16. VII. 17
Nebel, Wolken, Berggipfel unsichtbar; zuweilen auch ein wenig Regen, hin u. wieder aber auch ein völlig freier Blick. — Von Wilhelm Paket mit Schuhen u. ein Dtz. paar [sic] Socken; in dem beiliegenden Brief nennt Dodi den Preis der Schuhe, 54 Kronen, erklärt den Tausch des Garnes u. erzählt so manches andere; so z. B. wird über Hans Klage geführt, der mit expreß-Briefen zur Last fällt, wobei er, wie sie meint, immer wieder etwas anderes erbittet. Von der lieben Mutter berichtet sie, daß sie sich gerne bei ihr in der Küche aufhalte. Linschel sei nach Baden gefahren, wo sie von Mozios Schwiegermuttereingeladen wurde. Tonschl habe Moz. bereitszweimal gesprochen. — ½11–12h Spaziergang Richtung Scharnitz; leider starker Aerger über den Brief, sowie über die Meldungen aus Deutschland; gerade da wir zuhause anlangen, fällt Regen ein. — Zu mittag [sic] kein Brot! Die Wirtin läßt sich damit entschuldigen, daß die Bäckerei kein Mehl erhielt. — bei [recte Bei] zwar drohendem Regen ½5–¼6h kleine Schleife Hermanstal-Straße – u. wieder doch setzt das Gewitter mit schwerem Regen ein, da bis wir glücklicherweise die Schwelle des Hauses betraten; nun ballen sich alle Wolken zusammen u. ergießen sich in Strömmen Strömen über die ganze weite Landschaft; erst gegen 9h hört der Regen auf. — Sozialdemokratie: der „ Arbeiter Ztg.; “ gelten die Herren Lamasch u. Brentano wohl blos deshalb als Professoren, weil sie in ihren {718} Zeitungen schreiben, in einem ihnen angehörenden Gedankenkreis; all die andern Professoren dagegen sind ihnen eben blos nur Professoren mit jenem verächtlichen Beigeschmack, den leider ein Zeitungsjunge sich leider allezeit gegenüber einem Fachmann herauszunehmen erdreistet. — — — Bethman-Hollweg tritt ab, Dr. Michaelis sein Nachfolger! 1 Die Pressewirft sich in Gönnerpositur! Auffallend ist nur, daß die meisten Zeitung[s]stimmen, obgleich sie bis gestern die Hetze am wütendsten insceniert haben, nun plötzlich von geheimnisvollen Persönlichkeiten munkeln, die B.-H. gestürzt haben sollten, ! als wären Sie [recte sie] selbst, die Zeitungen waren gar nicht dabei gewesen – so wenigstens stellen sie es heute nach dem Sturze hin. — Hindenburg u. Ludendorff besprechen sich mit den Führern der Parteien, 2 – welche Herabwürdigung! als ob denn je z. B. vor Tannenberg 3 oder in Flandern diese beiden Heerführer sich sonst umgekehrt des Rates der Parteien bedient hätten. Was haben Heerführer u. Partei miteinander zu tun? Man sieht: nur das Geniewaltet der Taten, die Parteien u. das Volk dagegen verbrauchen sich nur eben in Wünschen, Worten, Kapriolen, Grimassen u. sonstigen Exzessen. Und zu dem diesem ungezogenen, unerziehbaren Bengel von einem Kinde müssen oft schönste Ideen u. schönste Taten, die der menschliche Geist auf seinem Weg zum Schöpfer ersinnt u. schafft, fruchtlos zum Opfer fallen. — An Wilhelm (Br.): Dank für Sendung u. Zusicherung des Butterschmalzes; gebe meiner Freude Ausdruck, daß Tonschl Mozio sprechen konnte, erkläre mein Interesse an Moz. Besuch in K. als ein ethisches, obendrein von Wert für Moz. selbst u. schließe diesen Passus damit: vielleicht hat eher Tonschl mehr Glück damit! Wegen Hans bemerke ich, dem ungerechten Angriff parierend, daß Wandlungen in seinen Briefen möglicherweise von verschiedenen Auskünften herrühren können u. führe zum Beweis das Hin- u. Hergeworfensein meiner Schüler an. Dodi danke ich dafür, daß sie die Mutter bei sich in der Küche sitzen läßt. — An Sophie (K.): Warnung vor überflüssigen Illusionen; deute an, daß man es in K. vielleicht wirklich nicht versteht, vielleicht gar nicht verstehen will oder wirklich zu schwach ist, um Hilfe leisten zu können; Adresse von Hans noch einmal erbeten. —© Transcription Marko Deisinger. |
July 16, 1917.
