15.
Nebelschwaden, die immer wieder ein wenig Blau offenlassen; dann allmählich immer heller. — — Beginn die Ausführung der Arbeit. — Brief von Frl. Elias mit Dank für Rosegger-Wink. — — Von Dr. Frimmel letzte Sendung, 1 in der mich die Mitteilung interessiert, daß sich in Starke’s Pianoforte-Schule 2 ein Originalfingersatz von Beethoven zur sogenannten Pastoral-Sonate findet. — *Das deutsche Weißbuch legt dem Reichstag Dokumente zum Baralong-Verbrechen 3 vor, das letzte {378} Wort der deutschen Regierung, kündigt rücksichtslose Sühne für das ungesühnte Verbrechen an. 4 – Bei Tisch liest die Frau Generalin diese Stelle ziemlich laut ihrem Gatten vor u. macht hiezu die Bemerkung: „Wieder wird die Baralong-Affaire breitgetreten“. „Hm, hm,“ war alles, was über seine Lippen kam u. auch die Frau wußte des weiteren nicht ein Wort mehr darüber zu bemerken. So spurlos geht ein so wichtiger Einschnitt des Weltkrieges, ein so wichtiger Beweis für den Vergeltungswillen gegenüber England, jener Beweis, wornach das deutsche Volk schon seit so langer Zeit Sehnsucht hatte[,] an einem deutschen Generalleutnant vorüber. — — „Frankfurter Ztg.“ vom 13. VIII. 16 „Die Herkunft der Milliarden“ von Art uhur Feiler. Ein gut geschriebener u. ziemlich leicht fasslicher Aufsatz; 5 wohl am interessantesten daraus die Bemerkung, daß Helfferich kurz vor Kriegsausbruch das deutsche Volksvermögen nach den Ergebnissen der Vermögenssteuer auf 285 Milliarden, nach der Statistik der Feuerversicherung aber auf rund 335 Milliarden geschätzt habe, so daß er das Mittel von 310 Milliarden anzunehmen sich veranlasst sah. Daraus geht hervor, daß auch im Lande der obligaten Bucheinsicht der Staat um nicht weniger als 25 Milliarden Mark jährlich geprellt wird!! — — Aus derselben Nummer der Zeitung: Der militärische Mitarbeiter gibt zu, daß Nachrichten über Uneinigkeit u. Mißmut in Deutschland dazu geeignet sind, den Krieg zu verlängern. „Wir sollten aus dieser Tatsache lernen“ sagt er . . „lassen wir in diesen Monanten höchster Entscheidung[en] dem Schwert das Feld. Es kommt die Zeit, wo jeder zu seinem Recht gelangen soll, wo das Wort, das scharfe, kritische, am Platze ist, wo es Segen stiftet u. neue Entwicklung anbahnt.“ 6 Heute gegen die Zensur, um das Wort freizubekommen, morgen für die Zensur in der Erkenntnis, daß das Wort heute nicht am Platze ist! Man geht nicht irre[,] wenn man annim[m]t, daß die schändliche Presse doch eigentlich immer für die Freiheit des Wortes, auch des schädlichsten Wortes ist, da jedes Wort, auch das schädlichste, ihr eigener Beruf ist. Und wenn sie sich auch gelegentlich so, wie oben zu lesen, vernehmen läßt, so doch nur um auch wieder nur Worte zu machen, die scheinbar zu Recht bestehen, aber in Wirklichkeit nicht darauf ausgehen, dem Schwerte Platz zu machen! 7 — *{379} Der Herr Kaplan erzählte uns eines Abends, daß einmal hier in Schulers Forellenbehälter eine Forelle in gekrümmtem Zustand gefunden wurde. Im Herbst war sie vergessen worden, hat im Eise überwintert, dabei aber aus irgend einer Ursache eine gekrümmte Lage eingenommen, die sie auch nach dem Auftauen des Wassers beibehielt. — „Wilhelm Meister“ VIII. 1. 8 — *
© Transcription Marko Deisinger. |
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Wafts of mist, which frequently admit a bit of blue sky; then gradually ever brighter. — — Beginning of the realization of the work. Letter from Miss Elias, with thanks for the Rosegger suggestion. — — Last package from Dr. Frimmel, 1 in which I am interested to hear that an original fingering of Beethoven's for his "Pastoral" Sonata is found in Starke's piano tutor. 2 — *The German "White Paper" presents documents on the Baralong misdeed 3 to the Reichstag, the final statement of the German government; {378} it announces ruthless retribution for the unpunished crime. 4 – At lunch, the general's wife reads this passage aloud to her husband, in a rather loud voice, and adds the remark: "The Baralong affair will go on for a long time." "Hm, hm," was all that passed his lips; and even his wife was unable to make any further remarks about it. Thus such an important episode in the world war disappears without trace before a German lieutenant general: such important evidence of the desire for revenge against England, that evidence for which the German people yearned for such a long time. — — Frankfurter Zeitung of August 13, 1916: "The Origins of the Billions," by Arthur Feiler. A well written and rather easily comprehensible essay; 5 probably the most interesting thing in it is the remark that, shortly before the outbreak of war, Helfferich estimated the German national wealth to be 285 billion, but around 335 billion according to the statistics of the fire insurance, so that he felt obliged to take the mean figure of 310 billion. From this it can be seen that, even in the land of obligatory balance-sheet insight, the state is cheated annually of 25 billion marks!! — — From the same issue of the newspaper : the military correspondent admits that news about the disunity and discontent in Germany are likely to prolong the war. "We ought to have learned from this fact," he said … "In these months of the greatest decisiveness, let us leave the field to the sword. The time has come where everyone should come into his own, where the word – the sharp, critical word – is appropriate, where it creates benefits and initiates new development." 