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23. IX. 15 Wolkenlos!

— Karte von Tante mit mehreren Erkundigungen – sofort Antwort an sie —

— KarteOC 52/177 von Hertzka, der die Stockung bestätigt, ohne sie zu erklären. —

— Brief von Hugo Heller; nun der zweite, der trotz meiner Antwort noch immer dunklen Sinnes ist. Eines ist klar, daß ihm gerade daran gelegen ist, daß er von seinem Büro nicht abkommen kann – wie sonderbar! Ein Buchhändler, der wahrhaftig nicht alle Tage etwa Transaktionen mit Goethe, Schiller, Lessing, Wildgans, Zweig zu absolvieren hat, somit all die Stunden des Tages höchstens nur Kunden zu empfangen u. ihnen Bücher anzubieten bezw. zu verkaufen hat, eine Verrichtung, in der er sicher vertretbar, wagt es , meine Zeit anzutasten, wo ich mich doch wirklich durch keinen Kommis vertreten lassen kann! —

*

Lie-Liechen antwortet an Paul u. stellt, um die Correspondenz einigermaßen über Wasser zu halten, zugleich einige Fragen. — Weg zu Waldstein wegen einer Brillen-Reparatur. —

— Arbeit an II2 fortgesetzt. — Die längst fällige Wäsche wird erst abends statt vormittags abgeliefert. — Abends Fl. mit W. bei Lie-Liechen. Eine neue Gefahr droht Fl., die er mit fremder Hilfe zu beseitigen hofft. Fr. W. indessen plätschert vergnügt auch in dieser Situation – ein Beweis mehr dafür, daß sich so manches in diesem Hause anders verhalten mag, als sie uns gerne glauben machen wollen. – Zu Lotterie-Zwecken borgt Fl. 40- Kr., da er dem Schicksal durch Aberglauben wirksamer zu Hilfe zu kommen hofft. —

*

Panslavismus: Ćzechen – Polen – Bulgaren – Serben – Russen, kurz alle die im gegenwärtigen Krieg vielgenannten Nationen stehen ohne Zweifel viel weiter voneinander, als die deutschen Bundesstaaten, die sich blos durch Dialekte unterscheiden. Beiläufig verhalten sie sich zu einander, wie etwa innerhalb der germanischen Rasse die Deutschen, Engländer, Norwegen [sic], Schweden. Dadurch wird der Panslavismus aber von vornherein nur als eine brutale Expansions-Politik eines {1036} in sich selbst noch nicht gesättigten slavischen Stammes gekennzeichnet. Die Parallele wäre Pangermanismus im Sinne der Zusammenfassung der oben genannten germanischen Stämme. Wer wollte aber solchen Widersinn etwa der deutschen Nation zumuten! —

*

Der Kaufmann: Der Grundgedanke des Berufes scheint ohneweiters auch Würdelosigkeit mit einzuschließen; denn fast überall hört man von Kaufleuten, die aus irgend einem mit ihrem Beruf zusammenhängenden Grund bestraft worden sind, was aber weder ihre Kunden von ihnen fernhält, noch sonst ihnen gesellschaftlich schadet. —

Der letzte Grund, weshalb der Beruf des Kaufmannes notwendig ein demoralisierender sein muß, ist ohne Zweifel der, daß die Gegenleistung, die er von den Kunden empfängt, größer als seine Leistung ist. Während alle anderen Kategorien menschlicher Arbeiter nicht nur ihren Fleiß an sich, sondern auch die eine besondere Form des Fleisses zu leisten haben, die sich in einer nur eben von ihnen selbst hervorgebrachten Leistung äußert, – sei es die Leistung eines Taglöhners, Fabrikarbeiters, Geistesarbeiters – bietet der Kaufmann nicht etwa seine eigene Leistung, sondern die fremder Hände an, wofür er aber an Gegenwert unendlich mehr empfängt, als seine persönliche Leistung genommen wert ist. Er lernt so seinen ersten Einfall, seine erste Gründung, seine tägliche Tätigkeit überschätzen, dagegen die für ihn sorgenden Hände, wie auch die Kunden unterschätzen (springt der eine Kunde aus, fällt alsbald ein anderer ins Netz!), ; u. von dieser [illeg]Gesinnung strahlt dann auch alles Uebrige aus, was wir als Unbildung, Herzensroheit [sic], Pflichtverletzung gegenüber Menschen u. Staaten zur Genüge erfahren. Es darf auch nicht übersehen werden, daß im Zusammenhang damit noch eine zweite Quelle der Unmoral sich eröffnet, denn nur der Kaufmann allein hat es möglich aus einer einmaligen Gründung bis an sein Lebensende u. auch darüber hinaus für seine Nachkommen Vorteile zu ziehen, selbst dann, wenn er sich von seinem Geschäft zurückgezogen. Mit so unendlich großen Vorteilen steht er aber in unwillkommenem Gegensatz z. B. zu einem Geistesarbeiter, {1037} der für seine Werke ein Honorar empfängt, sich aber nun für alle Zeiten jeglicher weiterer Vorteile zu begeben genötigt ist, oder zu einem Beamten, der, wenn er alt geworden, entweder weggeschickt wird, oder irgendwie pensioniert wird, was aber sicher sein Einkommen nicht mehrt. Kurz – wie immer man es wendet – steckt in dem Mißverhältnis zwischen Leistung u. Gegenleistung eine organische Vorbedingung von Unmoral, so daß man leicht behaupten kann, es könne vom Beruf des Kaufmannes Unmoral gar nicht weggedacht werden. —

