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25.

Mit Lie-Liechen zur Mama, wo wir statt der Sophie Hans treffen. —

Weisse schickt 2 Balkonsitze zur „Armut“ von Wildgan zs . 1

Gegen Abend verschlechtert sich das Wetter in denkbar schärfster Weise u. wir haben alle Mühe rechtzeitig u. unbeschadet unbeschädigt ins Theater zu kommen. Kein Auto, kein Wagen stand uns zur Verfügung, obgleich wir eines solchen schon aus Rücksicht für Lie-Liechens neues Kleidchen dringend bedurft hätten. Es gelang uns noch per Tramway rechtzeitig hinzu kommen hinzukommen. – Das Stück selbst war uns eine Sensation, wie wir sie seit langem nicht keine ähnliche erlebt haben; alle Erwartungen, die Weisse durch seine Erzählungen in uns erregt hatte, wurden durch die Wirklichkeit der dichterischen Leistung weit übertroffen. Vor uns stand ein bis in die letzte Faser vollkommenes dramatisches Werk, das gegen jeglichen Einwand gefeit ist. Es wird das Leben im Hause eines kleinen Staatsbeamten dargestellt; wie es von prachtvollster Pflichterfüllung aller Familienmitglieder getragen wird, ohne aber über das Stadium jener Armut hinauszukommen, das sonst Stigma der Deklassierten u. Proletarisierten ist. Bei aller Pflichterfüllung tun sich Eltern wie Kinder den größten Zwang an – nichts aber vermag die Hydra Armut totzuschlagen. Auch die Mutter sorgt in ihrer Weise für das Haus, indem sie die Sparsamkeit dort verwendet, wo die Ehre des Hauses sie erfordert. Freilich vermag sie das Problem nicht zu lösen, das auch der weitaus stärkere Staat nicht gelöst hat. Ist denn nicht der Staat selbst, der von jedem seiner Beamten Anstand nach außen fordert, ohne ihm gleichzeitig die Mittel hiefür zu geben? Wie sollte dann aber der Mutter im Hause ein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn daß auch sie, zumal als Officierstochter, das Postulat des Staates teilt, ohne es freilich ebensowenig wie der Staat zur Erfüllung bringen zu können? Vielleicht hat der Dichter {848} – möglich wäre es – im Sinne gehabt, ein Bild unverschuldeter Armut vor die Augen der Welt zu führen, um mit stärksten Mitteln auf den Staat u. die Reichen einzuwirken. Indessen war der Dichter im Autor zu groß u. auf eigenen Wegen das Stück entschlüpfte gleichzeitig der Tendenz, u. um zog himmelwärts in ein Reich ewigster Poesie zu ziehen, die über jegliche Tendenz erhaben ist. Schon in der Wahl des Milieus zeigt sich, daß der Dichter größer war, als er es selbst wußte. , . wam besten einfrißt, u. die Bilder nur kinomäßig abrollen wWährend andere Dramatiker in solchen Fällen die Armut nur dort suchen, wo sie sich am besten einfrißt, u. die Bilder nur kinomäßig abrollen läßt lassen, hat auch unser Autor – doppelt wäre es zu loben, wenn auch er blos von einer Tendenz ausging – ein Milieu für sein Stück gewählt, worin sich die Armut gegenüber schönen angeborenen oder erworbenen Eigenschaften noch völlig ohnmächtig zeigt. Die Armut hat den Zersetzungsprozess im Hause des kleinen Staatsbeamten nicht zu erreichen vollenden vermocht, u. wie immer sie na hgt u. quält, stoßt sie auf einen Felsen von Tugenden, die nun in ihrem Wiederstand [sic] desto stärker u. glorreicher sich erweis ten , u. folgerichtig die bedrängende Armut als ein Element entlarv ten, das in das Haus nur über Veranlassung anderer, also ohne eigener Verschuldung der Betroffenen, eingedrungen ist. Ohne Zweifel ist die Wahl des Milieus auch im sozial-technischen Sinnes glücklich zu nennen; denn wenn in den übrigen Fällen, in denen sogenannte Dichter die letzten Zersetzungsprozesse der Armut aufzeigen, eben deshalb noch nichts erreicht wurde wird, weil die gottlosen Reichen noch immer Gelegenheit haben, auf die Laster hinzuweisen, denen die Armen verfallen, sind umgekehrt hier solche Laster nicht zu finden u. desto schwerer fühlen die Reichen eine Anschuldigung, wenn man de nr Vorwurf nun gegen sie selbst dahin erheb ten wird, daß nur sie selbst, obendrein schuldigerweise Armut über einen Unschuldigen verhäng ent haben! Gewissermaßen ist