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OC 18/23 - Typewritten letter from Josef Marx to Schenker, dated February 28, 1933
Sie werden mich schon für einen "Vergesslichen" oder gar "Ungetreuen" halten, weil ich so lange nichts von mir hören liess; es hatte seine Gründe. Ich wollte nicht brieflich vor Ihnen erscheinen, ohne nicht wenigstens einiges versucht zu haben, und Ihnen darüber Mitteilung zu machen. Vorerst möchte ich Ihnen aber für Ihre liebenswürdige Freundlichkeit danken, die ich bei meinem ersten Besuch in angenehmster Weise spüren konnte, und auch für die Sympathie, die ich als Echo meiner persönlichen Einstellung zu Ihnen auffasse, und der Hoffnung Ausdruck gebe, jene Echowirkung möge sich von Fall zu Fall verstärken! In Angelegenheit Ihres theoretischen Systems ist an der Akademie momentan wohl nicht viel durchzusetzen, ausser es wird irgendwas von oben dekretiert. Ich habe nicht die Leitung der Anstalt, man hört auch nicht gern auf mich, weil andere am Werk sind, die sich besser "verhalten" können als ich, auch (einige!) A-B-C- Schützen, wie Sie sich kürzlich witzig äusserten, sind nicht ganz leicht umzustimmen, wenn von der Kurrent-zur Lateinschrift übergegangen wird. Man hat so seine liebe Not. Immerhin habe ich die Aufnahme Ihres Namens als Autor wertvoller, im Unterricht zu berücksichtigender Werke im neuen Schulstatut veranlasst, und er wird sich auch dort finden, wenn er nicht bei der Sanktionierung im Unterrichtsministerium gestrichen wird, was aber kaum zu befürchten ist. So scheinen Sie wenigstens bereits namentlich im Amtsbetrieb auf; für unsere Zeit und obendrein Tradition, wo alles am liebsten hundert Jahre zu spät kommt, immerhin etwas! 2 {2} Die Vormerkung Violins für eine freiwerdende Lehrstelle an der Akademie habe ich auch durchsetzen können; leider ist dies bisher alles, was erreichbar war . . . Und dabei ist es natürlich noch immer fraglich, wie ein diesbezüglicher Antrag im Ministerium beurteilt wird, ab [sic] er durch geht oder abgelehnt wird. Auch mit Reitler habe ich gesprochen; aber leider hat er sich mit ihm einmal verstritten, und das wirkt sich auch jetzt noch irgendwie aus. Schade, dass er nicht nach dem Umsturz in Wien war, da wäre alles viel leichter gegangen. Under [sic] der Vorschlag Violins, nach Istanbul zu gehen, kann mit gutem Gewissen nicht unterstützt werden. Der Mann würde dort in der orientalischen Einsamkeit, bei schlechter Bezahlung und den völlig geänderten Lebensverhältnissen bestimmt in kürzester Zeit gemütskrank. So kann man nur hoffen, es lässt sich in absehbarer Zeit hier was für ihn tun. So, nun habe ich Ihre wertvolle Zeit genug in Anspruch genommen. Ich begrüsse Sie herzlichst, ebenso bitte ich meine ergebensten Empfehlungen der verehrten gnädigen Frau zu vermitteln. Werde mich besonders freuen, wenn ich Gelegenheit haben werde, Sie in nächster Zeit wieder aufzusuchen. © Transcription Ian Bent, 2013 |
You will by now be taking me for "forgetful" or even "unfaithful," because you have heard nothing from me for so long. There were reasons for that. I did not want to put anything in writing to you without having at least tried something and informing you about it. First of all, I should like to thank your gracious kindness, which I sensed on my first visit, and also for your understanding, which I take as an echo of my personal feeling toward you. It is my hope that this reciprocal effect may grow as time goes by! In the matter of your theoretical system, there is really not much that can be accomplished at the Academy, unless something is decreed from on high. I do not have control over the institution, nor does anybody want to listen to me because others are at work who know how to "behave" better than I; also [there are] (one or two!) A-B-C-sharpshooters, as you recently so wittily put it, who cannot be so easily persuaded if one switches from cursive to regular script. One has one's hands full with such people. For all that, I have advocated the inclusion of your name in the new school statute as the author of valuable works that should be taken account of in teaching, and it will appear there if it is not struck out by being sanctioned against in the Ministry of Education ‒ something that is not really to be feared. So you at least already figure by name in the official business. For our time – and, moreover, a tradition by which everything at best arrives a hundred years too late – something nevertheless! 