13. XII. 15 +3°.
— Zum Zahnarzt Dr. Orlay, erster Weg; weniger trister Befund, als ich befürchtet habe. — — Lie-Liechen an Mama (K.). — 2. Korrektur in Angriff genommen. — *Auch durch republikanische Form ist man vor einem Wilson nicht geschützt! Ist mit Verlaub zu sagen dieser Kopf so disponiert, daß er nur sich selbst neutral sieht u. sonst kein anderer, wo gibt es da ein politisches oder menschliches Serum dagegen? *Der Zeitungsmensch („N. Fr. Pr.“) wünscht nunmehr, daß ein größeres Sieger als die Hindenburg, Mackensen u. wie sie alle heißen, den Frieden anbahne! Dieser fromme Wunsch, den die Lesser mit so viel eigener Teilnahme begleiten, läuft auf nichts mehr u. nichts weniger hinaus, als daß sich trotz der Zerstörung, die die Presse im Leben der Nationen u. Staaten übt, einer finde, der ihre Zerstörung dennoch zum Besten wende u. so die {66} Katastrophe überwinden helfe. Man denke sich diesen Wunsch in eine andere Sphäre übertragen, wie z. B.: Ein Mörder wünscht, daß ein anderer das Leben wieder demjenigen zurückgebe, dem er selbst es soeben genommen – wer würde nicht sofort den logischen u. menschlichen Widersinn herausfinden u. verachten? Da aber die Presse einen solchen nichtswürdigen Spruch von sich gibt, weiß etwa die Welt davon, wie widerlich die Einbildung u. Heuchelei der Presse ist? [illeg]Gewiß nicht! Denn auch alle übrige Welt gehorcht dem Gesetz der Zerstörung, ohne zu ahnen, daß sie zerstört, zu zerstören u. nach einem zu fahnden, der sie gut mache! — *Schon jedes Tier wird durch Erinnerung u. Assoziation davor geschützt, sich in dieselbe Gefahr ein zweitesmal zu begeben. Die Natur, die eine Kontinuität der Individuen wünscht, läßt ein Vergessen der Gefahr nicht so leicht zu, indem sie vielmehr im Gehirn des Tieres gleichsam ein Depot schützender Erinnerungen errichtet. In derselben Weise verfährt die Natur auch mit dem Menschen: Sie stapelt in seinem Gehirnkasten alle jene Daten auf, aus deren Grund er sich ein Urteil über den Nebenmenschen zum Schutze wider ihn bilden kann, u. so bedient sich einer gegen den anderen des Vorteiles solchen Erinnerungs-Depots. Nur, und darin liegt die Tragödie der Menschheit, wenn gegen ihn selbst die Assoziationen mobil gemacht werden, wünscht er, daß sie als nicht in Betracht kommend entfallen sollen. Zu seinem eigenen Vorteil u. Schutz bedient er sich also der wohltätigen Einrichtung der Natur, aber die Berechtigung dieser natürlichen Einrichtung bezweifelt er sofort, wenn ein anderer zu seinem eigenen Schutze sie nun wider ihn selbst in Anspruch nimmt. In diesem Sinne wäre die allgemeine Geschichte der Menschheit nichts anderes, als ein ins Unermessliche der Jahrhunderte u. Jahrtausende gestrecktes Gehirn-Depot der gesamten Menschheit u. daher sollte keine Disziplin so bemerkenswert sein, als wie {67} eben die Geschichte, aus der wir erfahren könnten, wie zuweilen die Menschen sich benahmen, wie man sich in schwierigen Fällen behalf usw. Wie groß ist daher das Verbrechen, das an der Jugend begangen wird, wenn man ihr, um angeblich praktischer Gegenstände willen, gerade die Geschichte entziehen will, sie entweder aus dem Lehrplan ganz streichen oder mindestens stark reduzieren will u. sie gerade dadurch um die Möglichkeit der Errichtung eines Schutzdepots bringt. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
December 13, 1915, +3°.