*

© Transcription Marko Deisinger.

September 23, 1915. Cloudless!

— Postcard from my aunt with several pieces of news – immediately, a reply to her —

— PostcardOC 52/177 from Hertzka, who confirms the hold-up without explaining why. —

— Letter from Hugo Heller; this is now the second one, which in spite of my reply is still of a dark intention. One thing is clear, that he is determined that he cannot get away from his office – how odd! A book dealer who truly does not have to negotiate transactions with Goethe, Schiller, Lessing, Wildgans, and Zweig every day, and thus has only has to receive customers and offer or sell them books all day long – a job in which he is surely competent – he dares to infringe on my time, for which I can surely not be represented by a clerk! —

*

Lie-Liechen replies to Paul and at the same time asks him a few questions, to keep the correspondence going in some way. — Trip to Waldstein on account of a repair of eyeglasses. —

— Work on Counterpoint 2 continued. — The long overdue laundry will not be delivered until the evening, rather than in the morning. — In the evening, Floriz and Valerie at Lie-Liechen's. A new danger threatens Floriz, which he seeks to avert with the help of others. Meanwhile Valerie gurgles contentedly, even in this situation – further proof that things in this household are arranged differently from how they would want us to believe. Floriz borrows 40 Kronen for lottery purposes, as he hopes that he will be aided in his destiny more effectively by superstition. —

*

Pan-Slavism: Czechs – Polish – Bulgarians – Serbs – Russians: in short, all the nations frequently mentioned during the present war, are without doubt further removed from each other than the German federal states, which are distinguished merely by their dialects. Their behavior towards one another is roughly the same as the Germans, English, Norwegians and Swedes within the Germanic race. As a result, however, Pan-Slavism will from the outset be marked by nothing but a brutal politics of expansion, {1036} of an as yet unsatiated Slavic tribe. The parallel would be Pan-Germanism, understood as the confederation of the above-named Germanic tribes. But who would expect such a contradiction of, say, the German nation! —

*

The businessman: the main idea of the profession seems in any event to embrace lack of dignity; for almost everywhere one hears of businessmen who have been penalized for one reason or another associated with their profession, although neither their customers stay away from them nor does anything else harm them in society. —

The ultimate reason why the business profession must perforce be a demoralizing one is, without doubt, that the output that he receives from his customers is greater than his own. Whereas all other categories of human workers must not only be diligent but also have to produce a particular form of diligence, which expresses itself in an achievement that has come from them and from them alone – be it the achievement of day laborer, a factory worker, or an intellectual worker – the businessman does not offer anything that can be called his own output, only something from the hands of another, for which he acquires infinitely more value in return than his personal output is worth. He thus learns to overvalue his first insight, his first foundation, his daily activity; and conversely, he undervalues the hands that work for him as well as the customers (no sooner has one customer escaped his net than another immediately falls into it!). And from this attitude radiates everything else, something we experience sufficiently as lack of culture, hard-heartedness, dereliction of duty towards his customers and the state. It must also not be overlooked that a second source of immorality opens up: for only the businessman himself can draw advantages from a single foundation to the end of his life, and even beyond that for his progeny, even after he has retired from work. He stands at an infinitely greater advantage in unwelcome contrast to, say, an intellectual worker, {1037} who receives a fee for his works but is ever obliged to negotiate all further advantages – or become an official who, when he gets old, will either be sent away or somehow pensioned, something which will not add to his income. In short – however one looks at it – there is an organic precondition of immorality in the imbalance between output and counter-output, so that one can easily assert that immorality can in no way be divorced from the business profession. —

*

© Translation William Drabkin.