es im Hause des kleinen Staatsbeamten so, daß alle Familienmitglieder die Armut förmlich zur Türe hinausdrängen, im Gefühl, daß irgendwelche außenstehende Schurken, Strolche, böse Menschen ihnen ein Unrecht angetan haben. Und nun sitzen vor dem Stück gerade diejenigen, die die Schuld trifft! Es ist unmöglich, die Armut würdevoller zu tragen, als es im Hause des kleinen Beamten geschieht u. je heftiger der Sturm des Schicksals bläst, desto schöner entwickelt Wiederstand der Gequälten u. {849} Gepressten. Und unversehens stehen wir so vor Bildern großen inneren Reichtums, die beinahe das böse Schicksal des Hauses vergessen machen, ähnlich wie die kleinste Lichtquelle die größte Finsternis durchbricht. Besonders glücklich konzipiert u. durchgeführt ist die Figur des jungen Studenten, der seine ererbte Zartheit in den Kämpfen der Gelegenheit schon seit seiner frühesten Jugend bewährt u. zum Siege geführt hat, der daher außer der angelernten auch noch viel errungene Bildung des Geistes u. Gemütes hat besitzt, so viel, daß er – eine Art Hamlet der Not – alle Ereignisse des Hauses, die die seinen sind, sich selbst u. den Anderen in Worten näherbringen kann. Diese Gestalt sitzt im Milieu organisch u. hat für ihre die Sphäre des kleinen Beamten genau dieselbe die selbe Voraussetzung wie Hamlet in Shakespeare’s Drama; beide sind Studenten, deren Bildung sie dazu treibt, sich die Einzelzüge des Schicksal[s] zu verdeutlichen. Begreift man nun aber einmal den jungen Studenten als einen organischen Teil des Milieus, so weiß man auch die große Technik des Dichters zu würdigen, der mit dem Jungen Ausflüge macht in Gebiete, die wohin nur der Schlüssel der Armut die Wege weisen kann. Solcher Art Solcherart schwebt das Drama zwischen der usuelle rn Technik des Alltags für den Alltag u. einer freiern [sic] u. höheren, die stark erhöhte Gefühle in erhöhten Versen wiedergibt! Der junge Student bildet so gleichsam das Bindeglied zwischen jener Wirklichkeit der Armut, die niederdrückt u. jener Armut, die erhebt. Wer dem Drama mehr als blos mit den äußeren Augen folgt, wird auch die Uebergänge durchaus nicht störend empfinden u. es wird ihm eine Einheit entgegentreten, wie sie etwa Werke der Musik aufweisen, die – wie z. B. „Fidelio“ – Gesprochenes mit Gesungenem verbinden. In diesem Sinne begrüße ich das Drama von Wildgans als eine in dieser Art sicher nur so u. nicht anders gewollte Rückbiegung der dramatischen Technik zu jener älteren, die den vielgesuchten Realismus auch in Versen gestaltete u. finden ließ. Mit W. u. mehreren seinesgleichen könnten wir vielleicht wieder jenen ekli chgen Realismus unserer Tage überwinden, der unter Wahrheit nur diejenige von Durchschnittsmenschen verstand, nicht aber auch die größerer Naturen! Dieser Realismus war einseitig u. verleugnete Helden der Menschheit, die es doch wirklich allezeit gab u. gibt. {850} Um dem Volke zu dienen, das zur Mitregierung berufen wurde, u. aus dessen Händen sie reiche Tantiemen erhielten, haben die Naturalisten Gestalten als unwahr verleumdet, die das Volk noch mehr lieben, wenn weil sie ihm nicht schmeicheln. Jede Situation kennt ihre eigenen Helden – es gibt auch Helden der Armut. Ein solche Heldenfamilie bringt uns Wildgans, u. wie anders könnte er sie uns in ihrer Heldenhaftigkeit vorführen, als wenn er um sie die Glorie der Poesie webt, die sie ja tatsächlich auch im Leben trägt. ? Das Werk weist nicht eine Stelle auf, die man sich etwa anders im Ton u. in der Fügung wünschen möchte u. es erinnert so in seiner Geschlossenheit an die allerbesten Werke der Literatur. Auch die Episoden-Figuren sind mit all der Virtuosität konzipiert u. eingefügt, die man in den naturalistischen Dramen so sehr bewundert hat, aber wie schön sind sie hier dazu verwendet, um d enie Reichtum Reichtümer der Armut, wie ersie eben unsere Helden auszeichne tn, in immer neuen Lichtern, wie seltene Edelsteine, glänzen zu lassen (der Hausierer u. der Sekretair; der Leichenbestattungsunternehmer u. die Berufsfrage!).

