21. +5°, freundliches heiteres Wetter.
— Von Tante (K.); meldet, daß das Augenglas der Mama nicht mehr zu erlangen sei. — An Mama (Br.); Lie-Liechen legt die Karte der Tante u. 2 Annoncen Hertzkas bei. — An Perutz jun. wegen des vertauschten Schirmes. — — An Sophie (Br.); ich u. Lie-Liechen suchen sie über Hans [’] Schicksal zu trösten. — — Von Zuckerkandl Vrieslander (Feldpostk.); meldet sein Einrücken in die Artillerie. — *{201} Im „N. W. Tgbl.“ lese ich, daß die Erstausgabe von Shakespeares „Titus Andronikus“ 1 eine Ueberfülle von Namen auf dem Titelblatt zeigt, nur nicht den Namen des Dichters selbst! Das eine Exemplar ging um den Preis von 42000 [recte 48000] Kronen ab. 2 — *Von der schmutzigen Geldgesinnung der Reichen: Wo Eitelkeit in Frage kommt, wirft er das Geld mit Leichtigkeit hinaus, was jedenfalls sicher als Beweis dafür gelten mag, daß die Einbringung des Geldes ihm nicht die geringste Mühe kostete. In Situationen aber, in denen zur Eitelkeit kein Anlaß vorliegt, sei es, daß davon überhaupt niemand etwas davon merken würde, oder daß derjenige, der es zu merken hätte, ihm aus sozialen irrelevant Gründen gleichgültig ist, in solchen Situationen kargt er mit dem Geld in schmutzigster Weise, weniger aber etwa aus dem schon genannten Grunde, weil der Anlaß der Eitelkeit wegfällt, sondern weil – u. dies ist der tiefste Grund – das Erlegen von Geld ihm schon an u. für sich als eine beträchtliche Leistung erscheint, auf die der Reiche dann, wie auf alle seine Leistungen überhaupt, nur das Gesetz denkbar größter Kargheit anwendet. D. h.: auch gGewohnt nur wenig etwas zu leisten, weil zu einer wirklichen Leistung auch unfähig, überträgt der Reiche die Tendenz der Kargheit auch auf die Geldes-Leistung des. Wie er mit allen Leistungen, so kargt er eben auch mit Geld. — *Beim jungen Korngold suchen seine Freunde, da nun einmal zum Schicksal eines großen Künstlers das Martyrium gehört, ein solches mindestens künstlich zu erzeugen u. nachzutragen, da es in Wahrheit nicht vorhanden ist. Alle Wege hat ihm der Vater (u. die übrige Presse) geebnet u. wagt trotzdem die Unterstellung, als würde man den Jungen um des Vaters willen verfolgen. *Wiederholt erklärte ich Lie-Liechen, daß das Loos aller Schaffenden sich auch in mir be- {202} stätigt, indem ich genötigt bin, den Schülern mehr zu geben, als sie verstehen u. nehmen können. Jeder Schaffende gibt eben viele Dinge u. streut Samen aus; davon behalten die Nehmenden nur dies oder jenes, wenn überhaupt etwas. Gäbe man aber nur eines, so hätten sie, da sie möglicherweise dieses eine gerade nicht empfangen könnten, den Eindruck, als hätten sie gar nichts gehört. — *Der Reiche: Sofern er nicht selbst Armeelieferant ist, verfällt der Reiche aus Feigheit unerbittlich der Kriegspsychose. Aber niemals wird er begreifen, wie der Arme schon in Friedenszeiten an einer Art Kampf-ums-Leben-Psychose zu leiden hat, in der er sich, weil der Zustand sein ganzes Leben lang dauert, doch erst recht all das herausnehmen dürfte, was sich der Reiche in der kurzen Spanne einer Kriegspsychose anmaßt. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
21. +5°, friendly, fair weather.
