20. X. 16 3°, schön.

— Von der Steuerbehörde Aufforderung, den seinerzeit von mir selbst in Aussicht gestellten Ergänzungsbericht für die Monate Okt.–Dez. nachzusenden. — An die Steuerbehörde (recomm.): entschuldige die Verzögerung mit noch laufenden Unterhandlungen u. erstatte Bericht. —

— An Vrieslander (K.): Anfrage nach einem Befinden. — An Mama (K.): Lie-Liechen fragt nach dem Befinden usw. — An Fr. Pairamall (Br., 4 Seiten lang!): setze voraus, daß sie nicht einfach ausspannen will, u. wie ferner auch, daß der Betrag, den sie für den Unterricht präliminiert hat, sich aus ihren eigenen Andeutungen ungefähr errechnen läßt, u. erkläre ziehe draus den Schluß, daß mir somit nur eigentlich die Aufgabe übrig bleibt, über ihre eigene Aufforderung einen Vorschlag zu machen, u. der geeignet wäre den bestimmten kleinen Betrag einer Form zuzuführen. Ich spezialisiere nun des Weiteren, auf welche Weise ich den Betrag errechnet habe: erstens, daß sie offenbar die Zahl der Stunden nicht gar zu gering festgesetzt habe, schließe ich aus der Unmöglichkeit, für etwas ein Honorar zu empfangen, was sich auf rein gesellschaftlicher Basis besser ausführen ließe; zweitens schließe ich ferner auf die Zahl der Stunden aus den Erfahrungen, die sie seinerzeit bei Leschet iytzki gemacht hat, deren Konsequenzen, wie ich eben annehme, sie auch in meinem völlig gegensätzlichen Falle miterwogen hat; u. endlich drittens auch aus dem selbst mit der losesten Form der Verabredung von Stunden zu Stunde noch immer gegebenen Zwange. Diese immerhin annehmbare kleine Zahl von Stunden nun mit der ihrerseits angebotenen Erhöhungen multiplizierend, konnte ich das zu riskierende Geld jenseits von Rücksicht auf Gesundheit u. materielle Situation feststellen. Nun weise ich aber zunächst die Erhöhung zurück u. erwähne hiebei des Falles Kolischer u. Frau Mendl. Endlich mein Vorschlag: Wir reduzieren alles auf die Hälfte, eine Form, die dann schließlich auch in Friedenszeiten beibehalten werden kann; erkläre mich zugleich bereit, heuer ausnahmsweise die 32 bezw. 33 Stunden im Laufe von 4 Monaten zusammenzudrängen, so daß wir Ende Februar unserer Verpflichtungen gegenseitig ledig wären. Ich erwähne ferner {475} selbst etwaiger Differenzen, die zwischen meiner u. ihrer Rechnung sich ergeben mögen, erkläre sie aber für zu belanglos, als daß man ihnen noch eigens nachzugehen müßte hätte, möge gleichviel ob der Verlust von Stunden durch Krankheit oder andere Ursachen kommen einträte. Endlich zum Beschluss erkläre ich, weshalb ich auf dem Zwang bestehe, den wie ich [ihn] nicht etwa des Erwerbes halber in die Sache hineintrage, sondern nur aus der Sache heraushole u. zum Nutzen der Schüler stilisiere. Der Zwang übe überdieß [sic] auch gesundheitlich eine große Wirkung aus u. befreie in unnachahmlich diskreter Weise Lehrer wie Schüler von der leidigen Frage nach Rücksicht ins Endlose, nach Rücksicht auf Rücksicht usw. Wohin kämen die Schüler, frage ich, wenn der Lehrer, statt sich dem Zwange zu unterwerfen, Rücksicht von ihnen einfordern würde u. umgekehrt? Goethe war weise genug, einen Zwang sich sogar künstlich aufzuhalsen, um sich durch das Dick u. Dünn seiner Erlebnisse wohl unter allen Umständen seine Leistung sicherzustellen. Ich schließe mit einer Andeutung, daß ich der Sache müde bin u. sie nunmehr für eine Lappalie halte, an die ich weiter keine Mühe zu wenden gesonnen bin. – Indem ich mich zu diesem Entgegenkommen bereit zeige, züchtige ich die Briefempfängerin mit einem ordentlichen Hieb für die Unverschämtheit des Vorwurfes einer angeblichen „Härte im System“; ich erkläre, daß harte, d. h. unredliche Erwerbsysteme wo anders zu finden sind! —

Einzelne Wendungen aus dem Briefe: Die Reichen li eaßen sich ihr Gehirn am liebsten nur zwischen Weihnachten u. Ostern frisieren, u. machen sich nichts daraus, die übrige Zeit geistig unfrisiert herumzulaufen. Was würde man aber von einer Frau sagen, die sich nur des einen Morgens frisieren würde, u. um mit der einen Frisur nun einen Monat lang ihr Auslangen zu finden wollte?

