28. II. 17 0°, Schneefall.
— Vom Bankverein Mitteilung, daß Dr. Türkel einzuschreiten beabsichtigt; sollte er dies wirklich tun wollen gegen unsere mündliche Verabredung u. meinen schriftlichen Protest? — Bethmann-Hollweg hält eine ausgezeichnete Rede, macht wichtige Enthüllungen über Amerika u. England, discreditiert besonders geschickt die Formlosigkeit des Abbruches, wie sie dem flegelhaften Wilson gegen alle Sitte beliebte. Erquicklich war auch zu hören, wie er „ das Genie der obersten Heeresleitung “ prieß, ; 1 das Wort Genie träuft förmlich wie Balsam vom Himmel; auch der Glaube an Genies versetzt Berge, u. es ist wohl nicht ohne tiefe psychologische Bedeutung, wenn der Reichskanzler sein persönliches Vertrauen in das Genie der obersten Heeresleitung durch Suggestion im Lande weiterverbreitet. Traurig dagegen, daß er die Monarchie erst zu verteidigen muss hat in einem Augenblick, wo schon der Anblick Wilsons, Br yiands, Poincarr eé s die Völker, wie man glauben sollte, dauernd vom Experiment mit solchen u. ähnlichen Exponenten einseitiger Interessen geheilt haben müßte. Zum erstenmal fällt auch das Wort „Entschädigung “ aus seinem Munde. Nur in einem gewissen beschränkteren Sinne erhob sich wider ihn der Führer der Sozialdemokraten, Herr Scheidemann ; groteskeste sozialdemokratische Logik: „nach wie vor habe Deutschland nur an die Vereidigung zu denken u. in diesem Sinne je früher desto besser den Frieden herbeizuführen“zu versuchen! Nur sozialdemokratischer Klassenwahn kann übersehen, daß selbst die Beschränkung auf bloße Verteidigung nicht hinreicht en würde, den Frieden herbeizuführen, so lange der Eroberungslustige sein Ziel noch nicht eben voll erreicht hat. Ja, man kann sogar sagen, daß durch die Verteidigung der Krieg im Grunde erst recht verlängert wird, denn je länger der Eroberer durch die Verteidigung gehindert wird, sein Ziel zu erreichen, umso länger dauert der Krieg. Die sozial- {609} demokratische Logik würde also geradeswegs zu folgendem Nonsens führen: sich einfach nicht verteidigen! Doch Dies [recte dies] will aber Herr Scheidemann sicher auch selbst nicht. Wozu dann aber die Pfäfferei? Zumal er doch auch weiters selbst gesteht, daß die Sozialdemokraten des Auslandes leider nicht ganz so wie die deutschen gedacht haben u. denken. Warum kompromittieren dann die deutschen Sozialdemokraten ihre Heimat u. fallen der Regierung bloß in den Arm? — — — Die Arbeiter-Bäckerei liefert Sonntags [sic] kein Brot, ein Schulbeispiel demokratischen Klassengrößenwahns: Der Dem Arzt oder Apotheker würde es einem ein Arbeiter es sicher sehr übel nehmen, wenn sie Sonntags die Ausübung ihres Berufes einstellen würden, – steht es nicht ebenso aber mit dem Berufe eines Bäckers, daß er frisches Gebäck für jeden Tag zu liefer en hat? — Vom Bankverein (Br.): Nennung der Kaufsumme. — Von der Steuerbehörde exekutive Mahnung trotz Ratenbewilligung; vorläufig unverständlich. — Lie-Liechen erbeutet zufällig noch ein Glas Marmelade. — An Frl. Caland (Br.): spreche meinen Dank aus u. kündige ihr „ op. 111 “ durch den Verlag an; besser als Worte in Briefform es sagen könnten, würde die Arbeit zeigen, bis zu welchem Grade unsere Tendenzen übereinstimmen u. anderseits den Unterschied aufdecken, der sich namentlich auf die Hochhaltung des Originals bezieht. Des Herausgebers Aufgabe sei, den Spieler zum Original zu erziehen, wozu er außerhalb des Originals Platz genug habe. Mache endlich auf Vrieslanders Neudruck 2 aufmerksam. — An Hertzka (Br.WSLB 283): lehne Weinberger ab mit Rücksicht auf die schlechte Faktur wie die unsympathische Tendenz; erbitte op. 111 für Frl. Caland u. erkläre mich bereit, die Kosten zu begleichen. — An Dr. Türkel (Br.): ersuche keine Klage einzubringen u. erkläre mich mit dem Legat als Ersatz des Schadens für vollauf zufriedengestellt; erinnere ihn, dies dann umso eher beim Kammerrat durchzusetzen. — An Weisse (Fldpostk.): Frage nach Befinden usw. — In der Putzerei Preise neuerdings erhöht. — Fr. Pairamall erklärt bleiben zu wollen u. übernimmt die Vormittag[s]stunden Dienstag u. Freitag. —© Transcription Marko Deisinger. |
February 28, 1917. 0°, snowfall.
