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Ser. A,
{119}
b
27/11.
[Edited by Schenker in ink; final version only given here.]
⇧
Frau Dr. Elsa
Bienenfeld
(„
N.W.Journal
[“])
1
citiert meine „
chrom.
fant.“; aber nach Journalistenart – wie
korrumpiert doch dieser Beruf selbst ein Weib!— wieder ähnlich, wie
Dr Mohr
: die Hauptsachen stellt
sie mit „ist“ vor, so als wären sie ihr schon längst bekannt gewesen[;] nur eine Kleinigkeit dagegen citiert sie mit
„sei“
2
als mir selbst neu gehörend, u. ihr
soeben erst bekannt gemacht.
{120}
[
NB
The following seven items are dated only as "1910"; they have been placed under
November 27 only to preserve the order of the original texts.]
⇧
B. Shaw
s’ „Candida“ (entlehnt von
Weisse
jun.): C. beleidigt den Gatten; C. gibt eine erste
schlechte Lebenslectüre dem blutjungen Künstler; C. zieht sich aber unter
tausendfachen schönen, selbst-gefälligen Ausreden u. Ausflüchten, endlich wieder zu
ihrem Gatten zurück, da er ihr den größeren Vorteil bedeutet.
{120}
a
—
⇧ Wie gerne hätschelt der Mensch seine kleinen „Illusionen“: seine Frau[,] Hund, Katze, ‒ die Illusion eines übernatürlichen Wesens zu
liebkosen, dagegen wie gegen ein böses Schicksal, sträubt er sich aber mit aller Macht:
Und so verschmäht er nun ‒ wie wenig an wahrem Lebensinstinkt zeigt er damit! ‒ gerade
jene Autosuggestion die, weil sie jenseits alles Menschhentums [sic]
gelegen, u. ihm übrigens am wenigsten „kostet“, in den Nöten des Lebens unstreitig die
sicherste Zuflucht bieten könnte!
—
⇧ Vielleicht ist alle Natur, als die eine u. unteilbare Schöpfung Gottes, nur dessen schwingende
Körper: Gott als Grundton, u. Himmelskörper, Menschen u. die sonstigen Geschöpfe seiner
Hand (con- u. dissonierend) dessen Partialtöne!
—
⇧
Hamlet. . . Das ‚Gespenst‛ wird bühnendramatisch schon durch die
Freunde H’s „erwiesen,“ noch bevor es H. selbst sieht. So entwindet der Dichter zugleich auch
dem Zuschauer jeglichen Zweifel. [in left
margin:] cit. „IX“
. . Die Szene H’s mit der Mutter: sie stammelt, nur u. obendrein tut sie
das nur aus Nichtbegreifen der Zusammenhänge, u. nicht aus Scham oder
Verlegenheit.
. . Wohl läutert sich der König, nicht aber die Königin,
die auch gegen das Schauspiel unempfindlich bleibt, als wäre nicht sie selbst es
gewesen, die u.s.w. Bei Frauen unfruchtbar eben auch das Böse .
.
{121} . .
Ibsen
würde den König an H. sich so lange aufreiben lassen, bis er unter Geständnis
u. Reue endlich zusammenbräche! Auch
Shaksp
. tut nichts anderes, nur wäre bei
Ibsen
die Chronologie in der dramatischen Technik eine andere, die
sie am letzten Ende der Dinge einsehen u. zum Anfang ‒ unter Läuterung des Königs ‒
zurückstreben würde.
. . H. trägt
eine Rolle, die nicht er sich selbst, sondern das Schicksal ihm zugetheilt hat. Wenn er
nun gerade eine solche Rolle lieber nicht tragen möchte, so bedeutet das nur Eckel, noch
lange aber nicht Feigheit. (Mordet er doch ohneweiters bei ihm passender Gelegenheit den
Polonius als den vermeintlichen König!)
— Eine fatale Eigenschaft der Menschen, das Schlechte vor den
Guten sich anzueignen: bevor sie die Meisterwerke lesen, haben sie schon längst (eines
billigen Gesprächstoffs, der Mode halber) Colportageromane, Romane des Tages, u.
Zeitungen gelesen; bevor die Provinzbühnen eine „Iphig. auf T.“ bringen, haben sie schon längst Dramen eines
Kadelburg, Blumenth., Fulda,
3
u. selbst die der dichtenden Mitbürger des
Städtchens gebracht! u. dgl. Als würden die Brüste einer Mutter statt der gesunden Milch
dem Kinde vorerst gar Alkohol zuführen!
