Downloads temporarily removed for testing purposes

12. VII. 16 13°; heftiger Regen die Nacht hindurch, auch morgens.

Um 5h auf! — Zu Fritz; Brotkommissionen u. verschiedene Besorgungen. — In der Kanzlei der Erzherzog Friedrich’schen Molkerei wo macht Lie-Liechen den Versuch, sich für später vorzumerken, ; dort sehe ich die niederen Beamten in Müßiggang sitzen, lachen, u. kichern u. sich aufs Beste unterhalten. Ebenso Doch war, wie Lie-Liechen erzählt, auch der Inspektor selbst abends zu langgedehnten Discussionen aufgelegt, blos weil er sich nach Wiener Unsitte dem Kunden gern von seiner besten Seite zeigen wollte. Ein Pendent [sic] dazu erlebten wir in einem Laden, in dem wir Rasiermesser einkaufen wollten. Der Kaufmann suchte, da er die von uns begehrten Messer nicht hatte, uns Abziehriemen einzureden. Dabei ging es nicht ab ohne Anreden wie „meine Theuere“ u. ähnliche Süßigkeiten, die wahrscheinlich in der Mehrzahl der Fälle ihre Schuldigkeit tun. —

— In beiden Brotkommissionen wird eine verschiedene Technik beobachtet; die eine nahm Lie-Liechen die Brotkarten ab, die andere hielt es umgekehrt für angezeigt, daß ich die Brotkarten behalte! In Prolongation kann man sich denken, wie schließlich das Leben im Staate, trotz Verordnungen u. Ausführungsvorschriften, doch hauptsächlich nur von Zufällen regiert wird. Und wäre es nicht ebenso wohl auch in andern Staaten, längst wäre der unsere sicher längst zugrunde gegangen! —

— „Austauschbeamte haben wir eher als Austauschprofessoren nötig“ prägt Lie-Liechen aus Anlass der Erfahrungen des Tages – ein ganz treffliches Wort, das Weiterverbreitung verdient u. fordert. — Gegen ½11h bessert sich das Wetter u. wir sind in der angenehmen Lage, die restlichen Besorgungen bei einigermaßen schönem Wetter machen zu können! —

*

Von Zuckerkandl (Karte) aus Rußland; er ist dort zufriedener als in Italien, nur weil die Bevölkerung nicht evakuiert ist. —

*

{335} Nach Tisch packt Lie-Liechen bei sich zuende, bereitet Eßwaren für die Dose vor u. nun geht es ans Packen meines Koffers. Sie findet leider keine Zeit mehr, das Packen systematisch durchzuführen wie sonst; glücklicherweise ist es aber dennoch ganz gut abgelaufen, wenn ich davon absehe, daß ich das Opernglas vergessen habe. Während gepackt wurde, erschien der bestellte Dienstmann, um sich die Stücke anzusehen; wir empfehlen ihm, eine zweite Hilfskraft zu nehmen, da noch der Koffer aus der Streichergasse zum Transport gehört. Er verspricht um 5h zu kommen. –

Die kleine Tragödie, die um 5h unvermutet einsetzte, begann damit, daß der Dienstmann nicht erschien. Diese Erfahrung hat uns sofort sehr bestürzt, denn uns wurde sehr bange, wie ob er denn wohl das P Gepäck auch noch rechtzeitig zur Bahn bringen würde. Ja, das habe erich ja gar nicht gewußt, daß das Gepäck so schwer sei [recte ist], meinte der Dienstmann immer wieder, u. auch von einem zweiten Koffer erfahre ich erst jetzt! Die Situation wurde immer bedrohlicher, besonders dadurch, daß er , nach Art der alten Männer in der Erwartung, daß er dadurch seine physischen Kräften mehren würde, sich etwas Alkohol zugeführt hatte. Glücklicherweise erschien Hilfe in Gestalt des Wasserers von gegenüber. Dieser Mann nun, im Grunde unscheinbar, ließ sich nun den Korb völlig unbefangen auf den Rücken laden u. schon entschwand er unseren Blicken die Treppe hinunter, als würde er einfach nur Ski laufen. Diese Kraftentfaltung machte uns Beide erstaunen, wobei wir übrigens noch außerdem alle Ursache hatten dankbar zu sein dafür, daß der Himmel in Not uns diese Hilfskraft beschert hat. Der Dienstmann stellte freilich diese Leistung auf seine Rechnung – kaufmännische Begriffe verlangen es so – u. begab sich mit uns in die Streichergasse, um Lie-Liechens Koffer abzuholen.

