15. feber 33.

Mein lieber verehrter Meister, 1

ich habe Ihnen bereits für zwei Briefe zu danken; im ersten sandten Sie mir die Ankündigung und Selbstanzeige. 2 Was Vrieslander betrifft so habe ich nun die Lieder von ihm erhalten und habe ihm einen 12 Seiten langen Brief darüber geschrieben. 3 Ich muss gestehn, dass ich mich da nicht ganz Ihrer Meinung anschliessen kann; 4 so sehr ich Ihr Lob von Ihrem Standpunkt aus verstehe und wiewohl ich glaube[,] die technischen Vorzüge seiner Komposition erkannt zu haben, so fehlt darin doch etwas sehr Wesentliches und ich denke, dass das nicht blos eine Frage des „Geschmackes“ ist – doch möchte ich darüber mit Ihnen sprechen. Hoffentlich hat mir Vrieslander den Brief nicht übel genommen, er hätte der Ausführlichkeit mit der ich ihm schrieb entnehmen müssen, wie ernst und eingehend ich mich mit seinen Werken auseinandergesetzt habe. 5

Mr. Waldeck kommt nächsten Sonntag zu mir. Was Auslander angeht, so glaube ich, dass er noch eine gute Weile wird studieren müssen, ehe er an die Übersetzung irgendeines Ihrer Werke wird herantreten können. Auch habe ich einige Zweifel, ob er der deutschen Sprache so mächtig ist, um wirklich verstehen zu können, was Sie schreiben. {2} Doch über all das will ich später einmal ausführlicher schreiben. 6

Heute möchte ich Ihnen nur eine Mitteilung machen, die mir zu grosser Genugtuung gereicht. Aus beiliegender Ankündigung 7 entnehmen Sie, dass ich eine Serie von 12 Vorträgen über Sie begonnen habe: und wie ich mit aufrichtiger Freude gestehen darf: mit grösstem Erfolge. Ich habe etwas weniger als 90 Hörer, deren ich mich nun so weit vergewissert habe, dass sie mit mir durch dick und dünn gehen werden. Nach einem ersten Einleitungsvortrage, begann ich im zweiten sofort an Hand der Skizzen 8 mit dem Bach Cdurpräludium; der Erfolg und Eindruck war ungewöhnlich [,] ich erklärte die Skizze im Sinne des Titels meiner Vorträge: Recreation d.h. Wiedererschaffung, spielte dann und hatte zwei Pianisten am Grammophon zu zeugen, wie ahnungslos die Welt an dem vorbeigegangen ist, wofür Sie ihr buchstäblich die Ohren geöffnet haben. Ich bin sehr glücklich über diese Tatsache, um so mehr als lauter Musiker und Lehrer unter meiner Hörerschaft sind. Dass alle die Skizzen gekauft haben, wird auch zur Verbreitung der Lehre beitragen. 9

Ich lebe jetzt in arger Hetzjagd und bitte Sie zu entschuldigen, wenn ich so abrupt schliesse. Ich wollte nur nicht länger schweigen, werde aber bald ausführlich von mir hören lassen.


Ihnen beiden von uns alles Herzliche und Liebe!
Ihr
[signed:] H.

© Transcription William Drabkin, 2008



February 15, 1933

My dear, revered Master, 1

I must thank you immediately for two letters. In the first, you sent me the announcement and the self-declaration. 2 With regard to Vrieslander, I have now received the songs from him and have written him a twelve-page letter about them. 3 I must confess that I cannot align myself entirely to your opinion of them. 4 As much as I understand your praise, from your standpoint, and although I believe I have recognized the technical virtues of his composition, there is nevertheless something very important that is missing, and I do not think that this is a question of "taste" ‒ yet I would like to speak about it with you. I hope that Vrieslander did not take my letter badly; he ought to have gathered from the comprehensiveness with which I wrote to him how seriously and in what detail I studied his works. 5

Mr. Waldeck is coming to see me next Sunday. With regard to Auslander, I believe that he will still need to study for a good while before he can be contracted to prepare a translation of any of your works. I also have some doubts as to whether he is sufficiently competent in German that he truly understands what you write. {2} But about all this I shall write to you at some later date in greater detail. 6

Today I should like merely to transmit to you one piece of news, about which I take great pleasure. From the enclosed announcement 7 you will see that I have begun a series of twelve lectures about you, and I may be permitted to say, with honest pleasure, that they have had the greatest success. I have an audience of a little fewer than ninety, and I have taken them so far as to ensure that they will follow me through thick and thin. After a first, introductory lecture, I began the second immediately, with the sketches 8 to hand, with Bach's Prelude in C major. The success, and the impression made [by the analysis] was astonishing. I explained the sketch in terms of the title of my lectures, "Re-creation," i.e. creating [a piece of music] anew. I then played [the piece] and had recordings of two pianists that demonstrated how the world has ignorantly passed by the things for which you have opened their ears. I am very happy about this fact, all the more so as there are nothing but musicians and teachers in my audience. That all of them have purchased the sketches will also contribute to the dissemination of your theory. 9

I am now living in a terrible hustle and bustle, and ask your forgiveness for closing this letter so abruptly. I just did not want to remain silent any longer, but will write to you again, in greater detail.