23. IX. 15 Wolkenlos!

— Karte von Tante mit mehreren Erkundigungen – sofort Antwort an sie —

— KarteOC 52/177 von Hertzka, der die Stockung bestätigt, ohne sie zu erklären. —

— Brief von Hugo Heller; nun der zweite, der trotz meiner Antwort noch immer dunklen Sinnes ist. Eines ist klar, daß ihm gerade daran gelegen ist, daß er von seinem Büro nicht abkommen kann – wie sonderbar! Ein Buchhändler, der wahrhaftig nicht alle Tage etwa Transaktionen mit Goethe, Schiller, Lessing, Wildgans, Zweig zu absolvieren hat, somit all die Stunden des Tages höchstens nur Kunden zu empfangen u. ihnen Bücher anzubieten bezw. zu verkaufen hat, eine Verrichtung, in der er sicher vertretbar, wagt es , meine Zeit anzutasten, wo ich mich doch wirklich durch keinen Kommis vertreten lassen kann! —

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Lie-Liechen antwortet an Paul u. stellt, um die Correspondenz einigermaßen über Wasser zu halten, zugleich einige Fragen. — Weg zu Waldstein wegen einer Brillen-Reparatur. —

— Arbeit an II2 fortgesetzt. — Die längst fällige Wäsche wird erst abends statt vormittags abgeliefert. — Abends Fl. mit W. bei Lie-Liechen. Eine neue Gefahr droht Fl., die er mit fremder Hilfe zu beseitigen hofft. Fr. W. indessen plätschert vergnügt auch in dieser Situation – ein Beweis mehr dafür, daß sich so manches in diesem Hause anders verhalten mag, als sie uns gerne glauben machen wollen. – Zu Lotterie-Zwecken borgt Fl. 40- Kr., da er dem Schicksal durch Aberglauben wirksamer zu Hilfe zu kommen hofft. —

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Panslavismus: Ćzechen – Polen – Bulgaren – Serben – Russen, kurz alle die im gegenwärtigen Krieg vielgenannten Nationen stehen ohne Zweifel viel weiter voneinander, als die deutschen Bundesstaaten, die sich blos durch Dialekte unterscheiden. Beiläufig verhalten sie sich zu einander, wie etwa innerhalb der germanischen Rasse die Deutschen, Engländer, Norwegen [sic], Schweden. Dadurch wird der Panslavismus aber von vornherein nur als eine brutale Expansions-Politik eines {1036} in sich selbst noch nicht gesättigten slavischen Stammes gekennzeichnet. Die Parallele wäre Pangermanismus im Sinne der Zusammenfassung der oben genannten germanischen Stämme. Wer wollte aber solchen Widersinn etwa der deutschen Nation zumuten! —

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Der Kaufmann: Der Grundgedanke des Berufes scheint ohneweiters auch Würdelosigkeit mit einzuschließen; denn fast überall hört man von Kaufleuten, die aus irgend einem mit ihrem Beruf zusammenhängenden Grund bestraft worden sind, was aber weder ihre Kunden von ihnen fernhält, noch sonst ihnen gesellschaftlich schadet. —

Der letzte Grund, weshalb der Beruf des Kaufmannes notwendig ein demoralisierender sein muß, ist ohne Zweifel der, daß die Gegenleistung, die er von den Kunden empfängt, größer als seine Leistung ist. Während alle anderen Kategorien menschlicher Arbeiter nicht nur ihren Fleiß an sich, sondern auch die eine besondere Form des Fleisses zu leisten haben, die sich in einer nur eben von ihnen selbst hervorgebrachten Leistung äußert, – sei es die Leistung eines Taglöhners, Fabrikarbeiters, Geistesarbeiters – bietet der Kaufmann nicht etwa seine eigene Leistung, sondern die fremder Hände an, wofür er aber an Gegenwert unendlich mehr empfängt, als seine persönliche Leistung genommen wert ist. Er lernt so seinen ersten Einfall, seine erste Gründung, seine tägliche Tätigkeit überschätzen, dagegen die für ihn sorgenden Hände, wie auch die Kunden unterschätzen (springt der eine Kunde aus, fällt alsbald ein anderer ins Netz!), ; u. von dieser [illeg]Gesinnung strahlt dann auch alles Uebrige aus, was wir als Unbildung, Herzensroheit [sic], Pflichtverletzung gegenüber Menschen u. Staaten zur Genüge erfahren. Es darf auch nicht übersehen werden, daß im Zusammenhang damit noch eine zweite Quelle der Unmoral sich eröffnet, denn nur der Kaufmann allein hat es möglich aus einer einmaligen Gründung bis an sein Lebensende u. auch darüber hinaus für seine Nachkommen Vorteile zu ziehen, selbst dann, wenn er sich von seinem Geschäft zurückgezogen. Mit so unendlich großen Vorteilen steht er aber in unwillkommenem Gegensatz z. B. zu einem Geistesarbeiter, {1037} der für seine Werke ein Honorar empfängt, sich aber nun für alle Zeiten jeglicher weiterer Vorteile zu begeben genötigt ist, oder zu einem Beamten, der, wenn er alt geworden, entweder weggeschickt wird, oder irgendwie pensioniert wird, was aber sicher sein Einkommen nicht mehrt. Kurz – wie immer man es wendet – steckt in dem Mißverhältnis zwischen Leistung u. Gegenleistung eine organische Vorbedingung von Unmoral, so daß man leicht behaupten kann, es könne vom Beruf des Kaufmannes Unmoral gar nicht weggedacht werden. —

