Ser. A, {158}
21. 8.

Nach 2 Tagen gesegnetster Schönheit, nach 7 Wochen heiteren Wetters, 1. Gewitter, 1. Regen! Unvergesslich bleibt das tiefe Blau des Himmels in den letzten Tagen jener mehrwöchentlichen Epoche, die in den Städten u. unter anderen Himmelsstrichen soviel Unheil über die Menschen gebracht.

*

{159} Nicht selten wirft mir meine Umgebung vor, daß ich nicht lebensklug genug, mit den realen Mächten der Presse u. der Collegen rechne; u. um den Vorwurf zu verstärken, weist sie z.B. auf Brahms hin, der bei aller Unnahbarkeit seines Wesens dennoch zugleich auch gegenüber der Presse einiges konziliantes Wesen bewahrte. Wie gewöhnlich handelt es sich aber auch dießmal um einen Beobachtungsfehler; denn in Wahrheit ward ja Brahms durch Schumann schon in den ersten Jünglingsjahren für die ganze musikalischen Welt creiert u. wo immer er landete, nahte sich die Presse dem jungen stolzen Ruhm mit Ehrerbietung u. Demut selbst auch noch dort, wo der Glaube fehlte ‒ mit anderen Worten: Brahms hatte den Vorsprung eines durch Schumann ihm geschaffenen Ruhmes, der die Presse von vornherein in die nötige Distanz brachte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als mit allen ihren niedrigen Diensten ihre Aufwartung zu machen, nach Brahmsens Worten u. Urteilen zu jagen u. zu schnappen, um dafür ein paar lumpige Groschen einzustecken. 1

Ganz anders aber in meiner Situation: Mir fehlt das Glück eines Vorsprunges u. so muß ich denn aus eigenen Kräften in die dicke Mauer der Presse eine Bresche legen, erst das Freie gewinnen um dort den Vorsprung mir selbst zu bereiten. Ist dieses nun einmal erreicht, so wird die Distanz es ohne weiteres gestatten u. möglich machen, daß ich einer wedelnden Presse gegenüber in Herablassung gleichwohl auch konziliantere Töne finde.

*

21. Von der seltsamen Tat eines Hundes
Um die Mittagszeit langen in Sulden Soldaten zur Übung ein, wie selbstverständig unter Führung von Offizieren. Einem der letzteren gehört ein prachtvoller Hund, der, dem Diener übergeben, in {160} unserer Villa zu verbleiben hat. Als ich auf den Gang trete, sehe ich den Hund ruhig liegen u., da er, trotz Gästen, die auf u. abgehen, sich aus der Ruhe nicht bringen läßt, nehme ich ihn als phlegmatisch an. Doch dauert es nicht lange, daß ein detonationsähnlicher Schall uns Alle aus den Zimmern ruft: ich, zuerst zur Stelle, sehe, daß der Hund zum Fenster der Balkontüre auf die Balkon sich eben hinübergeschleudert [sic], ‒ eile ihm nach auf den Balkon, um ihn den Weg über den Gang zu seinem Herrn zu weisen, doch schon schwingt sich der Hund mit den Vorderpfoten auf die Ballustrade u. mit einem Satz hinüber springt er in die Tiefe, um sofort nun auch jenen Weg zur Kaserne davonzulaufen, auf dem sein Herr dorthin gezogen. Welche Klugheit das Tier besessen, mag aber daraus entnommen werden, daß das Fenster der Balkontüre bereits in einer der 4 Scheiben ein Loch hatte; gerade dieses hat nur das Tier erspäht, u. trotz Gefahr, da ringsum noch Glassplitter hingen u. starrten, sich durchzuzwängen. In der That gelang ihm das verwegene Stückchen; weder beim Sprung durch das Fenster, noch beim Sturz in die Tiefe erlitt es welchen Schaden, u. nun weilt es bei seinem Herrn in der Kaserne, der am Ende solcher Probe einer schönen Tierseele gar nicht würdig ist.

© Transcription Ian Bent, 2019

Ser. A, {158}
August 21

After two days of the most seraphic beauty, and after seven weeks of fair weather, first storm, first rain! The deep blue of the sky in the last few days of that multi-week epoch remains unforgettable ‒ weeks which in the small towns and in other clime brought so much misery to people.

