8.

Ausflug nach Steinbach. Die letzten 3 Tage machten mich besonders müde: die Hitze, Stunden, der Brief – alles summirte sich, um mich der Frische zu berauben!

*

Der Fall einer Spionage versetzt die ganze Welt in Erschütterung: Ein österreichischer Generalstabs-Oberst hat wie es heißt nicht nur Oester- {361} reich sondern auch Deutschland verraten! Und zwar um eine Zeit, da infolge des Balkankrieges Oesterreich nahe daran war, einen Krieg mit Rußland zu führen! – Sein Grab wurde der Erde gleich gemacht, aber aus dem Andenken der Menschheit werden wird das Verbrechen u. die Schande, die den Namen Redl tragen trägt niemals schwinden. Der Umfang seiner verbrecherischen Tätigkeit ist nicht festgestellt; was noch an Kosten u. Opfern aufgebracht werden wird, um die Folgen des Verrates gut zu machen, liegt der Oeffentlichkeit nicht klar zutage. So mag denn nur das Menschliche, bezw. Unmenschliche in Betracht gezogen werden.

Auf dem letzten Zettel, den Redl vor dem aufgezwungenen Selbstmord schrieb, bat er ausdrücklich um Schonung. Welcher Beweis dafür, daß Menschen dieses Schlages, die bereit sind Hundertausende [sic] von Menschen zu opfern, selbst die Feigsten der Feigen sind. Welch’ abstoßende Wehleidigkeit! Und siehe, schon wurde sie ihm leider auch zuteil: Statt ihm Qualen über Qualen zuzudenken, die er alle öffentlich hätte auskosten sollen, legte man ihm eine Pistole nahe hin, die ihn kurzer Hand aus der Welt schaffte.

Auch zog man teilweise mildernd Homosexualität als Argument herbei. Und so meldeten sich alle diejenigen zu Wort, die Homosexualität als Krankheit ausgeben u. der Strafe entziehen wollen.

Meine Ansicht davon bleibt unerschütterlich, daß der genannten Perversität, wie allen anderen, in erster Linie Neugier, sodann Angewöhnung (zumal unter dem Schutze eines Mitwissenden u. Mittuenden), möglicherweise auch ein abschreckendes Erlebnis zugrunde liegen. Ein böser Zufall mag dem schwachen Manne eine verlotterte Frau zuführen – u. schon drängt der Nervenchoc ihn für immer vom Frauengeschlecht ab u. den Männern zu. Eine Art Drema [recte Trema] vor dem Weibe ist ohne Zweifel auch mit im Spiele; der Mann will den Kampf gegen die Frau nicht aufnehmen – erspart bleibt er ihm jedenfalls beim {362} Manne – u. so zieht er den bequemeren Weg vor. Unser krankhaft sentimentales Zeitalter, das allen Unzulänglichkeiten als angeblich letzten ireparablen [sic] Naturnotwendigkeiten das Wort redet, will auch die Homosexualität straflos wissen! Wehe, wenn das Strafgesetz diese Idee verwirklicht. Es kommt dann sicher jener schon in alten Zeiten von der Menschheit erlebte Niedergang, der sowohl in Griechenland als in Rom auf Päderastie zurückzuführen war!

Man führe nicht, um endlich noch dieses zu bemerken, das Tierleben als Erläuterung u. Billigung der Natur an; denn im gewissen Sinne spielen Hunde mit ihren Genitalien doch nur so, wie etwa Menschenkinder damit spielen, bevor sie den rechten Gebrauch gelernt haben. Es ist leider dem Tier nicht gegeben, das Geschlechtsleben in eine Sphäre emporzuheben, in der es auch von psychischen Reizen getragen wird.