*

Beim dem W besten Willen – beim dem besten Egoismus – —

— Flucht vor Zwang immer auch eine Flucht vor dem Stoff. Z. B. ist es ausgemacht, daß junge Studenten, die den Prüfungszwang lästig empfinden, schließlich auch das Studium aufgeben.

*

{476} Handwerk – nicht Ohrwerk; d. h.: was Handwerk ist, darf u. kann nicht bloß besprochen u. beplauscht werden.

*

Frau D. weder zu Tisch noch im Caféhaus. — Klassenlotterie 50 Kronen Gewinnst! —

*

Drastische Definition der Kultur für Leute, die nicht begreifen wollen: Man stelle sich die Gründung z. B. unseres Konzertvereins vor: Da wird plötzlich angeblich ein Bedürfnis nach einem zweiten Orchester wach entdeckt. Schon in dieser Empfindung steckt zum großen Teile eine Lüge; denn als s. Z. die Philharmoniker, um dem allgemeinen Andrang zu entsprechen, eine Wiederholung ihrer Konzerte ansetzten, erwieß [sic] sich diese plötzlich als überflüssig, da auf einmal die Besucher ausblieben. Kein Zweifel, daß die Eitelkeit der sogenannten musikalischen Gesellschaft nur zur Not gerade nur erst nach der ersten Auflage der Konzerte ein Bedürfnis empfand u. nicht nach der zweiten; wenn auch ohne Verständnis wollte man bei der ersten zumindest dabei sein. Gegen d ieas Wiederholung widerholte Conzert sträubte sich der gute Ton u. der Mangel an äußeren äußerem gesellschaftlichen Effekt. Im gewissen Sinne war also ein zweites Orchester in Wien bereits vorhanden, wenn man jene Wiederholung berücksichtigt, die ja gewissermaßen von einem anderen Orchester doch ebensowenig hätte vorgeführt werden können. Doch nein! Ein paar Gründer, Kaufleute u. Industrielle wollten aber eine Rolle spielen u. bildeten sich das Bedürfnis ein. Die Gründung wurde nun ausgeführt. Doch schon beim ersten Entwurf stellte sich heraus, daß man sie nur so machen könne, daß wenn z. B. der Seconde-Geiger nur vielleicht 60 fl monatlich erhalte. Schon also bei der Gründung wurde mit Absicht Bewußtsein ein Element mitgerechnet u. mitgewollt, das schon in sich den Keim alles Schlechten schon von vornherein enth äielt. Nicht etwa ging die Gründung darauf hinaus, den Mitgliedern tadellose Aufführungen zu garantieren dadurch, daß man vor allem die Ausführenden in die Lage setzte, ihre Leistung so tadellos als möglich herauszubringen; nur dieß was allein den Einklang zwischen Absicht u. Effekt der Gründung bedeutet hätte. Dagegen zeigt sich, {477} daß die Gründer, indem sie die mäßigsten Honorare für die Ausführenden festsetzten u. so den Au ausführenden Körper zwangen, noch weitere Konzerte in Restaurants, Bädern usw. zu absolvieren, dadurch gerade dasjenige nicht erreichen konnte, was sie angeblich angestrebt haben. Freimütig bekennt der Dirigent, daß der Mangel an Proben ihm nicht erlaubt, so sorgfältig als er möchte die Ausführung zu feilen. Wie sollte er aber auch Proben zumuten seinen Musikern, die, um ihren eigenen oder auch der Familie Unterhalt besorgt, auch sonst noch Stunden oder anderen Verpflichtungen nachzugehen haben? So hat denn also, um das Resultat zusammenzufassen, der Effekt einen völlig anderen Weg genommen, als man ihn beabsichtigt hatte; denn wer wollte von vornherein brüchige Aufführungen? Hielte man heute alle diese Erwägungen den Gründern vor, so erwiderten sie in ihrem Jargon, das mache nichts, alles Menschenwerk sei unvollkommen, man müsse sich auch mit diesem Resultat zufrieden geben. ; Nniemals aber würden sie zugeben, daß sie sich mit all den Dingen bescheiden, nur weil sie niemals auch nur nicht einen Augenblick lang die Gründung so ernst selbst genommen haben, als sie zu nehmen war u. daß ihnen nur darum zu tun war, ein wenig bei dem Spiel dabei zu sein. – Ganz so liegt der Fall mit der Kultur: Einige, die Macht haben, gründen so etwas wie Gemeinden, Staat, Gesellschaft; aber von vornherein unterbinden sie jede Wirkung dadurch, daß sie gewissen Seconde-Geigern nur ein bescheidenes Monatsgehalt einräumen. Niemals würden sie die Absicht einer Gründung auch nur gefasst haben, wenn es ihnen nicht möglich gewesen wäre, vor allem ihre eigene Rolle zur Schau zu tragen auf Kosten von solchen, denen sie eine geringfügigere u. schlechter bezahlte anweisen. Religionsstifter, Dichter, Verbrecher bemühen sich vergebens darum, die Gründer an die Widersprüche zu erinnern, die da zwischen Absicht u. Ausführung klaffen. Aber die Gründer stellen sich taub. Denn ihnen ist ja nicht wirklich um Kultur zu tun; sie wollten nur etwas gegründet haben, wobei sie genau so an der Spitze sind, wie etwa an der Spitze einer Fabrik oder eines Bankinstitutes. Die Folgen mögen laufen, wie sie {478} wollen, de rn Ruhm der Gründung gebührt ihnen nehmen sie in Anspruch – Wirkung Nebensache. —