Peinlich berührte uns die Haltung des Publikums; dieses war nahm vielleicht teilnahmsvoll an den Ereignissen, jedenfalls aber war es so arm, daß es den Reichtum unserer Helden nicht mitgenießen konnte. Aus dieser gegenüber dem Publikum unwilligen Stimmung heraus habe ich auch eine Schülerin zurechtgewiesen, die den Gang zur Poesie der Armut nicht mitmachen konnte. Und dabei gelang mir ein wie ich glaube gutes Witzwort; ich sagte ihr als der einer Vertreterin großen Reichtums: Sie scheinen zu befürchten, daß der arme Staatsbeamte von der Bühne ins Parterre kommen könnte, um etwas Geld für sich abzusammeln; machen Sie sich von dieser Angst frei u. genießen Sie das Werk eines Dichters –

Gerne möchte ich auf Wildgans so hinweisen, wie Wegweiser in den Landschaften; dort wo W. wandelt, ist das Land der Poesie u. ein neues Land! Wer weiß, ob nicht er der rechte Mann ist, dem historischen Drama neue Daseinsberechtigung aus dem Grunde der neuen Ereignisse zuzuführen u. mit seiner kühnen Sprache die neuerdings Helden unter den Menschen auch jenen glaubhaft zu machen, die sie aus Hang zum Krämertum, aus Neid u. Trotz nicht sehen können u. wollen!

*

{851}

© Transcription Marko Deisinger.

25.