— Postcard from my aunt; she reports that my mother’s eyeglass is no longer available. — Letter to Mama: Lie-Liechen encloses my aunt’s postcard and two of Hertzka’s announcements. — To the younger Perutz regarding the umbrella mix-up. — Letter to Sophie; Lie-Liechen and I seek to comfort her about Hans’s fate. — — From Vrieslander (field postcard): he reports enlisting in the artillery corps. — *{201} In the Neues Wiener Tagblatt , I read that the first edition of Shakespeare’s Titus Andronicus 1 displays an abundance of names on the title page, but not the name of the poet himself! The unique copy fetched a price of 42,000 [recte 48,000] Kronen. 2 — *On the greedy money-mentality of the rich: where vanity comes into play, he throws away his money with ease, something that can surely be taken as proof that the acquisition of money does not cause him the least difficulty. But in situations in which vanity has no role to play – either because no one would notice anything of it, or that one who would have noted it doesn’t matter because of his social standing – in such situations he hoards his money in the greediest way, however, less because the occasion for vanity is not present but rather because – and this is the real reason – the acquisition of money appears, in and of itself, a considerable achievement to which the rich man, as with all his achievements in general, applies only the law of the greatest imaginable parsimony. That is: accustomed as he is of accomplishing but little, because he is also incapable of a true accomplishment, the rich man transfers the tendency towards parsimony even with respect to what money can accomplish. As with all his achievements, he is miserly even with his money. — *As martyrdom is part of the fate of a great artist, the friends of young Korngold are seeking to create and hang on to something that is at least artistic, since in truth it is not actually present. His father (and the rest of the newspaper industry) has leveled all the paths, and still dares to make insinuations, as if one were persecuting the youth on account of his father. *Lie-Liechen explains to me repeatedly that the fate of all creative people finds confirmation also in myself, {202} since I am compelled to give my pupils more than they can understand and take in. Every creative person offers verily many things and sows seeds, of which those that take can keep only this or that, if anything at all. If were to give only one thing, then – since they might possibly not even be able to grasp just this one thing – they might have the impression that they hadn’t heard anything at all. — *The rich man: insofar as he is himself not an army contractor, the rich man, out of cowardice, inexorably becomes a slave to the psychosis of war. But he will never understand how the poor man, even in times of peace, has to suffer from a kind of struggle-for-life psychosis; since this condition lasts his entire life, he may presume to do above all everything that the rich man claims the right to do in the brief span of a wartime psychosis. — *
© Translation William Drabkin. |
21. +5°, freundliches heiteres Wetter.
— Von Tante (K.); meldet, daß das Augenglas der Mama nicht mehr zu erlangen sei. — An Mama (Br.); Lie-Liechen legt die Karte der Tante u. 2 Annoncen Hertzkas bei. — An Perutz jun. wegen des vertauschten Schirmes. — — An Sophie (Br.); ich u. Lie-Liechen suchen sie über Hans [’] Schicksal zu trösten. — — Von Zuckerkandl Vrieslander (Feldpostk.); meldet sein Einrücken in die Artillerie. — *{201} Im „N. W. Tgbl.“ lese ich, daß die Erstausgabe von Shakespeares „Titus Andronikus“ 1 eine Ueberfülle von Namen auf dem Titelblatt zeigt, nur nicht den Namen des Dichters selbst! Das eine Exemplar ging um den Preis von 42000 [recte 48000] Kronen ab. 2 — *Von der schmutzigen Geldgesinnung der Reichen: Wo Eitelkeit in Frage kommt, wirft er das Geld mit Leichtigkeit hinaus, was jedenfalls sicher als Beweis dafür gelten mag, daß die Einbringung des Geldes ihm nicht die geringste Mühe kostete. In Situationen aber, in denen zur Eitelkeit kein Anlaß vorliegt, sei es, daß davon überhaupt niemand etwas davon merken würde, oder daß derjenige, der es zu merken hätte, ihm aus sozialen irrelevant Gründen gleichgültig ist, in solchen Situationen kargt er mit dem Geld in schmutzigster Weise, weniger aber etwa aus dem schon genannten Grunde, weil der Anlaß der Eitelkeit wegfällt, sondern weil – u. dies ist der tiefste Grund – das Erlegen von Geld ihm schon an u. für sich als eine beträchtliche Leistung erscheint, auf die der Reiche dann, wie auf alle seine Leistungen überhaupt, nur das Gesetz denkbar größter Kargheit anwendet. D. h.: auch gGewohnt nur wenig etwas zu leisten, weil zu einer wirklichen Leistung auch unfähig, überträgt der Reiche die Tendenz der Kargheit auch auf die