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30. IX. 15 Bewölkt!

Heller (Br.) gesteht nunmehr die Unwichtigkeit der Sache, möchte blos ein halbes Stündchen plaudern. — Sophie (K.) gibt ihre neue Adresse in Olmütz an u. teilt auch weitere Pläne bezüglich ihrer Kinder mit. — Fr. Wally (per K.) erinnert uns abends zu kommen.

*

Grotesker Traum: Ich wohne der Aufführung eines Stückes von Rich. Strauss bei. Im Augenblick, da ein Violinsolo gespielt wird, werde ich zu meinem Staunen gewahr, daß die kleinen Notenköpfchen zugleich die Gegenstände wiedergeben, die sie programmatisch beschreiben sollen, so daß Bild u. Klangbild sich im Sinne des Autors decken. Dieses Novum hat mich überraschen- {1044} derweise im Traume derart entzückt, daß ich Rich. Strauss überaus stürmisch die Hand gedrückt u. gratuliert habe, worüber niemand so erstaunt war, als er selbst. —

*

Die Menschheit ist in einer ewige nr Sysiphus- [illeg]Arbeit begriffen: Kaum bringt eine Nation Generation das zu ihrem Leben so unentbehrliche Genie hervor, stürmt gleich die nächste heran u. muß wieder von vorne anfangen. Sie gleicht darin vollständig immer neu einrückenden Schüler-Jahrgängen, bei denen nur der geringste Teil das Ziel erreicht, was aber das automatische Nachrücken nicht behindert.

*

Manieren: Die Reichen sind alle einander gleich, welchem Himmelsstrich sie auch angehören mögen. Sie haben alle mehr [oder] weniger dieselben Manieren, die nicht so sehr Manieren einer bestimmten Nationalität, als vielmehr solche des Reichtums überhaupt sind. Die Armut freilich hat keine Möglichkeit Manieren zu pflegen; . Es berührt daher nur ironisch, wenn die Reichen alle übrige Welt distanzieren, indem sie ihr Mangel an Manieren als Hindernis des Verkehrs vorwerfen. Es haben ja die Reichen sehr leicht, sich auch nur vom Schweiße [illeg]freizuhalten, wenn sie auch dort, wo sie Wohltätigkeit üben, die Künstler für sich schwitzen lassen. Oder wenn der geistige Arbeiter, immer nach Büchern seiner Bibliothek langend, die Hände verunreinigt, so ist das wohl selbstverständlich; solcher Schmutz entfällt aber bei dem Reichen, der prinzipiell nach keinem Buche greift, oder es sich, wenn überhaupt, durch den Diener überreichen läßt. Aus dem Müßiggang ziehen somit die Reichen, wie man sieht, auch den angeblichen Vorteil guter Manieren, nur bedenken sie nicht, daß es die denkbar schlechteste Manier der Welt ist, gerade nur solche gute Manieren zu haben! —

— Wäsche noch immer nicht abgeholt. — Abends bei Fl.; wie immer leere Neckereien, die nur hie u. da durch einen etwas erbitterten Ton der Fr. Hauser gegenüber Fr. Wally unterbrochen wird werden. Würde Lie-Liechen nicht von Zeit zu Zeit etwas aus der letzten Lektüre zum Besten geben, die Gesellschaft würde schon binnen nur während des Abendessens Rost ansetzen. {1045} Floriz liest einen Brief vor, in dem ein junger Mann um Unterricht bittet u. worin er, sein curriculum [illeg]vitae angebend, auch meiner Arbeiten als eines entscheidenden Erlebnisses gedenkt, das ihn eben zum Adressaten führt. Doch heiter wirkt es, daß er zugleich mitteilt, er habe unter dem Eindrucke meiner Arbeiten – die Fingerübungen von Pischna 1 um so eifriger sich angelegen sein lassen!

© Transcription Marko Deisinger.

September 30, 1915. Cloudy!

Heller (letter) now admits that the matter was unimportant; he just wants to chat for about half an hour. — Sophie (postcard) gives us her new address in Olmütz (Olomouc) and also tells us about further plans concerning her children. — Vally reminds us (in a postcard) to come this evening.