With Lie-Liechen to Mama's, where we encounter not Sophie but Hans. —

Weisse sends us two balcony tickets for Armut, by Wildgans. 1

Towards evening the weather worsens in the most imaginable way; and we have a great deal of trouble getting to the theater on time and safely. No automobile, no wagon was available to us, although we would have urgently needed one, in consideration of Lie-Liechen's new dress. We were still able to arrive on time, using the streetcar. – The play itself was a sensation for us, the likes of which we have not experienced for a long time; all expectations that Weisse had aroused in us by what he said were far exceeded, as a result of the significance of the poetic achievement. Before us stood a dramatic work, consummate to its last fiber. It presents the life in the house of a low-ranking civil servant, and how that life is sustained by the most splendid fulfillment of duty on the part of every member of the family though they are unable to escape that state of poverty that would otherwise be the stigma of the downgraded and proletarianized class. In fulfilling all their duties, the parents and children put themselves through the greatest difficulties – yet nothing is capable of striking dead the hydra of poverty. The mother, too, looks after the house in her way by exercising thrift when the honor of the house demands it. Admittedly she is unable to solve the problem, which even the far stronger state has not solved. Is it therefore not the state itself that demands of each of its officials the outward show of decency, without at the same time giving them the means to do so? But how then should an objection be raised against the mother of the family, that even she – all the more so as an official's daughter – should share the state's requirement without being able to bring it to fulfillment any more than the state can? Very likely, the playwright {848} – possibly – intended to present a picture of blameless poverty before the eyes of the world in order to make an impression upon the state, and the wealthy, with the strongest means. Nonetheless the author's poetic persona was too great, and the play avoided at the same time that tendency, so that it could pull heavenwards into a realm of the most eternal poetry, which rises above all tendencies. Already in the choice of milieu it can be seen that the playwright was greater than he himself realized. Whereas other dramatists, in such cases, seek poverty only where it most easily eats into [its characters], allowing the images to roll forth only in a cinematic way, our author – it would be doubly praiseworthy if even he proceeded from a single tendency – chose for his play a milieu in which poverty still shows itself to be thoroughly powerless against worthy innate or acquired characteristics. Poverty has been unable to complete the process of decay in the house of the minor civil servant; and whenever it approaches and torments, it is confronted by a wall of virtues, which prove to be even stronger in their resistance; consequently the poverty that besets the house is exposed as an element that makes its presence felt only on the inducement of others, and thus without encumbrance to those actually affected. Without doubt, the choice of milieu can also be regarded as fortunate in the social-technical sense; for in other cases in which so-called poets evoke the ultimate processes of decay caused by poverty, for that very reason nothing is achieved: because the godless rich will always have occasion to point to the burdens that befall the poor. Here, on the contrary, such burdens are not to be found; and the rich feel the accusation all the more acutely when a criticism is now raised against them: that only they themselves are to blame for having imposed poverty on an innocent person! To a certain extent it is the case that in the house of the minor civil servant all the family members are expelled in the feeling that some outsider rogues, thugs, wicked people have done them wrong. And now precisely those people who are struck by guilt are sitting in front of the play! It is impossible to bear poverty in a more dignified way than we find in the civil servant's house; and the more ferociously the storm of fate blows, the more beautifully the resistance of the tormented and oppressed develops. {849} And without being aware of it, we thus stand before images of great inner wealth that almost forget the wicked fate that has befallen the house, as when the smallest source of light breaks through the greatest darkness. The character of the young student is particularly well conceived and developed; he preserves his inherited tenderness, in his struggles with chance even from earliest youth, which has led to victory; he possesses, in addition to what has been taught, also that far more acquired upbringing of spirit and sentiment, so much so that – like a Hamlet of hardship – he is able to bring himself and the others to articulate in words all that has befallen them. This character fits organically into the milieu and has the same understanding for the sphere of the minor official as does Hamlet in Shakespeare's drama; both are students whose education drives them to make sense of the individual acts of fate. But if one now understands the young student as an organic part of the milieu, then one is also able to appreciate the technique of the playwright, who makes excursions with the young man into territories to which only the key to poverty can point the way. In this way the drama hovers between the usual technique of the ordinary for sake of the ordinary, and a freer and higher one, which reproduces the strongly elevated feelings in refined poetic lines! The young student thus represents, as it were, the link between that reality of poverty which oppressive and that poverty that elevates. Anyone who follows the drama more than merely with his superficial eyes will feel even the transitions to be in no way upsetting; and he will encounter a unity of the sort found in musical works – for example, Fidelio – bind the spoken to the sung word. In this way I welcome Wildgans's drama as dramatic technique – in this way, and not otherwise – as a reversion to that early technique which created and was able to find that much sought-after realism even in poetry. With Wildgans and more of his ilk, we could perhaps again overcome that ugly realism of our times, which only those mediocre people understood as truth, but not also those of greater character! This realism was one-sided and denied the existence of heroes in humankind, who did exist and still do exist. {850} To serve the people who were summoned to co-govern, and from whose hands they received rich profits, the naturalists vilified characters as false who loved the people even more because they did not flatter them. Every situation recognizes its own heroes – there are also heroes of poverty. Wildgans gives us such a family of heroes; and how else can he introduce them to us except by weaving around them the glory of poetry, which they actually carry with them even in life? There is not a single passage in the work which one would want to change in tone or composition; and its cohesion thus reminds me of the very best works of literature. Even the minor characters are conceived and incorporated with all the virtuosity that one has admired so much in the most naturalistic dramas; but how beautifully are they used to cast the riches of poverty that distinguish our very heroes in ever new, brilliant light, like rare gems (the peddler and the secretary; the undertaker and the idea of "profession"!)

We were embarrassed by the behavior of the audience. They perhaps followed the events of the story but were too poor to be able to share the richness of our heroes. On account of this atmosphere of reluctance I even reprimanded a pupil of mine who could not follow the path to the poetry of poverty. And in doing so I succeeded in coming up with what I believe to be a clever line; I said to her, as a representative of great wealth, "You seem to fear that the poor civil servant might come down from the stage to the audience and collect money for himself. Free yourself of this fear and enjoy the work of a poet."

I should gladly liken Wildgans to signposts in a landscape; where W. wanders is the land of poetry, and a new land! Who knows, perhaps he is the right man to impart to historical drama a new raison d'être on the basis of the new occurrences, and with his daring language again make believable heroes of people, even for those who, from their inclination to greed, envy, and spite are unable and unwilling to see!

*

{851}

© Translation William Drabkin.

25.

