Mein Lieber Herr van Hoboken! 1

Meinen herzlichsten Dank sage ich Ihnen für den lieben Brief, die Ausschnitte u. die Anweisung 2 Trotzdem ich alle Postämter über meinen jederzeitigen Aufenthalt, über jeden Ortswechsel rechtzeitig verständige — mit der gleichen Genauigkeit wie bei einer Aufstellung u. Erläuterung von 3-, 5- u. sonstigen Zügen! ‒, ist es vorgekommen, daß mich Ihr Brief aus Zürich nicht erreicht hat! Und da sich gerade heute morgens herausgestellt hat, daß ein Brief an mich auf einen Umweg gekommen ist, obgleich {2} schon seit 12. 9 alle übrige Post mich auf normalem Weg erreicht mache ich der Vorsicht halber lieber von Ihrer Münchener Adresse Gebrauch. Wer weiß, ob eine Sendung nach Haag Sie dort noch anträfe, liegt doch auch ein Sonntag dazwischen u. die „kommende Woche“ ist auch nicht ohne Risiko.

Ein Wort zu meiner Gegensendung, mit der ich Ihre Heiterkeitsspende bedanken u. erwidern will. Zunächst: die „ Jonas “-Hefte 3 sind für Sie bestimmt, Dr. Jonas sandte sie mir Mitte September mit der Bitte, die Hefte sie Ihnen nachzuschicken, da ich aber damals Ihre Adresse nicht kannte, habe ich damit zu warten mich entschlossen. Wir dürfen mit Jonas ’ Arbeit sehr zufrieden sein, als besonderer Erfolg wäre das Ver- {3} trauen der Schriftleitung zu werten, die ihm in beiden Heften den Ehrenplatz einräumt. 4 Nun bin ich auf sein Buch 5 erst recht gespannt. Nebenbei: zu mir drängt die Kunde von weiteren zwei Büchern über meine Lebensarbeit, der Aberglaube verbietet mir, die Andeutung schon heute zu überschreiten.

Nun zum heiteren Teil: die „Bruckner-Anekdoten“ sind gewiß allerliebst, eigene sich auch dazu, auch Ihre verehrte Gattin in den Begriff: Bruckner einzuführen, sagen doch solche Anekdoten zuweilen mehr aus als seine Kompositionen. Eine neue Br.-Anekdote hörte ich in Reigersberg aus dem Munde des Wiener Universitätsprofessor H.[errn] von Liszt, 6 eines Neffen von Franz Liszt, diese aber erzähle ich mündlich. — Die Besprechung meiner {4} Brahms-Studie ist von besonderem Humor: der Rezensent bleibt trotz allen Notenköpfen, trotz auch dem Kommentar von Brahms u. mir in rassereinster 7 Sprache dabei, die Beispiele böten eine Aufstellung von „Fehlern“ (!) — ein würdiger Nachfolger des seligen Mandyczewsky , der trotz der eigenen, den Inhalt so deutlich aussprechende Betitelung von Brahms die Blätter als blos: „eine Sammlung interessanter Stellen“ auswies.

In der Saxophon-Notiz 8 ist jedes Wort Ein Pallenberg-Stich ins Zwerchfell. 9 Ich sage nichts weiter, Ihre eigenen Humordrüsen werden es schon „schaffen.“

Zu Hause habe ich noch besseres Material in der Mappe. Ich will aber vorsichtig sein u. es Ihnen lieber in die Hand geben.

Mit herzlichsten Grüßen an Sie u. Ihre verehrte Gattin von uns Beiden


Ihr
[signed:] H Schenker

© Transcription John Rothgeb and Heribert Esser, 2016



My dear Mr. van Hoboken! 1

Let me express my most heartfelt thanks to you for the nice letter, the extracts and the remittance! 2 Despite my timely notification to all post offices of each of my sojourns, of each change of location ‒ with the same accuracy as in a specification and explanation of 3-, 5- and all other linear progressions! ‒, it has come to pass that your letter from Zürich has not reached me! And because just this morning it happened that a letter to me arrived via a detour, although {2} since September 12 all other mail has come to me by the normal route, for safety's sake I prefer to use your Munich address. Who knows whether a mailing to The Hague would still reach you there; there is after all a Sunday intervening, and the "coming week" too is not without risk.

