to escape from the sinking submarine, and Lieutenant Godfrey Herbert, commanding officer of Baralong, ordered his men to execute those survivors. The event generated widespread outrage in Germany and the German government submitted a memorandum stating that the Baralong's crew had committed a cowardly murder. 3 The Kingdom of Romania remained neutral when World War I broke out in 1914, but Prime Minister Ion I. C. Brătianu began secret negotiations with the Entente and sided with them after being given assurances that Austro-Hungarian territories with a majority ethnic Romanian population would be ceded to Romania. 4 "Der Austritt der Industrie aus dem deutschen Nationalausschuß," Neues Wiener Journal, No. 8188, August 16, 1916, 24th year, p. 2. 5 Marginal remark in Schenker's hand: Reisen ("trips"). 6 Marginal remark in Schenker's hand: Reiche Reisen ("rich people['s] trips"). |