*

Fr. Deutsch erzählt, sie sei kürzlich mit Fr. Mendl in einem Konzert gewesen u. habe sie gelegentlich auf dieses oder jenes aufmerksam gemacht; Fr. M. habe sich dieß [sic] aber verbeten mit der Bemerkung: Ich will gar nichts wissen, mir ist die Musik nur Begleitung zu meine rn Gedanken (!) (Hierüber Notiz in der kl. Bibl.)

*

© Transcription Marko Deisinger.

October 20, 1916, 3°, fair weather.

— Demand from the tax authorities to forward the additional report for the months of October to December, which I had offered to do at the time. — To the tax authorities (registered letter): I apologize for the delay, on account of continuing negotiations, and make the report. —

— Postcard to Vrieslander: enquiry about his health. — Postcard to Mama: Lie-Liechen asks about her health, etc. — To Mrs. Pairamall (letter, four pages long!): I assume that she does not simply want to give up, and in addition that the sum that she had preliminarily arranged for her tuition corresponds approximately to her own [previous] indications; and from this I conclude that the only thing actually left to do is to make a recommendation on the basis of her request, one that would be suitable for providing a shape for the small sum of money. Further, I set out in particular the way in which I have calculated the sum: first, as she has evidently reckoned a number of lessons that is not overly modest, I exclude the possibility of receiving a fee for something that can better be dealt with on a purely social basis; second, I infer the number of lessons from the experiences that she had previously had with Leschetizky, the consequences of which – as I now assume – she had taken into consideration even despite my completely contrasting arrangement; third and lastly, still from the same given compulsion, to make arrangements from one lesson to the next in the most casual way. Multiplying this apparently small number of lessons now by the [lesson fee] enhancement that she for her part is offering, I was able to determine the money to be risked, apart from considerations of health and material circumstances. But now I reject in the first instance the enhancement, and mention in this regard the cases of Kolischer and Mrs. Mendl. Finally, my suggestion: we reduce everything by half, an arrangement that can ultimately be adhered to even during peacetime; at the same time I declare myself prepared, exceptionally, to squeeze the 32 or 33 lessons into the space of four months, so that we would be free of our responsibilities at the end of February. Further, I mention {475} possible differences between my calculations and hers, but declare them to be irrelevant, since we still have to go through them again, whether the loss of lessons arises as a result of illness or other causes. Finally, in conclusion, I explain why I insist on pressure, that I do not introduce this into the matter for sake of earnings but rather derive them from the matter and stylize them for the benefits of my pupils. The pressure, moreover, exerts a great effect also from the point of view of health; and it frees in an inimitably discreet way both teacher and pupil from the painful question of allowances, of "allowance upon allowances," etc. Where would the pupils get to, I ask, if the teacher, instead of bowing to pressure, demanded allowance from them, and vice versa? Goethe was clever enough to subject himself to pressure even artificially, in order to secure his achievement under all circumstances, through the thick and thin of his life's experiences. I conclude by hinting that I am tired of the matter and regard it henceforth as a trifle that I am not minded to take further trouble over. – In showing myself prepared for this compromise, I chastize the recipient of the letter with a proper thumping for her criticism of a supposed "severity in the system"; I declare that severities, that is, dishonest systems of earning a living, are to be found elsewhere! —