To both of you, our most cordial and affectionate wishes!
Your
[signed:] H.

© Translation William Drabkin, 2008



15. feber 33.

Mein lieber verehrter Meister, 1

ich habe Ihnen bereits für zwei Briefe zu danken; im ersten sandten Sie mir die Ankündigung und Selbstanzeige. 2 Was Vrieslander betrifft so habe ich nun die Lieder von ihm erhalten und habe ihm einen 12 Seiten langen Brief darüber geschrieben. 3 Ich muss gestehn, dass ich mich da nicht ganz Ihrer Meinung anschliessen kann; 4 so sehr ich Ihr Lob von Ihrem Standpunkt aus verstehe und wiewohl ich glaube[,] die technischen Vorzüge seiner Komposition erkannt zu haben, so fehlt darin doch etwas sehr Wesentliches und ich denke, dass das nicht blos eine Frage des „Geschmackes“ ist – doch möchte ich darüber mit Ihnen sprechen. Hoffentlich hat mir Vrieslander den Brief nicht übel genommen, er hätte der Ausführlichkeit mit der ich ihm schrieb entnehmen müssen, wie ernst und eingehend ich mich mit seinen Werken auseinandergesetzt habe. 5

Mr. Waldeck kommt nächsten Sonntag zu mir. Was Auslander angeht, so glaube ich, dass er noch eine gute Weile wird studieren müssen, ehe er an die Übersetzung irgendeines Ihrer Werke wird herantreten können. Auch habe ich einige Zweifel, ob er der deutschen Sprache so mächtig ist, um wirklich verstehen zu können, was Sie schreiben. {2} Doch über all das will ich später einmal ausführlicher schreiben. 6

Heute möchte ich Ihnen nur eine Mitteilung machen, die mir zu grosser Genugtuung gereicht. Aus beiliegender Ankündigung 7 entnehmen Sie, dass ich eine Serie von 12 Vorträgen über Sie begonnen habe: und wie ich mit aufrichtiger Freude gestehen darf: mit grösstem Erfolge. Ich habe etwas weniger als 90 Hörer, deren ich mich nun so weit vergewissert habe, dass sie mit mir durch dick und dünn gehen werden. Nach einem ersten Einleitungsvortrage, begann ich im zweiten sofort an Hand der Skizzen 8 mit dem Bach Cdurpräludium; der Erfolg und Eindruck war ungewöhnlich [,] ich erklärte die Skizze im Sinne des Titels meiner Vorträge: Recreation d.h. Wiedererschaffung, spielte dann und hatte zwei Pianisten am Grammophon zu zeugen, wie ahnungslos die Welt an dem vorbeigegangen ist, wofür Sie ihr buchstäblich die Ohren geöffnet haben. Ich bin sehr glücklich über diese Tatsache, um so mehr als lauter Musiker und Lehrer unter meiner Hörerschaft sind. Dass alle die Skizzen gekauft haben, wird auch zur Verbreitung der Lehre beitragen. 9

Ich lebe jetzt in arger Hetzjagd und bitte Sie zu entschuldigen, wenn ich so abrupt schliesse. Ich wollte nur nicht länger schweigen, werde aber bald ausführlich von mir hören lassen.


Ihnen beiden von uns alles Herzliche und Liebe!
Ihr
[signed:] H.

© Transcription William Drabkin, 2008



February 15, 1933

My dear, revered Master, 1

I must thank you immediately for two letters. In the first, you sent me the announcement and the self-declaration. 2 With regard to Vrieslander, I have now received the songs from him and have written him a twelve-page letter about them. 3 I must confess that I cannot align myself entirely to your opinion of them. 4 As much as I understand your praise, from your standpoint, and although I believe I have recognized the technical virtues of his composition, there is nevertheless something very important that is missing, and I do not think that this is a question of "taste" ‒ yet I would like to speak about it with you. I hope that Vrieslander did not take my letter badly; he ought to have gathered from the comprehensiveness with which I wrote to him how seriously and in what detail I studied his works. 5