Mist, clouds; mountain peaks invisible; at times a little rain, but now and then also a completely clear view. — From Wilhelm, a package with shoes and a dozen pairs of socks; in the accompanying letter, Dodi gives the price of the shoes (54 Kronen), explains the exchange of the yarn, and talks about much else; thus for example Hans is berated for sending express letters in which, she says, he is always asking for something else. About my dear mother, she tells me that she likes to spend time with her in the kitchen. Linscherl went to Baden, having been invited there by Mozio's stepmother. Tonschl has already spoken twice with Mozio . — From 10:30 to 12, a walk in the direction of Scharnitz; unfortunately a great deal of fretting over the letter, as well as the reports from Germany; just as we arrive home, it starts to rain. — At midday, no bread! The landlady apologizes, saying that the bakery did not receive any flour. — In spite of the threat of rain, from 4:30 to 5:15 a short stroll along the road to Hermannstal – however, a storm with heavy rain sets in as soon as we – luckily – reach the threshold of the house; now all the clouds come together and pour in torrents over the entire broad landscape; the rain does not stop until towards 9 o'clock. — Social democracy. The Arbeiter-Zeitung regard Messrs. Lamasch and Brentano as professors merely because they write in their newspapers, {718} in a range of ideas to which they subscribe. All the other professors, on the other hand, they regard as merely professors, with that contemptible connotation that a cub reporter unfortunately presumes at all times to deploy in front of a professional. — — Bethmann-Hollweg resigns, Dr. Michaelis is his successor! 1 The press throws itself into the pose of benefactor! What is striking is, simply, that the majority of newspaper opinions, although they had until yesterday been staging their agitation most furiously, are suddenly now issuing rumors about secret personalities that were supposed to have toppled Bethmann-Hollweg – as if they themselves did not take part in it – at least that is how they are portraying it today, after the fall. — Hindenburg and Ludendorff confer with the leaders of the parties 2 – what a degradation! – as if these two military leaders would ever have availed themselves of the advice of political parties, for example, before Tannenberg 3 or in Flanders. What do military leaders and political parties have to do with one another? One can see: only a genius accomplishes his deeds; parties and people, on the other hand, exhaust themselves in wishes, words, pranks, grimaces, and other excesses. And to this unruly, uneducable rascal of a child, often the most beautiful ideas and most beautiful deeds that a human intellect has conceived and created along the path to his Creator must fall victim, unfulfilled. — Letter to Wilhelm: thanks for the package, and for the promise of butterfat; I express my joy that Tonschl was able to speak to Mozio, express my interest in Mozio's visit to Kautzen as an ethical act, moreover one of value for Mozio himself; and I conclude this passage by saying that Tonschl has perhaps had better luck in that respect! With regard to Hans I observe, in defense of an unfair assault, that vicissitudes in his letters may possibly derive from a variety of pieces of information; and I give as evidence the fact that my pupils have been buffeted about. I thank Dodi for letting our mother sit in the kitchen with her. — Postcard to Sophie: warning about unnecessary illusions; I suggest that in Kautzen one may not truly understand, perhaps not even want to understand, or that one is really too weak to give help; Hans's address requested once again. —© Translation William Drabkin. |