Den Menschen dagegen, die dank ihren Dichtern, ihren großen Menschen, die höheren Wonnen einer auf durch tausend körperlichen u. geistigen Quellen durchgeistigte Sinnlichkeit bereits kennengelernt haben, steht es übel an, einen Rückfall in das Hundeleben als normal, ebenbürtig, u. wie manche denken, sogar als Fortschritt willkommen zu heißen!

Was würde man denn von einem erwachsenen Mann, einer erwachsenen Frau sagen, wenn sie, im Besitz einer Frau, bezw. eines Mannes u. bei guter Möglichkeit den Geschlechtstrieb auf normale Weise zu befriedigen, plötzlich wieder zum Mittel der Onanie greifen würden, dem sie in der ersten Epoche unerlaubterweise gefröhnt [sic] haben? Schließlich ist das Bessere der Feind des Guten!

Bedauerlich ist, daß leider auch die Wissenschaft aus ungenügender psychologischer Kenntnis falsche Auskunft erteilt!

*

© Transcription Marko Deisinger.

8. A

Excursion to Steinbach. The last three days made me especially tired: the heat, lessons, the letter – everything combined to rob me of my freshness!

*

An espionage case has the whole world in shock: an Austrian chief of general staff is said to have betrayed not only Austria {361} but also Germany! And indeed at a time in which Austria, as a result of the Balkan War, was close to the point of going to war with Russia! – His grave will be leveled to the ground; but in remembrance of humanity, the crime and the scandal that bears the name Redl shall never be forgotten. The scope of his criminal activity has not been determined; how much it will amount to in cost and sacrifice, to make good the consequences of the betrayal, is not clear to the public. Thus only the human, i.e. inhuman, aspect of the matter can be taken into consideration.

In the last note that Redl wrote before he was forced to commit suicide, he expressly asked for clemency. What proof of the fact that people of this kind, who are prepared to sacrifice hundreds of thousands of people, are themselves the most cowardly of cowards. What repulsive self-pitying! And look, it was even conferred upon him, unfortunately: instead of the intended torture upon torture for him, which he would have had to suffer in public, he was given a pistol, which abruptly put an end to him.

To some extent, homosexuality was adduced as a mitigating factor. And so all of those who regard homosexuality as a disease spoke up, in an effort to cheat justice.

My view of the matter remains unshakeable: that the basis of the above-named perversion lies, like any other, first in curiosity; then acclimatization (all the more under the protection of a confidant and an accomplice), possibly even a frightening experience. An unfortunate event may have brought a weak man into contact with a dissolute woman – and already the mental shock puts him off the female sex forever, and in favor of men. A kind of trema in front of the woman undoubtedly plays a part: the man does not take up the fight against the woman – he will at any rate be spared this by remaining with the {362} man – and thus he chooses the more comfortable path. Our morbidly sentimental age, which speaks of all inadequacies as, it seems, ultimately irreparable necessities of nature, wishes even to make the case for homosexuality to go unpunished! Woe betide us if the criminal code brings this idea to fruition. There would surely then follow the decline of humanity that was already experienced in olden times, which could be traced back to the pederasty of ancient Greece and Rome!

One should not, in order to make this final observation, invoke the life of animals as an elucidation and endorsement of nature; for in a certain sense dogs play with their genitals only as, say, children play with them before they have learned to use them correctly. It is not given to animals to raise their sexual life into a sphere in which it is also governed by emotional allurements.

For humans, however, who thanks to their poets and great people have already become acquainted with the higher joys of a wraithlike sensuality through a thousand bodily and spiritual sources, it is ill-befitting to welcome a regression into the life of dogs as normal, as equally viable, or, as many think, even as progress!

What would one say, then, of a grown man or a grown woman who, in possession of a woman or man, respectively, has the opportunity to satisfy their sexual drive as usual if suddenly they were to again resort to the means of masturbation, in which they had indulged in the first period of their lives? Ultimately, what is better is the enemy of what is good!

It is regrettable that even science, out of insufficient psychological understanding, transmits false information!

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© Translation William Drabkin.