Hier setzte der 2. Akt der Tragödie ein: Wie immer er den Koffer anpackte, erwies er sich wegen seines hohen Alters zu schwach, ihn hinunter zu transportieren. Wir halfen Beide nach – leider vergebens. Und immer wieder, mit echt wienerischer Frechheit rief der Dienstmann dazwischen, er habe nichts von diesem Koffer gewußt. {336} Wir gerieten sehr bald in Verzweiflung, weil wir besorgen mußten, daß das Gepäck nicht zur rechten Stunde am Bahnhof erscheinen werde. Schließlich halfen wir selbst mit, den Koffer so gut als möglich die Treppe hinunter zu schleppen; aber auch hierbei versagte der Dienstmann. Nun lief er hinunter u. schrie, offenbar aus Betrunkenheit verworren, im Stiegenhaus Streichergasse nach dem „Johann“, der in der Reisnerstraße war, da er trotz Trunkenheit immerhin ahnte, daß das Erreichen des Zuges bereits in Frage gestellt war. Endlich leistete das Dienstmädchen bei Lie-Liechen s die entscheidende Hilfe u. der Koffer kam auf das Wägelchen. Während wir im Stiegenhaus uns quälten, polterten u. schoben erschien Floriz. Fr. Wally hatte nämlich in einer pn. Karte uns mitgeteilt, daß sie uns im Café Siller zwischen 3–4h erwarten wollen. Diese Karte kreuzte sich mit der meinen, in der wir schriftlich Abschied nahmen. So scheint Fl., da wir eben im Caféhaus nicht erschienen, den Entschluss gefaßt zu haben, zu uns den Weg zu machen. Er begleitete uns ein Stück Weges, war Zeuge unserer Gepäcksmisère u. fuhr vom Schwarzenbergplatz zu Fr. Hauser, die sich einer Stirnhöhlenoperation unterziehen mußte. Mit dem Wägelchen ging es wieder in die Reisnerstraße, wo die übrigen Gepäckstücke aufgeladen wurden. Hier erschien auch wieder der Wasserer, wodurch wir endlich Hoffnung schöpfen durften, daß die Sache doch noch glimpflich ablaufen werde.

Zum Abendessen im Restaurant des Westbahnhofes.

Am Schalter erhalte ich die Auskunft, daß Karten nur bis Innsbruck ausgegeben werden u. daß der Zug über Salzburg statt über Selztal geht. Weiteres war aus dem Fräulein am Schalter nicht herauszubringen u. dies erschreckte mich, je weniger sie eben zu sagen wußte. Am Schalter, wo ich das Gepäck aufzugeben hatte, hieß es gleichlautend, das Gepäck könne nur bis Innsbruck aufgegeben werden, u. auf meine Frage erhielt ich von dem Fräulein am Schalter wie der wieder nur dieselbe Antwort; nur ein Herr im Hintergrunde ergänzte sie durch die Mitteilung, daß {337} heute ein Telegramm mit der dieser Weisung eingelaufen sei. Alles erschien mir geheimnisvoll u. wir konnten es nur in Zusammenhang bringen entweder mit einer Betriebsstörung im Gesäuse oder mit einer größeren Inanspruchnahme von Betriebsmaterialien aus Anlass der Transporte von Italien nach Russland.