A word about my response, with which I want to express my thanks for and respond to your contribution of jocularity. First: the "Jonas"-offprints 3 are intended for you; Dr. Jonas sent me those in the middle of September with the request that I forward the offprints them to you. But because I did not know your address at the time, I decided to wait. We may be very gratified with Jonas's work; the {3} confidence of the editors, who accorded him the place of honor in both volumes, 4 would have to be counted as a special privilege. Now I am all the more eager to see his book. 5 Incidentally, the news now reaches me of two more books on my life's work; superstition constrains me from imparting already today more than a hint.

Now to the amusing part: the "Bruckner-anecdotes" are certainly charming, and are also suited to introduce your esteemed wife as well to the subject: Bruckner; such anecdotes, however, sometimes speak more than his compositions. I heard a new Bruckner-anecdote in Reigersberg related by University of Vienna professor Mr. von Liszt, 6 a nephew of Franz Liszt, but this I will tell you when we speak. The review of my {4} Brahms study provides special humor: the reviewer ‒ who, despite all evidence in the notes, despite too the commentary by Brahms and myself in most racially pure 7 language, remains convinced that the examples were supposed to provide a register of "errors" (!) ‒ a worthy successor to the late Mandycewski, who, despite Brahms's own, so clearly descriptive titling, characterized the pages as merely "a collection of interesting passages."

In the saxophone notice, 8 each word is a Pallenberg stab in the diaphragm. 9 I won't say more; you own humor-glands will soon "take care of it."

At home I have still better material in the file. But I want to be cautious and instead give it to you by hand.

With heartiest greeting to you and your esteemed wife from both of us,


Your
[signed:] H. Schenker

© Translation John Rothgeb and Heribert Esser, 2016



Mein Lieber Herr van Hoboken! 1

Meinen herzlichsten Dank sage ich Ihnen für den lieben Brief, die Ausschnitte u. die Anweisung 2 Trotzdem ich alle Postämter über meinen jederzeitigen Aufenthalt, über jeden Ortswechsel rechtzeitig verständige — mit der gleichen Genauigkeit wie bei einer Aufstellung u. Erläuterung von 3-, 5- u. sonstigen Zügen! ‒, ist es vorgekommen, daß mich Ihr Brief aus Zürich nicht erreicht hat! Und da sich gerade heute morgens herausgestellt hat, daß ein Brief an mich auf einen Umweg gekommen ist, obgleich {2} schon seit 12. 9 alle übrige Post mich auf normalem Weg erreicht mache ich der Vorsicht halber lieber von Ihrer Münchener Adresse Gebrauch. Wer weiß, ob eine Sendung nach Haag Sie dort noch anträfe, liegt doch auch ein Sonntag dazwischen u. die „kommende Woche“ ist auch nicht ohne Risiko.

Ein Wort zu meiner Gegensendung, mit der ich Ihre Heiterkeitsspende bedanken u. erwidern will. Zunächst: die „ Jonas “-Hefte 3 sind für Sie bestimmt, Dr. Jonas sandte sie mir Mitte September mit der Bitte, die Hefte sie Ihnen nachzuschicken, da ich aber damals Ihre Adresse nicht kannte, habe ich damit zu warten mich entschlossen. Wir dürfen mit Jonas ’ Arbeit sehr zufrieden sein, als besonderer Erfolg wäre das Ver- {3} trauen der Schriftleitung zu werten, die ihm in beiden Heften den Ehrenplatz einräumt. 4 Nun bin ich auf sein Buch 5 erst recht gespannt. Nebenbei: zu mir drängt die Kunde von weiteren zwei Büchern über meine Lebensarbeit, der Aberglaube verbietet mir, die Andeutung schon heute zu überschreiten.

Nun zum heiteren Teil: die „Bruckner-Anekdoten“ sind gewiß allerliebst, eigene sich auch dazu, auch Ihre verehrte Gattin in den Begriff: Bruckner einzuführen, sagen doch solche Anekdoten zuweilen mehr aus als seine Kompositionen. Eine neue Br.-Anekdote hörte ich in Reigersberg aus dem Munde des Wiener Universitätsprofessor H.[errn] von Liszt, 6 eines Neffen von Franz Liszt, diese aber erzähle ich mündlich. — Die Besprechung meiner {4} Brahms-Studie ist von besonderem Humor: der Rezensent bleibt trotz allen Notenköpfen, trotz auch dem Kommentar von Brahms u. mir in rassereinster 7 Sprache dabei, die Beispiele böten eine Aufstellung von „Fehlern“ (!) — ein würdiger Nachfolger des seligen Mandyczewsky , der trotz der eigenen, den Inhalt so deutlich aussprechende Betitelung von Brahms die Blätter als blos: „eine Sammlung interessanter Stellen“ auswies.