6 Today opposed to censorship, in order to free the word; tomorrow in favor of censorship in the recognition that the word is no longer appropriate! One is not mistaken in supposing that the shameful press is in fact always in favor of freedom of the word, even of the most damaging word, that every word – even the most damaging – is its own occupation. And when, even occasionally, they behave as one reads above, then it is only to make more words again, which appear to have validity but in reality are not aimed at making way for the sword! 7 — *{379} The chaplain told us one evening that a trout was once found here in Schuler's trout reservoir in a bent condition. It was forgotten about in the autumn, hibernated in the ice, but thus for some reason took on a crooked shape which it maintained even when the ice had melted. — Wilhelm Meister VIII1. 8 — *
© Translation William Drabkin. |
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Nebelschwaden, die immer wieder ein wenig Blau offenlassen; dann allmählich immer heller. — — Beginn die Ausführung der Arbeit. — Brief von Frl. Elias mit Dank für Rosegger-Wink. — — Von Dr. Frimmel letzte Sendung, 1 in der mich die Mitteilung interessiert, daß sich in Starke’s Pianoforte-Schule 2 ein Originalfingersatz von Beethoven zur sogenannten Pastoral-Sonate findet. — *Das deutsche Weißbuch legt dem Reichstag Dokumente zum Baralong-Verbrechen 3 vor, das letzte {378} Wort der deutschen Regierung, kündigt rücksichtslose Sühne für das ungesühnte Verbrechen an. 4 – Bei Tisch liest die Frau Generalin diese Stelle ziemlich laut ihrem Gatten vor u. macht hiezu die Bemerkung: „Wieder wird die Baralong-Affaire breitgetreten“. „Hm, hm,“ war alles, was über seine Lippen kam u. auch die Frau wußte des weiteren nicht ein Wort mehr darüber zu bemerken. So spurlos geht ein so wichtiger Einschnitt des Weltkrieges, ein so wichtiger Beweis für den Vergeltungswillen gegenüber England, jener Beweis, wornach das deutsche Volk schon seit so langer Zeit Sehnsucht hatte[,] an einem deutschen Generalleutnant vorüber. — — „Frankfurter Ztg.“ vom 13. VIII. 16 „Die Herkunft der Milliarden“ von Art uhur Feiler. Ein gut geschriebener u. ziemlich leicht fasslicher Aufsatz; 5 wohl am interessantesten daraus die Bemerkung, daß Helfferich kurz vor Kriegsausbruch das deutsche Volksvermögen nach den Ergebnissen der Vermögenssteuer auf 285 Milliarden, nach der Statistik der Feuerversicherung aber auf rund 335 Milliarden geschätzt habe, so daß er das Mittel von 310 Milliarden anzunehmen sich veranlasst sah. Daraus geht hervor, daß auch im Lande der obligaten Bucheinsicht der Staat um nicht weniger als 25 Milliarden Mark jährlich geprellt wird!! — — Aus derselben Nummer der Zeitung: Der militärische Mitarbeiter gibt zu, daß Nachrichten über Uneinigkeit u. Mißmut in Deutschland dazu geeignet sind, den Krieg zu verlängern. „Wir sollten aus dieser Tatsache lernen“ sagt er . . „lassen wir in diesen Monanten höchster Entscheidung[en] dem Schwert das Feld. Es kommt die Zeit, wo jeder zu seinem Recht gelangen soll, wo das Wort, das scharfe, kritische, am Platze ist, wo es Segen stiftet u. neue Entwicklung anbahnt.“ 6 Heute gegen die Zensur, um das Wort freizubekommen, morgen für die Zensur in der Erkenntnis, daß das Wort heute nicht am Platze ist! Man geht nicht irre[,] wenn man annim[m]t, daß die schändliche Presse doch eigentlich immer für die Freiheit des Wortes, auch des schädlichsten Wortes ist, da jedes Wort, auch das schädlichste, ihr eigener Beruf ist. Und wenn sie sich auch gelegentlich so, wie oben zu lesen, vernehmen läßt, so doch nur um auch wieder nur Worte zu machen, die scheinbar zu Recht bestehen, aber in Wirklichkeit nicht darauf ausgehen, dem Schwerte Platz zu machen! 7 — *{379} Der Herr Kaplan erzählte uns eines Abends, daß einmal hier in Schulers Forellenbehälter eine Forelle in gekrümmtem Zustand gefunden wurde. Im Herbst war sie vergessen worden, hat im Eise überwintert, dabei aber aus irgend einer Ursache eine gekrümmte Lage eingenommen, die sie auch nach dem Auftauen des Wassers beibehielt. — „Wilhelm Meister“ VIII. 1. 8 — *