2 {2} I have also succeeded in having Violin's name put down for a teaching position that is about to fall vacant at the Academy. Sadly, this is the best that could be achieved up to now . . . Of course, it is as always a matter for debate how this application will be judged at the Ministry ‒ whether it will go through or be denied. I have also spoken with Reitler; but unfortunately he once got into a row with him, and that may now work against him in some way. It's a pity he wasn't in Vienna after the overthrow ‒ that would have made things a lot easier. And Violin's suggestion of going to Istanbul can in good conscience not be supported. There, in oriental isolation, badly paid, and with radically changed living conditions, the fellow would be sure to become depressed in no time at all. We can only hope that in the foreseeable future something will be able to be worked out for him. Ah well! I have taken up enough of your precious time. I send you my most heartfelt greetings, and likewise ask you to remember me most cordially to your dear wife. I should be delighted if I were to have the opportunity of visiting in the near future. © Translation Ian Bent, 2013 |
Sie werden mich schon für einen "Vergesslichen" oder gar "Ungetreuen" halten, weil ich so lange nichts von mir hören liess; es hatte seine Gründe. Ich wollte nicht brieflich vor Ihnen erscheinen, ohne nicht wenigstens einiges versucht zu haben, und Ihnen darüber Mitteilung zu machen. Vorerst möchte ich Ihnen aber für Ihre liebenswürdige Freundlichkeit danken, die ich bei meinem ersten Besuch in angenehmster Weise spüren konnte, und auch für die Sympathie, die ich als Echo meiner persönlichen Einstellung zu Ihnen auffasse, und der Hoffnung Ausdruck gebe, jene Echowirkung möge sich von Fall zu Fall verstärken! In Angelegenheit Ihres theoretischen Systems ist an der Akademie momentan wohl nicht viel durchzusetzen, ausser es wird irgendwas von oben dekretiert. Ich habe nicht die Leitung der Anstalt, man hört auch nicht gern auf mich, weil andere am Werk sind, die sich besser "verhalten" können als ich, auch (einige!) A-B-C- Schützen, wie Sie sich kürzlich witzig äusserten, sind nicht ganz leicht umzustimmen, wenn von der Kurrent-zur Lateinschrift übergegangen wird. Man hat so seine liebe Not. Immerhin habe ich die Aufnahme Ihres Namens als Autor wertvoller, im Unterricht zu berücksichtigender Werke im neuen Schulstatut veranlasst, und er wird sich auch dort finden, wenn er nicht bei der Sanktionierung im Unterrichtsministerium gestrichen wird, was aber kaum zu befürchten ist. So scheinen Sie wenigstens bereits namentlich im Amtsbetrieb auf; für unsere Zeit und obendrein Tradition, wo alles am liebsten hundert Jahre zu spät kommt, immerhin etwas! 2 {2} Die Vormerkung Violins für eine freiwerdende Lehrstelle an der Akademie habe ich auch durchsetzen können; leider ist dies bisher alles, was erreichbar war . . . Und dabei ist es natürlich noch immer fraglich, wie ein diesbezüglicher Antrag im Ministerium beurteilt wird, ab [sic] er durch geht oder abgelehnt wird. Auch mit Reitler habe ich gesprochen; aber leider hat er sich mit ihm einmal verstritten, und das wirkt sich auch jetzt noch irgendwie aus. Schade, dass er nicht nach dem Umsturz in Wien war, da wäre alles viel leichter gegangen. Under [sic] der Vorschlag Violins, nach Istanbul zu gehen, kann mit gutem Gewissen nicht unterstützt werden. Der Mann würde dort in der orientalischen Einsamkeit, bei schlechter Bezahlung und den völlig geänderten Lebensverhältnissen bestimmt in kürzester Zeit gemütskrank. So kann man nur hoffen, es lässt sich in absehbarer Zeit hier was für ihn tun. So, nun habe ich Ihre wertvolle Zeit genug in Anspruch genommen. Ich begrüsse Sie herzlichst, ebenso bitte ich meine ergebensten Empfehlungen der verehrten gnädigen Frau zu vermitteln. Werde mich besonders freuen, wenn ich Gelegenheit haben werde, Sie in nächster Zeit wieder aufzusuchen. © Transcription Ian Bent, 2013 |
