27. VII. 16
Früh morgens Nebel, doch schon gegen ½10h wunderschönes sommerliches Himmelblau. — — Von Fr. Mendl Brief mit Bedauern über das Nicht-zustandekommen des Besuches. — Lie-Liechen begibt sich in den Park, um im Freien u. in Sonne ihre Arbeit fortzusetzen, während ich selbst den vorbereitenden Arbeiten nachgehe. — Vor Tisch Schubert’sche Walzer. — Nach Tisch beziehen wir wieder unsere Arbeitsstätten im Park, wo wir auch die Jause einnehmen u. Lektüre treiben. Erst um ¾6h machen wir in der Richtung St. Jakob einen den Umständen angemessenen kleinen Weg u. sind überrascht, plötzlich schwere Wolken aus allen Himmelsrichtungen mit unwiderstehlichem Elan auf das unser Tal einstürmen zu sehen. Ihrer pechschwarzen Rüstung nach zu urteilen schienen die Wolkenstreiter aufs eErbittertste gegeneinander losgehen zu wollen; dennoch konnten wir in St. Jakob den Gasthof erreichen, ohne auch stark in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Auf dem Rückweg nach St. Anton fiel uns Eein ganz besonderer Effekt am Himmel auf, als sich die Sonne gleichsam ein kleines Löchlein in den Wolken bohrte, um noch einen flüchtigen Blick auf das Tal zu werfen. ; Ggerade nur den kleinen Kreis der Sonne nahm das Wolkenloch auf u. es sah aus, als würden die Wolken Augenlider bilden, die sich allmälich über dem Auge, der Sonne, wieder schlossen. Einige Donnerschläge verkündeten den Uebergang zur schärferen Tonart u. nun prackte der Regen ganz ordentlich nieder. Spät am Abend aber verzog sich das Gewitter u. wir konnten für den nächsten Tag sogar einige Zuversicht fassen. Ja, noch etwa gegen 9h, richtiger (nicht Sommer-) Zeit, konnten wir die letzten [recte letzte] rosigen Spuren der Sonne erblicken, die sich während des Gewitters hinter den streitenden Wolkenmassen verbarg u. nur einmal kurz vor Unter- {355} gang auftauchte, um einen schönen Regenbogen über dem Tal zu zaubern. — *An Fr. Mendl (Br.); bekenne vielmehr nur mich selbst als Hindernis u. erkläre, wie mit auch die Einstellung des Tramway- [illeg]Verkehres mich zwang, meinen Besuch bis zu einer gelegeneren Zeit aufzuschieben; kündige diesen für Ende September an. — *Von Fl. Brief: geht Samstag ab! — An Fl. Br.OJ 6/6, [2] mit einigen Zeilen des Trostes u. Anbot der Hilfe an die zurückgebliebene Frau Wally. — Wilhelm Meister IV2–4. 1 — *Pythia 2 zeigte sich stets vorsichtig genug, indem sie vor allem nicht zu viel Worte machte. Nicht nur wurde forderte eine solche Vorsicht durch de rn Stil eines göttlichen Orakels gefordert, das doch gewiss nicht geschwätzig erscheinen durfte, sondern noch mehr war es sie Gebot der Klugheit, da zu viel Worte jedenfalls auch eine Gefahr der Komprommittierung [sic] in sich bergen. Dagegen heute, im Zeitalter des Journalismus, plauschen auch schon die Wahrsagerinnen vom Range der Madame Thebes so viel, so überflüssig viel, eben im journalistischen Sinne, daß sie in ihrem Schwindel mit Leichtigkeit entlarvt werden. — *Die rumänische Wolke zeigt sich am politischen Horizont; beinahe ist es so, daß man nicht mehr zweifeln darf an den dem Anschluss Rumäniens an die Alliierten. 3 Und wieder einmal zeigt sich, daß die Mittelmächte auch von Bratiano durch Doppelzüngigkeit im Stile Sassonows, Salandras gefoppt worden sind, indem durch List einfach nur ein Aufschub behufs besserer Vorbereitung erzielt wird. Doch wird darum mein Optimismus auch nicht einmal auf eine Sekunde wankend. Die Herbeiholung der türkischen Truppen auf den galizischen Schauplatz soll im politischen Sinne eben noch in allerletzter Stunde einen Wink an Rumänien vorstellen, der es zur Besinnung mahnt. — *{356} © Transcription Marko Deisinger. |
July 27, 1916.