Mit Lie-Liechen zur Mama, wo wir statt der Sophie Hans treffen. —

Weisse schickt 2 Balkonsitze zur „Armut“ von Wildgan zs . 1

Gegen Abend verschlechtert sich das Wetter in denkbar schärfster Weise u. wir haben alle Mühe rechtzeitig u. unbeschadet unbeschädigt ins Theater zu kommen. Kein Auto, kein Wagen stand uns zur Verfügung, obgleich wir eines solchen schon aus Rücksicht für Lie-Liechens neues Kleidchen dringend bedurft hätten. Es gelang uns noch per Tramway rechtzeitig hinzu kommen hinzukommen. – Das Stück selbst war uns eine Sensation, wie wir sie seit langem nicht keine ähnliche erlebt haben; alle Erwartungen, die Weisse durch seine Erzählungen in uns erregt hatte, wurden durch die Wirklichkeit der dichterischen Leistung weit übertroffen. Vor uns stand ein bis in die letzte Faser vollkommenes dramatisches Werk, das gegen jeglichen Einwand gefeit ist. Es wird das Leben im Hause eines kleinen Staatsbeamten dargestellt; wie es von prachtvollster Pflichterfüllung aller Familienmitglieder getragen wird, ohne aber über das Stadium jener Armut hinauszukommen, das sonst Stigma der Deklassierten u. Proletarisierten ist. Bei aller Pflichterfüllung tun sich Eltern wie Kinder den größten Zwang an – nichts aber vermag die Hydra Armut totzuschlagen. Auch die Mutter sorgt in ihrer Weise für das Haus, indem sie die Sparsamkeit dort verwendet, wo die Ehre des Hauses sie erfordert. Freilich vermag sie das Problem nicht zu lösen, das auch der weitaus stärkere Staat nicht gelöst hat. Ist denn nicht der Staat selbst, der von jedem seiner Beamten Anstand nach außen fordert, ohne ihm gleichzeitig die Mittel hiefür zu geben? Wie sollte dann aber der Mutter im Hause ein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn daß auch sie, zumal als Officierstochter, das Postulat des Staates teilt, ohne es freilich ebensowenig wie der Staat zur Erfüllung bringen zu können? Vielleicht hat der Dichter {848} – möglich wäre es – im Sinne gehabt, ein Bild unverschuldeter Armut vor die Augen der Welt zu führen, um mit stärksten Mitteln auf den Staat u. die Reichen einzuwirken. Indessen war der Dichter im Autor zu groß u. auf eigenen Wegen das Stück entschlüpfte gleichzeitig der Tendenz, u. um zog himmelwärts in ein Reich ewigster Poesie zu ziehen, die über jegliche Tendenz erhaben ist. Schon in der Wahl des Milieus zeigt sich, daß der Dichter größer war, als er es selbst wußte. , . wam besten einfrißt, u. die Bilder nur kinomäßig abrollen wWährend andere Dramatiker in solchen Fällen die Armut nur dort suchen, wo sie sich am besten einfrißt, u. die Bilder nur kinomäßig abrollen läßt lassen, hat auch unser Autor – doppelt wäre es zu loben, wenn auch er blos von einer Tendenz ausging – ein Milieu für sein Stück gewählt, worin sich die Armut gegenüber schönen angeborenen oder erworbenen Eigenschaften noch völlig ohnmächtig zeigt. Die Armut hat den Zersetzungsprozess im Hause des kleinen Staatsbeamten nicht zu erreichen vollenden vermocht, u. wie immer sie na hgt u. quält, stoßt sie auf einen Felsen von Tugenden, die nun in ihrem Wiederstand [sic] desto stärker u. glorreicher sich erweis ten , u. folgerichtig die bedrängende Armut als ein Element entlarv ten, das in das Haus nur über Veranlassung anderer, also ohne eigener Verschuldung der Betroffenen, eingedrungen ist. Ohne Zweifel ist die Wahl des Milieus auch im sozial-technischen Sinnes glücklich zu nennen; denn wenn in den übrigen Fällen, in denen sogenannte Dichter die letzten Zersetzungsprozesse der Armut aufzeigen, eben deshalb noch nichts erreicht wurde wird, weil die gottlosen Reichen noch immer Gelegenheit haben, auf die Laster hinzuweisen, denen die Armen verfallen, sind umgekehrt hier solche Laster nicht zu finden u. desto schwerer fühlen die Reichen eine Anschuldigung, wenn man de nr Vorwurf nun gegen sie selbst dahin erheb ten wird, daß nur sie selbst, obendrein schuldigerweise Armut über einen Unschuldigen verhäng ent haben! Gewissermaßen ist es im Hause des kleinen