You will by now be taking me for "forgetful" or even "unfaithful," because you have heard nothing from me for so long. There were reasons for that. I did not want to put anything in writing to you without having at least tried something and informing you about it. First of all, I should like to thank your gracious kindness, which I sensed on my first visit, and also for your understanding, which I take as an echo of my personal feeling toward you. It is my hope that this reciprocal effect may grow as time goes by! In the matter of your theoretical system, there is really not much that can be accomplished at the Academy, unless something is decreed from on high. I do not have control over the institution, nor does anybody want to listen to me because others are at work who know how to "behave" better than I; also [there are] (one or two!) A-B-C-sharpshooters, as you recently so wittily put it, who cannot be so easily persuaded if one switches from cursive to regular script. One has one's hands full with such people. For all that, I have advocated the inclusion of your name in the new school statute as the author of valuable works that should be taken account of in teaching, and it will appear there if it is not struck out by being sanctioned against in the Ministry of Education ‒ something that is not really to be feared. So you at least already figure by name in the official business. For our time – and, moreover, a tradition by which everything at best arrives a hundred years too late – something nevertheless! 2 {2} I have also succeeded in having Violin's name put down for a teaching position that is about to fall vacant at the Academy. Sadly, this is the best that could be achieved up to now . . . Of course, it is as always a matter for debate how this application will be judged at the Ministry ‒ whether it will go through or be denied. I have also spoken with Reitler; but unfortunately he once got into a row with him, and that may now work against him in some way. It's a pity he wasn't in Vienna after the overthrow ‒ that would have made things a lot easier. And Violin's suggestion of going to Istanbul can in good conscience not be supported. There, in oriental isolation, badly paid, and with radically changed living conditions, the fellow would be sure to become depressed in no time at all. We can only hope that in the foreseeable future something will be able to be worked out for him. Ah well! I have taken up enough of your precious time. I send you my most heartfelt greetings, and likewise ask you to remember me most cordially to your dear wife. I should be delighted if I were to have the opportunity of visiting in the near future. © Translation Ian Bent, 2013 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary for February 28, 1933: “Von Marx (Br.): lang, sehr ergeben, verdächtig ergeben ‒ sucht er Stoff, Belehrung für sich u. seine Schüler? Will er mit Furtwängler zusammenkommen, um seine Orchestersachen anzubringen? Mein Name im „neuen Schulstatut“ vorgemerkt „wenigstens im Amtsbetrieb“ — Violin ebenfalls „vorgemerkt“ ‒ will wieder kommen” (“From Marx (letter): long, respectful, suspiciously respectful ‒ Is he after material and information for himself and his students? Will he get together with Furtwängler in order to have his orchestral works heard? My name put down in the ‘new school statute,’ ‘at least in the official business’ ‒ Violin likewise ‘put down’ ‒ will get back to me!”). 2 Schenker reported the gist of this paragraph in a letter to Anthony van Hoboken of March 22, 1933, OJ 89/6, [4]. In translation, it reads: “Court Counselor Marx has written me that my works are "designated" to be "teaching materials" in the curriculum of the Academy. He assured me of his commitment and again invited himself to visit me. The case is especially difficult: he seems to be a nice person, but he is too constantly on the lookout for material for the Neues Wiener Journal – everything he gleaned from the first visit promptly came out in the N.W.J., but dreadfully misunderstood – no pupil whether male or female, no visitor has ever stood so helpless at my piano. […] I must protect myself against Marx's trespassing on my property. I attach no importance to the "reservation": how could it ever be accomplished with a status quo ante?” |