Im Coupé fanden wir leicht Platz, da vom üblichen Gedränge der Sommerreisenden nichts zu sehen war. Auf der Fahrt wurden unsere Pässe nicht weniger als dreimal revidiert; das erstemal vor St. Pölten, das zweitemal nachts bei Saalfelden von einem Feldgendarm u. endlich unmittelbar vor St. Anton. All diese Beamten trugen ihre Würde umso forçierter vor, als es ihnen an wirklicher Beherrschung ihrer Aufgabe fehlte; alle Entschlossenheit zur Rigorosität verdampfte regelmäßig in einem echt oesterreichischen „ meinetwegen“. Am meisten unterhielt es uns, daß der eine Beamte von einer Kontumaz in Nordtirol sprach, weshalb wir nicht nach der Schweiz gelangen könnten. Unseren Einwand, daß St. A. ja noch zu Tirol gehöre, hat er einfach nicht begriffen. —

© Transcription Marko Deisinger.

July 12, 1916. 13°; heavy rain throughout the night, also in the morning.

Up at 5 o'clock! — To Fritz; bread commissions and various errands. — In the chancellery of Archduke Friedrich's Dairy, Lie-Liechen attempts to book an appointment for later; there I see the lower-ranking officials sitting idly, laughing, chuckling, conversing as best as they can. Yet, as Lie-Liechen says, even the inspector himself was encumbered in the evening with long drawn-out discussions, merely because he wished – a typical bad habit of the Viennese – to show the best side of himself to his customers. We experienced another example of this in a shop in which we wanted to buy a shaving knife. As the shopkeeper did not have the knife that we requested, he tried to persuade us to buy leather strops. In doing so he did not refrain from saying "my dear lady" and using similarly syrupy expressions, which have their desired effect in the majority of cases. —

— In the two bread commissions, a different technique was observed; one took the bread-card away from Lie-Liechen, the other, by contrast, took it on faith that I was in possession of the bread-cards! By extension, one can well imagine how, ultimately, the life of the state, in spite of ordinances and regulations, is governed mainly by mere chance circumstances. And were this probably not also the case in other states, ours would have surely gone to ground long ago! —

— "We need 'exchange officials' more than we need exchange professors," Lie-Liechen puts it as a result of the day's experiences a thoroughly appropriate word, which deserves and demands to become more widespread. — Towards 10:30 the weather improves, and we are in the agreeable position of being able to do our remaining errands in reasonably fine weather! —

*

From Zuckerkandl, postcard from Russia; he is happier there than in Italy, only because the population has not been evacuated. —

*

{335} After lunch, Lie-Liechen finishes packing, prepares food for the container and now proceeds to pack my suitcase. Unfortunately she does not find sufficient time to carry out the packing systematically, as usual; fortunately, however, it has gone well, apart from the fact that I forgot the opera glasses. During the packing the porter appeared, in order to examine the pieces; we advise him to bring an assistant with him, since the suitcase from the Streichergasse also belonged to the baggage. He promises to come at 5 o'clock. –

The little tragedy that unexpectedly unfolded at 5 o'clock began with the failure of the porter to appear. This experience immediately caused us consternation, for we were very worried about whether he could get the baggage to the train station on time. "Indeed, I had no idea that the bag was so heavy," the porter kept saying, "and only now do I hear about a second suitcase!" The situation became increasingly threatening, especially since he had drunk some alcohol, in the expectation – typical of old men – that he could thereby increase his physical powers. Fortunately, help appeared in the shape of the horse attendant opposite us. This man, though he was hardly conspicuous, loaded the basket onto his back with complete unselfconsciousness and disappeared from our sight down the staircase, as if he were simply going skiing. The two of us were astonished by this display of strength, whereby we also had every reason to be grateful that Heaven had granted us this assistance in our time of need. The porter of course added this service to his invoice – businesslike concepts demands this – and went with us to the Streichergasse to collect Lie-Liechen's suitcase.