Ser. A,
{122}
a
[Heavily edited by Schenker in ink; final
version only given here]
. .—
Goethes
„Faust“: Man denke sich einen Kalvarienberg, bei dem ein anormal
langer Weg schon von der ersten Station zur zweiten sich dehnen würde: welche Ausdehnung
müßte da der gesammte Weg aufweiten, wenn die erste Proportion auch noch weiterhin
beibehalten werden sollte! Bedeutet die „Graetchen-Episode[“] gleichsam die erste Leidensstation Faustens u.
nimmt schon sie allein räumlich-zeitlich die Ausdehnung von 5 Akten in Anspruch, welche
Ausdehnung müßte dann dem gesammten Leidensweg gegeben werden, wenn ähnlich auch auf
jede weitere „Leidensstation“ je 5 Akte verwendet werden müßten! (Abgesehen davon, daß
aus der Ministerschaftsepisode u. dgl. ein solcher Umfang unmöglich zu gewinnen gewesen
wäre!)
Verklärung: Höhe (= Raum) für Zukunft
(= Zeit); die Dimension des Raumes tritt stellvertretend {122}
b für die Dimension der Zeit ein: das Leben, die Nachwelt sind
es, die verklären. Dort in der Zukunft schneiden sich sämtliche Linien, die aus dem
Gegenstand ausstrahlen ‒ u. die Summe dieser Linien ist die Glorie.
(nachziehen)
— Ehemals blühten musikalische Wunderkinde eben nur Musikern
(
Moz.,
Beeth.,
Brahms
,) ‒ heute
angeblich auch schon Musikbericherstattern. Unmöglich, sage ich.
Ser. A,
{123}
[
NB The following essay is entirely undated, even as to year. It has
been placed here solely to preserve the order in which the pages survive. It could
have been authored by Heinrich Schenker at any time before the end of 1910. It is
in Jeannette's hand, with minor changes in Heinrich's hand. The final version only
is shown here.]
[top left corner:] Datum
⇧
Hebbel’s
Judith. Antithese: Holofernes Selbstherrlichkeit ‒ der Juden
Gotteskindschaft. Sehr treffend die Grenze der Selbstherrlichkeit gezogen: Holofernes
sehnt sich, da er Gott nicht anerkennt, auch nur nach einem zweiten Menschen seines
Ranges, seiner Kraft. Er bedarf eines solchen schon, um sich mit ihm zu messen u. seine
eigene Kraft zu steigern, da alle Kräfte blos nach unten, d.i. gegen die Schwäche hin,
gerichtet, Einbuße erleiden. Seine Tragik ist, das Uebernatürliche zu leugnen. Er
erliegt daher endlich jener Kraft, die eben aus dem Uebernatürlichen stammt.
Unbegrenzt dagegen, das Vertrauen der
Juden zu ihrem Gotte; selbst in tiefster Not fühlen sie sich in seinem Schoß noch
geborgen, sie sind daher vom Siege überzeugt. Ungeahnte Kräfte brechen daraus hervor:
ein Weib schickt sich an, die Stadt zu retten, ein Stummer gewinnt die Sprache u. so
erweist sich, daß die Kraft des Menschen desto stärker, je weniger er sie aus sich
selbst, {124}
a u. je mehr er sie dagegen aus
dem Schöpfer (über sich) bezieht.
Die Antithese kann auch anderes heißen:
Haidentum u. Gottesglaube, der notwendige Sieg des letzteren, weil auf stärkere Kräfte
gegründet, als es die Kräfte sind, die der Haide aus sich selbst zu schöpfen vermag.
(die Abweichungen Hebbels von der Vorlage.)
4
Judith, zwar keine Jungfrau (wie z.B.
Jungfrau von Orleans
5
), trotz Ehe aber noch
unberührt: im sozialen Sinne Manasse’s Frau, im natürlichen eine Jungfrau. Hebbel’s
Gedankengang offenbar: eine vom Manne erkannte
6
Frau spannt
ihre Interessen nur mehr nach dem Ziel der Häuslichkeit; höhere Interessen entschwinden
ihrer Sehnsucht, ihrer Kraft. Nur als Jungfrau vermag das Weib noch Kräfte aufzubieten,
deren Ertrag der Gesamtheit zukommt. Im Falle Judith: Manasse ward ihr kein Mann, ihr
Liebhaber bewährt sich ebensowenig als Mann vor dem Feinde u. vor ihr, u. so wird sie
gleichsam aus Not, durch den Anblick der Schwächen, durch den Bankerott der Männlichkeit
vor ihr (ein umgekehrter {124}
b Hamlet, der den
Bankerott der Weiblichkeit, der Mutter u. Opheliens erlebt) selbst zum Manne gesteigert.
