12. X. 16 13°, warm aber windig, leicht bewölkt.

— Für Reparatur u. Bügeln der Winteranzüge 10 Kronen gezahlt. — Die Hausbesorgerin auf die Mängel der Fenster aufmerksam gemacht u. die Verantwortung für etwaigen Schaden abgelehnt. Sie erwidert dagegen, es sei wäre schon mit dem Dichten geholfen u. übrigens sei jetzt Krieg, da könne man keine Arbeiter finden!! —

— Maler im Hause; bessert die durch die Gasleitung bloßgelegten Stellen aus. —

— Die Handelskammer in Arad stellt fest: , nach den gegenwärtigen Vorräten an Leder u. den Gestehungskosten dürfte ein paar [sic] ordentliche Schuhe für einen Mann höchstens 35.60 Kronen kosten, wobei ein „anständiger Nutzenbereits mitgerechnet sei! —

— Die „Arbeiter Ztg.;“ nimmt von den Reden im deutschen Reichstag, die sich gegen England wenden[,] mit der Bemerkung Kenntnis: . . „und da wundert man sich über Lloyd George“. 1 In ihrem hartnäckigen Bestreben, anders zu denken als die „N. Fr. Pr.“ u. die bourgoisen [sic] Kreise, nimmt sie mitten im Krieg die Pose eines Welterlösers an u. Religionsstifters an u. predigt, sich lieber verprügeln u. vernichten zu lassen, wenn damit nur der Friede gewonnen wird würde! Kein Zweifel, daß, wenn Deutschland Englands Bedingungen akzeptiert, der Friede automatisch eintritt –, aber die Menschenliebe so zu verstehen, daß man sich dem Vernichtungswillen des Gegners aus ethischer Ueberzeugung u. ohneweiters preisgibt, ist nicht einmal Christus, Moses oder Mohamed beingefallen! Der Standpunkt der „Arbeiter Ztg.“ ist aufreizend borniert, umso aufreizender, als er zugleich auch völlig würdelos ist u. in Widerspruch mit der Haltung der {466} deutschen Sozialdemokraten, die im Felde stehen. Nur ein deutsches Blatt konnte es fertig bringen, mit Liebe u. Unterwürfigkeit den französischen u. englischen Sozialdemokraten nachzulaufen, die sich aus diesen u. jenen bestimmten öffentlich einbekannten Gründen von der Internationale losgesagt haben! —

*

Wird dem Menschen Unfähigkeit vorgehalten, so empfindet er dieß [sic] nicht als Vorwurf; dagegen empfindet er es als Vorwurf, wenn ihm Eitelkeit vorgeworfen wird! Die Eitelkeit läßt er sich eben unter keinen Umständen nehmen; sie ist seine die erste u. letzte Waffe, über die er verfügt u. so erklärt es sich, daß er sich gegebenen Falles noch lieber auf Unfähigkeit als auf Eitelkeit ausredet. Wird er zum Beispiel bei einem Widerstand ertappt, den man zu brechen sich anschickt, so verteidigt er den Widerstand lieber damit, daß er zu unfähig sei, um das Richtige zu erkennen, aber niemals wird er zugeben, daß er ihn bloß aus Et Eitelkeit betreibt. Die Unfähigkeit falle der Natur zur Schuld, die Eitelkeit wenn seine eigene, empfindet er dunkel.

