18. V. 17 12°, wolkenlos.

— Von Einschenk (K., datiert vom 16.): Mozio sei in Bukarest; was nun mit dem Brief von mir anfangen? — Weisses Bursche bringt 50 Stück Eier. — Von Gruebers telephonische Mitteilung, daß Dodi hier sei; wir sagen uns für morgen an. —

Mittelmann im Caféhaus in Angelegenheit Beethoven-Karpath. 1 — Prozess des jungen Dr. Felix [sic] Adler 2 – Schlüsselbeispiel für Tragik der Unlogik. Er gibt zu, daß man sich eines Ueberfallenden zu erwehren habe, aber dürfe man, fragt er, bei der Abwehr {675} ihm die Taschen ausrauben? Eine Verzerrung sondergleichen, die daher kommt, daß sich der junge Mann trotz allen Behelfen der Bildung nicht klar gemacht hat, wie aus der Situation der Abwehr sich ganz von selbst organisch Sieg oder Niederlage entwickeln, wie sodann eine gelungene Abwehr eben schon auch einen Sieg über den Angreifer bedeutet u. wie endlich eine Bestrafung des Angreifers auch mit ein Abwehrmittel ist, wie jedes andere, wofür das beste Beispiel ja das von Adler an Stürgkh begangene Attentat abgibt: Hat denn Adler dem Mannes, den er eines Ueberfalles auf die politische Freiheit Oesterreicht [sic] bezichtigt, nicht das Leben genommen, also mehr als blos die Taschen ausgeraubt u. behauptet er nicht, dazu durch die Abwehr berechtigt gewesen zu sein? Vielleicht sieht nun der Vater in dieser Spiegelung des Sohnes die Hirnverbranntheit der sozialdemokratischen Behauptungen endlich besser ein.

— Ein Kaiser ist verantwortlich u. schließlich absetzbar. Ist das aber auch der Fall bei 58 Millionen Bewohner eines Staates, die alle, wenn der moderne Irrwahn auf Wahrheit beruhte, ebenso viele Kaiser vorstellen, nur leider unverantwortlich u. unabsetzbar? Setzen sich diese 58 Millionen ab, so gehen sie ja an sich selbst zugrunde, u. zwar ohne Bewußtsein der Ursache, die nicht einmal später die Historiker festzustellen vermögen. — Keine Religion enthält die Vorschrift: Lasse dich getrost vom Nächsten töten – daraus muß geschlossen werden, daß die Lehre: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst wohl einen räuberischen Menschen am Raube, nicht aber den Ueberfallenen an der Abwehr hindern will. — Indem der Kaufmann seinen Beruf nur bis auf Widerruf ausübt, bis er nämlich zu privatisieren anfängt, bekennt er, daß der Beruf nicht eigentlich ein Beruf zu nennen ist. Und wenn er dies selbst bekennt, wie grell sticht davon die Moral des Staates ab, der auf den Kaufmann sein Wesen stellt u. in erster Reihe seine Tätigkeit in Schutz nimmt u. belohnt?! — Das Arbeitsproblem müßte unter den Menschen dahin gelöst werden, {676} daß kein Gelderwerb um bloßer Arbeitslosigkeit willen gestatte sein dürfte. — Brünauer, dem ich meine Auffassung vom Beruf als einer lebenslänglich mit Enthusiasmus zu erfüllenden Arbeit mitteile, sagt mir plötzlich: Nicht wahr, wir Beide haben Enthusiasmus im Beruf?!!

© Transcription Marko Deisinger.

May 18, 1917. 12°, cloudless.