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© Transcription Marko Deisinger.

September 23, 1915. Cloudless!

— Postcard from my aunt with several pieces of news – immediately, a reply to her —

— PostcardOC 52/177 from Hertzka, who confirms the hold-up without explaining why. —

— Letter from Hugo Heller; this is now the second one, which in spite of my reply is still of a dark intention. One thing is clear, that he is determined that he cannot get away from his office – how odd! A book dealer who truly does not have to negotiate transactions with Goethe, Schiller, Lessing, Wildgans, and Zweig every day, and thus has only has to receive customers and offer or sell them books all day long – a job in which he is surely competent – he dares to infringe on my time, for which I can surely not be represented by a clerk! —

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Lie-Liechen replies to Paul and at the same time asks him a few questions, to keep the correspondence going in some way. — Trip to Waldstein on account of a repair of eyeglasses. —

— Work on Counterpoint 2 continued. — The long overdue laundry will not be delivered until the evening, rather than in the morning. — In the evening, Floriz and Valerie at Lie-Liechen's. A new danger threatens Floriz, which he seeks to avert with the help of others. Meanwhile Valerie gurgles contentedly, even in this situation – further proof that things in this household are arranged differently from how they would want us to believe. Floriz borrows 40 Kronen for lottery purposes, as he hopes that he will be aided in his destiny more effectively by superstition. —

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Pan-Slavism: Czechs – Polish – Bulgarians – Serbs – Russians: in short, all the nations frequently mentioned during the present war, are without doubt further removed from each other than the German federal states, which are distinguished merely by their dialects. Their behavior towards one another is roughly the same as the Germans, English, Norwegians and Swedes within the Germanic race. As a result, however, Pan-Slavism will from the outset be marked by nothing but a brutal politics of expansion, {1036} of an as yet unsatiated Slavic tribe. The parallel would be Pan-Germanism, understood as the confederation of the above-named Germanic tribes. But who would expect such a contradiction of, say, the German nation! —

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The businessman: the main idea of the profession seems in any event to embrace lack of dignity; for almost everywhere one hears of businessmen who have been penalized for one reason or another associated with their profession, although neither their customers stay away from them nor does anything else harm them in society. —

The ultimate reason why the business profession must perforce be a demoralizing one is, without doubt, that the output that he receives from his customers is greater than his own. Whereas all other categories of human workers must not only be diligent but also have to produce a particular form of diligence, which expresses itself in an achievement that has come from them and from them alone – be it the achievement of day laborer, a factory worker, or an intellectual worker – the businessman does not offer anything that can be called his own output, only something from the hands of another, for which he acquires infinitely more value in return than his personal output is worth. He thus learns to overvalue his first insight, his first foundation, his daily activity; and conversely, he undervalues the hands that work for him as well as the customers (no sooner has one customer escaped his net than another immediately falls into it!). And from this attitude radiates everything else, something we experience sufficiently as lack of culture, hard-heartedness, dereliction of duty towards his customers and the state. It must also not be overlooked that a second source of immorality opens up: for only the businessman himself can draw advantages from a single foundation to the end of his life, and even beyond that for his progeny, even after he has retired from work. He stands at an infinitely greater advantage in unwelcome contrast to, say, an intellectual worker, {1037} who receives a fee for his works but is ever obliged to negotiate all further advantages – or become an official who, when he gets old, will either be sent away or somehow pensioned, something which will not add to his income. In short – however one looks at it – there is an organic precondition of immorality in the imbalance between output and counter-output, so that one can easily assert that immorality can in no way be divorced from the business profession. —

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© Translation William Drabkin.