14. Der Tag der Musterung!! Schön, wolkenlos!
— Zwei Karten von Fr. Deutsch mit der Bitte um sofortige Verständigung. — Brief von Vrieslander [,] der mitteilt, daß er zur Artillerie genommen wurde. — — Um ¾11h stärkeres Frühstück in unserem Gasthaus, wo wir vom Kellner verschiedene {1025} Trics erfahren, um so rasch als möglich vorzukommen. Ich folge ihm, u. statt um ½1h zum Dreher zu gehen, verbringe ich noch eine Stunde im Caféhaus. Um ½2h erscheine ich bei Dreher, mit mir selbstverständlich Lie-Liechen. Dort gibt mir ein Wachmann den Rat, noch für etwa eine Stunde fortzugehen, er werde dann schon dafür sorgen, daß … Nun in den Arenberg-Park ins Café. ¼3h wieder bei Dreher. Der Wachmann führt mich zum Gemeindeamtsdiener u. diesem nach trete ich in einen großen dunklen Saal, wo viele Männer , bereits bis auf die Unterhosen entkleidet , sitzen, oder sich eben erst entkleiden. Ein Hauptmann ruft den Namen auf, worauf nachdem er den meinigen gerufen, trete ich in einen kleineren Raum, noch immer mit der Unterhose bekleidet, eintrete. Hier halten etwa 20–30 Männer, um sich zu belustigen eine Art Vormusterung ab u. es beunruhigt mich nicht wenig, daß ich von ihnen fast einstimmig für tauglich gehalten werde. Im Gespräch mit meinem Nachbar weise ich bescheiden auf meinen starken Hals hin, umso bescheidener, als ein Vordermann einen wirklich ausgebildeten Kropf besaß, dem gegenüber jede Diskussion deplaziert [sic] war. Mein Einwand wurde aber nicht akzeptiert u. ein Hintermann meinte, daß dann ja auch für ihn sein starker Hals als Befreiungsgrund gelten müßte. Ich forschte nun weiter u. fragte, ob er denn nicht einen Arzt konsultiert hätte? Nein, lautete die Antwort, woraus ich entnehme, daß sich der Mann seines starken Halses bis zu eben diesem Augenblick überhaupt gar nicht bewußt war. Am meisten beunruhigte mich die Technik der Musterung selbst: Wie im Kino-Film wechseln die Männer; kaum sind sie eingetreten, sind sie auch schon wieder draußen, so daß ich mir keinerlei Gedanken darüber machen k oannte [sic], wie es drin zugehe. Nun komme ich an die Reihe, lege die Unterhose ab u. trete ein. Während des Eintrittes liest ein Hauptmann meinen Namen u. Charakter vor, u. als wäre ich ein Ballen Ware, empfängt mich der gerade vor mir stehende Regimentsarzt u. fragt: „Was tragen Sie für eine Brille?“ Ich: 8 Dioptrien, u. zeige aber instinktiv mit der rechten Hand auch schon nach dem Halse. In den nächster Sekunde legt er seine Hand auf die linke Halsseite u. verkündet: {1026} „Athembehindernder Kropf – hat einer der Herren etwas dagegen?“ Nein! Worauf der Oberst einträgt: athembehindernder Kropf. Ich bin entlassen. Zurück in den Ankleideraum. Das Blut steigt mir zu Kopfe vor Hast u. ich würge förmlich die Kleider herauf. Noch ein Aufenthalt in einem kleineren Raum, wo mir die Legitimation ausgehändigt wird – u. nun ins Freie! Lie-Liechen steht an der Ecke u. mir entgegeneilend forscht sie mit ihren Blicken nach dem Resultat. Ich lächle, die Legitimation in der Hand, darf aber nicht mehr verraten, doch in wenigen Augenblicken weiß sie von unserem Glück!! Starker Nervendruck lastet aber auch noch in der Folge der nächsten Stunden. *Karte an Fr. Deutsch, sodann in die Reisnerstraße, wo ich mich umkleide. Dann ins Café Aspang, wo ich Karten an Mama, Sophie u. Frl. Elias schreibe. Wir haben vor, zu Fl. hinaus zu fahren; da taucht zu unserer Ueberraschung Frau Wally auf, die auch Fl. ankündigt. Fl. war schon seit Nachmittag auf der Suche nach , uns, immer hinter uns her, konnte uns aber dennoch nicht treffen. Nun Spaziergang mit Fl. u. W., sodann zum Abendessen in unser Gasthaus, wohin auch Herr Landesmann gebracht wird. Von dort werden wir ins Kino des Herrn Albert geschleppt u. endlich wieder ins Café Excelsior! — Sonderbarerweise wurde auch der Hintermann, der bis zur Musterung selbst nichts von seinem Halse wußte, ebenso wie ich entlassen. Wie viel an dem günstigen Ergebnis die persönliche Liebenswürdigkeit des Arztes Anteil hat, der gerne den Fehler unterstrich, den er vorfand, weiß ich nicht zu sagen; möglicherweise hat die Regierung zur Ergänzung der ersten Verordnung in einem Geheimerlaß eine eventuelle Berücksichtigung der sogenannten Intelligenz angeordnet – doch als bestimmt möchte ich nur eben den Zusammenhang zwischen meiner Freigabe u. der meines Hintermannes hinstellen. *Volk oben – Regierung – u. Volk unten hängen durch Bande der Unbildung zusammen; nur in der Mitte Bildung u. das Beste. *{1027} © Transcription Marko Deisinger. |