8.

Ausflug nach Steinbach. Die letzten 3 Tage machten mich besonders müde: die Hitze, Stunden, der Brief – alles summirte sich, um mich der Frische zu berauben!

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Der Fall einer Spionage versetzt die ganze Welt in Erschütterung: Ein österreichischer Generalstabs-Oberst hat wie es heißt nicht nur Oester- {361} reich sondern auch Deutschland verraten! Und zwar um eine Zeit, da infolge des Balkankrieges Oesterreich nahe daran war, einen Krieg mit Rußland zu führen! – Sein Grab wurde der Erde gleich gemacht, aber aus dem Andenken der Menschheit werden wird das Verbrechen u. die Schande, die den Namen Redl tragen trägt niemals schwinden. Der Umfang seiner verbrecherischen Tätigkeit ist nicht festgestellt; was noch an Kosten u. Opfern aufgebracht werden wird, um die Folgen des Verrates gut zu machen, liegt der Oeffentlichkeit nicht klar zutage. So mag denn nur das Menschliche, bezw. Unmenschliche in Betracht gezogen werden.

Auf dem letzten Zettel, den Redl vor dem aufgezwungenen Selbstmord schrieb, bat er ausdrücklich um Schonung. Welcher Beweis dafür, daß Menschen dieses Schlages, die bereit sind Hundertausende [sic] von Menschen zu opfern, selbst die Feigsten der Feigen sind. Welch’ abstoßende Wehleidigkeit! Und siehe, schon wurde sie ihm leider auch zuteil: Statt ihm Qualen über Qualen zuzudenken, die er alle öffentlich hätte auskosten sollen, legte man ihm eine Pistole nahe hin, die ihn kurzer Hand aus der Welt schaffte.

Auch zog man teilweise mildernd Homosexualität als Argument herbei. Und so meldeten sich alle diejenigen zu Wort, die Homosexualität als Krankheit ausgeben u. der Strafe entziehen wollen.

Meine Ansicht davon bleibt unerschütterlich, daß der genannten Perversität, wie allen anderen, in erster Linie Neugier, sodann Angewöhnung (zumal unter dem Schutze eines Mitwissenden u. Mittuenden), möglicherweise auch ein abschreckendes Erlebnis zugrunde liegen. Ein böser Zufall mag dem schwachen Manne eine verlotterte Frau zuführen – u. schon drängt der Nervenchoc ihn für immer vom Frauengeschlecht ab u. den Männern zu. Eine Art Drema [recte Trema] vor dem Weibe ist ohne Zweifel auch mit im Spiele; der Mann will den Kampf gegen die Frau nicht aufnehmen – erspart bleibt er ihm jedenfalls beim {362} Manne – u. so zieht er den bequemeren Weg vor. Unser krankhaft sentimentales Zeitalter, das allen Unzulänglichkeiten als angeblich letzten ireparablen [sic] Naturnotwendigkeiten das Wort redet, will auch die Homosexualität straflos wissen! Wehe, wenn das Strafgesetz diese Idee verwirklicht. Es kommt dann sicher jener schon in alten Zeiten von der Menschheit erlebte Niedergang, der sowohl in Griechenland als in Rom auf Päderastie zurückzuführen war!

Man führe nicht, um endlich noch dieses zu bemerken, das Tierleben als Erläuterung u. Billigung der Natur an; denn im gewissen Sinne spielen Hunde mit ihren Genitalien doch nur so, wie etwa Menschenkinder damit spielen, bevor sie den rechten Gebrauch gelernt haben. Es ist leider dem Tier nicht gegeben, das Geschlechtsleben in eine Sphäre emporzuheben, in der es auch von psychischen Reizen getragen wird.