Dennoch die Weiblichkeit in ihr: die Freude, in Holofernes endlich einen Mann kennen zu
lernen. Sie tritt ihm im Namen Jehova’s als ehrliche Feindin entgegen u. nach Hebbel
bleibt sie es auch, trotz überrumpeller Weiblichkeit. Jehova erficht den Sieg über den
Haiden auch im Weib. (Auch in Reinhardts Aufführung; Wegener als Holofernes; treffliches Arrangement im
Stadtgraben.
7
[)]
—
© Transcription Ian Bent.
|
Ser. A,
{119}
b
November 27
[Edited by Schenker in ink; final version only given here.]
⇧
Mrs. Elsa
Bienenfeld (
Neues Wiener Journal
)
1
cites my
Chromatic Fantasy
, but in a journalistic way ‒ how
this profession really does corrupt even a woman! ‒ again similarly to Dr. Mohr: she presents the main issues in
the indicative voice, as if they had long been known to her. Only a lesser matter does
she, conversely, cite in the subjunctive,
2
as being my own intellectual property with which she has just become
acquainted.
{120}
[
NB
The following seven items are dated only as "1910"; they have been placed under
November 27 only to preserve the order of the original texts.]
⇧
Bernard
Shaw's Candide (borrowed from Weisse junior): C. upsets her
husband; C. gives a first lesson on living to the very young artist;
C. but amid a thousandfold beautiful, smug excuses and evasions, she ultimately returns
to her husband, since he signifies to her the greater advantage.
{120}
a
—
⇧
[Illusions:] How man loves to cherish his little
"illusions": his wife, his dog, his cat ‒ the illusion of cossetting a supernatural
being. And how, conversely, he resists with all his might a malign fate! And so he now
rejects ‒ how little by way of a true instinct for life he exhibits in so doing! ‒
precisely that autosuggestion which, because it is situated outside the realm of
mankind, and in addition "costs" him the least, could, amid the adversities of life,
undoubtedly offer the safest refuge!
—
⇧
[Nature:] Perhaps all Nature, as the sole, indivisible of
God's creations, is only his vibrating body: God as the fundamental tone, and heavenly
bodies, men, and other creatures of his handiwork (consonant and dissonant) as his upper
partials!
—
⇧
Hamlet. . . The
"Ghost" is already established theatrically through the testimony of Hamlet's friends,
even before Hamlet sees it for himself. In this way, the playwright at the same time
divests the audience, too, of any shred of doubt. [in left margin:] quote in
The Ninth
Symphony
.
. . Hamlet's scene with his mother: she
stammers, but she does that above all only out of unawareness of the consequences, and
not out of shame or embarrassment.
. . True, the King [i.e. Claudius] purges himself, but the
Queen does not. She even remains unmoved by the play, as if it were not she herself who
etc. With women, even evil is unfruitful ...
{121} . .
Ibsen would have had the King
[i.e. Claudius] chafed by Hamlet for so
long that he finally broke down amid confession and repentance! Shakespeare himself does no differently, but with
Ibsen the chronology in the
dramatic technique would have been different; it would ultimately recognize the state of
affairs and would ‒ with the purifying of the King ‒ strive to return to the
beginning.
. . Hamlet takes on a role not of his own choosing but one
allocated to him by fate. If he preferred not to take on precisely such a role, this
merely signifies revulsion, and by no means cowardice. (After all, when the occasion
arises he does not hesitate to kill Polonius, thinking
him to be the King!)
— It is a fatal attribute of men to acquire the bad before the
good: before they read the masterworks they have long been reading (for reasons of cheap
conversation fodder and fashion) trashy novels, ephemera, and newspapers; before staging
plays such as Iphigenia in Tauris in provincial
theaters, they have long staged plays by the likes of Kadelburg, Blumenthal and
Fulda,
3
and even those by the
poetizing fellow citizens of their towns, and so on! It's as if a mother's breasts were
to supply her child not with healthy milk but first and foremost with alcohol!