14. The day of the army medical examination!! Fair weather, cloudless!
— Two postcards from Mrs. Deutsch, requesting immediate agreement. — Letter from Vrieslander [,] who tells me that he was taken into the Artillery. — — At 10:45, a hearty breakfast at our restaurant, where we pick up a few tricks from the waiter {1025} in order to get through as quickly as possible. I follow him; and instead of going to Dreher at 12:30, I spend another hour in the coffee house. At 1:30 I appear at Dreher's, Lie-Liechen of course by my side. There the guard advises me to go away for about another hour; he will take care of … Now to the coffee house in the Arenberg Park. At 2:15 again at Dreher's. The guard leads me the assistant at the town hall and, following him, I step into a large, dark room, where many men are seated, already undressed apart from their underpants or are just now getting undressed. A captain calls out names; after he calls mine out, I step into a smaller room, still with my underpants on. Here some 20 to 30 men amuse themselves by conducting a kind of pre-medical exam, and it disturbs me not a little that I am almost unanimously regarded by them as fit for service. In conversation with my neighbor, I modestly point to my thick neck; all the more modestly since a man in front of me possessed a truly well-developed goiter, in comparison to which every discussion was misplaced. My objection was not accepted; and a man behind me thought that his thick neck would then be also valid reason for being excused. I probed further and asked whether he had not consulted a doctor? "No" was the answer, from which I concluded that the man was not at all conscious of his thick neck up to that very moment. What disturbed me most was the technique of the medical examination itself: as in a cinematic film, the men change; hardly have they gone inside than they are already out again, so that I could not at all contemplate what was happening inside. Now it is my turn; I remove my underpants and enter. While I enter, a captain reads out my name and character, as if I were bale goods. The regiment's doctor, who is standing right in front of me, receives me and asks: "What sort of eyeglasses are you wearing?" I: "8 diopters" but instinctively also point with my right hand to my neck. In the next second, he places his hand on the left side of my neck and pronounces: {1026} "Goiter that is restricting breathing – does one of the gentlemen have anything against this [assessment]?" No! Whereupon the commander enters: "breath-restricting goiter." I am dismissed. Back to the changing room. The blood rises up to my head, out of haste, and I verily strangle myself in my clothing. A further wait in a smaller room, where the legitimation is handed to me – and now into the open air! Lie-Liechen is standing on the corner and, rushing towards me, asks about the result. I smile, the legitimation my hand, but may not betray anything further; yet in a few moments she knows of our good fortune!! A strong pressure from my nerves, however, oppresses me even during the coming hours. *Postcard to Mrs. Deutsch, then to the Reisnerstraße, where I get changed. Then to the Café Aspang, where I write postcards to Mama, Sophie, and Miss Elias. We plan to go out to Floriz's; then, to our surprise, Vally appears, who says that Floriz will also be here. He had already been looking for us since the afternoon, always behind us, but could not find us. Now a walk with Floriz and Vally, then dinner in our restaurant, to which Mr. Landesmann is also taken. From there we make our way to. Mr. Albert's cinema and finally to the Café Excelsior! — Strangely the man behind me, too, who himself knew nothing about his neck until the medical examination, was, like me, dismissed. I am unable to say to what extent the personal kindness of the doctor, who was happy to highlight shortcomings that he came across, played in the favorable result; perhaps the government imposed a secret decree, as a supplement to its original regulations, that may have taken account of what may be called "intelligence" – yet all that I would regard as certain is the connection between my dismissal and that of the man behind me. *People above – government – and people below are held together by ties of ignorance; only in the middle [does one find] education and the best things. *{1027} © Translation William Drabkin. |