— From Einschenk (postcard, dated the 16th): Mozio is in Bucharest; what should he now do with the letter I wrote to him? — Weisse's man brings 50 eggs. — From Grueber, a telephone message that Dodi is here; we arrange to meet her tomorrow. —

Mittelmann at the coffee house, concerning the Beethoven-Karpath matter. 1 — Trial of the young Dr. Felix [recte Friedrich] Adler 2 Textbook example of the tragedy of unlogic. He admits that one must fight off an attacker; but may one, he asks, steal from your pockets when defending oneself? {675} A distortion beyond imagination, which arises because the young man, in spite of all the resources of his upbringing, cannot understand how a situation of defense can automatically and organically develop into victory or defeat; and thus how a successful defense can signify a victory over the attacker; and finally how punishment of the attackers is also at the same time a means of defense, just like any other. The best example for this is set by the assassination of Stürgkh by Adler: for has not Adler taken the life of a man whom he accused of an assault on Austrian political freedom, and thus more than merely stolen from his pockets, and is he not claiming that he had been justified by this defense? Perhaps Adler's father can, finally, now better see the utter senselessness of social-democratic allegations, as it is reflected in his son.

— An emperor is accountable, and ultimately replaceable. But is that also the case in a state with 58 million inhabitants all of whom, if modern madness is based on truth, imagine there to be just as many emperors, but unfortunately unaccountable and irremovable? If these 58 million abscond, then they perish as a result of themselves, and indeed without being conscious of the cause, which not even later historians will be able to determine. — No religion includes the prescription: be comforted by your neighbor killing you; from this one must conclude that the saying "love thy neighbor as thyself" will prevent a thievish person from stealing but not a person who has been assaulted from defending himself. — Since a businessman practices his profession only until he is recalled, that is, until he begins to live on a private income, he is admitting that his profession is in fact something that should not be called a profession. And if he recognizes this himself, how glaringly does the state's morality stand out, since it bases its character on the businessman and protects and rewards his activity in the first place?! — The problem of work must be solved among people in such a way {676} that no acquisition of money merely for the sake of not working may be permitted. — Brünauer, to whom I describe my understanding of "profession" as a piece of work to be fulfilled with enthusiasm one's entire life long, suddenly says to me: "is it not so, the two of us have enthusiasm in our profession?"!!

© Translation William Drabkin.

18. V. 17 12°, wolkenlos.

— Von Einschenk (K., datiert vom 16.): Mozio sei in Bukarest; was nun mit dem Brief von mir anfangen? — Weisses Bursche bringt 50 Stück Eier. — Von Gruebers telephonische Mitteilung, daß Dodi hier sei; wir sagen uns für morgen an. —

Mittelmann im Caféhaus in Angelegenheit Beethoven-Karpath. 1 — Prozess des jungen Dr. Felix [sic] Adler 2 – Schlüsselbeispiel für Tragik der Unlogik. Er gibt zu, daß man sich eines Ueberfallenden zu erwehren habe, aber dürfe man, fragt er, bei der Abwehr {675} ihm die Taschen ausrauben? Eine Verzerrung sondergleichen, die daher kommt, daß sich der junge Mann trotz allen Behelfen der Bildung nicht klar gemacht hat, wie aus der Situation der Abwehr sich ganz von selbst organisch Sieg oder Niederlage entwickeln, wie sodann eine gelungene Abwehr eben schon auch einen Sieg über den Angreifer bedeutet u. wie endlich eine Bestrafung des Angreifers auch mit ein Abwehrmittel ist, wie jedes andere, wofür das beste Beispiel ja das von Adler an Stürgkh begangene Attentat abgibt: Hat denn Adler dem Mannes, den er eines Ueberfalles auf die politische Freiheit Oesterreicht [sic] bezichtigt, nicht das Leben genommen, also mehr als blos die Taschen ausgeraubt u. behauptet er nicht, dazu durch die Abwehr berechtigt gewesen zu sein? Vielleicht sieht nun der Vater in dieser Spiegelung des Sohnes die Hirnverbranntheit der sozialdemokratischen Behauptungen endlich besser ein.