*

Wenn die Reichen Zerstreuung suchen, machen [illeg]sie dabei oft die sonderbarsten Pläne u. Unternehmungen. So entdecken sie plötzlich eine Liebhaberei für diese oder jene Kunst, diese oh oder jene Wissenschaft u. bedienen sich der naivsten Mittel, um sich dem gewählten Gegenstand zu nähern. Ich kannte einen Baron u. eine Baronin, die auf der Sucht nach Zerstreuung auf die Astronomie verfielen; einer anderen Dame gab der Zufall, den Hoforganisten einmal auf dem Lande kennengelernt zu haben, die Idee, sich für ein paar Stunden als dessen Schülerin auf die Orgelbank zu setzen! Gegenwärtig befleißigen sich nicht weniger als zwei Damen unserer Bekanntschaft , eines Sportes für – Philosophie! Niemals würden all diese Personen zugeben, daß sie bloß die Gelegenheit ihrer Geldmittel mißbrauchen u. nur aus Zerstreuungssucht, nicht aber aus wirklichem Drang die Liebhaberei betreiben. Die Eitelkeit jagt sie vielmehr in den Wahn hinein, daß sie organische Bedürfnisse ihres Wesens zu er- {467} füllen haben. An sich wäre gegen diese Liebhaberei sicher nur wenig einzuwenden, wenn es angesichts des Schadens, den ihre Einbildung macht, nicht weit wichtiger u. richtiger wäre, ihnen zuzurufen: Nehmt lieber den Astronomen die Sorge ab u. nicht der Astronomie, lieber den Musikern u. Philosophen u. nicht der Musik u. Philosophie!

*

© Transcription Marko Deisinger.

October 12, 1916. 13°, warm but windy, partly cloudy.

— 10 Kronen paid for the repair and pressing of the winter suits. — The caretaker notified of the defects in the window, and refuses to accept responsibility for any damages. She replies, on the other hand, that help was already given for insulation and, moreover, that it is now wartime when one cannot find any workers!! —

— A painter in the house; he improves some places that had been made bare as a result of the gas installation. —

The Ministry of Trade in Arad has ascertained that, given the supply of leather and the production costs, a proper pair of men's shoes should cost at most 35.60 Kronen, whereby a "decent amount of use" is already reckoned! —

— The Arbeiter-Zeitung takes cognizance of the speeches against England in the German Reichstag with the remark: "… and one wonders about Lloyd George." 1 In its obstinate effort to think differently from the Neue Freie Presse and its bourgeois circles, it assumes the pose of a world savior and religious founder, in the middle of the war, and preaches that it is better to be beaten and destroyed so long as peace can only be achieved! Undoubtedly, if Germany accepts England's conditions, then peace will automatically ensue. But to understand human kindness in such a way as to sacrifice oneself to one's opponents' destructive desires, out of ethnic [recte ethical?] convictions and without further ado, is something that never occurred to a Christ, a Moses, or a Mohammed! The standpoint of the Arbeiter-Zeitung is infuriatingly blinkered, and all the more infuriating because it is at the same time completely undignified, and in contradiction to the stance taken by the {466} German social democrats who are standing in the field. Only a German newspaper can manage, with love and subservience, to chase after the French and English social democrats, who have broken away from the International on specific, publicly proclaimed grounds! —

*

If a person is charged with incompetence, he will not take this as a criticism; on the contrary, he takes it as a criticism if he is accused of vanity! Vanity is something he will not accept under any condition at all; it is the first and last weapon that he uses; and this explains why he would rather argue himself out of incompetence than out of vanity. If, for example, he is caught out taking a stand of opposition, which one sets about to break, he would prefer to defend his opposition by saying that he was not capable of understanding what was right; but he would never admit that he did it merely out of vanity. Incompetence may be blamed on nature; but with vanity, if it is his own, he feels uncomfortable.

*

When the rich seek to amuse themselves, they often make the strangest plans and ventures in doing so. Thus they suddenly discover a pleasure for this or that art, this or that science, and they avail themselves of the most naïve means of approaching their chosen object. I knew a baron and a baroness who, desperate to amuse themselves, hit upon astronomy; another lady, who by chance got to know the court organist once when they were in the country, got the idea of sitting on the organ bench for a few hours, as his pupil! At present, no fewer than two ladies with whom we are acquainted are cultivating a sport for – philosophy! Never would these persons admit that they are merely misusing the opportunity of their wealth, and that they are pursuing their hobby for amusement, not from a real passion for it. Rather, vanity drives them into believing that they must fulfill the organic needs of their existence. {467} In itself, there would surely be little to object to such amusement if, in view of the damage caused by their delusion, it were not much more important and correct to call out to them: ["]Relieve the troubles of the astronomers, and not of astronomy; and of the musicians and philosophers, and not of music and philosophy!["]

*

© Translation William Drabkin.