— Communication from the Bankverein that Dr. Türkel intends to intervene; does he really wish to do this, in contradiction of our face-to-face discussion and my written protest? — Bethmann-Hollweg gives an outstanding speech, makes important revelations about America and England, discredits the formlessness of the breech with special skill, a formlessness that appeals to the boorish Wilson against all propriety. It was also edifying to hear how he praised "the genius of the supreme army command"; 1 the word "genius" verily trips like balm from Heaven; even the belief in geniuses moves mountains, and it is surely not without deep psychological significance if the Chancellor, by the power of suggestion, spreads his personal faith in genius of the highest military command in the country. It is sad, on the other hand, that he must defend the monarchy at a moment in which the gaze of Wilson, Briand, Poincaré had to have the people cured forever, as one ought to believe, of the experiment with these and similar exponents of one-sided interests. For the first time, even the word "reparations" falls from his mouth. Only in one, definitely more limited sense, did the leader of the Social Democrats, Mr. Scheidemann , raise an objection against him; grotesque social-democratic logic: "Now, as before, Germany has only to think of its defense, and in this sense the earlier we can make our way to peace, the better!" Only social-democratic class delirium can overlook the fact that even the restriction to mere defense is not sufficient to lead to peace, so long as a power bent on conquest has not completely achieved its goal. Indeed one can say that, as a result of defense, the war has basically been extended more than ever; for as long as the conqueror is prevented by defense from reaching his goal, the longer the war will last. {609} Social-democratic logic would have thus led straight to the following nonsense: simply not putting up a defense! This is something, however, that Mr. Scheidemann himself surely doesn't want. So why the holier-than-thou stance? All the more so, as he himself further admits that the social democrats in foreign countries have not thought, and are not thinking, in the same way as the Germans. Why, then, do the German social democrats comprise their homeland and thwart their government? — — The Workers' Bakery is delivering no bread on Sundays, a textbook example of democratic class megalomania: a worker would surely take it amiss if a doctor or pharmacist halted the exercise of his profession on a Sunday; does this not apply equally to the profession of a baker, who ought to deliver fresh baked goods every day? — Letter from the Bankverein : designation of the purchase money. — From the tax authorities , executive order, in spite of agreeing to installment payments; for the time being, incomprehensible. — Lie-Liechen acquires by chance another jar of marmalade. — Letter to Miss Caland : I express my gratitude and tell her that Op. 111 is available from the publishers; my work, better than words written in a letter, would show the degree to which our intentions coincide and, on the other hand, expose the difference that relates particularly to the veneration of the original. The editor's task is to educate players to the original: they will have plenty of space [for interpretation] beyond the original. Finally I alert her to Vrieslander's new edition 2 . — LetterWSLB 283 to Hertzka : I reject Weinberger with respect to poor technique, as well as a disagreeable disposition; I ask him to send Op. 111 to Miss Caland and say that I am prepared to pay the costs. — Letter to Dr. Türkel : I am going to bring no legal action and say that I am completely satisfied with the legacy as a substitute for the losses incurred; I remind him to follow this through with the Chamber Counsellor as soon as possible. — Field postcard to Weisse: enquiry about his well-being. — At the cleaners, prices are raised again. — Mrs. Pairamall explains that she would like to stay on, and will take over the morning lesson times on Tuesday and Friday. —© Translation William Drabkin. |
