22.
Telephonische Aufforderung der Frau Grueber zu Dodi , von ½3–4¼h. Im Laufe der langen Gespräche stellt sich heraus, daß sie schon etwa zwei Wochen lang vom Hause weg ist, teils in Geschäften in Wien, teils in Baden zu Besuch bei Tonschl war; dazu meinte Dodi, sich selbst ein wenig ironisierend: {798} „Wir sind halt Handelsjuden geworden.“ Der Handel scheint aber auch einträglich zu sein, was man aus der guten Laune entnehmen konnte u. auch aus den Boutons, 1 die Lie-Liechen für recht kostbar hält. Was den Besuch in Baden anlangt, so gestand sie unumwunden zu, daß es sich dabei um egoistische Zwecke handle, nämlich um die Erreichung einer passenden Stelle für Tonschl. Dieser Egoismus, den sie mehr als einmal sogar recht derb u. cynisch zum Ausdruck brachte, hat in mir die schmerzlichste Erinnerung geweckt; es ist derselbe Egoismus, dem Wilhelm sein Leben lang so schon viele Menschen zum Opfer brachte, doch ohne daß er durch die bereits eben mit deren Hilfe errungenen Vorteile doch einmal in die Lage gekommen wäre, auf solche Akte des Egoismus endlich verzichten zu können oder zumindest sich harter Urteile wider Andere zu enthalten, die vielleicht mit ähnliche Vorteile zu suchen mehr Bber eichtig tung, dennoch in Mittel u. Ziel bescheidener sind. Man muß nur bedenken, daß Tonschl ja keinerlei Fa fachmännische Vorbildung hat, die ihn befähigen könnte, eine halbwegs annehmbare höhere Stellung zu bekleiden – u. dennoch, welche Ansprüche! Mit welchem Einsatz von persönlichen Leistungen u. sogar auch auf welchem Verzicht auf Würde wird die Beziehung zu Mozio erkauft; wie sticht von dieser Haltung in Wort u. Tat sowohl der Dodi, als Wilhelms Urteil über Sophie u. ihre Kinder ab, die zweifellos mehr Recht hat, von ihren Kindern so viel Aufhebens zu machen. – Vorläufig steht die Sache nun so, daß sich Tonschl auf alle Weise um die Verpflegung des Hauses in Baden verdient macht, um sich Mozio zu verpflichten. Als weitere Kuriosa, die mehr zum Lachen reizen, m aögen erwähnt werden, daß Mozios Frau Antiquitäten sammelt, die Schwiegermutter ihre Beziehung zu einem Hofbeamten für legitim ausgibt, daß das Töchterchen dichtet usw. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß Dodi in einem stol- {799} zen Moment mit dem erworbenen Vermögen geprahlt u. gemeint hat, es reiche für die alten Tage vollkommen aus! Da ich nun annehme, daß sie eher zu wenig als zu viel gesagt hat, u. daß dasselbe auch bei den jüngsten Geschäften Tonschls zutrifft, so muß man die Zudringlichkeit u. den Mangel an Stolz umso schärfer verurteilen, jedenfalls nicht weniger, als sie selbst es verurteilen würden, wenn sie dasselbe bei anderen sähen. Unser Vater würde sich im Grabe umdrehen, würde er hören, daß ein kleines Studentchen in Waidhofen a. d. Thaya monatlich 300 Kronen verschlingt, ohne dabei recht weiter zu kommen. —© Transcription Marko Deisinger. |
22.
Telephone call from Mrs. Grueber to Dodi , from 2:30 to 4:15. In the course of the long talk, it emerges that she has already been away from home for over two weeks, partly on business in Vienna, partly in Baden on a visit to Tonschl; Dodi opines on that, somewhat self-ironically: {798} "We have become trading Jews." The trade though seems to be quite profitable, as one could gather from the good mood, and also from the boutons, 1 which Lie-Liechen considers to be fairly valuable. As regards the visit in Baden, she frankly admitted that it was a case of egotistical motives, namely to attain a suitable post for Tonschl. This egotism, which she has displayed quite crudely and cynically more than once, awakened in me the most painful reminiscence; it is the same egotism with which, all his life, Wilhelm made so many people fall victim to, although, with the advantages achieved through their help, [he] might have found himself in a position to renounce such acts of egotism once and for all, or at least to avoid harsh judgments of others, who would perhaps be more entitled to seek such advantages, while nevertheless being more modest in their methods and aims. One only has to consider that Tonschl, of course, does not have the slightest specialist pre-education, which might enable him to hold down a halfway acceptable higher position – and yet what presumptions! With what input in personal effort and even abandonment of self-respect has his relationship to Mozio been procured; how this attitude contrasts, in word and deed, with both Dodi's, as well as Wilhelm's judgment about Sophie and her children, she without a doubt having more right to make a fuss about her [own] offspring. – In the meantime, as the matter now stands, Tonschl has made himself useful in some way by looking after the house in Baden, in order to ingratiate himself with Mozio. As further oddities, which provoke more laughter, it might be mentioned that Mozio's wife collects antiques, the mother-in-law passes off her relationship with a court official as legitimate, and the little daughter writes poetry, etc.. Finally one should not [forget] to mention, that Dodi in a proud {799} moment was bragging about the acquired wealth, declaring it would fully suffice for his old age! Since I now presume that she rather said too little than too much, and that the same goes for Tonschl's most recent dealings, one must all the more sharply condemn their intrusiveness and lack of pride, at any rate no less than they themselves would judge it, if they discerned the same in others. Our father would be turning in his grave if he heard that a little student in Waidhofen a. d. Thaya is squandering 300 Kronen monthly, without making any progress at all. —© Translation Stephen Ferguson. |
22.