*

Grotesque dream: I am attending the performance of a piece by Richard Strauss. At the moment in which a violin solo is being played, I become aware, to my astonishment, that the little noteheads at the same time represent the objects that they are supposed to portray programmatically, so that the visual image and the sonic image coincide in accordance with the author's intentions. This novelty had, to my surprise, so delighted me {1044} in my dream that I shook Richard Strauss's hand vigorously and congratulated him; no one was more astonished by this than Strauss himself. —

*

Humanity is engaged in an interminable Sisyphus work: hardly has a generation brought forth a genius who is indispensable for their lives, the next one storms in and must start all over again. In this respect they resemble the ever-changing influx of pupils from one year to the next, who achieve only the slightest part of their goal – though this does not prevent their automatic promotion.

*

Manners: the wealthy are all alike, no matter what their origins may be. They all have more or less the same manners, which are not so much the manners of a particular nationality but rather those of wealth in general. Poverty, admittedly, has no possibility of cultivating manners. It affects us only ironically when the wealthy distance themselves from the rest of the world by blaming its lack of manners as an obstacle to commerce. The wealthy indeed have a very easy time avoiding getting into a sweat, even when they practice benevolence by letting artists sweat for them. And when the intellectual worker, always reaching for the books in their library, dirty their hands, that is surely self-evident; but such dirt doesn't touch the rich man, who in principle reaches for no books or, if he does, receives it from a servant. The wealthy thus capitalize on this idleness, and also the apparent advantage of good manners; but they do not realize that it is the worst imaginable manner of all to have precisely nothing but such good manners! —

— The laundry still not collected. — In the evening at Floriz's; as always, idle chit-chat, which is only broken from time to time by the somewhat embittered tone of Mrs. Hauser towards Vally. If Lie-Liechen had not from time to time shared her thoughts about what she had recently been reading, rust would have set in before the party had finished supper. {1045} Floriz reads out a letter in which a young man asks for tuition, and in which he indicates in his curriculum vitae that he regards my works as a decisive experience, which is what has led him to the addressee. Yet is amusing to find that he simultaneously writes that, under the impression of my works, he is taking an even keener interest in the finger exercises of Pischna! 1

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© Translation William Drabkin.

30. IX. 15 Bewölkt!

Heller (Br.) gesteht nunmehr die Unwichtigkeit der Sache, möchte blos ein halbes Stündchen plaudern. — Sophie (K.) gibt ihre neue Adresse in Olmütz an u. teilt auch weitere Pläne bezüglich ihrer Kinder mit. — Fr. Wally (per K.) erinnert uns abends zu kommen.

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Grotesker Traum: Ich wohne der Aufführung eines Stückes von Rich. Strauss bei. Im Augenblick, da ein Violinsolo gespielt wird, werde ich zu meinem Staunen gewahr, daß die kleinen Notenköpfchen zugleich die Gegenstände wiedergeben, die sie programmatisch beschreiben sollen, so daß Bild u. Klangbild sich im Sinne des Autors decken. Dieses Novum hat mich überraschen- {1044} derweise im Traume derart entzückt, daß ich Rich. Strauss überaus stürmisch die Hand gedrückt u. gratuliert habe, worüber niemand so erstaunt war, als er selbst. —

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Die Menschheit ist in einer ewige nr Sysiphus- [illeg]Arbeit begriffen: Kaum bringt eine Nation Generation das zu ihrem Leben so unentbehrliche Genie hervor, stürmt gleich die nächste heran u. muß wieder von vorne anfangen. Sie gleicht darin vollständig immer neu einrückenden Schüler-Jahrgängen, bei denen nur der geringste Teil das Ziel erreicht, was aber das automatische Nachrücken nicht behindert.

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Manieren: Die Reichen sind alle einander gleich, welchem Himmelsstrich sie auch angehören mögen. Sie haben alle mehr [oder] weniger dieselben Manieren, die nicht so sehr Manieren einer bestimmten Nationalität, als vielmehr solche des Reichtums überhaupt sind. Die Armut freilich hat keine Möglichkeit Manieren zu pflegen; . Es berührt daher nur ironisch, wenn die Reichen alle übrige Welt distanzieren, indem sie ihr Mangel an Manieren als Hindernis des Verkehrs vorwerfen. Es haben ja die Reichen sehr leicht, sich auch nur vom Schweiße [illeg]freizuhalten, wenn sie auch dort, wo sie Wohltätigkeit üben, die Künstler für sich schwitzen lassen. Oder wenn der geistige Arbeiter, immer nach Büchern seiner Bibliothek langend, die Hände verunreinigt, so ist das wohl selbstverständlich; solcher Schmutz entfällt aber bei dem Reichen, der prinzipiell nach keinem Buche greift, oder es sich, wenn überhaupt, durch den Diener überreichen läßt. Aus dem Müßiggang ziehen somit die Reichen, wie man sieht, auch den angeblichen Vorteil guter Manieren, nur bedenken sie nicht, daß es die denkbar schlechteste Manier der Welt ist, gerade nur solche gute Manieren zu haben! —