28. II. 17 0°, Schneefall.
— Vom Bankverein Mitteilung, daß Dr. Türkel einzuschreiten beabsichtigt; sollte er dies wirklich tun wollen gegen unsere mündliche Verabredung u. meinen schriftlichen Protest? — Bethmann-Hollweg hält eine ausgezeichnete Rede, macht wichtige Enthüllungen über Amerika u. England, discreditiert besonders geschickt die Formlosigkeit des Abbruches, wie sie dem flegelhaften Wilson gegen alle Sitte beliebte. Erquicklich war auch zu hören, wie er „ das Genie der obersten Heeresleitung “ prieß, ; 1 das Wort Genie träuft förmlich wie Balsam vom Himmel; auch der Glaube an Genies versetzt Berge, u. es ist wohl nicht ohne tiefe psychologische Bedeutung, wenn der Reichskanzler sein persönliches Vertrauen in das Genie der obersten Heeresleitung durch Suggestion im Lande weiterverbreitet. Traurig dagegen, daß er die Monarchie erst zu verteidigen muss hat in einem Augenblick, wo schon der Anblick Wilsons, Br yiands, Poincarr eé s die Völker, wie man glauben sollte, dauernd vom Experiment mit solchen u. ähnlichen Exponenten einseitiger Interessen geheilt haben müßte. Zum erstenmal fällt auch das Wort „Entschädigung “ aus seinem Munde. Nur in einem gewissen beschränkteren Sinne erhob sich wider ihn der Führer der Sozialdemokraten, Herr Scheidemann ; groteskeste sozialdemokratische Logik: „nach wie vor habe Deutschland nur an die Vereidigung zu denken u. in diesem Sinne je früher desto besser den Frieden herbeizuführen“zu versuchen! Nur sozialdemokratischer Klassenwahn kann übersehen, daß selbst die Beschränkung auf bloße Verteidigung nicht hinreicht en würde, den Frieden herbeizuführen, so lange der Eroberungslustige sein Ziel noch nicht eben voll erreicht hat. Ja, man kann sogar sagen, daß durch die Verteidigung der Krieg im Grunde erst recht verlängert wird, denn je länger der Eroberer durch die Verteidigung gehindert wird, sein Ziel zu erreichen, umso länger dauert der Krieg. Die sozial- {609} demokratische Logik würde also geradeswegs zu folgendem Nonsens führen: sich einfach nicht verteidigen! Doch Dies [recte dies] will aber Herr Scheidemann sicher auch selbst nicht. Wozu dann aber die Pfäfferei? Zumal er doch auch weiters selbst gesteht, daß die Sozialdemokraten des Auslandes leider nicht ganz so wie die deutschen gedacht haben u. denken. Warum kompromittieren dann die deutschen Sozialdemokraten ihre Heimat u. fallen der Regierung bloß in den Arm? — — — Die Arbeiter-Bäckerei liefert Sonntags [sic] kein Brot, ein Schulbeispiel demokratischen Klassengrößenwahns: Der Dem Arzt oder Apotheker würde es einem ein Arbeiter es sicher sehr übel nehmen, wenn sie Sonntags die Ausübung ihres Berufes einstellen würden, – steht es nicht ebenso aber mit dem Berufe eines Bäckers, daß er frisches Gebäck für jeden Tag zu liefer en hat? — Vom Bankverein (Br.): Nennung der Kaufsumme. — Von der Steuerbehörde exekutive Mahnung trotz Ratenbewilligung; vorläufig unverständlich. — Lie-Liechen erbeutet zufällig noch ein Glas Marmelade. — An Frl. Caland (Br.): spreche meinen Dank aus u. kündige ihr „ op. 111 “ durch den Verlag an; besser als Worte in Briefform es sagen könnten, würde die Arbeit zeigen, bis zu welchem Grade unsere Tendenzen übereinstimmen u. anderseits den Unterschied aufdecken, der sich namentlich auf die Hochhaltung des Originals bezieht. Des Herausgebers Aufgabe sei, den Spieler zum Original zu erziehen, wozu er außerhalb des Originals Platz genug habe. Mache endlich auf Vrieslanders Neudruck 2 aufmerksam. — An Hertzka (Br.WSLB 283): lehne Weinberger ab mit Rücksicht auf die schlechte Faktur wie die unsympathische Tendenz; erbitte op. 111 für Frl. Caland u. erkläre mich bereit, die Kosten zu begleichen. — An Dr. Türkel (Br.): ersuche keine Klage einzubringen u. erkläre mich mit dem Legat als Ersatz des Schadens für vollauf zufriedengestellt; erinnere ihn, dies dann umso eher beim Kammerrat durchzusetzen. — An Weisse (Fldpostk.): Frage nach Befinden usw. — In der Putzerei Preise neuerdings erhöht. — Fr. Pairamall erklärt bleiben zu wollen u. übernimmt die Vormittag[s]stunden Dienstag u. Freitag. —© Transcription Marko Deisinger. |
February 28, 1917. 0°, snowfall.