12. X. 16 13°, warm aber windig, leicht bewölkt.

— Für Reparatur u. Bügeln der Winteranzüge 10 Kronen gezahlt. — Die Hausbesorgerin auf die Mängel der Fenster aufmerksam gemacht u. die Verantwortung für etwaigen Schaden abgelehnt. Sie erwidert dagegen, es sei wäre schon mit dem Dichten geholfen u. übrigens sei jetzt Krieg, da könne man keine Arbeiter finden!! —

— Maler im Hause; bessert die durch die Gasleitung bloßgelegten Stellen aus. —

— Die Handelskammer in Arad stellt fest: , nach den gegenwärtigen Vorräten an Leder u. den Gestehungskosten dürfte ein paar [sic] ordentliche Schuhe für einen Mann höchstens 35.60 Kronen kosten, wobei ein „anständiger Nutzenbereits mitgerechnet sei! —

— Die „Arbeiter Ztg.;“ nimmt von den Reden im deutschen Reichstag, die sich gegen England wenden[,] mit der Bemerkung Kenntnis: . . „und da wundert man sich über Lloyd George“. 1 In ihrem hartnäckigen Bestreben, anders zu denken als die „N. Fr. Pr.“ u. die bourgoisen [sic] Kreise, nimmt sie mitten im Krieg die Pose eines Welterlösers an u. Religionsstifters an u. predigt, sich lieber verprügeln u. vernichten zu lassen, wenn damit nur der Friede gewonnen wird würde! Kein Zweifel, daß, wenn Deutschland Englands Bedingungen akzeptiert, der Friede automatisch eintritt –, aber die Menschenliebe so zu verstehen, daß man sich dem Vernichtungswillen des Gegners aus ethischer Ueberzeugung u. ohneweiters preisgibt, ist nicht einmal Christus, Moses oder Mohamed beingefallen! Der Standpunkt der „Arbeiter Ztg.“ ist aufreizend borniert, umso aufreizender, als er zugleich auch völlig würdelos ist u. in Widerspruch mit der Haltung der {466} deutschen Sozialdemokraten, die im Felde stehen. Nur ein deutsches Blatt konnte es fertig bringen, mit Liebe u. Unterwürfigkeit den französischen u. englischen Sozialdemokraten nachzulaufen, die sich aus diesen u. jenen bestimmten öffentlich einbekannten Gründen von der Internationale losgesagt haben! —

*

Wird dem Menschen Unfähigkeit vorgehalten, so empfindet er dieß [sic] nicht als Vorwurf; dagegen empfindet er es als Vorwurf, wenn ihm Eitelkeit vorgeworfen wird! Die Eitelkeit läßt er sich eben unter keinen Umständen nehmen; sie ist seine die erste u. letzte Waffe, über die er verfügt u. so erklärt es sich, daß er sich gegebenen Falles noch lieber auf Unfähigkeit als auf Eitelkeit ausredet. Wird er zum Beispiel bei einem Widerstand ertappt, den man zu brechen sich anschickt, so verteidigt er den Widerstand lieber damit, daß er zu unfähig sei, um das Richtige zu erkennen, aber niemals wird er zugeben, daß er ihn bloß aus Et Eitelkeit betreibt. Die Unfähigkeit falle der Natur zur Schuld, die Eitelkeit wenn seine eigene, empfindet er dunkel.

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Wenn die Reichen Zerstreuung suchen, machen [illeg]sie dabei oft die sonderbarsten Pläne u. Unternehmungen. So entdecken sie plötzlich eine Liebhaberei für diese oder jene Kunst, diese oh oder jene Wissenschaft u. bedienen sich der naivsten Mittel, um sich dem gewählten Gegenstand zu nähern. Ich kannte einen Baron u. eine Baronin, die auf der Sucht nach Zerstreuung auf die Astronomie verfielen; einer anderen Dame gab der Zufall, den Hoforganisten einmal auf dem Lande kennengelernt zu haben, die Idee, sich für ein paar Stunden als dessen Schülerin auf die Orgelbank zu setzen! Gegenwärtig befleißigen sich nicht weniger als zwei Damen unserer Bekanntschaft , eines Sportes für – Philosophie! Niemals würden all diese Personen zugeben, daß sie bloß die Gelegenheit ihrer Geldmittel mißbrauchen u. nur aus Zerstreuungssucht, nicht aber aus wirklichem Drang die Liebhaberei betreiben. Die Eitelkeit jagt sie vielmehr in den Wahn hinein, daß sie organische Bedürfnisse ihres Wesens zu er- {467} füllen haben. An sich wäre gegen diese Liebhaberei sicher nur wenig einzuwenden, wenn es angesichts des Schadens, den ihre Einbildung macht, nicht weit wichtiger u. richtiger wäre, ihnen zuzurufen: Nehmt lieber den Astronomen die Sorge ab u. nicht der Astronomie, lieber den Musikern u. Philosophen u. nicht der Musik u. Philosophie!