Mist in the early morning, but towards 9:30 there is already a wonderfully summery blue sky. — — Letter from Mrs. Mendl expressing regret that our visit did not take place. — Lie-Liechen betakes herself to the park, in order to continue her work outdoors and in the sunshine, while I myself go over the work I am preparing. — Before lunch, waltzes by Schubert [played]. — After lunch we take up our work stations in the park, where we also have our afternoon snack and do some reading. Not until 5:45 do we make a trip in the direction of St. Jakob, necessarily brief in view of the circumstances, and we are surprised suddenly to see heavy clouds coming from all directions towards our valley at irresistible speed. Judging by their pitch-black armor, these militant clouds seem determined to assault each other in the fiercest way; nonetheless we are able to reach the restaurant in St. Jakob without also being seriously affected. On the return to St. Anton we were struck by a quite special effect in the sky, when the sun appeared to bore a small hole in the clouds, in order to cast one more hasty glance on the valley; the gap in the clouds admitted only the small orb of the sun, and it seemed as if the clouds formed eyelids, which gradually closed the eye – the sun – again. A few thunder strokes announced the transition to a sharper key; and now the rain pelted down quite severely. Late in the evening, however, the storm subsided; and we could actually be somewhat confident about the following day. Indeed, still towards 9 o'clock, reckoned correctly (not according to summer time), we were able to see the last rosy traces of the sun, which had hidden itself behind the combatant cloud masses and surfaced once more, just before it set, {355} in order to conjure a beautiful rainbow above the valley. — *Letter to Mrs. Mendl; I confess rather that I had rather been the impediment; and I explain that that also the closure of the streetcar network compelled me to postpone my visit until a more suitable time; I announce this for the end of September. — *Letter from Floriz: he is leaving on Saturday! — LetterOJ 6/6, [2] to Floriz with a few lines of comfort and the offer of help to his wife Vally who will be left behind. — Wilhelm Meister IV [recte V]2–4. 1 — *Pythia 2 shows herself to be at all times cautious, above all by not uttering too many words. Not only is such caution required by the style of a divine oracle, who may certainly not appear talkative, but even more it was the imperative of wisdom, by which too many words could at any rate carry the risk of compromising. By contrast today, in the age of journalism, even the soothsayers of the rank of Madame Thebes chat so much, so unnecessarily, that they are easily exposed in their deception. — *The Romanian cloud is appearing on the political horizon; it is almost the case that one cannot doubt that the Romanians will be annexed to the Allies. 3 And once again it is shown that the Central Powers have been duplicitously hoodwinked even by Brătianu, as they were by Sazonov and Salandra, insofar as mere procrastination for the purpose of better preparation has simply been achieved by cunning. Yet my optimism is not for a second shaken on account of this: the summoning of Turkish troops on the Galician battlefield should represent a political hint to Romania, even at the final hour, which warns it to reflect on its actions. — *{356} © Translation William Drabkin. |
27. VII. 16
Früh morgens Nebel, doch schon gegen ½10h wunderschönes sommerliches Himmelblau. — — Von Fr. Mendl Brief mit Bedauern über das Nicht-zustandekommen des Besuches. — Lie-Liechen begibt sich in den Park, um im Freien u. in Sonne ihre Arbeit fortzusetzen, während ich selbst den vorbereitenden Arbeiten nachgehe. — Vor Tisch Schubert’sche Walzer. — Nach Tisch beziehen wir wieder unsere Arbeitsstätten im Park, wo wir auch die Jause einnehmen u. Lektüre treiben. Erst um ¾6h machen wir in der Richtung St. Jakob einen den Umständen angemessenen kleinen Weg u. sind überrascht, plötzlich schwere Wolken aus allen Himmelsrichtungen mit unwiderstehlichem Elan auf das unser Tal einstürmen zu sehen. Ihrer pechschwarzen Rüstung nach zu urteilen schienen die Wolkenstreiter aufs eErbittertste gegeneinander losgehen zu wollen; dennoch konnten wir in St. Jakob den Gasthof erreichen, ohne auch stark in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Auf dem Rückweg nach St. Anton fiel uns Eein ganz besonderer Effekt am Himmel auf, als sich die Sonne gleichsam ein kleines Löchlein in den Wolken bohrte, um noch einen flüchtigen Blick auf das Tal zu werfen. ; Ggerade nur den kleinen Kreis der Sonne nahm das Wolkenloch auf u. es sah aus, als würden die Wolken Augenlider bilden, die sich allmälich über dem Auge, der Sonne, wieder schlossen. Einige Donnerschläge verkündeten den Uebergang zur schärferen Tonart u. nun prackte der Regen ganz ordentlich nieder. Spät am Abend aber verzog sich das Gewitter u. wir konnten für den nächsten Tag sogar einige Zuversicht fassen. Ja, noch etwa gegen 9h, richtiger (nicht Sommer-) Zeit, konnten wir die letzten [recte letzte] rosigen Spuren der Sonne erblicken, die sich während des Gewitters hinter den streitenden Wolkenmassen verbarg u. nur einmal kurz vor Unter- {355} gang auftauchte, um einen schönen Regenbogen über dem Tal zu zaubern. — *An Fr. Mendl (Br.); bekenne vielmehr nur mich selbst als Hindernis u. erkläre, wie mit auch die Einstellung des Tramway- [illeg]Verkehres mich zwang, meinen Besuch bis zu einer gelegeneren Zeit aufzuschieben; kündige diesen für Ende September an. — *Von Fl. Brief: geht Samstag ab! — An Fl. Br.OJ 6/6, [2] mit einigen Zeilen des Trostes u. Anbot der Hilfe an die zurückgebliebene Frau Wally. — Wilhelm Meister IV2–4. 