Individual extract from the letter: the rich prefer to groom their brains only between Christmas and Easter, and are not troubled by going about unkempt the rest of the time. But what would one say about a woman who did up her hair only on one morning, to earn a living for a whole month with just the one hairdo?

*

"With the best will" – with the best egoism – —

— Fleeing from compulsion is always a fleeing from the matter. For example, it is generally agreed that young students who find the pressure of examinations irksome ultimately give up their studies, too.

*

{476} Handicraft – not ear-craft; that is, what a piece of handicraft is should not and may not merely be talked and chatted about.

*

Mrs. Deutsch neither at lunch nor in the coffee house. — A win of 50 Kronen in the class lottery! —

*

Extreme definition of culture, for people who do not wish to understand: imagine the founding, for example, of our Concert Society; suddenly the need for a second orchestra is discovered. This sentiment already contains in great part a lie; for when the Philharmonic began to repeat its concerts, in response to a general demand, this suddenly proved to be unnecessary, for visitors stayed away at once. No doubt that the vanity of the so-called musical society, at a pinch, felt the need only after the first series of concerts, and not after the second; for even without reason one wanted at least to attend the first. Fashion, and the lack of external social effect, bristled against the repetition of concerts. To a certain extent, a second orchestra in Vienna was already available, if one were to bear in mind that repetition, though in some sense this could just as little have been presented by a different orchestra. But no! A few founders, business people, and industrialists wanted to play their part and imagined that there was a need. The plans were now made. But even in the first draft it turned out that one could achieve this only if, for instance, the second violinists received only about 60 Florins per month. Even when it was founded, then, it consciously included and wanted to include an element that contained the germ of everything bad from the start. The plan did not even amount to guaranteeing the members faultless performances by giving the performers the means of executing their achievements as faultlessly as possible, which alone would have brought the intention and the effect of the plan into harmony. {477} On the contrary, it turned out that the founders, by determining the most moderate fees for the performers and thus compelling them to give further concerts in restaurants and at baths, etc., were thus unable to achieve precisely the effect after which they were apparently striving. The conductor candidly admits that the lack of rehearsals prevents him from refining the performance as carefully as he would like. But how is he supposed to expect rehearsals, too, from his musicians who, concerned with their own livelihood or their family's, would still have to give lessons or undertake other duties? Thus, to sum up the result, the effect took an entirely different course from what one had intended; for who wished for flawed performances from the outset? If one were to present these considerations to the founders today, they would reply in their jargon, ["]That doesn't matter, all human endeavor is imperfect, one must just be satisfied with the result.["] Never, however, would they admit that they are making do with all these things only because they had not spent a moment taking the planning as seriously as it should have been, and that they were only concerned with having a role to play in the matter. – This is entirely the case with culture: a few, who have power, found something like communities, a state, society; but at the outset they underpin every effect by allowing certain second violinists only a modest monthly salary. They would never have even conceived the intention to found something if it had not been possible for them above all to create a presence for themselves, at the expense of those to whom they would assign a lesser and more poorly paid role. Religious founders, poets, villains exert themselves in vain to remind these founders of the contradictions that make for a yawning gap between intention and realization. But the founders play deaf. For them, this has nothing to do with culture; they only want to have founded something, whereby they will be at the head, as if at the head of a factory or a banking institution. The consequences may follow as the will; {478} the glory of the founding is something they can make use of – the effect is of secondary importance. —

*

Mrs. Deutsch recounts that she was recently at a concert with Mrs. Mendl and pointed something or another to her; but Mrs. Mendel refused to accept this, remarking: ["]I don't want to know anything at all, to me music is merely an accompaniment to my thoughts. ["] (!) (A note of this made in the Kleine Bibliothek )

*

© Translation William Drabkin.