Staatsbeamten so, daß alle Familienmitglieder die Armut förmlich zur Türe hinausdrängen, im Gefühl, daß irgendwelche außenstehende Schurken, Strolche, böse Menschen ihnen ein Unrecht angetan haben. Und nun sitzen vor dem Stück gerade diejenigen, die die Schuld trifft! Es ist unmöglich, die Armut würdevoller zu tragen, als es im Hause des kleinen Beamten geschieht u. je heftiger der Sturm des Schicksals bläst, desto schöner entwickelt Wiederstand der Gequälten u. {849} Gepressten. Und unversehens stehen wir so vor Bildern großen inneren Reichtums, die beinahe das böse Schicksal des Hauses vergessen machen, ähnlich wie die kleinste Lichtquelle die größte Finsternis durchbricht. Besonders glücklich konzipiert u. durchgeführt ist die Figur des jungen Studenten, der seine ererbte Zartheit in den Kämpfen der Gelegenheit schon seit seiner frühesten Jugend bewährt u. zum Siege geführt hat, der daher außer der angelernten auch noch viel errungene Bildung des Geistes u. Gemütes hat besitzt, so viel, daß er – eine Art Hamlet der Not – alle Ereignisse des Hauses, die die seinen sind, sich selbst u. den Anderen in Worten näherbringen kann. Diese Gestalt sitzt im Milieu organisch u. hat für ihre die Sphäre des kleinen Beamten genau dieselbe die selbe Voraussetzung wie Hamlet in Shakespeare’s Drama; beide sind Studenten, deren Bildung sie dazu treibt, sich die Einzelzüge des Schicksal[s] zu verdeutlichen. Begreift man nun aber einmal den jungen Studenten als einen organischen Teil des Milieus, so weiß man auch die große Technik des Dichters zu würdigen, der mit dem Jungen Ausflüge macht in Gebiete, die wohin nur der Schlüssel der Armut die Wege weisen kann. Solcher Art Solcherart schwebt das Drama zwischen der usuelle rn Technik des Alltags für den Alltag u. einer freiern [sic] u. höheren, die stark erhöhte Gefühle in erhöhten Versen wiedergibt! Der junge Student bildet so gleichsam das Bindeglied zwischen jener Wirklichkeit der Armut, die niederdrückt u. jener Armut, die erhebt. Wer dem Drama mehr als blos mit den äußeren Augen folgt, wird auch die Uebergänge durchaus nicht störend empfinden u. es wird ihm eine Einheit entgegentreten, wie sie etwa Werke der Musik aufweisen, die – wie z. B. „Fidelio“ – Gesprochenes mit Gesungenem verbinden. In diesem Sinne begrüße ich das Drama von Wildgans als eine in dieser Art sicher nur so u. nicht anders gewollte Rückbiegung der dramatischen Technik zu jener älteren, die den vielgesuchten Realismus auch in Versen gestaltete u. finden ließ. Mit W. u. mehreren seinesgleichen könnten wir vielleicht wieder jenen ekli chgen Realismus unserer Tage überwinden, der unter Wahrheit nur diejenige von Durchschnittsmenschen verstand, nicht aber auch die größerer Naturen! Dieser Realismus war einseitig u. verleugnete Helden der Menschheit, die es doch wirklich allezeit gab u. gibt. {850} Um dem Volke zu dienen, das zur Mitregierung berufen wurde, u. aus dessen Händen sie reiche Tantiemen erhielten, haben die Naturalisten Gestalten als unwahr verleumdet, die das Volk noch mehr lieben, wenn weil sie ihm nicht schmeicheln. Jede Situation kennt ihre eigenen Helden – es gibt auch Helden der Armut. Ein solche Heldenfamilie bringt uns Wildgans, u. wie anders könnte er sie uns in ihrer Heldenhaftigkeit vorführen, als wenn er um sie die Glorie der Poesie webt, die sie ja tatsächlich auch im Leben trägt. ? Das Werk weist nicht eine Stelle auf, die man sich etwa anders im Ton u. in der Fügung wünschen möchte u. es erinnert so in seiner Geschlossenheit an die allerbesten Werke der Literatur. Auch die Episoden-Figuren sind mit all der Virtuosität konzipiert u. eingefügt, die man in den naturalistischen Dramen so sehr bewundert hat, aber wie schön sind sie hier dazu verwendet, um d enie Reichtum Reichtümer der Armut, wie ersie eben unsere Helden auszeichne tn, in immer neuen Lichtern, wie seltene Edelsteine, glänzen zu lassen (der Hausierer u. der Sekretair; der Leichenbestattungsunternehmer u. die Berufsfrage!).