16. VII. 17
Nebel, Wolken, Berggipfel unsichtbar; zuweilen auch ein wenig Regen, hin u. wieder aber auch ein völlig freier Blick. — Von Wilhelm Paket mit Schuhen u. ein Dtz. paar [sic] Socken; in dem beiliegenden Brief nennt Dodi den Preis der Schuhe, 54 Kronen, erklärt den Tausch des Garnes u. erzählt so manches andere; so z. B. wird über Hans Klage geführt, der mit expreß-Briefen zur Last fällt, wobei er, wie sie meint, immer wieder etwas anderes erbittet. Von der lieben Mutter berichtet sie, daß sie sich gerne bei ihr in der Küche aufhalte. Linschel sei nach Baden gefahren, wo sie von Mozios Schwiegermuttereingeladen wurde. Tonschl habe Moz. bereitszweimal gesprochen. — ½11–12h Spaziergang Richtung Scharnitz; leider starker Aerger über den Brief, sowie über die Meldungen aus Deutschland; gerade da wir zuhause anlangen, fällt Regen ein. — Zu mittag [sic] kein Brot! Die Wirtin läßt sich damit entschuldigen, daß die Bäckerei kein Mehl erhielt. — bei [recte Bei] zwar drohendem Regen ½5–¼6h kleine Schleife Hermanstal-Straße – u. wieder doch setzt das Gewitter mit schwerem Regen ein, da bis wir glücklicherweise die Schwelle des Hauses betraten; nun ballen sich alle Wolken zusammen u. ergießen sich in Strömmen Strömen über die ganze weite Landschaft; erst gegen 9h hört der Regen auf. — Sozialdemokratie: der „ Arbeiter Ztg.; “ gelten die Herren Lamasch u. Brentano wohl blos deshalb als Professoren, weil sie in ihren {718} Zeitungen schreiben, in einem ihnen angehörenden Gedankenkreis; all die andern Professoren dagegen sind ihnen eben blos nur Professoren mit jenem verächtlichen Beigeschmack, den leider ein Zeitungsjunge sich leider allezeit gegenüber einem Fachmann herauszunehmen erdreistet. — — — Bethman-Hollweg tritt ab, Dr. Michaelis sein Nachfolger! 1 Die Pressewirft sich in Gönnerpositur! Auffallend ist nur, daß die meisten Zeitung[s]stimmen, obgleich sie bis gestern die Hetze am wütendsten insceniert haben, nun plötzlich von geheimnisvollen Persönlichkeiten munkeln, die B.-H. gestürzt haben sollten, ! als wären Sie [recte sie] selbst, die Zeitungen waren gar nicht dabei gewesen – so wenigstens stellen sie es heute nach dem Sturze hin. — Hindenburg u. Ludendorff besprechen sich mit den Führern der Parteien, 2 – welche Herabwürdigung! als ob denn je z. B. vor Tannenberg 3 oder in Flandern diese beiden Heerführer sich sonst umgekehrt des Rates der Parteien bedient hätten. Was haben Heerführer u. Partei miteinander zu tun? Man sieht: nur das Geniewaltet der Taten, die Parteien u. das Volk dagegen verbrauchen sich nur eben in Wünschen, Worten, Kapriolen, Grimassen u. sonstigen Exzessen. Und zu dem diesem ungezogenen, unerziehbaren Bengel von einem Kinde müssen oft schönste Ideen u. schönste Taten, die der menschliche Geist auf seinem Weg zum Schöpfer ersinnt u. schafft, fruchtlos zum Opfer fallen. — An Wilhelm (Br.): Dank für Sendung u. Zusicherung des Butterschmalzes; gebe meiner Freude Ausdruck, daß Tonschl Mozio sprechen konnte, erkläre mein Interesse an Moz. Besuch in K. als ein ethisches, obendrein von Wert für Moz. selbst u. schließe diesen Passus damit: vielleicht hat eher Tonschl mehr Glück damit! Wegen Hans bemerke ich, dem ungerechten Angriff parierend, daß Wandlungen in seinen Briefen möglicherweise von verschiedenen Auskünften herrühren können u. führe zum Beweis das Hin- u. Hergeworfensein meiner Schüler an. Dodi danke ich dafür, daß sie die Mutter bei sich in der Küche sitzen läßt. — An Sophie (K.): Warnung vor überflüssigen Illusionen; deute an, daß man es in K. vielleicht wirklich nicht versteht, vielleicht gar nicht verstehen will oder wirklich zu schwach ist, um Hilfe leisten zu können; Adresse von Hans noch einmal erbeten. —© Transcription Marko Deisinger. |
July 16, 1917.