*

{159} It's not uncommon for the people around me to reproach me with being insufficiently worldly-wise in handling the very formidable powers of the press and its colleagues. And to reinforce that reproach they point to, for instance, Brahms, who for all the unapproachability of his personality nevertheless at the same time maintained a certain conciliatory manner toward the press. But as usual, it is a matter in this case, too, of an error of observation; for in truth Brahms was a creation of Schumann's, prepared for the entire musical world from earliest childhood on; and wherever he went, the press treated the proud young prodigy with respect and deference even before it had come to believe in him. Put another way, Brahms had the advantage of a reputation that had been built up for him by Schumann, and which from the outset broke down the natural barrier between him and the press. They had no other alternative than, with all their lowly status, to pay their respects, to hang on Brahms's every word and opinion, and to scrabble in order to pocket a few measly pennies. 1

My own case is, however, quite different. I'm not lucky enough to have had a head-start, so I have to draw on my own strength to penetrate the thick wall around the press, and first make a space in which to gain the advantage for myself. Once this is achieved, the distance between us will forthwith permit and enable me in condescension nevertheless also to find conciliatory tones to address a wavering press.

*

[August] 21 A Strange Feat by a Dog
At lunchtime, soldiers arrive in Sulden for exercises ‒ as usual, under the direction of officers. To one of the last of them belongs a magnificent dog, which is handed over by its master to {160} be kept in our villa. As I walk along the corridor, I see it sleeping peacefully, and since it does not stir despite guests walking to and fro, I take him to be phlegmatic. But it is not long before an explosive noise summons us all out of our rooms. As first on the scene, I see the dog just launch itself at the window of the balcony door and out on to the balcony. I pursue it on to the balcony to show it the passageway over the path to its master; but the dog is already hoisting itself up on to the balustrade by its forepaws and with a single leap it plunges into the abyss in order promptly to streak away on to the path to the barracks from which its master has just emerged. What intelligence the dog possessed can be surmised from the fact that one of the four panes of the balcony door window already had a hole in it. It was precisely this that the dog alone had instantly spotted, and despite the danger presented by splinters hanging and protuding, squeezed itself through. In fact, the audacious maneuver was successful: neither by the spring through the window nor by the plunge into the abyss did the animal come to any harm, and now it is standing quietly in the barracks beside its master, who at the end of such a test is wholly undeserving of an animal with such a beautiful soul.

© Translation Ian Bent, 2019

Ser. A, {158}
21. 8.

Nach 2 Tagen gesegnetster Schönheit, nach 7 Wochen heiteren Wetters, 1. Gewitter, 1. Regen! Unvergesslich bleibt das tiefe Blau des Himmels in den letzten Tagen jener mehrwöchentlichen Epoche, die in den Städten u. unter anderen Himmelsstrichen soviel Unheil über die Menschen gebracht.

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{159} Nicht selten wirft mir meine Umgebung vor, daß ich nicht lebensklug genug, mit den realen Mächten der Presse u. der Collegen rechne; u. um den Vorwurf zu verstärken, weist sie z.B. auf Brahms hin, der bei aller Unnahbarkeit seines Wesens dennoch zugleich auch gegenüber der Presse einiges konziliantes Wesen bewahrte. Wie gewöhnlich handelt es sich aber auch dießmal um einen Beobachtungsfehler; denn in Wahrheit ward ja Brahms durch Schumann schon in den ersten Jünglingsjahren für die ganze musikalischen Welt creiert u. wo immer er landete, nahte sich die Presse dem jungen stolzen Ruhm mit Ehrerbietung u. Demut selbst auch noch dort, wo der Glaube fehlte ‒ mit anderen Worten: Brahms hatte den Vorsprung eines durch Schumann ihm geschaffenen Ruhmes, der die Presse von vornherein in die nötige Distanz brachte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als mit allen ihren niedrigen Diensten ihre Aufwartung zu machen, nach Brahmsens Worten u. Urteilen zu jagen u. zu schnappen, um dafür ein paar lumpige Groschen einzustecken. 1

Ganz anders aber in meiner Situation: Mir fehlt das Glück eines Vorsprunges u. so muß ich denn aus eigenen Kräften in die dicke Mauer der Presse eine Bresche legen, erst das Freie gewinnen um dort den Vorsprung mir selbst zu bereiten. Ist dieses nun einmal erreicht, so wird die Distanz es ohne weiteres gestatten u. möglich machen, daß ich einer wedelnden Presse gegenüber in Herablassung gleichwohl auch konziliantere Töne finde.