Ser. A,
{122}
a
[Heavily edited by Schenker in ink; final
version only given here]
. .—
Goethe's Faust: Imagine a Mount Calvary the path from the first station to the
second of which was abnormally elongated; what a huge expanse the whole path would then
have to span, were the first proportion to be maintained throughout! If the Gretchen
episode were, so to speak, to constitute the first of Faust's stations of the Cross, and
if that alone were to require the spatial-temporal expanse of five acts, what a huge
span would then have to be allotted to his entire way of the Cross if in a similar
manner the span of five acts had to be apportioned to each of the subsequent stations of
the Cross! (Quite apart from the fact that, from the episode about the ministry and the
like, such an expanse would have been impossible to gain!)
Transfiguration: height (= space) for future (= time); the
dimension of space stands vicariously {122}
b
for the dimension of time: it is life and posterity that transfigure. There in the
future all the lines that project out of the object intersect with one another ‒ and the
totality of these lines is the splendor. (needs revising)
— In times gone past musical prodigies blossomed only into
musicians (Mozart, Beethoven, Brahms). Today, allegedly, music commentators do so as
well. Impossible, I say.
Ser. A,
{123}
[
NB The following essay is entirely undated, even as to year. It has
been placed here solely to preserve the order in which the pages survive. It could
have been authored by Heinrich Schenker at any time before the end of 1910. It is
in Jeannette's hand, with minor changes in Heinrich's hand. The final version only
is shown here.]
[top left corner:] Date
⇧
Hebbel’s Judith. Antithesis: Holofernes' overbearing nature versus the Jews' divine sonship. His overbearing nature is
very aptly drawn: Holofernes, since he does not recognize God, longs only for another
man of his caliber and strength. He needs such a man in order to measure himself against
him and to increase his strength, since all strength, being merely directed downward ‒
i.e. toward weakness ‒, suffers loss. His tragedy is that he denies the supernatural. He
therefore falls victim to that strength that derives directly from the
supernatural.
By contrast, the trust of the Jews in their God is
boundless. Even when in direst need, they feel themselves sheltered in His bosom;
accordingly, they are convinced of victory. Unimagined strengths break forth: A woman
gets ready to save a city; a dumb man regains his speech; and thus is proven that the
strength of man is all the greater, the less he relies on himself for it, {124}
a and instead, the more he relies on his
Creator (above himself).
The antithesis can even be put in another way: heathenism
and belief in God, the necessary victory of the latter, because based on greater
strength than the strengths that the heathen is capable of creating from within himself.
(Hebbel's departures from the original)
4
Judith, admittedly no virgin (like, for example, Joan of
Arc
5
) despite marriage, yet still
untouched: in the social sense Manasse's wife, in the natural sense a virgin. Hebbel's
train of thought is clear: a woman known
6
by a man confines her interests solely to the goal of domesticity; higher interests
vanish from her desires, her strength. Only as a virgin is the wife able to summon up
still further strengths, the gains of which befit her totality. In the case of Judith,
Manasse proved no husband to her, her lover proves to be equally little a man in the
face of the enemy and of her; and so she, as it were out of necessity, through the sight
of the weak ones, through the woeful deficiency of manhood before her (an inverted
{124}
b Hamlet, who experiences the woeful
deficiency of womanliness of his mother and Ophelia) becomes raised to the level of
manhood. Nevertheless, the womanliness in her: the joy of finally coming to know in
Holofernes a man. She confronts him in the name of Jehova as a noble enemy, and
according to Hebbel she remains that even despite surprising femininity. Jehova gains
the victory over the heathen even in the woman. (Even in Reinhardt's performance: Wegener as Holofernes;
excellent arrangement in the city Graben.
7
[)]
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Ser. A,
{119}
b
27/11.
[Edited by Schenker in ink; final version only given here.]
⇧
Frau Dr. Elsa
Bienenfeld
(„
N.W.Journal
[“])
1
citiert meine „
chrom.
fant.“; aber nach Journalistenart – wie
korrumpiert doch dieser Beruf selbst ein Weib!— wieder ähnlich, wie
Dr Mohr
: die Hauptsachen stellt
sie mit „ist“ vor, so als wären sie ihr schon längst bekannt gewesen[;] nur eine Kleinigkeit dagegen citiert sie mit
„sei“
2
als mir selbst neu gehörend, u. ihr
soeben erst bekannt gemacht.
{120}
[
NB
The following seven items are dated only as "1910"; they have been placed under
November 27 only to preserve the order of the original texts.]