Peinlich berührte uns die Haltung des Publikums; dieses war nahm vielleicht teilnahmsvoll an den Ereignissen, jedenfalls aber war es so arm, daß es den Reichtum unserer Helden nicht mitgenießen konnte. Aus dieser gegenüber dem Publikum unwilligen Stimmung heraus habe ich auch eine Schülerin zurechtgewiesen, die den Gang zur Poesie der Armut nicht mitmachen konnte. Und dabei gelang mir ein wie ich glaube gutes Witzwort; ich sagte ihr als der einer Vertreterin großen Reichtums: Sie scheinen zu befürchten, daß der arme Staatsbeamte von der Bühne ins Parterre kommen könnte, um etwas Geld für sich abzusammeln; machen Sie sich von dieser Angst frei u. genießen Sie das Werk eines Dichters –

Gerne möchte ich auf Wildgans so hinweisen, wie Wegweiser in den Landschaften; dort wo W. wandelt, ist das Land der Poesie u. ein neues Land! Wer weiß, ob nicht er der rechte Mann ist, dem historischen Drama neue Daseinsberechtigung aus dem Grunde der neuen Ereignisse zuzuführen u. mit seiner kühnen Sprache die neuerdings Helden unter den Menschen auch jenen glaubhaft zu machen, die sie aus Hang zum Krämertum, aus Neid u. Trotz nicht sehen können u. wollen!

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© Transcription Marko Deisinger.

25.