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21. Von der seltsamen Tat eines Hundes
Um die Mittagszeit langen in Sulden Soldaten zur Übung ein, wie selbstverständig unter Führung von Offizieren. Einem der letzteren gehört ein prachtvoller Hund, der, dem Diener übergeben, in {160} unserer Villa zu verbleiben hat. Als ich auf den Gang trete, sehe ich den Hund ruhig liegen u., da er, trotz Gästen, die auf u. abgehen, sich aus der Ruhe nicht bringen läßt, nehme ich ihn als phlegmatisch an. Doch dauert es nicht lange, daß ein detonationsähnlicher Schall uns Alle aus den Zimmern ruft: ich, zuerst zur Stelle, sehe, daß der Hund zum Fenster der Balkontüre auf die Balkon sich eben hinübergeschleudert [sic], ‒ eile ihm nach auf den Balkon, um ihn den Weg über den Gang zu seinem Herrn zu weisen, doch schon schwingt sich der Hund mit den Vorderpfoten auf die Ballustrade u. mit einem Satz hinüber springt er in die Tiefe, um sofort nun auch jenen Weg zur Kaserne davonzulaufen, auf dem sein Herr dorthin gezogen. Welche Klugheit das Tier besessen, mag aber daraus entnommen werden, daß das Fenster der Balkontüre bereits in einer der 4 Scheiben ein Loch hatte; gerade dieses hat nur das Tier erspäht, u. trotz Gefahr, da ringsum noch Glassplitter hingen u. starrten, sich durchzuzwängen. In der That gelang ihm das verwegene Stückchen; weder beim Sprung durch das Fenster, noch beim Sturz in die Tiefe erlitt es welchen Schaden, u. nun weilt es bei seinem Herrn in der Kaserne, der am Ende solcher Probe einer schönen Tierseele gar nicht würdig ist.

© Transcription Ian Bent, 2019

Ser. A, {158}
August 21

After two days of the most seraphic beauty, and after seven weeks of fair weather, first storm, first rain! The deep blue of the sky in the last few days of that multi-week epoch remains unforgettable ‒ weeks which in the small towns and in other clime brought so much misery to people.

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{159} It's not uncommon for the people around me to reproach me with being insufficiently worldly-wise in handling the very formidable powers of the press and its colleagues. And to reinforce that reproach they point to, for instance, Brahms, who for all the unapproachability of his personality nevertheless at the same time maintained a certain conciliatory manner toward the press. But as usual, it is a matter in this case, too, of an error of observation; for in truth Brahms was a creation of Schumann's, prepared for the entire musical world from earliest childhood on; and wherever he went, the press treated the proud young prodigy with respect and deference even before it had come to believe in him. Put another way, Brahms had the advantage of a reputation that had been built up for him by Schumann, and which from the outset broke down the natural barrier between him and the press. They had no other alternative than, with all their lowly status, to pay their respects, to hang on Brahms's every word and opinion, and to scrabble in order to pocket a few measly pennies. 1

My own case is, however, quite different. I'm not lucky enough to have had a head-start, so I have to draw on my own strength to penetrate the thick wall around the press, and first make a space in which to gain the advantage for myself. Once this is achieved, the distance between us will forthwith permit and enable me in condescension nevertheless also to find conciliatory tones to address a wavering press.

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[August] 21 A Strange Feat by a Dog
At lunchtime, soldiers arrive in Sulden for exercises ‒ as usual, under the direction of officers. To one of the last of them belongs a magnificent dog, which is handed over by its master to {160} be kept in our villa. As I walk along the corridor, I see it sleeping peacefully, and since it does not stir despite guests walking to and fro, I take him to be phlegmatic. But it is not long before an explosive noise summons us all out of our rooms. As first on the scene, I see the dog just launch itself at the window of the balcony door and out on to the balcony. I pursue it on to the balcony to show it the passageway over the path to its master; but the dog is already hoisting itself up on to the balustrade by its forepaws and with a single leap it plunges into the abyss in order promptly to streak away on to the path to the barracks from which its master has just emerged. What intelligence the dog possessed can be surmised from the fact that one of the four panes of the balcony door window already had a hole in it. It was precisely this that the dog alone had instantly spotted, and despite the danger presented by splinters hanging and protuding, squeezed itself through. In fact, the audacious maneuver was successful: neither by the spring through the window nor by the plunge into the abyss did the animal come to any harm, and now it is standing quietly in the barracks beside its master, who at the end of such a test is wholly undeserving of an animal with such a beautiful soul.

© Translation Ian Bent, 2019

Footnotes

1 This paragraph is transcribed in full by Hellmut Federhofer in Heinrich Schenker nach Tagebüchern und Briefen ... (Hildesheim: Georg Olms, 1985), p. 307.