20. X. 16 3°, schön.

— Von der Steuerbehörde Aufforderung, den seinerzeit von mir selbst in Aussicht gestellten Ergänzungsbericht für die Monate Okt.–Dez. nachzusenden. — An die Steuerbehörde (recomm.): entschuldige die Verzögerung mit noch laufenden Unterhandlungen u. erstatte Bericht. —

— An Vrieslander (K.): Anfrage nach einem Befinden. — An Mama (K.): Lie-Liechen fragt nach dem Befinden usw. — An Fr. Pairamall (Br., 4 Seiten lang!): setze voraus, daß sie nicht einfach ausspannen will, u. wie ferner auch, daß der Betrag, den sie für den Unterricht präliminiert hat, sich aus ihren eigenen Andeutungen ungefähr errechnen läßt, u. erkläre ziehe draus den Schluß, daß mir somit nur eigentlich die Aufgabe übrig bleibt, über ihre eigene Aufforderung einen Vorschlag zu machen, u. der geeignet wäre den bestimmten kleinen Betrag einer Form zuzuführen. Ich spezialisiere nun des Weiteren, auf welche Weise ich den Betrag errechnet habe: erstens, daß sie offenbar die Zahl der Stunden nicht gar zu gering festgesetzt habe, schließe ich aus der Unmöglichkeit, für etwas ein Honorar zu empfangen, was sich auf rein gesellschaftlicher Basis besser ausführen ließe; zweitens schließe ich ferner auf die Zahl der Stunden aus den Erfahrungen, die sie seinerzeit bei Leschet iytzki gemacht hat, deren Konsequenzen, wie ich eben annehme, sie auch in meinem völlig gegensätzlichen Falle miterwogen hat; u. endlich drittens auch aus dem selbst mit der losesten Form der Verabredung von Stunden zu Stunde noch immer gegebenen Zwange. Diese immerhin annehmbare kleine Zahl von Stunden nun mit der ihrerseits angebotenen Erhöhungen multiplizierend, konnte ich das zu riskierende Geld jenseits von Rücksicht auf Gesundheit u. materielle Situation feststellen. Nun weise ich aber zunächst die Erhöhung zurück u. erwähne hiebei des Falles Kolischer u. Frau Mendl. Endlich mein Vorschlag: Wir reduzieren alles auf die Hälfte, eine Form, die dann schließlich auch in Friedenszeiten beibehalten werden kann; erkläre mich zugleich bereit, heuer ausnahmsweise die 32 bezw. 33 Stunden im Laufe von 4 Monaten zusammenzudrängen, so daß wir Ende Februar unserer Verpflichtungen gegenseitig ledig wären. Ich erwähne ferner {475} selbst etwaiger Differenzen, die zwischen meiner u. ihrer Rechnung sich ergeben mögen, erkläre sie aber für zu belanglos, als daß man ihnen noch eigens nachzugehen müßte hätte, möge gleichviel ob der Verlust von Stunden durch Krankheit oder andere Ursachen kommen einträte. Endlich zum Beschluss erkläre ich, weshalb ich auf dem Zwang bestehe, den wie ich [ihn] nicht etwa des Erwerbes halber in die Sache hineintrage, sondern nur aus der Sache heraushole u. zum Nutzen der Schüler stilisiere. Der Zwang übe überdieß [sic] auch gesundheitlich eine große Wirkung aus u. befreie in unnachahmlich diskreter Weise Lehrer wie Schüler von der leidigen Frage nach Rücksicht ins Endlose, nach Rücksicht auf Rücksicht usw. Wohin kämen die Schüler, frage ich, wenn der Lehrer, statt sich dem Zwange zu unterwerfen, Rücksicht von ihnen einfordern würde u. umgekehrt? Goethe war weise genug, einen Zwang sich sogar künstlich aufzuhalsen, um sich durch das Dick u. Dünn seiner Erlebnisse wohl unter allen Umständen seine Leistung sicherzustellen. Ich schließe mit einer Andeutung, daß ich der Sache müde bin u. sie nunmehr für eine Lappalie halte, an die ich weiter keine Mühe zu wenden gesonnen bin. – Indem ich mich zu diesem Entgegenkommen bereit zeige, züchtige ich die Briefempfängerin mit einem ordentlichen Hieb für die Unverschämtheit des Vorwurfes einer angeblichen „Härte im System“; ich erkläre, daß harte, d. h. unredliche Erwerbsysteme wo anders zu finden sind! —

Einzelne Wendungen aus dem Briefe: Die Reichen li eaßen sich ihr Gehirn am liebsten nur zwischen Weihnachten u. Ostern frisieren, u. machen sich nichts daraus, die übrige Zeit geistig unfrisiert herumzulaufen. Was würde man aber von einer Frau sagen, die sich nur des einen Morgens frisieren würde, u. um mit der einen Frisur nun einen Monat lang ihr Auslangen zu finden wollte?