14. Der Tag der Musterung!! Schön, wolkenlos!
— Zwei Karten von Fr. Deutsch mit der Bitte um sofortige Verständigung. — Brief von Vrieslander [,] der mitteilt, daß er zur Artillerie genommen wurde. — — Um ¾11h stärkeres Frühstück in unserem Gasthaus, wo wir vom Kellner verschiedene {1025} Trics erfahren, um so rasch als möglich vorzukommen. Ich folge ihm, u. statt um ½1h zum Dreher zu gehen, verbringe ich noch eine Stunde im Caféhaus. Um ½2h erscheine ich bei Dreher, mit mir selbstverständlich Lie-Liechen. Dort gibt mir ein Wachmann den Rat, noch für etwa eine Stunde fortzugehen, er werde dann schon dafür sorgen, daß … Nun in den Arenberg-Park ins Café. ¼3h wieder bei Dreher. Der Wachmann führt mich zum Gemeindeamtsdiener u. diesem nach trete ich in einen großen dunklen Saal, wo viele Männer , bereits bis auf die Unterhosen entkleidet , sitzen, oder sich eben erst entkleiden. Ein Hauptmann ruft den Namen auf, worauf nachdem er den meinigen gerufen, trete ich in einen kleineren Raum, noch immer mit der Unterhose bekleidet, eintrete. Hier halten etwa 20–30 Männer, um sich zu belustigen eine Art Vormusterung ab u. es beunruhigt mich nicht wenig, daß ich von ihnen fast einstimmig für tauglich gehalten werde. Im Gespräch mit meinem Nachbar weise ich bescheiden auf meinen starken Hals hin, umso bescheidener, als ein Vordermann einen wirklich ausgebildeten Kropf besaß, dem gegenüber jede Diskussion deplaziert [sic] war. Mein Einwand wurde aber nicht akzeptiert u. ein Hintermann meinte, daß dann ja auch für ihn sein starker Hals als Befreiungsgrund gelten müßte. Ich forschte nun weiter u. fragte, ob er denn nicht einen Arzt konsultiert hätte? Nein, lautete die Antwort, woraus ich entnehme, daß sich der Mann seines starken Halses bis zu eben diesem Augenblick überhaupt gar nicht bewußt war. Am meisten beunruhigte mich die Technik der Musterung selbst: Wie im Kino-Film wechseln die Männer; kaum sind sie eingetreten, sind sie auch schon wieder draußen, so daß ich mir keinerlei Gedanken darüber machen k oannte [sic], wie es drin zugehe. Nun komme ich an die Reihe, lege die Unterhose ab u. trete ein. Während des Eintrittes liest ein Hauptmann meinen Namen u. Charakter vor, u. als wäre ich ein Ballen Ware, empfängt mich der gerade vor mir stehende Regimentsarzt u. fragt: „Was tragen Sie für eine Brille?“ Ich: 8 Dioptrien, u. zeige aber instinktiv mit der rechten Hand auch schon nach dem Halse. In den nächster Sekunde legt er seine Hand auf die linke Halsseite u. verkündet: {1026} „Athembehindernder Kropf – hat einer der Herren etwas dagegen?“ Nein! Worauf der Oberst einträgt: athembehindernder Kropf. Ich bin entlassen. Zurück in den Ankleideraum. Das Blut steigt mir zu Kopfe vor Hast u. ich würge förmlich die Kleider herauf. Noch ein Aufenthalt in einem kleineren Raum, wo mir die Legitimation ausgehändigt wird – u. nun ins Freie! Lie-Liechen steht an der Ecke u. mir entgegeneilend forscht sie mit ihren Blicken nach dem Resultat. Ich lächle, die Legitimation in der Hand, darf aber nicht mehr verraten, doch in wenigen Augenblicken weiß sie von unserem Glück!! Starker Nervendruck lastet aber auch noch in der Folge der nächsten Stunden. *Karte an Fr. Deutsch, sodann in die Reisnerstraße, wo ich mich umkleide. Dann ins Café Aspang, wo ich Karten an Mama, Sophie u. Frl. Elias schreibe. Wir haben vor, zu Fl. hinaus zu fahren; da taucht zu unserer Ueberraschung Frau Wally auf, die auch Fl. ankündigt. Fl. war schon seit Nachmittag auf der Suche nach , uns, immer hinter uns her, konnte uns aber dennoch nicht treffen. Nun Spaziergang mit Fl. u. W., sodann zum Abendessen in unser Gasthaus, wohin auch Herr Landesmann gebracht wird. Von dort werden wir ins Kino des Herrn Albert geschleppt u. endlich wieder ins Café Excelsior! — Sonderbarerweise wurde auch der Hintermann, der bis zur Musterung selbst nichts von seinem Halse wußte, ebenso wie ich entlassen. Wie viel an dem günstigen Ergebnis die persönliche Liebenswürdigkeit des Arztes Anteil hat, der gerne den Fehler unterstrich, den er vorfand, weiß ich nicht zu sagen; möglicherweise hat die Regierung zur Ergänzung der ersten Verordnung in einem Geheimerlaß eine eventuelle Berücksichtigung der sogenannten Intelligenz angeordnet – doch als bestimmt möchte ich nur eben den Zusammenhang zwischen meiner Freigabe u. der meines Hintermannes hinstellen. *Volk oben – Regierung – u. Volk unten hängen durch Bande der Unbildung zusammen; nur in der Mitte Bildung u. das Beste. *{1027} © Transcription Marko Deisinger. |