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© Transcription Marko Deisinger.

October 12, 1916. 13°, warm but windy, partly cloudy.

— 10 Kronen paid for the repair and pressing of the winter suits. — The caretaker notified of the defects in the window, and refuses to accept responsibility for any damages. She replies, on the other hand, that help was already given for insulation and, moreover, that it is now wartime when one cannot find any workers!! —

— A painter in the house; he improves some places that had been made bare as a result of the gas installation. —

The Ministry of Trade in Arad has ascertained that, given the supply of leather and the production costs, a proper pair of men's shoes should cost at most 35.60 Kronen, whereby a "decent amount of use" is already reckoned! —

— The Arbeiter-Zeitung takes cognizance of the speeches against England in the German Reichstag with the remark: "… and one wonders about Lloyd George." 1 In its obstinate effort to think differently from the Neue Freie Presse and its bourgeois circles, it assumes the pose of a world savior and religious founder, in the middle of the war, and preaches that it is better to be beaten and destroyed so long as peace can only be achieved! Undoubtedly, if Germany accepts England's conditions, then peace will automatically ensue. But to understand human kindness in such a way as to sacrifice oneself to one's opponents' destructive desires, out of ethnic [recte ethical?] convictions and without further ado, is something that never occurred to a Christ, a Moses, or a Mohammed! The standpoint of the Arbeiter-Zeitung is infuriatingly blinkered, and all the more infuriating because it is at the same time completely undignified, and in contradiction to the stance taken by the {466} German social democrats who are standing in the field. Only a German newspaper can manage, with love and subservience, to chase after the French and English social democrats, who have broken away from the International on specific, publicly proclaimed grounds! —

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If a person is charged with incompetence, he will not take this as a criticism; on the contrary, he takes it as a criticism if he is accused of vanity! Vanity is something he will not accept under any condition at all; it is the first and last weapon that he uses; and this explains why he would rather argue himself out of incompetence than out of vanity. If, for example, he is caught out taking a stand of opposition, which one sets about to break, he would prefer to defend his opposition by saying that he was not capable of understanding what was right; but he would never admit that he did it merely out of vanity. Incompetence may be blamed on nature; but with vanity, if it is his own, he feels uncomfortable.

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When the rich seek to amuse themselves, they often make the strangest plans and ventures in doing so. Thus they suddenly discover a pleasure for this or that art, this or that science, and they avail themselves of the most naïve means of approaching their chosen object. I knew a baron and a baroness who, desperate to amuse themselves, hit upon astronomy; another lady, who by chance got to know the court organist once when they were in the country, got the idea of sitting on the organ bench for a few hours, as his pupil! At present, no fewer than two ladies with whom we are acquainted are cultivating a sport for – philosophy! Never would these persons admit that they are merely misusing the opportunity of their wealth, and that they are pursuing their hobby for amusement, not from a real passion for it. Rather, vanity drives them into believing that they must fulfill the organic needs of their existence. {467} In itself, there would surely be little to object to such amusement if, in view of the damage caused by their delusion, it were not much more important and correct to call out to them: ["]Relieve the troubles of the astronomers, and not of astronomy; and of the musicians and philosophers, and not of music and philosophy!["]

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Der Haß gegen England," Arbeiter-Zeitung, No. 283, October 12, 1916, 28th year, p. 5.