Mist, clouds; mountain peaks invisible; at times a little rain, but now and then also a completely clear view. — From Wilhelm, a package with shoes and a dozen pairs of socks; in the accompanying letter, Dodi gives the price of the shoes (54 Kronen), explains the exchange of the yarn, and talks about much else; thus for example Hans is berated for sending express letters in which, she says, he is always asking for something else. About my dear mother, she tells me that she likes to spend time with her in the kitchen. Linscherl went to Baden, having been invited there by Mozio's stepmother. Tonschl has already spoken twice with Mozio . — From 10:30 to 12, a walk in the direction of Scharnitz; unfortunately a great deal of fretting over the letter, as well as the reports from Germany; just as we arrive home, it starts to rain. — At midday, no bread! The landlady apologizes, saying that the bakery did not receive any flour. — In spite of the threat of rain, from 4:30 to 5:15 a short stroll along the road to Hermannstal – however, a storm with heavy rain sets in as soon as we – luckily – reach the threshold of the house; now all the clouds come together and pour in torrents over the entire broad landscape; the rain does not stop until towards 9 o'clock. — Social democracy. The Arbeiter-Zeitung regard Messrs. Lamasch and Brentano as professors merely because they write in their newspapers, {718} in a range of ideas to which they subscribe. All the other professors, on the other hand, they regard as merely professors, with that contemptible connotation that a cub reporter unfortunately presumes at all times to deploy in front of a professional. — — Bethmann-Hollweg resigns, Dr. Michaelis is his successor! 1 The press throws itself into the pose of benefactor! What is striking is, simply, that the majority of newspaper opinions, although they had until yesterday been staging their agitation most furiously, are suddenly now issuing rumors about secret personalities that were supposed to have toppled Bethmann-Hollweg – as if they themselves did not take part in it – at least that is how they are portraying it today, after the fall. — Hindenburg and Ludendorff confer with the leaders of the parties 2 – what a degradation! – as if these two military leaders would ever have availed themselves of the advice of political parties, for example, before Tannenberg 3 or in Flanders. What do military leaders and political parties have to do with one another? One can see: only a genius accomplishes his deeds; parties and people, on the other hand, exhaust themselves in wishes, words, pranks, grimaces, and other excesses. And to this unruly, uneducable rascal of a child, often the most beautiful ideas and most beautiful deeds that a human intellect has conceived and created along the path to his Creator must fall victim, unfulfilled. — Letter to Wilhelm: thanks for the package, and for the promise of butterfat; I express my joy that Tonschl was able to speak to Mozio, express my interest in Mozio's visit to Kautzen as an ethical act, moreover one of value for Mozio himself; and I conclude this passage by saying that Tonschl has perhaps had better luck in that respect! With regard to Hans I observe, in defense of an unfair assault, that vicissitudes in his letters may possibly derive from a variety of pieces of information; and I give as evidence the fact that my pupils have been buffeted about. I thank Dodi for letting our mother sit in the kitchen with her. — Postcard to Sophie: warning about unnecessary illusions; I suggest that in Kautzen one may not truly understand, perhaps not even want to understand, or that one is really too weak to give help; Hans's address requested once again. —© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Reichskanzler Michaelis," Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, No. 193, July 15, 1917, 61st year, first morning edition, p. 1. "Der neue Reichskanzler," Neues Wiener Journal, No. 8515, July 15, 1917, 25th year, p. 1. "Der Kanzlerwechsel," Neue Freie Presse, No. 19000, July 15, 1917, morning edition, p. 1. 2 "Die Parteiführer bei Hindenburg und Ludendorff," Neue Freie Presse, No. 18999, July 14, 1917, morning edition, p. 2. 3 The Battle of Tannenberg in the last week of August 1914 resulted in the almost complete destruction of the Russian Second Army and the suicide of its commanding general, Alexander Samsonov. It brought high prestige to Field Marshal Paul von Hindenburg and his rising staff-officer Erich Ludendorff. Although the battle actually took place near Allenstein (Olsztyn), Hindenburg named it after Tannenberg, 30 km to the west, in order to avenge the defeat of the Teutonic Knights 500 years earlier at the Battle of Grunwald, which was always known as the Battle of Tannenberg in German. |