— Wäsche noch immer nicht abgeholt. — Abends bei Fl.; wie immer leere Neckereien, die nur hie u. da durch einen etwas erbitterten Ton der Fr. Hauser gegenüber Fr. Wally unterbrochen wird werden. Würde Lie-Liechen nicht von Zeit zu Zeit etwas aus der letzten Lektüre zum Besten geben, die Gesellschaft würde schon binnen nur während des Abendessens Rost ansetzen. {1045} Floriz liest einen Brief vor, in dem ein junger Mann um Unterricht bittet u. worin er, sein curriculum [illeg]vitae angebend, auch meiner Arbeiten als eines entscheidenden Erlebnisses gedenkt, das ihn eben zum Adressaten führt. Doch heiter wirkt es, daß er zugleich mitteilt, er habe unter dem Eindrucke meiner Arbeiten – die Fingerübungen von Pischna 1 um so eifriger sich angelegen sein lassen!

© Transcription Marko Deisinger.

September 30, 1915. Cloudy!

Heller (letter) now admits that the matter was unimportant; he just wants to chat for about half an hour. — Sophie (postcard) gives us her new address in Olmütz (Olomouc) and also tells us about further plans concerning her children. — Vally reminds us (in a postcard) to come this evening.

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Grotesque dream: I am attending the performance of a piece by Richard Strauss. At the moment in which a violin solo is being played, I become aware, to my astonishment, that the little noteheads at the same time represent the objects that they are supposed to portray programmatically, so that the visual image and the sonic image coincide in accordance with the author's intentions. This novelty had, to my surprise, so delighted me {1044} in my dream that I shook Richard Strauss's hand vigorously and congratulated him; no one was more astonished by this than Strauss himself. —

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Humanity is engaged in an interminable Sisyphus work: hardly has a generation brought forth a genius who is indispensable for their lives, the next one storms in and must start all over again. In this respect they resemble the ever-changing influx of pupils from one year to the next, who achieve only the slightest part of their goal – though this does not prevent their automatic promotion.

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Manners: the wealthy are all alike, no matter what their origins may be. They all have more or less the same manners, which are not so much the manners of a particular nationality but rather those of wealth in general. Poverty, admittedly, has no possibility of cultivating manners. It affects us only ironically when the wealthy distance themselves from the rest of the world by blaming its lack of manners as an obstacle to commerce. The wealthy indeed have a very easy time avoiding getting into a sweat, even when they practice benevolence by letting artists sweat for them. And when the intellectual worker, always reaching for the books in their library, dirty their hands, that is surely self-evident; but such dirt doesn't touch the rich man, who in principle reaches for no books or, if he does, receives it from a servant. The wealthy thus capitalize on this idleness, and also the apparent advantage of good manners; but they do not realize that it is the worst imaginable manner of all to have precisely nothing but such good manners! —

— The laundry still not collected. — In the evening at Floriz's; as always, idle chit-chat, which is only broken from time to time by the somewhat embittered tone of Mrs. Hauser towards Vally. If Lie-Liechen had not from time to time shared her thoughts about what she had recently been reading, rust would have set in before the party had finished supper. {1045} Floriz reads out a letter in which a young man asks for tuition, and in which he indicates in his curriculum vitae that he regards my works as a decisive experience, which is what has led him to the addressee. Yet is amusing to find that he simultaneously writes that, under the impression of my works, he is taking an even keener interest in the finger exercises of Pischna! 1

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Josef Pischna, 60 fortschreitende Übungen für Klavier, ed. Anton Door (Berlin–Leipzig: Simrock, 1887). Pischna's 60 Exercices progressifs have appeared in several editions and been used up to the present time in piano teaching.