12. III. 17
Von Dahms (Br.OJ 10/1, [26]): in jammervollem Ton, Arbeitsunlust! Nur eine Hoffnung: Wien. — Dr. Friedmann Br.OC 1/B, 19-20 recomm. abgeschickt. — An Mama (K.): fragen wieder nach Befinden u. erwähnen dessen, was uns> [illeg] Sophie bezüglich Mozios mitgeteilt. — An Frau Bednař (K.): Lie-Liechen fragt nach dem Befinden des Hauptmannes, klagt auch über fehlende Antwort aus Kautzen. — An Roth (Br.): begrüße die Idee der Klavierwerke von Händel u. rege eine Studie über Brahms–Händel an, 1 wobei {618} ich des Stipendiums Erwähnung mache. — An Dahms (Br.): erwähne des Stipendiums als eines eventuellen Beitrags zum Aufenthalt in Wien oder auch in Berlin. — „Wem Gott [den] Verstand gibt, dem sollen wir ein Amt geben“ (Morgen) 2 wäre geistreich, wenn es nur wahr wäre. Denn leider kommt Gottes Intervention nicht nur bei demjenigen in Frage, der gewählt werden soll, sondern in ebensolchem Maße auch bei den Menschen, die wählen sollen. eEntstehen doch Reibungen u. Katastrophen in der menschlichen Gesellschaft Nnur eben darum, weil denjenigen, die zu wählen haben, die Befähigung abgeht, den gottbegnadeten Menschen zu erkennen! — Der Angelsachse will seine Herrenvolksgesinnung auch schon als „ Idealismus “ betrachtet wissen; selbstverständlich ist die von der subjektiven Seite, aber unerfindlich bleibt es, weshalb der vom Herrentum betroffene dem „Herrn“ in diese Lüge folgen sollte. — Bei Dr. Frühmann ; Lie-Liechen leichte Ischiasreizung; verordnet Bäder, auch größere Spaziergänge. — Von Sophie Paket mit Brot, ½ kg Butter, Hirse, etwas weiße sm Mehl; im beiliegenden Brief sagt sie Café u. Milch zu. — „Erkenne Dich selbst“ gilt wohl auch vom [recte für den] Staat; erklärt dieser, er sei mit „ Ordnung “ identisch, so muß müßte er sich immer wieder fragen, welche Ordnung meine ich aber zur Stunde? Vorläufig ist es leider nur erst so, daß der Staat unter Ordnung nur eine diejenige eine solche der Reichen versteht, die aber scilicet eine Unordnung der Armen einschließt. , Vorläufig ist es u. ferner so, daß er als Stütze des Staates den Kaufmann versteht, so daß er diesem zuliebe beinahe ausschließlich für den Handel lebt, obgleich durchaus nicht umgekehrt der Handel ausschließlich für ihn[,] den Staat[,] lebt, sondern in viel stärkerem Maße doch nur für sich selbst. Grotesk ist es nun zu sehen, wie aus Gründen der Ordnung der Staat jeweils vermeidet, eben diese Ordnung zu verbessern. Obgleich er Mittel des Zwanges hat. Fehlt nun aber ihm selbst, dem Staat, die moralische Selbstzucht, wie kann u. darf er sie dann überhaupt von dem einzelnen Bürger fordern? Wie sollte dieser sozialer sein können, als es der Staat ist, selbst im Augen- {619} blick höchster Lebensgefahr? — Kriegsgewinner [sic] kaufen im Ausland Schmuck um hohes Geld beim Feind, tragen also Geld zum diesem Feind , stellen dennoch aber im eigenen Vaterland, trotz offenbarem Hochverrat, die sogenannte Macht vor. —© Transcription Marko Deisinger. |
March 12, 1917.