In der Saxophon-Notiz 8 ist jedes Wort Ein Pallenberg-Stich ins Zwerchfell. 9 Ich sage nichts weiter, Ihre eigenen Humordrüsen werden es schon „schaffen.“

Zu Hause habe ich noch besseres Material in der Mappe. Ich will aber vorsichtig sein u. es Ihnen lieber in die Hand geben.

Mit herzlichsten Grüßen an Sie u. Ihre verehrte Gattin von uns Beiden


Ihr
[signed:] H Schenker

© Transcription John Rothgeb and Heribert Esser, 2016



My dear Mr. van Hoboken! 1

Let me express my most heartfelt thanks to you for the nice letter, the extracts and the remittance! 2 Despite my timely notification to all post offices of each of my sojourns, of each change of location ‒ with the same accuracy as in a specification and explanation of 3-, 5- and all other linear progressions! ‒, it has come to pass that your letter from Zürich has not reached me! And because just this morning it happened that a letter to me arrived via a detour, although {2} since September 12 all other mail has come to me by the normal route, for safety's sake I prefer to use your Munich address. Who knows whether a mailing to The Hague would still reach you there; there is after all a Sunday intervening, and the "coming week" too is not without risk.

A word about my response, with which I want to express my thanks for and respond to your contribution of jocularity. First: the "Jonas"-offprints 3 are intended for you; Dr. Jonas sent me those in the middle of September with the request that I forward the offprints them to you. But because I did not know your address at the time, I decided to wait. We may be very gratified with Jonas's work; the {3} confidence of the editors, who accorded him the place of honor in both volumes, 4 would have to be counted as a special privilege. Now I am all the more eager to see his book. 5 Incidentally, the news now reaches me of two more books on my life's work; superstition constrains me from imparting already today more than a hint.

Now to the amusing part: the "Bruckner-anecdotes" are certainly charming, and are also suited to introduce your esteemed wife as well to the subject: Bruckner; such anecdotes, however, sometimes speak more than his compositions. I heard a new Bruckner-anecdote in Reigersberg related by University of Vienna professor Mr. von Liszt, 6 a nephew of Franz Liszt, but this I will tell you when we speak. The review of my {4} Brahms study provides special humor: the reviewer ‒ who, despite all evidence in the notes, despite too the commentary by Brahms and myself in most racially pure 7 language, remains convinced that the examples were supposed to provide a register of "errors" (!) ‒ a worthy successor to the late Mandycewski, who, despite Brahms's own, so clearly descriptive titling, characterized the pages as merely "a collection of interesting passages."

In the saxophone notice, 8 each word is a Pallenberg stab in the diaphragm. 9 I won't say more; you own humor-glands will soon "take care of it."

At home I have still better material in the file. But I want to be cautious and instead give it to you by hand.

With heartiest greeting to you and your esteemed wife from both of us,


Your
[signed:] H. Schenker

© Translation John Rothgeb and Heribert Esser, 2016

Footnotes

1 Editorial dating of this letter is based on the record in Schenker's diary at OJ 4/7, p. 3872, October 7, 1933: "An v. H. (Br.): Ausschnitte u. Dank; (die Sendung geht nach München); der Züricher Brief verloren gegangen?! Bemerkungen zu den Ausschnitten; als Drucksache die Jonas-Hefte." ("To Hoboken (letter): clippings, and thanks (the package is sent to Munich); has the Zurich letter gone missing?! Remarks on the clippings; as printed papers, the Jonas issues.").

2 Schenker's diary at OJ 4/7, p. 3872, October 7, 1933, records immediately before the entry for the present letter: "Von Hoboken durch die Rotterdamer Bank S. 1560." ("From Hoboken, via the Rotterdam Bank, 1,560 shillings.").

3 Jonas’s article "Heinrich Schenker," published in two successive issues of Allgemeine Musikzeitung LX (1933), 425‒27 and 437‒39.

4 Both instalments of Jonas’s essay were published as lead articles in the respective issues of Allgemeine Musikzeitung.

5 Das Wesen des musikalischen Kunstwerks (Vienna: Saturn-Verlag, 1934).

6 Eduard von Liszt.

7 A Nazi coinage, used ironically by Schenker.

8 One of the "extracts" referred to earlier in the first sentence.

9 Max Pallenberg (1877‒1934) was in his time a very famous comedic actor. Schenker certifies that in the Saxophone notice, each word is an irresistible stimulus for laughter comparable to a quip of Pallenbergs.