*

Beim dem W besten Willen – beim dem besten Egoismus – —

— Flucht vor Zwang immer auch eine Flucht vor dem Stoff. Z. B. ist es ausgemacht, daß junge Studenten, die den Prüfungszwang lästig empfinden, schließlich auch das Studium aufgeben.

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{476} Handwerk – nicht Ohrwerk; d. h.: was Handwerk ist, darf u. kann nicht bloß besprochen u. beplauscht werden.

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Frau D. weder zu Tisch noch im Caféhaus. — Klassenlotterie 50 Kronen Gewinnst! —

*

Drastische Definition der Kultur für Leute, die nicht begreifen wollen: Man stelle sich die Gründung z. B. unseres Konzertvereins vor: Da wird plötzlich angeblich ein Bedürfnis nach einem zweiten Orchester wach entdeckt. Schon in dieser Empfindung steckt zum großen Teile eine Lüge; denn als s. Z. die Philharmoniker, um dem allgemeinen Andrang zu entsprechen, eine Wiederholung ihrer Konzerte ansetzten, erwieß [sic] sich diese plötzlich als überflüssig, da auf einmal die Besucher ausblieben. Kein Zweifel, daß die Eitelkeit der sogenannten musikalischen Gesellschaft nur zur Not gerade nur erst nach der ersten Auflage der Konzerte ein Bedürfnis empfand u. nicht nach der zweiten; wenn auch ohne Verständnis wollte man bei der ersten zumindest dabei sein. Gegen d ieas Wiederholung widerholte Conzert sträubte sich der gute Ton u. der Mangel an äußeren äußerem gesellschaftlichen Effekt. Im gewissen Sinne war also ein zweites Orchester in Wien bereits vorhanden, wenn man jene Wiederholung berücksichtigt, die ja gewissermaßen von einem anderen Orchester doch ebensowenig hätte vorgeführt werden können. Doch nein! Ein paar Gründer, Kaufleute u. Industrielle wollten aber eine Rolle spielen u. bildeten sich das Bedürfnis ein. Die Gründung wurde nun ausgeführt. Doch schon beim ersten Entwurf stellte sich heraus, daß man sie nur so machen könne, daß wenn z. B. der Seconde-Geiger nur vielleicht 60 fl monatlich erhalte. Schon also bei der Gründung wurde mit Absicht Bewußtsein ein Element mitgerechnet u. mitgewollt, das schon in sich den Keim alles Schlechten schon von vornherein enth äielt. Nicht etwa ging die Gründung darauf hinaus, den Mitgliedern tadellose Aufführungen zu garantieren dadurch, daß man vor allem die Ausführenden in die Lage setzte, ihre Leistung so tadellos als möglich herauszubringen; nur dieß was allein den Einklang zwischen Absicht u. Effekt der Gründung bedeutet hätte. Dagegen zeigt sich, {477} daß die Gründer, indem sie die mäßigsten Honorare für die Ausführenden festsetzten u. so den Au ausführenden Körper zwangen, noch weitere Konzerte in Restaurants, Bädern usw. zu absolvieren, dadurch gerade dasjenige nicht erreichen konnte, was sie angeblich angestrebt haben. Freimütig bekennt der Dirigent, daß der Mangel an Proben ihm nicht erlaubt, so sorgfältig als er möchte die Ausführung zu feilen. Wie sollte er aber auch Proben zumuten seinen Musikern, die, um ihren eigenen oder auch der Familie Unterhalt besorgt, auch sonst noch Stunden oder anderen Verpflichtungen nachzugehen haben? So hat denn also, um das Resultat zusammenzufassen, der Effekt einen völlig anderen Weg genommen, als man ihn beabsichtigt hatte; denn wer wollte von vornherein brüchige Aufführungen? Hielte man heute alle diese Erwägungen den Gründern vor, so erwiderten sie in ihrem Jargon, das mache nichts, alles Menschenwerk sei unvollkommen, man müsse sich auch mit diesem Resultat zufrieden geben. ; Nniemals aber würden sie zugeben, daß sie sich mit all den Dingen bescheiden, nur weil sie niemals auch nur nicht einen Augenblick lang die Gründung so ernst selbst genommen haben, als sie zu nehmen war u. daß ihnen nur darum zu tun war, ein wenig bei dem Spiel dabei zu sein. – Ganz so liegt der Fall mit der Kultur: Einige, die Macht haben, gründen so etwas wie Gemeinden, Staat, Gesellschaft; aber von vornherein unterbinden sie jede Wirkung dadurch, daß sie gewissen Seconde-Geigern nur ein bescheidenes Monatsgehalt einräumen. Niemals würden sie die Absicht einer Gründung auch nur gefasst haben, wenn es ihnen nicht möglich gewesen wäre, vor allem ihre eigene Rolle zur Schau zu tragen auf Kosten von solchen, denen sie eine geringfügigere u. schlechter bezahlte anweisen. Religionsstifter, Dichter, Verbrecher bemühen sich vergebens darum, die Gründer an die Widersprüche zu erinnern, die da zwischen Absicht u. Ausführung klaffen. Aber die Gründer stellen sich taub. Denn ihnen ist ja nicht wirklich um Kultur zu tun; sie wollten nur etwas gegründet haben, wobei sie genau so an der Spitze sind, wie etwa an der Spitze einer Fabrik oder eines Bankinstitutes. Die Folgen mögen laufen, wie sie {478} wollen, de rn Ruhm der Gründung gebührt ihnen nehmen sie in Anspruch – Wirkung Nebensache. —

