17. November 1928

Von „Haus u. Garten“ (Br.): Kostenvoranschlag: 172 S. — Von Ullstein ein Propagandablatt Rosenthal-Liszt. 1 — Frl. Kahn bereitet mir unerwartet Wiederstand [sic] , obendrein bei der Wiederholung der Träumerei, die sie für eine Schülerin erbat. Mir riß die Geduld, ich sah mich vor der Ergebnislosigkeit meiner persönlichen Liebenswürdigkeit, meiner pädagogischen Mühe, nach mehr als 20 Jahren. Ich war angewidert von einer wahrhaft verlotterten Eitelkeit, die die größten Meister der Welt u. ihren treuesten Diener, der in seiner Art auch ein Meister ist, als Schleppträger behandelt u. immer wieder nur sich vordrängt. Schließlich würde eine erotische Ursache den Machtwillen einer solchen Eitelkeit begreiflich machen, aber eine Eitelkeit, die so ganz u. gar kein Ziel hat u. doch so heilige Opfer fordert, gestattet mir keine Geduld mehr. Ich habe sie sehr heftig verwiesen u. daran erinnert, daß sie zu einem Musiker kommt, dessen Aufgabe gerade darin besteht, das Unbedingte des Vortrags festzustellen, so daß sich für die Schülerin 2 kein Platz mehr findet. Hierauf stellte ich sie unter Zwang u. sie fügte sich, nicht gern, aber doch. Sie bemerkte sogar: „Ich kann mich nicht zwingen“ – worauf ich kurz erwiderte „Sie müssen“. Das Lotterhafte dieser Eitelkeit, die umso wiederwärtiger ist, jemehr sie Naturanlage ist, also gewissermaßen der Un- {3288} schuld des Trieblebens gehörig, d. h. etwas Bestialisches hat, besteht eben darin, daß sie auch vom größten Meister sich nicht zwingen lassen mag, wohl aber die Meister u. ihre Diener zu ihrer tiefen Stufe hinunterzwingen will. Ich hoffe, daß diese derbe Zurechtweisung gute Folgen haben wird, zumindest für mich. Traurig genug, daß das Fräulein wegen des Widerstandes so viele Jahre bester Gelegenheit umsonst zu lernen verloren hat u. schließlich trotz aller Hilfe sich selbst genügen muß, was sie doch schon gar nicht kann. Doch ist es Zeit, von diesem Bilde wegzusehen; das Fräulein verdient nichts besseres. Tierische uUnschuldig hin u. her, sobald sie solchen Schaden zeitigt, wird sie nach allgemein giltigem Brauch ausgetilgt. — Nach der Jause Herr Preißler mit einer alten Tante: der übliche Musikertypus ins weiblicher, zumal 3 altweiblicher Ausgabe. O, sie ist bescheiden, hat natürlich alles gekonnt, ist auf dem Laufenden, braucht dDas u. Jenes, kurz: sie will etwas von der Welt, der sie nichts geben kann; sie will nicht wenig, tut aber, als würde sie gar nichts wollen. Es wäre vergeblich gewesen, auch nur die schmalste Brücke über die Kluft zu legen. Für Minuten rief sie mir die große Welt in Erinnerung, die sich am besten an Ihresgleichen vergnügt, obgleich sie die Finger scheinbar nach Hohem ausstreckt. — Einkäufe, dann kleiner Spaziergang. — Rf. 7h: Wang u. Winkler: Schubert Sonate für Arpeggione u. Beethoven op. 69: der Cellist wie immer viel besser als die Klavierspielerin.

© Transcription Marko Deisinger.

November 17, 1928.