Mr. Waldeck is coming to see me next Sunday. With regard to Auslander, I believe that he will still need to study for a good while before he can be contracted to prepare a translation of any of your works. I also have some doubts as to whether he is sufficiently competent in German that he truly understands what you write. {2} But about all this I shall write to you at some later date in greater detail. 6

Today I should like merely to transmit to you one piece of news, about which I take great pleasure. From the enclosed announcement 7 you will see that I have begun a series of twelve lectures about you, and I may be permitted to say, with honest pleasure, that they have had the greatest success. I have an audience of a little fewer than ninety, and I have taken them so far as to ensure that they will follow me through thick and thin. After a first, introductory lecture, I began the second immediately, with the sketches 8 to hand, with Bach's Prelude in C major. The success, and the impression made [by the analysis] was astonishing. I explained the sketch in terms of the title of my lectures, "Re-creation," i.e. creating [a piece of music] anew. I then played [the piece] and had recordings of two pianists that demonstrated how the world has ignorantly passed by the things for which you have opened their ears. I am very happy about this fact, all the more so as there are nothing but musicians and teachers in my audience. That all of them have purchased the sketches will also contribute to the dissemination of your theory. 9

I am now living in a terrible hustle and bustle, and ask your forgiveness for closing this letter so abruptly. I just did not want to remain silent any longer, but will write to you again, in greater detail.


To both of you, our most cordial and affectionate wishes!
Your
[signed:] H.

© Translation William Drabkin, 2008

Footnotes

1 Receipt of this letter and its companion is recorded in Schenker's diary at OJ 4/6, p. 3814, February 24, 1933: "Von Weisse u. Frau (zwei Briefe u. eine Ankündigung): eine sehr erfreuliche Bewegung sei im Zuge, einträglich – für ihn!!" ("From Weisse and his wife (two letters, and an announcement): a very gratifying movement is in progress, which is profitable – for him!!"). — Schenker sent both letters to Ludwig Karpath, and reported their contents to Oppel, Kalmus and others in the next few days. This letter and OJ 15/16, [88] were written and sent on the same day. Weisse's use of "feber" in the date is Viennese dialect for "February"; he is probably using it self-consciously, as if to say that he is still at heart an Austrian.

2 The three most recent communications from Schenker to Weisse recorded in the diary are: OJ 4/6, p. 3799, December 22, 1932: "An Weisse (Br. u. „Kunstwart“): über den Stand: Waldeck, Marx, Brahms 8–8 u. 5–5; Jonas, Zuckerkandl; Furtwängler später; zur Beilage." ("To Weisse (letter and [the] Kunstwart [article]): concerning the situation with regard to Waldeck, Marx, Brahms's 8–8 and 5–5 ; Jonas, Zuckerkandl; Furtwängler later; concerning the 'enclosure'."); p. 3801, December 31, 1932: "sende die Probe an Weisse." ("I send the sample [translation by Waldeck] to Weisse."); p. 3808, January 28, 1933: "an Hans Weisse (Br.): über Marx–Kalmus; Kalmus–Vrieslander; über Auslanders Antrag u. meine Vorschläge an ihn; ein deutsch sprechender Amerikaner wäre als 4. Seminarist erwünscht." ("to Hans Weisse (letter): about Marx–Kalmus; Kalmus–Vrieslander; concerning Auslander's offer and my suggestions to him; it would be nice to have a German-speaking American as fourth member of the Seminar.").

3 In his letter of March 30, 1933 (OJ 15/16, [91]), Weisse describes this as "a fourteen-page letter." Vrieslander had mentioned this, in passing, in a letter to Schenker dated February 1, 1933 (OC 18/20): "From Dr Weisse I received a long letter of a highly idiosyncratic nature concerning my junk; to give an account of it would take up too much time and energy. With all respect for his personality: a strange holy man!"

4 Schenker's late essay, "Eine Anzeige und eine Selbstanzeige," Der Kunstwart , 46 (December 1932), 194-96, is in effect a review of songs by his former pupil Otto Vrieslander, published by Emil Grunert in Leipzig in the early 1930s. Schenker expressed himself very positively about these songs, both in personal communications and in this review.

5 No paragraph-break in original. The letter comprises a single paragraph.

6 No paragraph-break in original. The letter comprises a single paragraph.

7 Not preserved with this letter.

8 Weisse uses the word Skizze ("sketch") here and later in the paragraph to denote a voice-leading graph. In this context, Weisse is referring to a publication in which the C major Prelude is graphed: Fünf Urlinie-Tafeln/Five Analyses in Sketch-Form (New York: David Mannes School of Music; Vienna: Universal Edition, 1932).

9 No paragraph-break in original. The letter comprises a single paragraph.