⇧
B. Shaw
s’ „Candida“ (entlehnt von
Weisse
jun.): C. beleidigt den Gatten; C. gibt eine erste
schlechte Lebenslectüre dem blutjungen Künstler; C. zieht sich aber unter
tausendfachen schönen, selbst-gefälligen Ausreden u. Ausflüchten, endlich wieder zu
ihrem Gatten zurück, da er ihr den größeren Vorteil bedeutet.
{120}
a
—
⇧ Wie gerne hätschelt der Mensch seine kleinen „Illusionen“: seine Frau[,] Hund, Katze, ‒ die Illusion eines übernatürlichen Wesens zu
liebkosen, dagegen wie gegen ein böses Schicksal, sträubt er sich aber mit aller Macht:
Und so verschmäht er nun ‒ wie wenig an wahrem Lebensinstinkt zeigt er damit! ‒ gerade
jene Autosuggestion die, weil sie jenseits alles Menschhentums [sic]
gelegen, u. ihm übrigens am wenigsten „kostet“, in den Nöten des Lebens unstreitig die
sicherste Zuflucht bieten könnte!
—
⇧ Vielleicht ist alle Natur, als die eine u. unteilbare Schöpfung Gottes, nur dessen schwingende
Körper: Gott als Grundton, u. Himmelskörper, Menschen u. die sonstigen Geschöpfe seiner
Hand (con- u. dissonierend) dessen Partialtöne!
—
⇧
Hamlet. . . Das ‚Gespenst‛ wird bühnendramatisch schon durch die
Freunde H’s „erwiesen,“ noch bevor es H. selbst sieht. So entwindet der Dichter zugleich auch
dem Zuschauer jeglichen Zweifel. [in left
margin:] cit. „IX“
. . Die Szene H’s mit der Mutter: sie stammelt, nur u. obendrein tut sie
das nur aus Nichtbegreifen der Zusammenhänge, u. nicht aus Scham oder
Verlegenheit.
. . Wohl läutert sich der König, nicht aber die Königin,
die auch gegen das Schauspiel unempfindlich bleibt, als wäre nicht sie selbst es
gewesen, die u.s.w. Bei Frauen unfruchtbar eben auch das Böse .
.
{121} . .
Ibsen
würde den König an H. sich so lange aufreiben lassen, bis er unter Geständnis
u. Reue endlich zusammenbräche! Auch
Shaksp
. tut nichts anderes, nur wäre bei
Ibsen
die Chronologie in der dramatischen Technik eine andere, die
sie am letzten Ende der Dinge einsehen u. zum Anfang ‒ unter Läuterung des Königs ‒
zurückstreben würde.
. . H. trägt
eine Rolle, die nicht er sich selbst, sondern das Schicksal ihm zugetheilt hat. Wenn er
nun gerade eine solche Rolle lieber nicht tragen möchte, so bedeutet das nur Eckel, noch
lange aber nicht Feigheit. (Mordet er doch ohneweiters bei ihm passender Gelegenheit den
Polonius als den vermeintlichen König!)
— Eine fatale Eigenschaft der Menschen, das Schlechte vor den
Guten sich anzueignen: bevor sie die Meisterwerke lesen, haben sie schon längst (eines
billigen Gesprächstoffs, der Mode halber) Colportageromane, Romane des Tages, u.
Zeitungen gelesen; bevor die Provinzbühnen eine „Iphig. auf T.“ bringen, haben sie schon längst Dramen eines
Kadelburg, Blumenth., Fulda,
3
u. selbst die der dichtenden Mitbürger des
Städtchens gebracht! u. dgl. Als würden die Brüste einer Mutter statt der gesunden Milch
dem Kinde vorerst gar Alkohol zuführen!
Ser. A,
{122}
a
[Heavily edited by Schenker in ink; final
version only given here]
. .—
Goethes
„Faust“: Man denke sich einen Kalvarienberg, bei dem ein anormal
langer Weg schon von der ersten Station zur zweiten sich dehnen würde: welche Ausdehnung
müßte da der gesammte Weg aufweiten, wenn die erste Proportion auch noch weiterhin
beibehalten werden sollte! Bedeutet die „Graetchen-Episode[“] gleichsam die erste Leidensstation Faustens u.
nimmt schon sie allein räumlich-zeitlich die Ausdehnung von 5 Akten in Anspruch, welche
Ausdehnung müßte dann dem gesammten Leidensweg gegeben werden, wenn ähnlich auch auf
jede weitere „Leidensstation“ je 5 Akte verwendet werden müßten! (Abgesehen davon, daß
aus der Ministerschaftsepisode u. dgl. ein solcher Umfang unmöglich zu gewinnen gewesen
wäre!)