1 — *Pythia 2 zeigte sich stets vorsichtig genug, indem sie vor allem nicht zu viel Worte machte. Nicht nur wurde forderte eine solche Vorsicht durch de rn Stil eines göttlichen Orakels gefordert, das doch gewiss nicht geschwätzig erscheinen durfte, sondern noch mehr war es sie Gebot der Klugheit, da zu viel Worte jedenfalls auch eine Gefahr der Komprommittierung [sic] in sich bergen. Dagegen heute, im Zeitalter des Journalismus, plauschen auch schon die Wahrsagerinnen vom Range der Madame Thebes so viel, so überflüssig viel, eben im journalistischen Sinne, daß sie in ihrem Schwindel mit Leichtigkeit entlarvt werden. — *Die rumänische Wolke zeigt sich am politischen Horizont; beinahe ist es so, daß man nicht mehr zweifeln darf an den dem Anschluss Rumäniens an die Alliierten. 3 Und wieder einmal zeigt sich, daß die Mittelmächte auch von Bratiano durch Doppelzüngigkeit im Stile Sassonows, Salandras gefoppt worden sind, indem durch List einfach nur ein Aufschub behufs besserer Vorbereitung erzielt wird. Doch wird darum mein Optimismus auch nicht einmal auf eine Sekunde wankend. Die Herbeiholung der türkischen Truppen auf den galizischen Schauplatz soll im politischen Sinne eben noch in allerletzter Stunde einen Wink an Rumänien vorstellen, der es zur Besinnung mahnt. — *{356} © Transcription Marko Deisinger. |
July 27, 1916.
Mist in the early morning, but towards 9:30 there is already a wonderfully summery blue sky. — — Letter from Mrs. Mendl expressing regret that our visit did not take place. — Lie-Liechen betakes herself to the park, in order to continue her work outdoors and in the sunshine, while I myself go over the work I am preparing. — Before lunch, waltzes by Schubert [played]. — After lunch we take up our work stations in the park, where we also have our afternoon snack and do some reading. Not until 5:45 do we make a trip in the direction of St. Jakob, necessarily brief in view of the circumstances, and we are surprised suddenly to see heavy clouds coming from all directions towards our valley at irresistible speed. Judging by their pitch-black armor, these militant clouds seem determined to assault each other in the fiercest way; nonetheless we are able to reach the restaurant in St. Jakob without also being seriously affected. On the return to St. Anton we were struck by a quite special effect in the sky, when the sun appeared to bore a small hole in the clouds, in order to cast one more hasty glance on the valley; the gap in the clouds admitted only the small orb of the sun, and it seemed as if the clouds formed eyelids, which gradually closed the eye – the sun – again. A few thunder strokes announced the transition to a sharper key; and now the rain pelted down quite severely. Late in the evening, however, the storm subsided; and we could actually be somewhat confident about the following day. Indeed, still towards 9 o'clock, reckoned correctly (not according to summer time), we were able to see the last rosy traces of the sun, which had hidden itself behind the combatant cloud masses and surfaced once more, just before it set, {355} in order to conjure a beautiful rainbow above the valley. — *Letter to Mrs. Mendl; I confess rather that I had rather been the impediment; and I explain that that also the closure of the streetcar network compelled me to postpone my visit until a more suitable time; I announce this for the end of September. — *Letter from Floriz: he is leaving on Saturday! — LetterOJ 6/6, [2] to Floriz with a few lines of comfort and the offer of help to his wife Vally who will be left behind. — Wilhelm Meister IV [recte V]2–4. 1 — *Pythia 2 shows herself to be at all times cautious, above all by not uttering too many words. Not only is such caution required by the style of a divine oracle, who may certainly not appear talkative, but even more it was the imperative of wisdom, by which too many words could at any rate carry the risk of compromising. By contrast today, in the age of journalism, even the soothsayers of the rank of Madame Thebes chat so much, so unnecessarily, that they are easily exposed in their deception. — *The Romanian cloud is appearing on the political horizon; it is almost the case that one cannot doubt that the Romanians will be annexed to the Allies. 3 And once again it is shown that the Central Powers have been duplicitously hoodwinked even by Brătianu, as they were by Sazonov and Salandra, insofar as mere procrastination for the purpose of better preparation has simply been achieved by cunning. Yet my optimism is not for a second shaken on account of this: the summoning of Turkish troops on the Galician battlefield should represent a political hint to Romania, even at the final hour, which warns it to reflect on its actions. — *{356} © Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre (Wilhelm Meister's Apprenticeship), vol. 1, first published in 1795 (Berlin: Johann Friedrich Unger).. 2 Pythia: in Greek mythology, the high priestess at the Temple of Apollo at Delphi, also Delphic Oracle. 3 The Kingdom of Romania remained neutral when World War I broke out in 1914, but Prime Minister Ion I. C. Brătianu began negotiating in secret with the Entente and entered his country on the side of the Entente on August 26, 1916, following the Treaty of Bucharest, according to which Austrian-Hungarian territories with a majority ethnic Romanian population would be ceded to Romania. |