5. III. 16 +2°, trotz Nebel schöne Anlage des Tages. —

— Von Dahms (Br.OJ 10/1, [17]); : jammert über jeglichen Mangel an Idealismus in Deutschland u. über das schwere Verkennen des Meisterbegriffes.

— Zum erstenmal in Drehers Gasthaus das Mittagessen genommen. Lie-Liechen gewinnt einen besseren Eindruck als beim „rothen Hahn“. —

*

Nachmittag zeigt Fl. sein jüngstes Produkt. Es entspricht genau meinen Erwartungen; es entbehrt jeglicher Länge, primitiv die Technik der Erfindung, salopp in den Verbindungsteilen, kurz, das Bild eines Menschen, der nicht gewohnt ist, mit Ausdauer u. Gründlichkeit auch nur einer von den tausend Fragen nachzugehen, die beim Entwurf, geschweige bei der Komposition eines solchen Stückes hervortreten sich anmelden. Es blieb mir nichts übrig, als ihm einige Ratschläge zu geben, wie der gegebene Stoff schon durch einige Einschaltungen gelenkiger u. zweckentsprechender gestaltet werden könnte, wobei ich, um nicht unbequem zu wirken, die Autorität von Brahms anrief u. auf die Technik im Requiem hinwies. Doch mag Fl. auch wahrgenommen haben, daß die Art der Erfindung vielleicht einer Umarbeit nicht lohnt; beinahe sieht es aus, als würde er die Sache stehen lassen wollen, blos weil neue Arbeit darauf zu verwenden wäre. Er ist eben sehr für Genieleistung auf den ersten Blick eingenommen. Nicht ohne Verstimmung verließ er mein Zimmer, während ich mit allen erdenklichen Argumenten ihm zuredete u. begreiflich zu machen suchte, daß selbst ständige Uebung u. Erfahrung nicht davor schützen, den ersten Entwurf mißlingen zu lassen.

*

{154} Fl. erzählt mir, daß in einer Gesellschaft bei Spieglers Bruno Walter den jungen Korngold als Dilettanten bezeichnete, der noch viel zu lernen hätte. Als nun jemand in der Gesellschaft fragte, bei wem, meinte Walter: „Bei Schenker“ u. damit stimmte Paumgartner überein, der gesagt haben soll: „Ich habe mich ja viel umgesehen in diesen Dingen u. muß nun ebenfalls sagen, daß der einzige in Betracht kommende Mann eben Schenker ist.["]

*

Popülares [sic] Konzert: 1 Egmont Ouverture; Eroica (schon zum zweitenmal in diesen Konzerten gehört); Klavierkonzert: Frl. Popper; alle Taktteile ausschlagend, als würde sie die Unart, mit dem Fuße Takt zu schlagen, auf das Klavier übertragen; völlig unpoetisches Spiel; kennt keine Unterschiede in den Taktteilen u. den rhetorischen Akzenten. Der Vortrag der Leonoren-Ouverture No. 3; an den entscheidenden Stellen, wo die Thematik tief verankert ist u. wo auch die Modulation poetisch wiedergegeben werden müßte, verfehlt. —

*

Die „Möwe“ 2 ist heimgekehrt!! Eine legendäre Marinetat. 3

*

© Transcription Marko Deisinger.

March 5, 1916, +2°; in spite of mist, a fair prospect for the day. —

— From Dahms (letterOJ 10/1, [17]): he complains about the complete absence of idealism in Germany, and about the stark misjudgment of the concept of master.