Verklärung: Höhe (= Raum) für Zukunft
(= Zeit); die Dimension des Raumes tritt stellvertretend {122}
b für die Dimension der Zeit ein: das Leben, die Nachwelt sind
es, die verklären. Dort in der Zukunft schneiden sich sämtliche Linien, die aus dem
Gegenstand ausstrahlen ‒ u. die Summe dieser Linien ist die Glorie.
(nachziehen)
— Ehemals blühten musikalische Wunderkinde eben nur Musikern
(
Moz.,
Beeth.,
Brahms
,) ‒ heute
angeblich auch schon Musikbericherstattern. Unmöglich, sage ich.
Ser. A,
{123}
[
NB The following essay is entirely undated, even as to year. It has
been placed here solely to preserve the order in which the pages survive. It could
have been authored by Heinrich Schenker at any time before the end of 1910. It is
in Jeannette's hand, with minor changes in Heinrich's hand. The final version only
is shown here.]
[top left corner:] Datum
⇧
Hebbel’s
Judith. Antithese: Holofernes Selbstherrlichkeit ‒ der Juden
Gotteskindschaft. Sehr treffend die Grenze der Selbstherrlichkeit gezogen: Holofernes
sehnt sich, da er Gott nicht anerkennt, auch nur nach einem zweiten Menschen seines
Ranges, seiner Kraft. Er bedarf eines solchen schon, um sich mit ihm zu messen u. seine
eigene Kraft zu steigern, da alle Kräfte blos nach unten, d.i. gegen die Schwäche hin,
gerichtet, Einbuße erleiden. Seine Tragik ist, das Uebernatürliche zu leugnen. Er
erliegt daher endlich jener Kraft, die eben aus dem Uebernatürlichen stammt.
Unbegrenzt dagegen, das Vertrauen der
Juden zu ihrem Gotte; selbst in tiefster Not fühlen sie sich in seinem Schoß noch
geborgen, sie sind daher vom Siege überzeugt. Ungeahnte Kräfte brechen daraus hervor:
ein Weib schickt sich an, die Stadt zu retten, ein Stummer gewinnt die Sprache u. so
erweist sich, daß die Kraft des Menschen desto stärker, je weniger er sie aus sich
selbst, {124}
a u. je mehr er sie dagegen aus
dem Schöpfer (über sich) bezieht.
Die Antithese kann auch anderes heißen:
Haidentum u. Gottesglaube, der notwendige Sieg des letzteren, weil auf stärkere Kräfte
gegründet, als es die Kräfte sind, die der Haide aus sich selbst zu schöpfen vermag.
(die Abweichungen Hebbels von der Vorlage.)
4
Judith, zwar keine Jungfrau (wie z.B.
Jungfrau von Orleans
5
), trotz Ehe aber noch
unberührt: im sozialen Sinne Manasse’s Frau, im natürlichen eine Jungfrau. Hebbel’s
Gedankengang offenbar: eine vom Manne erkannte
6
Frau spannt
ihre Interessen nur mehr nach dem Ziel der Häuslichkeit; höhere Interessen entschwinden
ihrer Sehnsucht, ihrer Kraft. Nur als Jungfrau vermag das Weib noch Kräfte aufzubieten,
deren Ertrag der Gesamtheit zukommt. Im Falle Judith: Manasse ward ihr kein Mann, ihr
Liebhaber bewährt sich ebensowenig als Mann vor dem Feinde u. vor ihr, u. so wird sie
gleichsam aus Not, durch den Anblick der Schwächen, durch den Bankerott der Männlichkeit
vor ihr (ein umgekehrter {124}
b Hamlet, der den
Bankerott der Weiblichkeit, der Mutter u. Opheliens erlebt) selbst zum Manne gesteigert.
Dennoch die Weiblichkeit in ihr: die Freude, in Holofernes endlich einen Mann kennen zu
lernen. Sie tritt ihm im Namen Jehova’s als ehrliche Feindin entgegen u. nach Hebbel
bleibt sie es auch, trotz überrumpeller Weiblichkeit. Jehova erficht den Sieg über den
Haiden auch im Weib. (Auch in Reinhardts Aufführung; Wegener als Holofernes; treffliches Arrangement im
Stadtgraben.