Here the second act of the tragedy unfolded. However he tried to lift the suitcase, he proved too weak, on account of his great age, to bring it downstairs. We offered our assistance – unfortunately in vain. And over again, with genuine Viennese effrontery, the porter kept saying that he knew nothing about this suitcase. {336} We quickly fell into despair because we were afraid that the baggage would not appear at the train station on time. Finally we ourselves helped to drag the suitcase down the stairs as best as we could; but even here the porter failed. Finally he ran down and cried, apparently confused in his drunkenness, from the stairwell in the Streichergasse to the "Johann" who was in the Reisnerstraße; for in spite of being drunk he nonetheless realized that reaching the train now hung in the balance. Finally Lie-Liechen's maid offered the necessary assistance, and the suitcase was put on the trolley. While we were struggling, clattering, and pushing about, Floriz appeared. For Vally had told us, in a pneumatic postcard, that they would be expecting us in the Café Siller between 3 and 4 o'clock. This postcard crossed with mine, in which we had said goodbye in writing. As we had not actually appeared in the coffee house, Floriz must have decided to make is way to us. He accompanied us part of the way, was a witness to the luggage misery, and then went from the Schwarzenbergplatz to Mrs. Hauser, who had to undergo a frontal sinus operation. Thereupon the horse attendant appeared again, which enabled us to create the hope that the matter would still somehow be resolved.

Dinner at the restaurant of the Western Rail Station.

At the ticket counter, I receive the information that tickets will be issued only as far as Innsbruck, and that the train is going via Salzburg rather than through Selztal. More could not be discovered from the young lady at the ticket counter; and the less she was able to tell me, the more I was alarmed. At the counter where I had to deposit the baggage, the story was the same: the baggage could be checked only as far as Innsbruck. And when I put my question to the young lady at the counter, I again received the same reply; only a gentleman in the background amplified it by saying that a telegram had arrived with his instruction. {337} Everything seemed so mysterious to me; and we could only suppose that it had to do with a breakdown of service in the [Enns Valley] rapids or with a rather large demand upon the operational material on the occasion of the transports from Italy to Russia.

We had no trouble finding a place in the compartment, as there was nothing to be seen of the usual throng of summer travelers. Along the journey, our passports were controlled no fewer than three times; the first time before St. Pölten, the second time in the night at Saalfelden by a military policeman, and finally just before St. Anton. All these officials bore their dignity all the more forcedly, as the actual mastery of their duty did not apply; all decisiveness in rigorousness evaporated into a genuinely Austrian "whatever." What most entertained us was that one of the officials spoked of a quarantine in northern Tyrol, on account of which we could not reach Switzerland. Our objection, that St. Anton was still in the Tyrol, was something that he simply did not understand.—

© Translation William Drabkin.

12. VII. 16 13°; heftiger Regen die Nacht hindurch, auch morgens.

Um 5h auf! — Zu Fritz; Brotkommissionen u. verschiedene Besorgungen. — In der Kanzlei der Erzherzog Friedrich’schen Molkerei wo macht Lie-Liechen den Versuch, sich für später vorzumerken, ; dort sehe ich die niederen Beamten in Müßiggang sitzen, lachen, u. kichern u. sich aufs Beste unterhalten. Ebenso Doch war, wie Lie-Liechen erzählt, auch der Inspektor selbst abends zu langgedehnten Discussionen aufgelegt, blos weil er sich nach Wiener Unsitte dem Kunden gern von seiner besten Seite zeigen wollte. Ein Pendent [sic] dazu erlebten wir in einem Laden, in dem wir Rasiermesser einkaufen wollten. Der Kaufmann suchte, da er die von uns begehrten Messer nicht hatte, uns Abziehriemen einzureden. Dabei ging es nicht ab ohne Anreden wie „meine Theuere“ u. ähnliche Süßigkeiten, die wahrscheinlich in der Mehrzahl der Fälle ihre Schuldigkeit tun. —

— In beiden Brotkommissionen wird eine verschiedene Technik beobachtet; die eine nahm Lie-Liechen die Brotkarten ab, die andere hielt es umgekehrt für angezeigt, daß ich die Brotkarten behalte! In Prolongation kann man sich denken, wie schließlich das Leben im Staate, trotz Verordnungen u. Ausführungsvorschriften, doch hauptsächlich nur von Zufällen regiert wird. Und wäre es nicht ebenso wohl auch in andern Staaten, längst wäre der unsere sicher längst zugrunde gegangen! —

— „Austauschbeamte haben wir eher als Austauschprofessoren nötig“ prägt Lie-Liechen aus Anlass der Erfahrungen des Tages – ein ganz treffliches Wort, das Weiterverbreitung verdient u. fordert. — Gegen ½11h bessert sich das Wetter u. wir sind in der angenehmen Lage, die restlichen Besorgungen bei einigermaßen schönem Wetter machen zu können! —