LetterOJ 10/1, [26] from Dahms : in a wretched mood, disinclination to work! Only one hope: Vienna. — Registered letterOC 1/B, 19-20 to Dr. Friedmann sent off. — Postcard to Mama: we ask again how she was feeling and mention what Sophie has told us with regard to Mozio. — Postcard to Mrs. Bednař: Lie-Liechen asks about the captain's health, also complains about a lack of response from Kautzen. — Letter to Roth : I welcome the idea of an edition of the keyboard works of Handel and encourage him to write a study of Brahms–Handel, 1 {618} making mention of the stipend. — Letter to Dahms : I mention the stipend as a possible contribution to a stay in Vienna or even in Berlin. — "To whom God gave reason, to him we should give an office" ( Der Morgen ); 2 this would be a brilliant thought if only it were true. For unfortunately God's intervention applies not only to those who should be chosen but also, in the same measure, to the people who should choose. Frictions and catastrophes in human society arise only because those who are to choose lack the capacity to recognize the persons who are blessed by God! — The Anglo-Saxon would like to see his idea of master race even as "idealism." This is self-evident when considered subjectively; but it remains incomprehensible why those affected by master–ness should follow the "master" into this lie. — At Dr. Frühmann's; Lie-Liechen [is afflicted by a] mild irritation of the sciatic nerve; he prescribes baths and longer walks. — From Sophie, a package with bread, half a kilogram of butter, millet, some white flour; in the enclosed letter she promises coffee and milk. — "Know thyself" surely applies also to the state; if the state claims that it is identical with "order," then it would always have to ask: "which order do I mean at the moment?" At present it is still the case, unfortunately, that the state understands "order" as that of the rich, which tacitly embraces an un-order of the poor, and moreover that it understands the businessman as underpinning the state, so that it lives almost exclusively for trade, although the opposite is by no means true: trade does not exist exclusively for the state, but in a much stronger sense only for itself. It is thus grotesque to see now how the state, for reasons of order, always avoids improving this very order – even though it has the means to compel. But now if the state itself is lacking in moral self-interest, how can it, how may it, demand this from its individual citizens? How are the latter supposed to be more social than the state is, even at the moment of greatest danger to life? {619} — War profiteers buy jewelry abroad for high prices; thus they bring money to the enemy but represent so-called power in their own fatherland in spite of manifest high treason. —© Translation William Drabkin. |
12. III. 17
Von Dahms (Br.OJ 10/1, [26]): in jammervollem Ton, Arbeitsunlust! Nur eine Hoffnung: Wien. — Dr. Friedmann Br.OC 1/B, 19-20 recomm. abgeschickt. — An Mama (K.): fragen wieder nach Befinden u. erwähnen dessen, was uns> [illeg] Sophie bezüglich Mozios mitgeteilt. — An Frau Bednař (K.): Lie-Liechen fragt nach dem Befinden des Hauptmannes, klagt auch über fehlende Antwort aus Kautzen. — An Roth (Br.): begrüße die Idee der Klavierwerke von Händel u. rege eine Studie über Brahms–Händel an, 1 wobei {618} ich des Stipendiums Erwähnung mache. — An Dahms (Br.): erwähne des Stipendiums als eines eventuellen Beitrags zum Aufenthalt in Wien oder auch in Berlin. — „Wem Gott [den] Verstand gibt, dem sollen wir ein Amt geben“ (Morgen) 2 wäre geistreich, wenn es nur wahr wäre. Denn leider kommt Gottes Intervention nicht nur bei demjenigen in Frage, der gewählt werden soll, sondern in ebensolchem Maße auch bei den Menschen, die wählen sollen. eEntstehen doch Reibungen u. Katastrophen in der menschlichen Gesellschaft Nnur eben darum, weil denjenigen, die zu wählen haben, die Befähigung abgeht, den gottbegnadeten Menschen zu erkennen! — Der Angelsachse will seine Herrenvolksgesinnung auch schon als „ Idealismus “ betrachtet wissen; selbstverständlich ist die von der subjektiven Seite, aber unerfindlich bleibt es, weshalb der vom Herrentum betroffene dem „Herrn“ in diese Lüge folgen sollte. — Bei Dr. Frühmann ; Lie-Liechen leichte Ischiasreizung; verordnet Bäder, auch größere Spaziergänge. — Von Sophie Paket mit Brot, ½ kg Butter, Hirse, etwas weiße sm Mehl; im beiliegenden Brief sagt sie Café u. Milch zu. — „Erkenne Dich selbst“ gilt