7
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© Transcription Ian Bent.
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Ser. A,
{119}
b
November 27
[Edited by Schenker in ink; final version only given here.]
⇧
Mrs. Elsa
Bienenfeld (
Neues Wiener Journal
)
1
cites my
Chromatic Fantasy
, but in a journalistic way ‒ how
this profession really does corrupt even a woman! ‒ again similarly to Dr. Mohr: she presents the main issues in
the indicative voice, as if they had long been known to her. Only a lesser matter does
she, conversely, cite in the subjunctive,
2
as being my own intellectual property with which she has just become
acquainted.
{120}
[
NB
The following seven items are dated only as "1910"; they have been placed under
November 27 only to preserve the order of the original texts.]
⇧
Bernard
Shaw's Candide (borrowed from Weisse junior): C. upsets her
husband; C. gives a first lesson on living to the very young artist;
C. but amid a thousandfold beautiful, smug excuses and evasions, she ultimately returns
to her husband, since he signifies to her the greater advantage.
{120}
a
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⇧
[Illusions:] How man loves to cherish his little
"illusions": his wife, his dog, his cat ‒ the illusion of cossetting a supernatural
being. And how, conversely, he resists with all his might a malign fate! And so he now
rejects ‒ how little by way of a true instinct for life he exhibits in so doing! ‒
precisely that autosuggestion which, because it is situated outside the realm of
mankind, and in addition "costs" him the least, could, amid the adversities of life,
undoubtedly offer the safest refuge!
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⇧
[Nature:] Perhaps all Nature, as the sole, indivisible of
God's creations, is only his vibrating body: God as the fundamental tone, and heavenly
bodies, men, and other creatures of his handiwork (consonant and dissonant) as his upper
partials!
—
⇧
Hamlet. . . The
"Ghost" is already established theatrically through the testimony of Hamlet's friends,
even before Hamlet sees it for himself. In this way, the playwright at the same time
divests the audience, too, of any shred of doubt. [in left margin:] quote in
The Ninth
Symphony
.
. . Hamlet's scene with his mother: she
stammers, but she does that above all only out of unawareness of the consequences, and
not out of shame or embarrassment.
. . True, the King [i.e. Claudius] purges himself, but the
Queen does not. She even remains unmoved by the play, as if it were not she herself who
etc. With women, even evil is unfruitful ...
{121} . .
Ibsen would have had the King
[i.e. Claudius] chafed by Hamlet for so
long that he finally broke down amid confession and repentance! Shakespeare himself does no differently, but with
Ibsen the chronology in the
dramatic technique would have been different; it would ultimately recognize the state of
affairs and would ‒ with the purifying of the King ‒ strive to return to the
beginning.
. . Hamlet takes on a role not of his own choosing but one
allocated to him by fate. If he preferred not to take on precisely such a role, this
merely signifies revulsion, and by no means cowardice. (After all, when the occasion
arises he does not hesitate to kill Polonius, thinking
him to be the King!)
— It is a fatal attribute of men to acquire the bad before the
good: before they read the masterworks they have long been reading (for reasons of cheap
conversation fodder and fashion) trashy novels, ephemera, and newspapers; before staging
plays such as Iphigenia in Tauris in provincial
theaters, they have long staged plays by the likes of Kadelburg, Blumenthal and
Fulda,
3
and even those by the
poetizing fellow citizens of their towns, and so on! It's as if a mother's breasts were
to supply her child not with healthy milk but first and foremost with alcohol!
Ser. A,
{122}
a
[Heavily edited by Schenker in ink; final
version only given here]
. .—
Goethe's Faust: Imagine a Mount Calvary the path from the first station to the
second of which was abnormally elongated; what a huge expanse the whole path would then
have to span, were the first proportion to be maintained throughout! If the Gretchen
episode were, so to speak, to constitute the first of Faust's stations of the Cross, and
if that alone were to require the spatial-temporal expanse of five acts, what a huge
span would then have to be allotted to his entire way of the Cross if in a similar
manner the span of five acts had to be apportioned to each of the subsequent stations of
the Cross! (Quite apart from the fact that, from the episode about the ministry and the
like, such an expanse would have been impossible to gain!)