*

Von Zuckerkandl (Karte) aus Rußland; er ist dort zufriedener als in Italien, nur weil die Bevölkerung nicht evakuiert ist. —

*

{335} Nach Tisch packt Lie-Liechen bei sich zuende, bereitet Eßwaren für die Dose vor u. nun geht es ans Packen meines Koffers. Sie findet leider keine Zeit mehr, das Packen systematisch durchzuführen wie sonst; glücklicherweise ist es aber dennoch ganz gut abgelaufen, wenn ich davon absehe, daß ich das Opernglas vergessen habe. Während gepackt wurde, erschien der bestellte Dienstmann, um sich die Stücke anzusehen; wir empfehlen ihm, eine zweite Hilfskraft zu nehmen, da noch der Koffer aus der Streichergasse zum Transport gehört. Er verspricht um 5h zu kommen. –

Die kleine Tragödie, die um 5h unvermutet einsetzte, begann damit, daß der Dienstmann nicht erschien. Diese Erfahrung hat uns sofort sehr bestürzt, denn uns wurde sehr bange, wie ob er denn wohl das P Gepäck auch noch rechtzeitig zur Bahn bringen würde. Ja, das habe erich ja gar nicht gewußt, daß das Gepäck so schwer sei [recte ist], meinte der Dienstmann immer wieder, u. auch von einem zweiten Koffer erfahre ich erst jetzt! Die Situation wurde immer bedrohlicher, besonders dadurch, daß er , nach Art der alten Männer in der Erwartung, daß er dadurch seine physischen Kräften mehren würde, sich etwas Alkohol zugeführt hatte. Glücklicherweise erschien Hilfe in Gestalt des Wasserers von gegenüber. Dieser Mann nun, im Grunde unscheinbar, ließ sich nun den Korb völlig unbefangen auf den Rücken laden u. schon entschwand er unseren Blicken die Treppe hinunter, als würde er einfach nur Ski laufen. Diese Kraftentfaltung machte uns Beide erstaunen, wobei wir übrigens noch außerdem alle Ursache hatten dankbar zu sein dafür, daß der Himmel in Not uns diese Hilfskraft beschert hat. Der Dienstmann stellte freilich diese Leistung auf seine Rechnung – kaufmännische Begriffe verlangen es so – u. begab sich mit uns in die Streichergasse, um Lie-Liechens Koffer abzuholen.

Hier setzte der 2. Akt der Tragödie ein: Wie immer er den Koffer anpackte, erwies er sich wegen seines hohen Alters zu schwach, ihn hinunter zu transportieren. Wir halfen Beide nach – leider vergebens. Und immer wieder, mit echt wienerischer Frechheit rief der Dienstmann dazwischen, er habe nichts von diesem Koffer gewußt. {336} Wir gerieten sehr bald in Verzweiflung, weil wir besorgen mußten, daß das Gepäck nicht zur rechten Stunde am Bahnhof erscheinen werde. Schließlich halfen wir selbst mit, den Koffer so gut als möglich die Treppe hinunter zu schleppen; aber auch hierbei versagte der Dienstmann. Nun lief er hinunter u. schrie, offenbar aus Betrunkenheit verworren, im Stiegenhaus Streichergasse nach dem „Johann“, der in der Reisnerstraße war, da er trotz Trunkenheit immerhin ahnte, daß das Erreichen des Zuges bereits in Frage gestellt war. Endlich leistete das Dienstmädchen bei Lie-Liechen s die entscheidende Hilfe u. der Koffer kam auf das Wägelchen. Während wir im Stiegenhaus uns quälten, polterten u. schoben erschien Floriz. Fr. Wally hatte nämlich in einer pn. Karte uns mitgeteilt, daß sie uns im Café Siller zwischen 3–4h erwarten wollen. Diese Karte kreuzte sich mit der meinen, in der wir schriftlich Abschied nahmen. So scheint Fl., da wir eben im Caféhaus nicht erschienen, den Entschluss gefaßt zu haben, zu uns den Weg zu machen. Er begleitete uns ein Stück Weges, war Zeuge unserer Gepäcksmisère u. fuhr vom Schwarzenbergplatz zu Fr. Hauser, die sich einer Stirnhöhlenoperation unterziehen mußte. Mit dem Wägelchen ging es wieder in die Reisnerstraße, wo die übrigen Gepäckstücke aufgeladen wurden. Hier erschien auch wieder der Wasserer, wodurch wir endlich Hoffnung schöpfen durften, daß die Sache doch noch glimpflich ablaufen werde.