— For the first time, lunch taken at Dreher's restaurant; Lie-Liechen gains a more favorable impression than at the Red Cock. —

*

In the afternoon, Floriz shows me his latest product. It corresponds precisely to my expectations; it dispenses with all long-range coherence, is primitive in technique, and sloppy in the transitional passages. In short, the image of someone who is not used to consider patiently and thoroughly even one of the thousand questions that present themselves in the drafting, let alone the composition, of such a piece. There was nothing more for me to do than to give him a few suggestions about how the given material might be made more supple and purposeful by a few insertions; in order to do this without producing an uncomfortable effect, I appealed to the authority of Brahms and referred to the technique in his Requiem. Yet Floriz may have also appreciated that the art of invention may perhaps not merit a process of revision; it almost seems as if he wanted to leave the matter as it were, merely because further work on it would otherwise be necessary. He is indeed very partial towards instantaneous accomplishment of genius. He left my room not without displeasure, where as I encouraged him with all imaginable arguments and sought to make him understand that even continuous practice and experience does not insure against a first draft being unsuccessful.

*

{154} Floriz tells me that, at a party at Spiegler's, Bruno Walter described the young Korngold as a dilettante who still had much to learn. When someone at the party asked, "With whom?", Walter replied "with Schenker"; and Paumgartner agreed with this, supposedly saying: "I have looked around a lot in these matters, and I must likewise say that the only man who comes into consideration is, indeed, Schenker." —

*

Popular Concert: 1 Egmont Overture; Eroica (already for the second time in this series); [First] Piano Concerto, Miss Popper [as soloist]; every beat accentuated, as if she had transferred the bad habit of beating time with the foot to the piano; completely unpoetic playing, without regard to differences among the beats and the rhetorical accents. The performance of Leonore Overture No. 3 failed in the crucial places, where the thematic material is deeply embedded and where even the modulation must be performed poetically. —

*

The Möwe 2 has returned!! A legendary naval feat. 3

*

© Translation William Drabkin.

5. III. 16 +2°, trotz Nebel schöne Anlage des Tages. —

— Von Dahms (Br.OJ 10/1, [17]); : jammert über jeglichen Mangel an Idealismus in Deutschland u. über das schwere Verkennen des Meisterbegriffes.

— Zum erstenmal in Drehers Gasthaus das Mittagessen genommen. Lie-Liechen gewinnt einen besseren Eindruck als beim „rothen Hahn“. —

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Nachmittag zeigt Fl. sein jüngstes Produkt. Es entspricht genau meinen Erwartungen; es entbehrt jeglicher Länge, primitiv die Technik der Erfindung, salopp in den Verbindungsteilen, kurz, das Bild eines Menschen, der nicht gewohnt ist, mit Ausdauer u. Gründlichkeit auch nur einer von den tausend Fragen nachzugehen, die beim Entwurf, geschweige bei der Komposition eines solchen Stückes hervortreten sich anmelden. Es blieb mir nichts übrig, als ihm einige Ratschläge zu geben, wie der gegebene Stoff schon durch einige Einschaltungen gelenkiger u. zweckentsprechender gestaltet werden könnte, wobei ich, um nicht unbequem zu wirken, die Autorität von Brahms anrief u. auf die Technik im Requiem hinwies. Doch mag Fl. auch wahrgenommen haben, daß die Art der Erfindung vielleicht einer Umarbeit nicht lohnt; beinahe sieht es aus, als würde er die Sache stehen lassen wollen, blos weil neue Arbeit darauf zu verwenden wäre. Er ist eben sehr für Genieleistung auf den ersten Blick eingenommen. Nicht ohne Verstimmung verließ er mein Zimmer, während ich mit allen erdenklichen Argumenten ihm zuredete u. begreiflich zu machen suchte, daß selbst ständige Uebung u. Erfahrung nicht davor schützen, den ersten Entwurf mißlingen zu lassen.