Den Menschen dagegen, die dank ihren Dichtern, ihren großen Menschen, die höheren Wonnen einer auf durch tausend körperlichen u. geistigen Quellen durchgeistigte Sinnlichkeit bereits kennengelernt haben, steht es übel an, einen Rückfall in das Hundeleben als normal, ebenbürtig, u. wie manche denken, sogar als Fortschritt willkommen zu heißen!

Was würde man denn von einem erwachsenen Mann, einer erwachsenen Frau sagen, wenn sie, im Besitz einer Frau, bezw. eines Mannes u. bei guter Möglichkeit den Geschlechtstrieb auf normale Weise zu befriedigen, plötzlich wieder zum Mittel der Onanie greifen würden, dem sie in der ersten Epoche unerlaubterweise gefröhnt [sic] haben? Schließlich ist das Bessere der Feind des Guten!

Bedauerlich ist, daß leider auch die Wissenschaft aus ungenügender psychologischer Kenntnis falsche Auskunft erteilt!

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© Transcription Marko Deisinger.

8. A

Excursion to Steinbach. The last three days made me especially tired: the heat, lessons, the letter – everything combined to rob me of my freshness!

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An espionage case has the whole world in shock: an Austrian chief of general staff is said to have betrayed not only Austria {361} but also Germany! And indeed at a time in which Austria, as a result of the Balkan War, was close to the point of going to war with Russia! – His grave will be leveled to the ground; but in remembrance of humanity, the crime and the scandal that bears the name Redl shall never be forgotten. The scope of his criminal activity has not been determined; how much it will amount to in cost and sacrifice, to make good the consequences of the betrayal, is not clear to the public. Thus only the human, i.e. inhuman, aspect of the matter can be taken into consideration.

In the last note that Redl wrote before he was forced to commit suicide, he expressly asked for clemency. What proof of the fact that people of this kind, who are prepared to sacrifice hundreds of thousands of people, are themselves the most cowardly of cowards. What repulsive self-pitying! And look, it was even conferred upon him, unfortunately: instead of the intended torture upon torture for him, which he would have had to suffer in public, he was given a pistol, which abruptly put an end to him.

To some extent, homosexuality was adduced as a mitigating factor. And so all of those who regard homosexuality as a disease spoke up, in an effort to cheat justice.

My view of the matter remains unshakeable: that the basis of the above-named perversion lies, like any other, first in curiosity; then acclimatization (all the more under the protection of a confidant and an accomplice), possibly even a frightening experience. An unfortunate event may have brought a weak man into contact with a dissolute woman – and already the mental shock puts him off the female sex forever, and in favor of men. A kind of trema in front of the woman undoubtedly plays a part: the man does not take up the fight against the woman – he will at any rate be spared this by remaining with the {362} man – and thus he chooses the more comfortable path. Our morbidly sentimental age, which speaks of all inadequacies as, it seems, ultimately irreparable necessities of nature, wishes even to make the case for homosexuality to go unpunished! Woe betide us if the criminal code brings this idea to fruition. There would surely then follow the decline of humanity that was already experienced in olden times, which could be traced back to the pederasty of ancient Greece and Rome!

One should not, in order to make this final observation, invoke the life of animals as an elucidation and endorsement of nature; for in a certain sense dogs play with their genitals only as, say, children play with them before they have learned to use them correctly. It is not given to animals to raise their sexual life into a sphere in which it is also governed by emotional allurements.

For humans, however, who thanks to their poets and great people have already become acquainted with the higher joys of a wraithlike sensuality through a thousand bodily and spiritual sources, it is ill-befitting to welcome a regression into the life of dogs as normal, as equally viable, or, as many think, even as progress!

What would one say, then, of a grown man or a grown woman who, in possession of a woman or man, respectively, has the opportunity to satisfy their sexual drive as usual if suddenly they were to again resort to the means of masturbation, in which they had indulged in the first period of their lives? Ultimately, what is better is the enemy of what is good!

It is regrettable that even science, out of insufficient psychological understanding, transmits false information!

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© Translation William Drabkin.