Transfiguration: height (= space) for future (= time); the
dimension of space stands vicariously {122}
b
for the dimension of time: it is life and posterity that transfigure. There in the
future all the lines that project out of the object intersect with one another ‒ and the
totality of these lines is the splendor. (needs revising)
— In times gone past musical prodigies blossomed only into
musicians (Mozart, Beethoven, Brahms). Today, allegedly, music commentators do so as
well. Impossible, I say.
Ser. A,
{123}
[
NB The following essay is entirely undated, even as to year. It has
been placed here solely to preserve the order in which the pages survive. It could
have been authored by Heinrich Schenker at any time before the end of 1910. It is
in Jeannette's hand, with minor changes in Heinrich's hand. The final version only
is shown here.]
[top left corner:] Date
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Hebbel’s Judith. Antithesis: Holofernes' overbearing nature versus the Jews' divine sonship. His overbearing nature is
very aptly drawn: Holofernes, since he does not recognize God, longs only for another
man of his caliber and strength. He needs such a man in order to measure himself against
him and to increase his strength, since all strength, being merely directed downward ‒
i.e. toward weakness ‒, suffers loss. His tragedy is that he denies the supernatural. He
therefore falls victim to that strength that derives directly from the
supernatural.
By contrast, the trust of the Jews in their God is
boundless. Even when in direst need, they feel themselves sheltered in His bosom;
accordingly, they are convinced of victory. Unimagined strengths break forth: A woman
gets ready to save a city; a dumb man regains his speech; and thus is proven that the
strength of man is all the greater, the less he relies on himself for it, {124}
a and instead, the more he relies on his
Creator (above himself).
The antithesis can even be put in another way: heathenism
and belief in God, the necessary victory of the latter, because based on greater
strength than the strengths that the heathen is capable of creating from within himself.
(Hebbel's departures from the original)
4
Judith, admittedly no virgin (like, for example, Joan of
Arc
5
) despite marriage, yet still
untouched: in the social sense Manasse's wife, in the natural sense a virgin. Hebbel's
train of thought is clear: a woman known
6
by a man confines her interests solely to the goal of domesticity; higher interests
vanish from her desires, her strength. Only as a virgin is the wife able to summon up
still further strengths, the gains of which befit her totality. In the case of Judith,
Manasse proved no husband to her, her lover proves to be equally little a man in the
face of the enemy and of her; and so she, as it were out of necessity, through the sight
of the weak ones, through the woeful deficiency of manhood before her (an inverted
{124}
b Hamlet, who experiences the woeful
deficiency of womanliness of his mother and Ophelia) becomes raised to the level of
manhood. Nevertheless, the womanliness in her: the joy of finally coming to know in
Holofernes a man. She confronts him in the name of Jehova as a noble enemy, and
according to Hebbel she remains that even despite surprising femininity. Jehova gains
the victory over the heathen even in the woman. (Even in Reinhardt's performance: Wegener as Holofernes;
excellent arrangement in the city Graben.
7
[)]
—
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Footnotes
1 Neues Wiener Journal, November 27,
1910, preserved as OC 2/p. 21.
2 Schenker simply
contrasts "ist" (indicative voice) with "sei" (subjunctive voice), the latter
implying that it is reported speech.
3 Gustav Kadelburg (1851‒1925), Hungarian-German Jewish actor, dramatist,
and writer; Oscar Blumenthal (1852‒1917), German playwright, and drama critic; Ludwig
Fulda (1862‒1939), German author, playwright, producer, and translator, who wrote
some 60 plays, and who was an admirer of Ibsen, whose works he promoted in Germany
(Giovanni Pontiero, Duse on Tour (Manchester: Manchester University Press,
1982), p. 159).
4 The parenthesis appears to be a note to himself to look
further at Hebbel's departures from the text of the Book of
Judith, chapters 11‒13. (The book is included in the Catholic Bible,
but excluded from Jewish texts and placed in the Apocrypha of the Protestant Bible.)
In the book, it is Judith, the wife of Manasse, who derives her strength from God,
which enables her to overcome Nebuchadnezzar's general,
Holofernes.
5 Jungfrau
von Orleans = Jeanne d'Arc, Joan of Arc, the peasant girl from eastern France who led
the French army to a series of victories in the Hundred Years' War. Her name brings
to mind Friedrich Schiller's play, Die Jungfrau von Orleans,
eine romantische Tragödie (1801).
6 erkannt (known): i.e. carnally.
7 i.e. The
thoroughfare known as the Graben, in the old center of
Vienna.
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