14. The day of the army medical examination!! Fair weather, cloudless!
— Two postcards from Mrs. Deutsch, requesting immediate agreement. — Letter from Vrieslander [,] who tells me that he was taken into the Artillery. — — At 10:45, a hearty breakfast at our restaurant, where we pick up a few tricks from the waiter {1025} in order to get through as quickly as possible. I follow him; and instead of going to Dreher at 12:30, I spend another hour in the coffee house. At 1:30 I appear at Dreher's, Lie-Liechen of course by my side. There the guard advises me to go away for about another hour; he will take care of … Now to the coffee house in the Arenberg Park. At 2:15 again at Dreher's. The guard leads me the assistant at the town hall and, following him, I step into a large, dark room, where many men are seated, already undressed apart from their underpants or are just now getting undressed. A captain calls out names; after he calls mine out, I step into a smaller room, still with my underpants on. Here some 20 to 30 men amuse themselves by conducting a kind of pre-medical exam, and it disturbs me not a little that I am almost unanimously regarded by them as fit for service. In conversation with my neighbor, I modestly point to my thick neck; all the more modestly since a man in front of me possessed a truly well-developed goiter, in comparison to which every discussion was misplaced. My objection was not accepted; and a man behind me thought that his thick neck would then be also valid reason for being excused. I probed further and asked whether he had not consulted a doctor? "No" was the answer, from which I concluded that the man was not at all conscious of his thick neck up to that very moment. What disturbed me most was the technique of the medical examination itself: as in a cinematic film, the men change; hardly have they gone inside than they are already out again, so that I could not at all contemplate what was happening inside. Now it is my turn; I remove my underpants and enter. While I enter, a captain reads out my name and character, as if I were bale goods. The regiment's doctor, who is standing right in front of me, receives me and asks: "What sort of eyeglasses are you wearing?" I: "8 diopters" but instinctively also point with my right hand to my neck. In the next second, he places his hand on the left side of my neck and pronounces: {1026} "Goiter that is restricting breathing – does one of the gentlemen have anything against this [assessment]?" No! Whereupon the commander enters: "breath-restricting goiter." I am dismissed. Back to the changing room. The blood rises up to my head, out of haste, and I verily strangle myself in my clothing. A further wait in a smaller room, where the legitimation is handed to me – and now into the open air! Lie-Liechen is standing on the corner and, rushing towards me, asks about the result. I smile, the legitimation my hand, but may not betray anything further; yet in a few moments she knows of our good fortune!! A strong pressure from my nerves, however, oppresses me even during the coming hours. *Postcard to Mrs. Deutsch, then to the Reisnerstraße, where I get changed. Then to the Café Aspang, where I write postcards to Mama, Sophie, and Miss Elias. We plan to go out to Floriz's; then, to our surprise, Vally appears, who says that Floriz will also be here. He had already been looking for us since the afternoon, always behind us, but could not find us. Now a walk with Floriz and Vally, then dinner in our restaurant, to which Mr. Landesmann is also taken. From there we make our way to. Mr. Albert's cinema and finally to the Café Excelsior! — Strangely the man behind me, too, who himself knew nothing about his neck until the medical examination, was, like me, dismissed. I am unable to say to what extent the personal kindness of the doctor, who was happy to highlight shortcomings that he came across, played in the favorable result; perhaps the government imposed a secret decree, as a supplement to its original regulations, that may have taken account of what may be called "intelligence" – yet all that I would regard as certain is the connection between my dismissal and that of the man behind me. *People above – government – and people below are held together by ties of ignorance; only in the middle [does one find] education and the best things. *{1027} © Translation William Drabkin. |