wohl auch vom [recte für den] Staat; erklärt dieser, er sei mit „ Ordnung “ identisch, so muß müßte er sich immer wieder fragen, welche Ordnung meine ich aber zur Stunde? Vorläufig ist es leider nur erst so, daß der Staat unter Ordnung nur eine diejenige eine solche der Reichen versteht, die aber scilicet eine Unordnung der Armen einschließt. , Vorläufig ist es u. ferner so, daß er als Stütze des Staates den Kaufmann versteht, so daß er diesem zuliebe beinahe ausschließlich für den Handel lebt, obgleich durchaus nicht umgekehrt der Handel ausschließlich für ihn[,] den Staat[,] lebt, sondern in viel stärkerem Maße doch nur für sich selbst. Grotesk ist es nun zu sehen, wie aus Gründen der Ordnung der Staat jeweils vermeidet, eben diese Ordnung zu verbessern. Obgleich er Mittel des Zwanges hat. Fehlt nun aber ihm selbst, dem Staat, die moralische Selbstzucht, wie kann u. darf er sie dann überhaupt von dem einzelnen Bürger fordern? Wie sollte dieser sozialer sein können, als es der Staat ist, selbst im Augen- {619} blick höchster Lebensgefahr? — Kriegsgewinner [sic] kaufen im Ausland Schmuck um hohes Geld beim Feind, tragen also Geld zum diesem Feind , stellen dennoch aber im eigenen Vaterland, trotz offenbarem Hochverrat, die sogenannte Macht vor. —© Transcription Marko Deisinger. |
March 12, 1917.
LetterOJ 10/1, [26] from Dahms : in a wretched mood, disinclination to work! Only one hope: Vienna. — Registered letterOC 1/B, 19-20 to Dr. Friedmann sent off. — Postcard to Mama: we ask again how she was feeling and mention what Sophie has told us with regard to Mozio. — Postcard to Mrs. Bednař: Lie-Liechen asks about the captain's health, also complains about a lack of response from Kautzen. — Letter to Roth : I welcome the idea of an edition of the keyboard works of Handel and encourage him to write a study of Brahms–Handel, 1 {618} making mention of the stipend. — Letter to Dahms : I mention the stipend as a possible contribution to a stay in Vienna or even in Berlin. — "To whom God gave reason, to him we should give an office" ( Der Morgen ); 2 this would be a brilliant thought if only it were true. For unfortunately God's intervention applies not only to those who should be chosen but also, in the same measure, to the people who should choose. Frictions and catastrophes in human society arise only because those who are to choose lack the capacity to recognize the persons who are blessed by God! — The Anglo-Saxon would like to see his idea of master race even as "idealism." This is self-evident when considered subjectively; but it remains incomprehensible why those affected by master–ness should follow the "master" into this lie. — At Dr. Frühmann's; Lie-Liechen [is afflicted by a] mild irritation of the sciatic nerve; he prescribes baths and longer walks. — From Sophie, a package with bread, half a kilogram of butter, millet, some white flour; in the enclosed letter she promises coffee and milk. — "Know thyself" surely applies also to the state; if the state claims that it is identical with "order," then it would always have to ask: "which order do I mean at the moment?" At present it is still the case, unfortunately, that the state understands "order" as that of the rich, which tacitly embraces an un-order of the poor, and moreover that it understands the businessman as underpinning the state, so that it lives almost exclusively for trade, although the opposite is by no means true: trade does not exist exclusively for the state, but in a much stronger sense only for itself. It is thus grotesque to see now how the state, for reasons of order, always avoids improving this very order – even though it has the means to compel. But now if the state itself is lacking in moral self-interest, how can it, how may it, demand this from its individual citizens? How are the latter supposed to be more social than the state is, even at the moment of greatest danger to life? {619} — War profiteers buy jewelry abroad for high prices; thus they bring money to the enemy but represent so-called power in their own fatherland in spite of manifest high treason. —© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Schenker is probably referring not to an essay comparing Brahms with Handel, but to a study of Brahms's Variations on a Theme of Handel – something which Schenker himself later undertook and published in Der Tonwille, vols. 8/9 (1924). 2 "Verbesserte Sprichworte," Der Morgen, No. 11, March 12, 1917, 8th year, p. 9. |