© Transcription Marko Deisinger. |
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Wafts of mist, which frequently admit a bit of blue sky; then gradually ever brighter. — — Beginning of the realization of the work. Letter from Miss Elias, with thanks for the Rosegger suggestion. — — Last package from Dr. Frimmel, 1 in which I am interested to hear that an original fingering of Beethoven's for his "Pastoral" Sonata is found in Starke's piano tutor. 2 — *The German "White Paper" presents documents on the Baralong misdeed 3 to the Reichstag, the final statement of the German government; {378} it announces ruthless retribution for the unpunished crime. 4 – At lunch, the general's wife reads this passage aloud to her husband, in a rather loud voice, and adds the remark: "The Baralong affair will go on for a long time." "Hm, hm," was all that passed his lips; and even his wife was unable to make any further remarks about it. Thus such an important episode in the world war disappears without trace before a German lieutenant general: such important evidence of the desire for revenge against England, that evidence for which the German people yearned for such a long time. — — Frankfurter Zeitung of August 13, 1916: "The Origins of the Billions," by Arthur Feiler. A well written and rather easily comprehensible essay; 5 probably the most interesting thing in it is the remark that, shortly before the outbreak of war, Helfferich estimated the German national wealth to be 285 billion, but around 335 billion according to the statistics of the fire insurance, so that he felt obliged to take the mean figure of 310 billion. From this it can be seen that, even in the land of obligatory balance-sheet insight, the state is cheated annually of 25 billion marks!! — — From the same issue of the newspaper : the military correspondent admits that news about the disunity and discontent in Germany are likely to prolong the war. "We ought to have learned from this fact," he said … "In these months of the greatest decisiveness, let us leave the field to the sword. The time has come where everyone should come into his own, where the word – the sharp, critical word – is appropriate, where it creates benefits and initiates new development." 6 Today opposed to censorship, in order to free the word; tomorrow in favor of censorship in the recognition that the word is no longer appropriate! One is not mistaken in supposing that the shameful press is in fact always in favor of freedom of the word, even of the most damaging word, that every word – even the most damaging – is its own occupation. And when, even occasionally, they behave as one reads above, then it is only to make more words again, which appear to have validity but in reality are not aimed at making way for the sword! 7 — *{379} The chaplain told us one evening that a trout was once found here in Schuler's trout reservoir in a bent condition. It was forgotten about in the autumn, hibernated in the ice, but thus for some reason took on a crooked shape which it maintained even when the ice had melted. — Wilhelm Meister VIII1. 8 — *
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Footnotes1 Theodor v. Frimmel, "Neuigkeiten über Beethoven (Schluß.)," Mödlinger Deutsches Wochenblatt, No. 33, August 13, 1916, 5th year, pp. 1-2. 2 Friedrich Starke, Wiener Pianoforte-Schule, vol. 2 (Vienna [1820]). This volume contains the last two movements (Andante and Rondo) from Beethoven's Piano Sonata in D major, Op. 28, sometimes known as the "Pastoral" Sonata. 3 On 19 August 1915 the Royal Navy warship HMS Baralong sank the German submarine U-27. About a dozen of the crewmen managed to escape from the sinking submarine, and Lieutenant Godfrey Herbert, commanding officer of Baralong, ordered his men to execute those survivors. The event generated widespread outrage in Germany and the German government submitted a memorandum stating that the Baralong's crew had committed a cowardly murder. 4 "Ein deutsches Weißbuch über die ‚Baralong"-Affäre," Neue Freie Presse, No. 18672, August 15, 1916, morning edition, p. 6. 5 Arthur Feiler, "Die Herkunft der Milliarden," Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, No. 223, August 13, 1916, 61st year, first morning edition, pp. 1-3. 6 F. C. E., "Zur Kriegslage," Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, No. 223, August 13, 1916, 61st year, first morning edition, p. 1. 7 Marginal remark in Schenker's hand: Presse ("the press"). 8 Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre (Wilhelm Meister's Apprenticeship), vol. 1, first published in 1795 (Berlin: Johann Friedrich Unger). |