Zum Abendessen im Restaurant des Westbahnhofes.

Am Schalter erhalte ich die Auskunft, daß Karten nur bis Innsbruck ausgegeben werden u. daß der Zug über Salzburg statt über Selztal geht. Weiteres war aus dem Fräulein am Schalter nicht herauszubringen u. dies erschreckte mich, je weniger sie eben zu sagen wußte. Am Schalter, wo ich das Gepäck aufzugeben hatte, hieß es gleichlautend, das Gepäck könne nur bis Innsbruck aufgegeben werden, u. auf meine Frage erhielt ich von dem Fräulein am Schalter wie der wieder nur dieselbe Antwort; nur ein Herr im Hintergrunde ergänzte sie durch die Mitteilung, daß {337} heute ein Telegramm mit der dieser Weisung eingelaufen sei. Alles erschien mir geheimnisvoll u. wir konnten es nur in Zusammenhang bringen entweder mit einer Betriebsstörung im Gesäuse oder mit einer größeren Inanspruchnahme von Betriebsmaterialien aus Anlass der Transporte von Italien nach Russland.

Im Coupé fanden wir leicht Platz, da vom üblichen Gedränge der Sommerreisenden nichts zu sehen war. Auf der Fahrt wurden unsere Pässe nicht weniger als dreimal revidiert; das erstemal vor St. Pölten, das zweitemal nachts bei Saalfelden von einem Feldgendarm u. endlich unmittelbar vor St. Anton. All diese Beamten trugen ihre Würde umso forçierter vor, als es ihnen an wirklicher Beherrschung ihrer Aufgabe fehlte; alle Entschlossenheit zur Rigorosität verdampfte regelmäßig in einem echt oesterreichischen „ meinetwegen“. Am meisten unterhielt es uns, daß der eine Beamte von einer Kontumaz in Nordtirol sprach, weshalb wir nicht nach der Schweiz gelangen könnten. Unseren Einwand, daß St. A. ja noch zu Tirol gehöre, hat er einfach nicht begriffen. —

© Transcription Marko Deisinger.

July 12, 1916. 13°; heavy rain throughout the night, also in the morning.

Up at 5 o'clock! — To Fritz; bread commissions and various errands. — In the chancellery of Archduke Friedrich's Dairy, Lie-Liechen attempts to book an appointment for later; there I see the lower-ranking officials sitting idly, laughing, chuckling, conversing as best as they can. Yet, as Lie-Liechen says, even the inspector himself was encumbered in the evening with long drawn-out discussions, merely because he wished – a typical bad habit of the Viennese – to show the best side of himself to his customers. We experienced another example of this in a shop in which we wanted to buy a shaving knife. As the shopkeeper did not have the knife that we requested, he tried to persuade us to buy leather strops. In doing so he did not refrain from saying "my dear lady" and using similarly syrupy expressions, which have their desired effect in the majority of cases. —

— In the two bread commissions, a different technique was observed; one took the bread-card away from Lie-Liechen, the other, by contrast, took it on faith that I was in possession of the bread-cards! By extension, one can well imagine how, ultimately, the life of the state, in spite of ordinances and regulations, is governed mainly by mere chance circumstances. And were this probably not also the case in other states, ours would have surely gone to ground long ago! —

— "We need 'exchange officials' more than we need exchange professors," Lie-Liechen puts it as a result of the day's experiences a thoroughly appropriate word, which deserves and demands to become more widespread. — Towards 10:30 the weather improves, and we are in the agreeable position of being able to do our remaining errands in reasonably fine weather! —

*

From Zuckerkandl, postcard from Russia; he is happier there than in Italy, only because the population has not been evacuated. —