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Fr. Deutsch erzählt, sie sei kürzlich mit Fr. Mendl in einem Konzert gewesen u. habe sie gelegentlich auf dieses oder jenes aufmerksam gemacht; Fr. M. habe sich dieß [sic] aber verbeten mit der Bemerkung: Ich will gar nichts wissen, mir ist die Musik nur Begleitung zu meine rn Gedanken (!) (Hierüber Notiz in der kl. Bibl.)

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© Transcription Marko Deisinger.

October 20, 1916, 3°, fair weather.

— Demand from the tax authorities to forward the additional report for the months of October to December, which I had offered to do at the time. — To the tax authorities (registered letter): I apologize for the delay, on account of continuing negotiations, and make the report. —

— Postcard to Vrieslander: enquiry about his health. — Postcard to Mama: Lie-Liechen asks about her health, etc. — To Mrs. Pairamall (letter, four pages long!): I assume that she does not simply want to give up, and in addition that the sum that she had preliminarily arranged for her tuition corresponds approximately to her own [previous] indications; and from this I conclude that the only thing actually left to do is to make a recommendation on the basis of her request, one that would be suitable for providing a shape for the small sum of money. Further, I set out in particular the way in which I have calculated the sum: first, as she has evidently reckoned a number of lessons that is not overly modest, I exclude the possibility of receiving a fee for something that can better be dealt with on a purely social basis; second, I infer the number of lessons from the experiences that she had previously had with Leschetizky, the consequences of which – as I now assume – she had taken into consideration even despite my completely contrasting arrangement; third and lastly, still from the same given compulsion, to make arrangements from one lesson to the next in the most casual way. Multiplying this apparently small number of lessons now by the [lesson fee] enhancement that she for her part is offering, I was able to determine the money to be risked, apart from considerations of health and material circumstances. But now I reject in the first instance the enhancement, and mention in this regard the cases of Kolischer and Mrs. Mendl. Finally, my suggestion: we reduce everything by half, an arrangement that can ultimately be adhered to even during peacetime; at the same time I declare myself prepared, exceptionally, to squeeze the 32 or 33 lessons into the space of four months, so that we would be free of our responsibilities at the end of February. Further, I mention {475} possible differences between my calculations and hers, but declare them to be irrelevant, since we still have to go through them again, whether the loss of lessons arises as a result of illness or other causes. Finally, in conclusion, I explain why I insist on pressure, that I do not introduce this into the matter for sake of earnings but rather derive them from the matter and stylize them for the benefits of my pupils. The pressure, moreover, exerts a great effect also from the point of view of health; and it frees in an inimitably discreet way both teacher and pupil from the painful question of allowances, of "allowance upon allowances," etc. Where would the pupils get to, I ask, if the teacher, instead of bowing to pressure, demanded allowance from them, and vice versa? Goethe was clever enough to subject himself to pressure even artificially, in order to secure his achievement under all circumstances, through the thick and thin of his life's experiences. I conclude by hinting that I am tired of the matter and regard it henceforth as a trifle that I am not minded to take further trouble over. – In showing myself prepared for this compromise, I chastize the recipient of the letter with a proper thumping for her criticism of a supposed "severity in the system"; I declare that severities, that is, dishonest systems of earning a living, are to be found elsewhere! —