From Haus und Garten (letter): cost estimate: 172 shillings. — From Ullstein, an advertising circular for Rosenthal-Liszt. 1 — Miss Kahn unexpectly gives me cause for resistance, expecially in the repeat of Träumerei , which she requested for a pupil of hers. I lost my patience; I saw myself confronted by the failure of my personal kindness, my pedagogical effort, to produce any results after more than twenty years. I was disgusted by a truly dissolute vanity, which treats the greatest masters of the world and their most faithful servant – who is in his own way also a master – as a support-beam, pushing itself to the forefront over and over again. Ultimately, an erotic cause would have made the will to power of such a vanity understandable; but a vanity that has no purpose whatever and yet demands such holy sacrifices allows me to keep my patience no longer. I rebuked her severely and reminded her that she is coming to a musician whose job consists precisely in determining the unconditional in performance, so that there is no more room for the pupil 2 . Whereupon I put her under duress; and she cooperated – not willingly, but nonetheless. She even remarked: "I cannot force myself" – whereupon I replied curtly: "You must." The depravity of this narcissism, which is all the more objectionable the more it is the natural state of affairs – thus in a certain sense belongs to the innocence {3288} of her sex life, i.e. there is something bestial about it – consists specifically of her being unwilling to be compelled even by the greatest master, but on the other hand wishes to force the masters and their servants down to her low level. I hope that this harsh rebuke will have good consequences, at least for myself. It is sad enough that the young lady, on account of her opposition, has lost so many years of the best opportunity to learn free of charge and finally, in spite of all help, may herself be satisfied with what she cannot do at all. Yet it is time to look away from this picture; the young lady deserves nothing better. Whether or not this is animalistic innocence, as soon as she causes such harm it must, according to general custom, be utterly destroyed. — After teatime, Mr. Preißler with an elderly aunt: the usual type of musician, in a feminine, even 3 an old-feminine, edition. Oh, she is modest, has naturally been able to do everything, is up to date, needs this and that; in short: she would like something from the world, to which she can give nothing; she does not want little, but gives the impression that she would not want anything. It would have been futile to lay even the narrowest bridge over the chasm. For several minutes she recalled to me the great world, which takes the greatest delight in the likes of her, although she apparently aspires to higher things. — Shopping, then a short walk. — Radio, at 7 o'clock: Wang and Winkler: Schubert's Sonata for Arpeggione , and Beethoven's Op. 69: the cellist, as always, much better than the pianist.

© Translation William Drabkin.

17. November 1928

Von „Haus u. Garten“ (Br.): Kostenvoranschlag: 172 S. — Von Ullstein ein Propagandablatt Rosenthal-Liszt. 1 — Frl. Kahn bereitet mir unerwartet Wiederstand [sic] , obendrein bei der Wiederholung der Träumerei, die sie für eine Schülerin erbat. Mir riß die Geduld, ich sah mich vor der Ergebnislosigkeit meiner persönlichen Liebenswürdigkeit, meiner pädagogischen Mühe, nach mehr als 20 Jahren. Ich war angewidert von einer wahrhaft verlotterten Eitelkeit, die die größten Meister der Welt u. ihren treuesten Diener, der in seiner Art auch ein Meister ist, als Schleppträger behandelt u. immer wieder nur sich vordrängt. Schließlich würde eine erotische Ursache den Machtwillen einer solchen Eitelkeit begreiflich machen, aber eine Eitelkeit, die so ganz u. gar kein Ziel hat u. doch so heilige Opfer fordert, gestattet mir keine Geduld mehr. Ich habe sie sehr heftig verwiesen u. daran erinnert, daß sie zu einem Musiker kommt, dessen Aufgabe gerade darin besteht, das Unbedingte des Vortrags festzustellen, so daß sich für die Schülerin 2 kein Platz mehr findet. Hierauf stellte ich sie unter Zwang u. sie fügte sich, nicht gern, aber doch. Sie bemerkte sogar: „Ich kann mich nicht zwingen“ – worauf ich kurz erwiderte „Sie müssen“. Das Lotterhafte dieser Eitelkeit, die umso wiederwärtiger ist, jemehr sie Naturanlage ist, also gewissermaßen der Un- {3288} schuld des Trieblebens gehörig, d. h. etwas Bestialisches hat, besteht eben darin, daß sie auch vom größten Meister sich nicht zwingen lassen mag, wohl aber die Meister u. ihre Diener zu ihrer tiefen Stufe hinunterzwingen will. Ich hoffe, daß diese derbe Zurechtweisung gute Folgen haben wird, zumindest für mich. Traurig genug, daß das Fräulein wegen des Widerstandes so viele Jahre bester Gelegenheit umsonst zu lernen verloren hat u. schließlich trotz aller Hilfe sich selbst genügen muß, was sie doch schon gar nicht kann. Doch ist es Zeit, von diesem Bilde wegzusehen; das Fräulein verdient nichts besseres. Tierische uUnschuldig hin u. her, sobald sie solchen Schaden zeitigt, wird sie nach allgemein giltigem Brauch ausgetilgt. — Nach der Jause Herr Preißler mit einer alten Tante: der übliche Musikertypus ins weiblicher, zumal 3 altweiblicher Ausgabe. O, sie ist bescheiden, hat natürlich alles gekonnt, ist auf dem Laufenden, braucht dDas u. Jenes, kurz: sie will etwas von der Welt, der sie nichts geben kann; sie will nicht wenig, tut aber, als würde sie gar nichts wollen. Es wäre vergeblich gewesen, auch nur die schmalste Brücke über die Kluft zu legen. Für Minuten rief sie mir die große Welt in Erinnerung, die sich am besten an Ihresgleichen vergnügt, obgleich sie die Finger scheinbar nach Hohem ausstreckt. — Einkäufe, dann kleiner Spaziergang. — Rf. 7h: Wang u. Winkler: Schubert Sonate für Arpeggione u. Beethoven op. 69: der Cellist wie immer viel besser als die Klavierspielerin.