— Communication from the Bankverein that Dr. Türkel intends to intervene; does he really wish to do this, in contradiction of our face-to-face discussion and my written protest? — Bethmann-Hollweg gives an outstanding speech, makes important revelations about America and England, discredits the formlessness of the breech with special skill, a formlessness that appeals to the boorish Wilson against all propriety. It was also edifying to hear how he praised "the genius of the supreme army command"; 1 the word "genius" verily trips like balm from Heaven; even the belief in geniuses moves mountains, and it is surely not without deep psychological significance if the Chancellor, by the power of suggestion, spreads his personal faith in genius of the highest military command in the country. It is sad, on the other hand, that he must defend the monarchy at a moment in which the gaze of Wilson, Briand, Poincaré had to have the people cured forever, as one ought to believe, of the experiment with these and similar exponents of one-sided interests. For the first time, even the word "reparations" falls from his mouth. Only in one, definitely more limited sense, did the leader of the Social Democrats, Mr. Scheidemann , raise an objection against him; grotesque social-democratic logic: "Now, as before, Germany has only to think of its defense, and in this sense the earlier we can make our way to peace, the better!" Only social-democratic class delirium can overlook the fact that even the restriction to mere defense is not sufficient to lead to peace, so long as a power bent on conquest has not completely achieved its goal. Indeed one can say that, as a result of defense, the war has basically been extended more than ever; for as long as the conqueror is prevented by defense from reaching his goal, the longer the war will last. {609} Social-democratic logic would have thus led straight to the following nonsense: simply not putting up a defense! This is something, however, that Mr. Scheidemann himself surely doesn't want. So why the holier-than-thou stance? All the more so, as he himself further admits that the social democrats in foreign countries have not thought, and are not thinking, in the same way as the Germans. Why, then, do the German social democrats comprise their homeland and thwart their government? — — The Workers' Bakery is delivering no bread on Sundays, a textbook example of democratic class megalomania: a worker would surely take it amiss if a doctor or pharmacist halted the exercise of his profession on a Sunday; does this not apply equally to the profession of a baker, who ought to deliver fresh baked goods every day? — Letter from the Bankverein : designation of the purchase money. — From the tax authorities , executive order, in spite of agreeing to installment payments; for the time being, incomprehensible. — Lie-Liechen acquires by chance another jar of marmalade. — Letter to Miss Caland : I express my gratitude and tell her that Op. 111 is available from the publishers; my work, better than words written in a letter, would show the degree to which our intentions coincide and, on the other hand, expose the difference that relates particularly to the veneration of the original. The editor's task is to educate players to the original: they will have plenty of space [for interpretation] beyond the original. Finally I alert her to Vrieslander's new edition 2 . — LetterWSLB 283 to Hertzka : I reject Weinberger with respect to poor technique, as well as a disagreeable disposition; I ask him to send Op. 111 to Miss Caland and say that I am prepared to pay the costs. — Letter to Dr. Türkel : I am going to bring no legal action and say that I am completely satisfied with the legacy as a substitute for the losses incurred; I remind him to follow this through with the Chamber Counsellor as soon as possible. — Field postcard to Weisse: enquiry about his well-being. — At the cleaners, prices are raised again. — Mrs. Pairamall explains that she would like to stay on, and will take over the morning lesson times on Tuesday and Friday. —© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Der deutsche Reichskanzler über den Unterseebootkrieg und die inneren Fragen," Neue Freie Presse, No. 18865, February 28, 1917, morning edition, pp. 2-5. 2 C. P. E. Bach's Kurze und leichte Clavierstücke: Neue kritische Ausgabe mit erläuterndem Nachwort, ed. Otto Vrieslander (Vienna: Universal Edition, 1914). This is a modern edition of Carl Philipp Emanuel Bach's collection of "short and easy keyboard pieces with varied repeats," composed in 1765 and first published in 1768 in Augsburg by Johann Jacob Lotter. |