Telephonische Aufforderung der Frau Grueber zu Dodi , von ½3–4¼h. Im Laufe der langen Gespräche stellt sich heraus, daß sie schon etwa zwei Wochen lang vom Hause weg ist, teils in Geschäften in Wien, teils in Baden zu Besuch bei Tonschl war; dazu meinte Dodi, sich selbst ein wenig ironisierend: {798} „Wir sind halt Handelsjuden geworden.“ Der Handel scheint aber auch einträglich zu sein, was man aus der guten Laune entnehmen konnte u. auch aus den Boutons, 1 die Lie-Liechen für recht kostbar hält. Was den Besuch in Baden anlangt, so gestand sie unumwunden zu, daß es sich dabei um egoistische Zwecke handle, nämlich um die Erreichung einer passenden Stelle für Tonschl. Dieser Egoismus, den sie mehr als einmal sogar recht derb u. cynisch zum Ausdruck brachte, hat in mir die schmerzlichste Erinnerung geweckt; es ist derselbe Egoismus, dem Wilhelm sein Leben lang so schon viele Menschen zum Opfer brachte, doch ohne daß er durch die bereits eben mit deren Hilfe errungenen Vorteile doch einmal in die Lage gekommen wäre, auf solche Akte des Egoismus endlich verzichten zu können oder zumindest sich harter Urteile wider Andere zu enthalten, die vielleicht mit ähnliche Vorteile zu suchen mehr Bber eichtig tung, dennoch in Mittel u. Ziel bescheidener sind. Man muß nur bedenken, daß Tonschl ja keinerlei Fa fachmännische Vorbildung hat, die ihn befähigen könnte, eine halbwegs annehmbare höhere Stellung zu bekleiden – u. dennoch, welche Ansprüche! Mit welchem Einsatz von persönlichen Leistungen u. sogar auch auf welchem Verzicht auf Würde wird die Beziehung zu Mozio erkauft; wie sticht von dieser Haltung in Wort u. Tat sowohl der Dodi, als Wilhelms Urteil über Sophie u. ihre Kinder ab, die zweifellos mehr Recht hat, von ihren Kindern so viel Aufhebens zu machen. – Vorläufig steht die Sache nun so, daß sich Tonschl auf alle Weise um die Verpflegung des Hauses in Baden verdient macht, um sich Mozio zu verpflichten. Als weitere Kuriosa, die mehr zum Lachen reizen, m aögen erwähnt werden, daß Mozios Frau Antiquitäten sammelt, die Schwiegermutter ihre Beziehung zu einem Hofbeamten für legitim ausgibt, daß das Töchterchen dichtet usw. Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß Dodi in einem stol- {799} zen Moment mit dem erworbenen Vermögen geprahlt u. gemeint hat, es reiche für die alten Tage vollkommen aus! Da ich nun annehme, daß sie eher zu wenig als zu viel gesagt hat, u. daß dasselbe auch bei den jüngsten Geschäften Tonschls zutrifft, so muß man die Zudringlichkeit u. den Mangel an Stolz umso schärfer verurteilen, jedenfalls nicht weniger, als sie selbst es verurteilen würden, wenn sie dasselbe bei anderen sähen. Unser Vater würde sich im Grabe umdrehen, würde er hören, daß ein kleines Studentchen in Waidhofen a. d. Thaya monatlich 300 Kronen verschlingt, ohne dabei recht weiter zu kommen. —© Transcription Marko Deisinger. |
22.
Telephone call from Mrs. Grueber to Dodi , from 2:30 to 4:15. In the course of the long talk, it emerges that she has already been away from home for over two weeks, partly on business in Vienna, partly in Baden on a visit to Tonschl; Dodi opines on that, somewhat self-ironically: {798} "We have become trading Jews." The trade though seems to be quite profitable, as one could gather from the good mood, and also from the boutons, 1 which Lie-Liechen considers to be fairly valuable. As regards the visit in Baden, she frankly admitted that it was a case of egotistical motives, namely to attain a suitable post for Tonschl. This egotism, which she has displayed quite crudely and cynically more than once, awakened in me the most painful reminiscence; it is the same egotism with which, all his life, Wilhelm made so many people fall victim to, although, with the advantages achieved through their help, [he] might have found himself in a position to renounce such acts of egotism once and for all, or at least to avoid harsh judgments of others, who would perhaps be more entitled to seek such advantages, while nevertheless being more modest in their methods and aims. One only has to consider that Tonschl, of course, does not have the slightest specialist pre-education, which might enable him to hold down a halfway acceptable higher position – and yet what presumptions! With what input in personal effort and even abandonment of self-respect has his relationship to Mozio been procured; how this attitude contrasts, in word and deed, with both Dodi's, as well as Wilhelm's judgment about Sophie and her children, she without a doubt having more right to make a fuss about her [own] offspring. – In the meantime, as the matter now stands, Tonschl has made himself useful in some way by looking after the house in Baden, in order to ingratiate himself with Mozio. As further oddities, which provoke more laughter, it might be mentioned that Mozio's wife collects antiques, the mother-in-law passes off her relationship with a court official as legitimate, and the little daughter writes poetry, etc.. Finally one should not [forget] to mention, that Dodi in a proud {799} moment was bragging about the acquired wealth, declaring it would fully suffice for his old age! Since I now presume that she rather said too little than too much, and that the same goes for Tonschl's most recent dealings, one must all the more sharply condemn their intrusiveness and lack of pride, at any rate no less than they themselves would judge it, if they discerned the same in others. Our father would be turning in his grave if he heard that a little student in Waidhofen a. d. Thaya is squandering 300 Kronen monthly, without making any progress at all. —© Translation Stephen Ferguson. |
Footnotes1 "Bouton": jewelled button worn in the ear; a diamond pendant. |