With Lie-Liechen to Mama's, where we encounter not Sophie but Hans. —

Weisse sends us two balcony tickets for Armut, by Wildgans. 1

Towards evening the weather worsens in the most imaginable way; and we have a great deal of trouble getting to the theater on time and safely. No automobile, no wagon was available to us, although we would have urgently needed one, in consideration of Lie-Liechen's new dress. We were still able to arrive on time, using the streetcar. – The play itself was a sensation for us, the likes of which we have not experienced for a long time; all expectations that Weisse had aroused in us by what he said were far exceeded, as a result of the significance of the poetic achievement. Before us stood a dramatic work, consummate to its last fiber. It presents the life in the house of a low-ranking civil servant, and how that life is sustained by the most splendid fulfillment of duty on the part of every member of the family though they are unable to escape that state of poverty that would otherwise be the stigma of the downgraded and proletarianized class. In fulfilling all their duties, the parents and children put themselves through the greatest difficulties – yet nothing is capable of striking dead the hydra of poverty. The mother, too, looks after the house in her way by exercising thrift when the honor of the house demands it. Admittedly she is unable to solve the problem, which even the far stronger state has not solved. Is it therefore not the state itself that demands of each of its officials the outward show of decency, without at the same time giving them the means to do so? But how then should an objection be raised against the mother of the family, that even she – all the more so as an official's daughter – should share the state's requirement without being able to bring it to fulfillment any more than the state can? Very likely, the playwright {848} – possibly – intended to present a picture of blameless poverty before the eyes of the world in order to make an impression upon the state, and the wealthy, with the strongest means. Nonetheless the author's poetic persona was too great, and the play avoided at the same time that tendency, so that it could pull heavenwards into a realm of the most eternal poetry, which rises above all tendencies. Already in the choice of milieu it can be seen that the playwright was greater than he himself realized. Whereas other dramatists, in such cases, seek poverty only where it most easily eats into [its characters], allowing the images to roll forth only in a cinematic way, our author – it would be doubly praiseworthy if even he proceeded from a single tendency – chose for his play a milieu in which poverty still shows itself to be thoroughly powerless against worthy innate or acquired characteristics. Poverty has been unable to complete the process of decay in the house of the minor civil servant; and whenever it approaches and torments, it is confronted by a wall of virtues, which prove to be even stronger in their resistance; consequently the poverty that besets the house is exposed as an element that makes its presence felt only on the inducement of others, and thus without encumbrance to those actually affected. Without doubt, the choice of milieu can also be regarded as fortunate in the social-technical sense; for in other cases in which so-called poets evoke the ultimate processes of decay caused by poverty, for that very reason nothing is achieved: because the godless rich will always have occasion to point to the burdens that befall the poor. Here, on the contrary, such burdens are not to be found; and the rich feel the accusation all the more acutely when a criticism is now raised against them: that only they themselves are to blame for having imposed poverty on an innocent person! To a certain extent it is the case that in the house of the minor civil servant all the family members are expelled in the feeling that some outsider rogues, thugs, wicked people have done them wrong. And now precisely those people who are struck by guilt are sitting in front of the play! It is impossible to bear poverty in a more dignified way than we find in the civil servant's house; and the more ferociously the storm of fate blows, the more beautifully the resistance of the tormented and oppressed develops. {849} And without being aware of it, we thus stand before images of great inner wealth that almost forget the wicked fate that has befallen the house, as when the smallest source of light breaks through the greatest darkness. The character of the young student is particularly well conceived and developed; he preserves his inherited tenderness, in his struggles with chance even from earliest youth, which has led to victory; he possesses, in addition to what has been taught, also that far more acquired upbringing of spirit and sentiment, so much so that – like a Hamlet of hardship – he is able to bring himself and the others to articulate in words all that has befallen them. This character fits organically into the milieu and has the same understanding for the sphere of the minor official as does Hamlet in Shakespeare's drama; both are students whose education drives them to make sense of the individual acts of fate. But if one now understands the young student as an organic part of the milieu, then one is also able to appreciate the technique of the playwright, who makes excursions with the young man into territories to which only the key to poverty can point the way. In this way the drama hovers between the usual technique of the ordinary for sake of the ordinary, and a freer and higher one, which reproduces the strongly elevated feelings in refined poetic lines! The young student thus represents, as it were, the link between that reality of poverty which oppressive and that poverty that elevates. Anyone who follows the drama more than merely with his superficial eyes will feel even the transitions to be in no way upsetting; and he will encounter a unity of the sort found in musical works – for example, Fidelio – bind the spoken to the sung word. In this way I welcome Wildgans's drama as dramatic technique – in this way, and not otherwise – as a reversion to that early technique which created and was able to find that much sought-after realism even in poetry. With Wildgans and more of his ilk, we could perhaps again overcome that ugly realism of our times, which only those mediocre people understood as truth, but not also those of greater character! This realism was one-sided and denied the existence of heroes in humankind, who did exist and still do exist. {850} To serve the people who were summoned to co-govern, and from whose hands they received rich profits, the naturalists vilified characters as false who loved the people even more because they did not flatter them. Every situation recognizes its own heroes – there are also heroes of poverty. Wildgans gives us such a family of heroes; and how else can he introduce them to us except by weaving around them the glory of poetry, which they actually carry with them even in life? There is not a single passage in the work which one would want to change in tone or composition; and its cohesion thus reminds me of the very best works of literature. Even the minor characters are conceived and incorporated with all the virtuosity that one has admired so much in the most naturalistic dramas; but how beautifully are they used to cast the riches of poverty that distinguish our very heroes in ever new, brilliant light, like rare gems (the peddler and the secretary; the undertaker and the idea of "profession"!)

We were embarrassed by the behavior of the audience. They perhaps followed the events of the story but were too poor to be able to share the richness of our heroes. On account of this atmosphere of reluctance I even reprimanded a pupil of mine who could not follow the path to the poetry of poverty. And in doing so I succeeded in coming up with what I believe to be a clever line; I said to her, as a representative of great wealth, "You seem to fear that the poor civil servant might come down from the stage to the audience and collect money for himself. Free yourself of this fear and enjoy the work of a poet."

I should gladly liken Wildgans to signposts in a landscape; where W. wanders is the land of poetry, and a new land! Who knows, perhaps he is the right man to impart to historical drama a new raison d'être on the basis of the new occurrences, and with his daring language again make believable heroes of people, even for those who, from their inclination to greed, envy, and spite are unable and unwilling to see!

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Anton Wildgans's Armut (Leipzig: Staackmann, 1914), a tragedy in five acts, was then being performed at the Deutsches Volkstheater.