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{154} Fl. erzählt mir, daß in einer Gesellschaft bei Spieglers Bruno Walter den jungen Korngold als Dilettanten bezeichnete, der noch viel zu lernen hätte. Als nun jemand in der Gesellschaft fragte, bei wem, meinte Walter: „Bei Schenker“ u. damit stimmte Paumgartner überein, der gesagt haben soll: „Ich habe mich ja viel umgesehen in diesen Dingen u. muß nun ebenfalls sagen, daß der einzige in Betracht kommende Mann eben Schenker ist.["]

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Popülares [sic] Konzert: 1 Egmont Ouverture; Eroica (schon zum zweitenmal in diesen Konzerten gehört); Klavierkonzert: Frl. Popper; alle Taktteile ausschlagend, als würde sie die Unart, mit dem Fuße Takt zu schlagen, auf das Klavier übertragen; völlig unpoetisches Spiel; kennt keine Unterschiede in den Taktteilen u. den rhetorischen Akzenten. Der Vortrag der Leonoren-Ouverture No. 3; an den entscheidenden Stellen, wo die Thematik tief verankert ist u. wo auch die Modulation poetisch wiedergegeben werden müßte, verfehlt. —

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Die „Möwe“ 2 ist heimgekehrt!! Eine legendäre Marinetat. 3

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© Transcription Marko Deisinger.

March 5, 1916, +2°; in spite of mist, a fair prospect for the day. —

— From Dahms (letterOJ 10/1, [17]): he complains about the complete absence of idealism in Germany, and about the stark misjudgment of the concept of master.

— For the first time, lunch taken at Dreher's restaurant; Lie-Liechen gains a more favorable impression than at the Red Cock. —

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In the afternoon, Floriz shows me his latest product. It corresponds precisely to my expectations; it dispenses with all long-range coherence, is primitive in technique, and sloppy in the transitional passages. In short, the image of someone who is not used to consider patiently and thoroughly even one of the thousand questions that present themselves in the drafting, let alone the composition, of such a piece. There was nothing more for me to do than to give him a few suggestions about how the given material might be made more supple and purposeful by a few insertions; in order to do this without producing an uncomfortable effect, I appealed to the authority of Brahms and referred to the technique in his Requiem. Yet Floriz may have also appreciated that the art of invention may perhaps not merit a process of revision; it almost seems as if he wanted to leave the matter as it were, merely because further work on it would otherwise be necessary. He is indeed very partial towards instantaneous accomplishment of genius. He left my room not without displeasure, where as I encouraged him with all imaginable arguments and sought to make him understand that even continuous practice and experience does not insure against a first draft being unsuccessful.

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{154} Floriz tells me that, at a party at Spiegler's, Bruno Walter described the young Korngold as a dilettante who still had much to learn. When someone at the party asked, "With whom?", Walter replied "with Schenker"; and Paumgartner agreed with this, supposedly saying: "I have looked around a lot in these matters, and I must likewise say that the only man who comes into consideration is, indeed, Schenker." —

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Popular Concert: 1 Egmont Overture; Eroica (already for the second time in this series); [First] Piano Concerto, Miss Popper [as soloist]; every beat accentuated, as if she had transferred the bad habit of beating time with the foot to the piano; completely unpoetic playing, without regard to differences among the beats and the rhetorical accents. The performance of Leonore Overture No. 3 failed in the crucial places, where the thematic material is deeply embedded and where even the modulation must be performed poetically. —

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The Möwe 2 has returned!! A legendary naval feat. 3

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 The orchestra of the Vienna Concert Society, conducted by Martin Spörr, performed at the Konzerthaus in Vienna. The concert was the third in the cycle of "German Masters." ("Theater- und Kunstnachrichten," Neue Freie Presse, No. 18512, March 5, 1916, p. 17; database of the online archive of the Vienna Konzerthaus: https://konzerthaus.at/datenbanksuche).

2 SMS Möwe was a merchant raider of the Imperial German Navy. From December 1915 to March 1916 she made a successful raiding voyage in the Atlantic.

3 "Die Rückkehr der 'Möwe' nach Deutschland. Eine glänzende Seemannstat. – Mehr als fünfzehn Schiffe mit rund 58.000 Tonnen vernichtet, viele Gefangene und eine Million Goldbarren erbeutet," Neue Freie Presse, No. 18512, March 5, 1916, p. 2.