Geldes-Leistung des. Wie er mit allen Leistungen, so kargt er eben auch mit Geld. — *Beim jungen Korngold suchen seine Freunde, da nun einmal zum Schicksal eines großen Künstlers das Martyrium gehört, ein solches mindestens künstlich zu erzeugen u. nachzutragen, da es in Wahrheit nicht vorhanden ist. Alle Wege hat ihm der Vater (u. die übrige Presse) geebnet u. wagt trotzdem die Unterstellung, als würde man den Jungen um des Vaters willen verfolgen. *Wiederholt erklärte ich Lie-Liechen, daß das Loos aller Schaffenden sich auch in mir be- {202} stätigt, indem ich genötigt bin, den Schülern mehr zu geben, als sie verstehen u. nehmen können. Jeder Schaffende gibt eben viele Dinge u. streut Samen aus; davon behalten die Nehmenden nur dies oder jenes, wenn überhaupt etwas. Gäbe man aber nur eines, so hätten sie, da sie möglicherweise dieses eine gerade nicht empfangen könnten, den Eindruck, als hätten sie gar nichts gehört. — *Der Reiche: Sofern er nicht selbst Armeelieferant ist, verfällt der Reiche aus Feigheit unerbittlich der Kriegspsychose. Aber niemals wird er begreifen, wie der Arme schon in Friedenszeiten an einer Art Kampf-ums-Leben-Psychose zu leiden hat, in der er sich, weil der Zustand sein ganzes Leben lang dauert, doch erst recht all das herausnehmen dürfte, was sich der Reiche in der kurzen Spanne einer Kriegspsychose anmaßt. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
21. +5°, friendly, fair weather.
— Postcard from my aunt; she reports that my mother’s eyeglass is no longer available. — Letter to Mama: Lie-Liechen encloses my aunt’s postcard and two of Hertzka’s announcements. — To the younger Perutz regarding the umbrella mix-up. — Letter to Sophie; Lie-Liechen and I seek to comfort her about Hans’s fate. — — From Vrieslander (field postcard): he reports enlisting in the artillery corps. — *{201} In the Neues Wiener Tagblatt , I read that the first edition of Shakespeare’s Titus Andronicus 1 displays an abundance of names on the title page, but not the name of the poet himself! The unique copy fetched a price of 42,000 [recte 48,000] Kronen. 2 — *On the greedy money-mentality of the rich: where vanity comes into play, he throws away his money with ease, something that can surely be taken as proof that the acquisition of money does not cause him the least difficulty. But in situations in which vanity has no role to play – either because no one would notice anything of it, or that one who would have noted it doesn’t matter because of his social standing – in such situations he hoards his money in the greediest way, however, less because the occasion for vanity is not present but rather because – and this is the real reason – the acquisition of money appears, in and of itself, a considerable achievement to which the rich man, as with all his achievements in general, applies only the law of the greatest imaginable parsimony. That is: accustomed as he is of accomplishing but little, because he is also incapable of a true accomplishment, the rich man transfers the tendency towards parsimony even with respect to what money can accomplish. As with all his achievements, he is miserly even with his money. — *As martyrdom is part of the fate of a great artist, the friends of young Korngold are seeking to create and hang on to something that is at least artistic, since in truth it is not actually present. His father (and the rest of the newspaper industry) has leveled all the paths, and still dares to make insinuations, as if one were persecuting the youth on account of his father. *Lie-Liechen explains to me repeatedly that the fate of all creative people finds confirmation also in myself, {202} since I am compelled to give my pupils more than they can understand and take in. Every creative person offers verily many things and sows seeds, of which those that take can keep only this or that, if anything at all. If were to give only one thing, then – since they might possibly not even be able to grasp just this one thing – they might have the impression that they hadn’t heard anything at all. — *The rich man: insofar as he is himself not an army contractor, the rich man, out of cowardice, inexorably becomes a slave to the psychosis of war. But he will never understand how the poor man, even in times of peace, has to suffer from a kind of struggle-for-life psychosis; since this condition lasts his entire life, he may presume to do above all everything that the rich man claims the right to do in the brief span of a wartime psychosis. — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 William Shakespeare’s tragedy was first published as an anonymous quarto in 1594 under the title The Most Lamentable Romaine Tragedie of Titus Andronicus (London: John Danter). 2 "Shakespearebibliographie," Neues Wiener Tagblatt, No. 111, April 21, 1916, 50th year, p. 9. |