*

{335} After lunch, Lie-Liechen finishes packing, prepares food for the container and now proceeds to pack my suitcase. Unfortunately she does not find sufficient time to carry out the packing systematically, as usual; fortunately, however, it has gone well, apart from the fact that I forgot the opera glasses. During the packing the porter appeared, in order to examine the pieces; we advise him to bring an assistant with him, since the suitcase from the Streichergasse also belonged to the baggage. He promises to come at 5 o'clock. –

The little tragedy that unexpectedly unfolded at 5 o'clock began with the failure of the porter to appear. This experience immediately caused us consternation, for we were very worried about whether he could get the baggage to the train station on time. "Indeed, I had no idea that the bag was so heavy," the porter kept saying, "and only now do I hear about a second suitcase!" The situation became increasingly threatening, especially since he had drunk some alcohol, in the expectation – typical of old men – that he could thereby increase his physical powers. Fortunately, help appeared in the shape of the horse attendant opposite us. This man, though he was hardly conspicuous, loaded the basket onto his back with complete unselfconsciousness and disappeared from our sight down the staircase, as if he were simply going skiing. The two of us were astonished by this display of strength, whereby we also had every reason to be grateful that Heaven had granted us this assistance in our time of need. The porter of course added this service to his invoice – businesslike concepts demands this – and went with us to the Streichergasse to collect Lie-Liechen's suitcase.

Here the second act of the tragedy unfolded. However he tried to lift the suitcase, he proved too weak, on account of his great age, to bring it downstairs. We offered our assistance – unfortunately in vain. And over again, with genuine Viennese effrontery, the porter kept saying that he knew nothing about this suitcase. {336} We quickly fell into despair because we were afraid that the baggage would not appear at the train station on time. Finally we ourselves helped to drag the suitcase down the stairs as best as we could; but even here the porter failed. Finally he ran down and cried, apparently confused in his drunkenness, from the stairwell in the Streichergasse to the "Johann" who was in the Reisnerstraße; for in spite of being drunk he nonetheless realized that reaching the train now hung in the balance. Finally Lie-Liechen's maid offered the necessary assistance, and the suitcase was put on the trolley. While we were struggling, clattering, and pushing about, Floriz appeared. For Vally had told us, in a pneumatic postcard, that they would be expecting us in the Café Siller between 3 and 4 o'clock. This postcard crossed with mine, in which we had said goodbye in writing. As we had not actually appeared in the coffee house, Floriz must have decided to make is way to us. He accompanied us part of the way, was a witness to the luggage misery, and then went from the Schwarzenbergplatz to Mrs. Hauser, who had to undergo a frontal sinus operation. Thereupon the horse attendant appeared again, which enabled us to create the hope that the matter would still somehow be resolved.

Dinner at the restaurant of the Western Rail Station.

At the ticket counter, I receive the information that tickets will be issued only as far as Innsbruck, and that the train is going via Salzburg rather than through Selztal. More could not be discovered from the young lady at the ticket counter; and the less she was able to tell me, the more I was alarmed. At the counter where I had to deposit the baggage, the story was the same: the baggage could be checked only as far as Innsbruck. And when I put my question to the young lady at the counter, I again received the same reply; only a gentleman in the background amplified it by saying that a telegram had arrived with his instruction. {337} Everything seemed so mysterious to me; and we could only suppose that it had to do with a breakdown of service in the [Enns Valley] rapids or with a rather large demand upon the operational material on the occasion of the transports from Italy to Russia.

We had no trouble finding a place in the compartment, as there was nothing to be seen of the usual throng of summer travelers. Along the journey, our passports were controlled no fewer than three times; the first time before St. Pölten, the second time in the night at Saalfelden by a military policeman, and finally just before St. Anton. All these officials bore their dignity all the more forcedly, as the actual mastery of their duty did not apply; all decisiveness in rigorousness evaporated into a genuinely Austrian "whatever." What most entertained us was that one of the officials spoked of a quarantine in northern Tyrol, on account of which we could not reach Switzerland. Our objection, that St. Anton was still in the Tyrol, was something that he simply did not understand.—

© Translation William Drabkin.