Individual extract from the letter: the rich prefer to groom their brains only between Christmas and Easter, and are not troubled by going about unkempt the rest of the time. But what would one say about a woman who did up her hair only on one morning, to earn a living for a whole month with just the one hairdo?

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"With the best will" – with the best egoism – —

— Fleeing from compulsion is always a fleeing from the matter. For example, it is generally agreed that young students who find the pressure of examinations irksome ultimately give up their studies, too.

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{476} Handicraft – not ear-craft; that is, what a piece of handicraft is should not and may not merely be talked and chatted about.

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Mrs. Deutsch neither at lunch nor in the coffee house. — A win of 50 Kronen in the class lottery! —

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Extreme definition of culture, for people who do not wish to understand: imagine the founding, for example, of our Concert Society; suddenly the need for a second orchestra is discovered. This sentiment already contains in great part a lie; for when the Philharmonic began to repeat its concerts, in response to a general demand, this suddenly proved to be unnecessary, for visitors stayed away at once. No doubt that the vanity of the so-called musical society, at a pinch, felt the need only after the first series of concerts, and not after the second; for even without reason one wanted at least to attend the first. Fashion, and the lack of external social effect, bristled against the repetition of concerts. To a certain extent, a second orchestra in Vienna was already available, if one were to bear in mind that repetition, though in some sense this could just as little have been presented by a different orchestra. But no! A few founders, business people, and industrialists wanted to play their part and imagined that there was a need. The plans were now made. But even in the first draft it turned out that one could achieve this only if, for instance, the second violinists received only about 60 Florins per month. Even when it was founded, then, it consciously included and wanted to include an element that contained the germ of everything bad from the start. The plan did not even amount to guaranteeing the members faultless performances by giving the performers the means of executing their achievements as faultlessly as possible, which alone would have brought the intention and the effect of the plan into harmony. {477} On the contrary, it turned out that the founders, by determining the most moderate fees for the performers and thus compelling them to give further concerts in restaurants and at baths, etc., were thus unable to achieve precisely the effect after which they were apparently striving. The conductor candidly admits that the lack of rehearsals prevents him from refining the performance as carefully as he would like. But how is he supposed to expect rehearsals, too, from his musicians who, concerned with their own livelihood or their family's, would still have to give lessons or undertake other duties? Thus, to sum up the result, the effect took an entirely different course from what one had intended; for who wished for flawed performances from the outset? If one were to present these considerations to the founders today, they would reply in their jargon, ["]That doesn't matter, all human endeavor is imperfect, one must just be satisfied with the result.["] Never, however, would they admit that they are making do with all these things only because they had not spent a moment taking the planning as seriously as it should have been, and that they were only concerned with having a role to play in the matter. – This is entirely the case with culture: a few, who have power, found something like communities, a state, society; but at the outset they underpin every effect by allowing certain second violinists only a modest monthly salary. They would never have even conceived the intention to found something if it had not been possible for them above all to create a presence for themselves, at the expense of those to whom they would assign a lesser and more poorly paid role. Religious founders, poets, villains exert themselves in vain to remind these founders of the contradictions that make for a yawning gap between intention and realization. But the founders play deaf. For them, this has nothing to do with culture; they only want to have founded something, whereby they will be at the head, as if at the head of a factory or a banking institution. The consequences may follow as the will; {478} the glory of the founding is something they can make use of – the effect is of secondary importance. —

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Mrs. Deutsch recounts that she was recently at a concert with Mrs. Mendl and pointed something or another to her; but Mrs. Mendel refused to accept this, remarking: ["]I don't want to know anything at all, to me music is merely an accompaniment to my thoughts. ["] (!) (A note of this made in the Kleine Bibliothek )

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© Translation William Drabkin.