— First visit to the dentist, Dr. Orlay; findings less serious than I had feared. — — Lie-Liechen to Mama (postcard). — Second proof corrections begun. — *Even in a republican system, one is not protected from a Wilson! If, may I say, this blockhead is so constituted that he can regard only himself and no one else as neutral, where can a political or human serum against this be found? *The newspaperman ( Neue Freie Presse ) is now calling for a greater victor than a Hindenburg, a Mackensen and whatever they may be called initiates a path to peace! This pious wish, which his readers will follow with so much of their own sympathy, amounts to nothing more and nothing less than that, in spite of the destruction that the press causes in the lives of nations and states, someone will come along and nonetheless turn its destruction to its best purpose and thus help avert the catastrophe. {66} Imagine transposing this wish to another sphere, for example: a murderer wishes that another person give back the life to someone whose life he himself has just taken – who would not immediately recognize, and despise, the logical and human contradiction? But since the press is issuing such an unworthy proclamation itself, does the world have any idea how repulsive the press's vanity and hypocrisy is? Certainly not! For even the rest of the world complies with the law of destruction, without realizing that it destroys for the sake of destroying and then seeking someone who will put it right! — *Every animal will be protected, by memory and association, from placing itself in the same danger a second time. Nature, which desires the continuity of the individual, does not easily permit a danger to be forgotten: it creates a kind of depot of protective memories in the animal's brain. Nature proceeds with a human being in the same way: it stores in his brain box all the information that he can use as a basis for forming a judgement about his neighbor to protect himself against him; and so one person avails himself of the benefit of such a memory-bank to use against another. Except – and herein lies the human tragedy – when the associations are mobilized against himself, he wishes that they are dropped and do not come into consideration. He makes use of the beneficial facility of nature to his own advantage and for his own protection; but he doubts the justification of this natural facility as soon as someone makes use of it for his own protection against himself. In this sense, the general history of humanity is nothing but an immeasurable brain depot of all humanity, created over centuries and millennia; and thus no discipline is as remarkable as {67} history itself, from which we can learn how people used to behave and what measures they took in times of difficulty, etc. How great, then, is the crime committed against our youth when, for apparently practical reasons, precisely the study of history is removed from the curriculum, or at least severely curtailed, thus depriving them of the possibility of erecting a protective depot. — *
© Translation William Drabkin. |
13. XII. 15 +3°.
— Zum Zahnarzt Dr. Orlay, erster Weg; weniger trister Befund, als ich befürchtet habe. — — Lie-Liechen an Mama (K.). — 2. Korrektur in Angriff genommen. — *Auch durch republikanische Form ist man vor einem Wilson nicht geschützt! Ist mit Verlaub zu sagen dieser Kopf so disponiert, daß er nur sich selbst neutral sieht u. sonst kein anderer, wo gibt es da ein politisches oder menschliches Serum dagegen? *Der Zeitungsmensch („N. Fr. Pr.“) wünscht nunmehr, daß ein größeres Sieger als die Hindenburg, Mackensen u. wie sie alle heißen, den Frieden anbahne! Dieser fromme Wunsch, den die Lesser mit so viel eigener Teilnahme begleiten, läuft auf nichts mehr u. nichts weniger hinaus, als daß sich trotz der Zerstörung, die die Presse im Leben der Nationen u. Staaten übt, einer finde, der ihre Zerstörung dennoch zum Besten wende u. so die {66} Katastrophe überwinden helfe. Man denke sich diesen Wunsch in eine andere Sphäre übertragen, wie z. B.: Ein Mörder wünscht, daß ein anderer das Leben wieder demjenigen zurückgebe, dem er selbst es soeben genommen – wer würde nicht sofort den logischen u. menschlichen Widersinn herausfinden u. verachten? Da aber die Presse einen solchen nichtswürdigen Spruch von sich gibt, weiß etwa die Welt davon, wie widerlich die Einbildung u. Heuchelei der Presse ist? [illeg]Gewiß nicht! Denn auch alle übrige Welt gehorcht dem Gesetz der Zerstörung, ohne zu ahnen, daß sie zerstört, zu zerstören u. nach einem zu fahnden, der sie gut mache! — *Schon jedes Tier wird durch Erinnerung u. Assoziation davor geschützt, sich in dieselbe Gefahr ein zweitesmal zu begeben. Die Natur, die eine Kontinuität der Individuen wünscht, läßt