© Transcription Marko Deisinger.

November 17, 1928.

From Haus und Garten (letter): cost estimate: 172 shillings. — From Ullstein, an advertising circular for Rosenthal-Liszt. 1 — Miss Kahn unexpectly gives me cause for resistance, expecially in the repeat of Träumerei , which she requested for a pupil of hers. I lost my patience; I saw myself confronted by the failure of my personal kindness, my pedagogical effort, to produce any results after more than twenty years. I was disgusted by a truly dissolute vanity, which treats the greatest masters of the world and their most faithful servant – who is in his own way also a master – as a support-beam, pushing itself to the forefront over and over again. Ultimately, an erotic cause would have made the will to power of such a vanity understandable; but a vanity that has no purpose whatever and yet demands such holy sacrifices allows me to keep my patience no longer. I rebuked her severely and reminded her that she is coming to a musician whose job consists precisely in determining the unconditional in performance, so that there is no more room for the pupil 2 . Whereupon I put her under duress; and she cooperated – not willingly, but nonetheless. She even remarked: "I cannot force myself" – whereupon I replied curtly: "You must." The depravity of this narcissism, which is all the more objectionable the more it is the natural state of affairs – thus in a certain sense belongs to the innocence {3288} of her sex life, i.e. there is something bestial about it – consists specifically of her being unwilling to be compelled even by the greatest master, but on the other hand wishes to force the masters and their servants down to her low level. I hope that this harsh rebuke will have good consequences, at least for myself. It is sad enough that the young lady, on account of her opposition, has lost so many years of the best opportunity to learn free of charge and finally, in spite of all help, may herself be satisfied with what she cannot do at all. Yet it is time to look away from this picture; the young lady deserves nothing better. Whether or not this is animalistic innocence, as soon as she causes such harm it must, according to general custom, be utterly destroyed. — After teatime, Mr. Preißler with an elderly aunt: the usual type of musician, in a feminine, even 3 an old-feminine, edition. Oh, she is modest, has naturally been able to do everything, is up to date, needs this and that; in short: she would like something from the world, to which she can give nothing; she does not want little, but gives the impression that she would not want anything. It would have been futile to lay even the narrowest bridge over the chasm. For several minutes she recalled to me the great world, which takes the greatest delight in the likes of her, although she apparently aspires to higher things. — Shopping, then a short walk. — Radio, at 7 o'clock: Wang and Winkler: Schubert's Sonata for Arpeggione , and Beethoven's Op. 69: the cellist, as always, much better than the pianist.

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 In the 1920s, the Berlin publishing house Ullstein brought out a large number of editions and arrangements of Liszt by his pupil Moriz Rosenthal.

2 Above the word "Schülerin," the word (or name) "Spiz.": possibly the name or nickname of Miss Kahn's pupil.

3 A question-mark over "zumal."