— Ein Kaiser ist verantwortlich u. schließlich absetzbar. Ist das aber auch der Fall bei 58 Millionen Bewohner eines Staates, die alle, wenn der moderne Irrwahn auf Wahrheit beruhte, ebenso viele Kaiser vorstellen, nur leider unverantwortlich u. unabsetzbar? Setzen sich diese 58 Millionen ab, so gehen sie ja an sich selbst zugrunde, u. zwar ohne Bewußtsein der Ursache, die nicht einmal später die Historiker festzustellen vermögen. — Keine Religion enthält die Vorschrift: Lasse dich getrost vom Nächsten töten – daraus muß geschlossen werden, daß die Lehre: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst wohl einen räuberischen Menschen am Raube, nicht aber den Ueberfallenen an der Abwehr hindern will. — Indem der Kaufmann seinen Beruf nur bis auf Widerruf ausübt, bis er nämlich zu privatisieren anfängt, bekennt er, daß der Beruf nicht eigentlich ein Beruf zu nennen ist. Und wenn er dies selbst bekennt, wie grell sticht davon die Moral des Staates ab, der auf den Kaufmann sein Wesen stellt u. in erster Reihe seine Tätigkeit in Schutz nimmt u. belohnt?! — Das Arbeitsproblem müßte unter den Menschen dahin gelöst werden, {676} daß kein Gelderwerb um bloßer Arbeitslosigkeit willen gestatte sein dürfte. — Brünauer, dem ich meine Auffassung vom Beruf als einer lebenslänglich mit Enthusiasmus zu erfüllenden Arbeit mitteile, sagt mir plötzlich: Nicht wahr, wir Beide haben Enthusiasmus im Beruf?!!

© Transcription Marko Deisinger.

May 18, 1917. 12°, cloudless.

— From Einschenk (postcard, dated the 16th): Mozio is in Bucharest; what should he now do with the letter I wrote to him? — Weisse's man brings 50 eggs. — From Grueber, a telephone message that Dodi is here; we arrange to meet her tomorrow. —

Mittelmann at the coffee house, concerning the Beethoven-Karpath matter. 1 — Trial of the young Dr. Felix [recte Friedrich] Adler 2 Textbook example of the tragedy of unlogic. He admits that one must fight off an attacker; but may one, he asks, steal from your pockets when defending oneself? {675} A distortion beyond imagination, which arises because the young man, in spite of all the resources of his upbringing, cannot understand how a situation of defense can automatically and organically develop into victory or defeat; and thus how a successful defense can signify a victory over the attacker; and finally how punishment of the attackers is also at the same time a means of defense, just like any other. The best example for this is set by the assassination of Stürgkh by Adler: for has not Adler taken the life of a man whom he accused of an assault on Austrian political freedom, and thus more than merely stolen from his pockets, and is he not claiming that he had been justified by this defense? Perhaps Adler's father can, finally, now better see the utter senselessness of social-democratic allegations, as it is reflected in his son.

— An emperor is accountable, and ultimately replaceable. But is that also the case in a state with 58 million inhabitants all of whom, if modern madness is based on truth, imagine there to be just as many emperors, but unfortunately unaccountable and irremovable? If these 58 million abscond, then they perish as a result of themselves, and indeed without being conscious of the cause, which not even later historians will be able to determine. — No religion includes the prescription: be comforted by your neighbor killing you; from this one must conclude that the saying "love thy neighbor as thyself" will prevent a thievish person from stealing but not a person who has been assaulted from defending himself. — Since a businessman practices his profession only until he is recalled, that is, until he begins to live on a private income, he is admitting that his profession is in fact something that should not be called a profession. And if he recognizes this himself, how glaringly does the state's morality stand out, since it bases its character on the businessman and protects and rewards his activity in the first place?! — The problem of work must be solved among people in such a way {676} that no acquisition of money merely for the sake of not working may be permitted. — Brünauer, to whom I describe my understanding of "profession" as a piece of work to be fulfilled with enthusiasm one's entire life long, suddenly says to me: "is it not so, the two of us have enthusiasm in our profession?"!!

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Schenker had encouraged the writing of the following newspaper announcement (see diary entry for May 10, 1917): Aaron Mittelmann, "Der Letzte vom Stamme van Beethoven. Ein Besuch beim Urgroßneffen des Meisters," Neues Wiener Tagblatt, No. 166, June 19, 1917, 51st year, pp. 3-5.

2 "Dr. Friedrich Adler vor dem Ausnahmsgerichte. Die Anklage wegen Ermordung des Grafen Stürgkh," Neue Freie Presse, No. 18943, May 18, 1917, evening edition, pp. 2-4.