ein Vergessen der Gefahr nicht so leicht zu, indem sie vielmehr im Gehirn des Tieres gleichsam ein Depot schützender Erinnerungen errichtet. In derselben Weise verfährt die Natur auch mit dem Menschen: Sie stapelt in seinem Gehirnkasten alle jene Daten auf, aus deren Grund er sich ein Urteil über den Nebenmenschen zum Schutze wider ihn bilden kann, u. so bedient sich einer gegen den anderen des Vorteiles solchen Erinnerungs-Depots. Nur, und darin liegt die Tragödie der Menschheit, wenn gegen ihn selbst die Assoziationen mobil gemacht werden, wünscht er, daß sie als nicht in Betracht kommend entfallen sollen. Zu seinem eigenen Vorteil u. Schutz bedient er sich also der wohltätigen Einrichtung der Natur, aber die Berechtigung dieser natürlichen Einrichtung bezweifelt er sofort, wenn ein anderer zu seinem eigenen Schutze sie nun wider ihn selbst in Anspruch nimmt. In diesem Sinne wäre die allgemeine Geschichte der Menschheit nichts anderes, als ein ins Unermessliche der Jahrhunderte u. Jahrtausende gestrecktes Gehirn-Depot der gesamten Menschheit u. daher sollte keine Disziplin so bemerkenswert sein, als wie {67} eben die Geschichte, aus der wir erfahren könnten, wie zuweilen die Menschen sich benahmen, wie man sich in schwierigen Fällen behalf usw. Wie groß ist daher das Verbrechen, das an der Jugend begangen wird, wenn man ihr, um angeblich praktischer Gegenstände willen, gerade die Geschichte entziehen will, sie entweder aus dem Lehrplan ganz streichen oder mindestens stark reduzieren will u. sie gerade dadurch um die Möglichkeit der Errichtung eines Schutzdepots bringt. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
December 13, 1915, +3°.
— First visit to the dentist, Dr. Orlay; findings less serious than I had feared. — — Lie-Liechen to Mama (postcard). — Second proof corrections begun. — *Even in a republican system, one is not protected from a Wilson! If, may I say, this blockhead is so constituted that he can regard only himself and no one else as neutral, where can a political or human serum against this be found? *The newspaperman ( Neue Freie Presse ) is now calling for a greater victor than a Hindenburg, a Mackensen and whatever they may be called initiates a path to peace! This pious wish, which his readers will follow with so much of their own sympathy, amounts to nothing more and nothing less than that, in spite of the destruction that the press causes in the lives of nations and states, someone will come along and nonetheless turn its destruction to its best purpose and thus help avert the catastrophe. {66} Imagine transposing this wish to another sphere, for example: a murderer wishes that another person give back the life to someone whose life he himself has just taken – who would not immediately recognize, and despise, the logical and human contradiction? But since the press is issuing such an unworthy proclamation itself, does the world have any idea how repulsive the press's vanity and hypocrisy is? Certainly not! For even the rest of the world complies with the law of destruction, without realizing that it destroys for the sake of destroying and then seeking someone who will put it right! — *Every animal will be protected, by memory and association, from placing itself in the same danger a second time. Nature, which desires the continuity of the individual, does not easily permit a danger to be forgotten: it creates a kind of depot of protective memories in the animal's brain. Nature proceeds with a human being in the same way: it stores in his brain box all the information that he can use as a basis for forming a judgement about his neighbor to protect himself against him; and so one person avails himself of the benefit of such a memory-bank to use against another. Except – and herein lies the human tragedy – when the associations are mobilized against himself, he wishes that they are dropped and do not come into consideration. He makes use of the beneficial facility of nature to his own advantage and for his own protection; but he doubts the justification of this natural facility as soon as someone makes use of it for his own protection against himself. In this sense, the general history of humanity is nothing but an immeasurable brain depot of all humanity, created over centuries and millennia; and thus no discipline is as remarkable as {67} history itself, from which we can learn how people used to behave and what measures they took in times of difficulty, etc. How great, then, is the crime committed against our youth when, for apparently practical reasons, precisely the study of history is removed from the curriculum, or at least severely curtailed, thus depriving them of the possibility of erecting a protective depot. — *
© Translation William Drabkin. |