23.
Karte von Vrieslander; Karte von Fr. Deutsch mit Ankündigung für Donnerstag ½11h. — Weihnachtskarte von Frl. Newlov!! *Nach Tisch mit Lie-Liechen bei Mama; Lie-Liechen behauptet sie mache einen besseren Eindruck als Montag, während sie auf mich keinen besonders guten Eindruck macht. *AnsageWSLB 234 bei Hertzka für Donnerstag Nachmittag. *Ein oesterreichisches Unterseeboot torpediert das französische Admiralschiff, während ein französisches Unterseeboot, das in einen oesterreichischen Hafen eindringen wollte, zum Sinken gebracht wurde; 1 ein Erfolg, der nach der letzten Niederlage in Serbien 2 von großem moralischen Wert ist. *Sonderbar , daß die Menschen, denen ja ihre eigenen Eltern Zeugen ihres ehemaligen Nichts vor dem Eingang ins Leben sind , u. denen die Eltern das Nichts des Ausganges vormachen, über das letztere nicht hinwegkommen, wenn sie selbst in Frage kommen. Sie kommen aus dem Nichts u. fürchten sich vor dem Nichts, so sehr steigen ihnen die wenigen Athemzüge, die sie durch das Zeugungswunder verrichten dürfen, in den Kopf. Sie, die nichts waren u. auch bei Lebzeiten nichts sind, können es nicht fassen, daß sie schließlich Nichts bleiben müssen. *Auch Shaw ist gegen die allgemeine Wehrpflicht u. für Söldner. Das Ausmaß des dichterischen Talents kann man nun am besten an diesem frivolen, echt englischen Standpunkt mes- {820} sen. Mit echt englischer Krämergesinnung wünscht der Mann, der Dichter zu sein vorgibt, andere Menschen um billigstes Geld dazu zu bestimmen, ihr Leben für ihn zu lassen. Welch’ ein Licht fällt da auf die sozialdemokratische Gesinnung des Dichters u. welche Inhumanität ist es, einen Betrag von etwa 15 Kr. täglich für ausreichend zu finden als Honorar für denjenigen, der das Leben für ihn läßt! Ich glaube, daß beinahe Stiefelputzen ein einträglicheres Geschäft ist, u. es gehört der volle Cynismus eines in der englischen Athmosphäre aufgewachsenen Menschen dazu, um nicht zu verstehen, wie sehr die Zumutungen , an Menschen, um so billiges Geld ihr Leben für einen fremden Menschen zu lassen, im höchsten Grade depravierend ist. Und wie anders hebt sich davon das System in Deutschland ab, wo jedermann [sic] zuerst für seine eigene Person einsteht, um indirekt auch für seine Connationalen einzustehen. Nun begreift man, warum Deutschland auch überlegenere Dichter haben muß! *Potiorek mußte seinen Posten aufgeben; Erzherzog Eugen tritt an seine Stelle. 3 Zu dieser Empfindlichkeit wäre der oesterreichischen Regierung nur zu gratulieren, wenn sie sie nur auch sonst u. auf anderen Gebieten, z. B. in der Kunst, erweisen würde. Was wurde nicht alles dem Präsidenten in der Akademie nachgewiesen u. was nicht alles dem Direktor der Anstalt – dennoch wurden sie in ihren Aemtern belassen, weil offenbar die Kunst, im Gegensatz zur Armee, im geistigen Horizont des Ministeriums überhaupt noch keine Rolle spielt. *
© Transcription Marko Deisinger. |
23.
Postcard from Vrieslander; postcard from Mrs. Deutsch with notification for Thursday at 10:30. — Christmas card from Miss Newlov!! *After teatime, with Lie-Liechen at Mama's; Lie-Liechen maintains that she made a better impression than on Monday, whereas she did not make a particularly good impression on me. *AcceptanceWSLB 234 sent to Hertzka for Thursday afternoon. *An Austrian submarine torpedoes the French admiral's ship, while a French submarine that wanted to penetrate an Austrian harbor is sunk; 1 a success which, following the last defeat in Serbia, 2 is of great value for morale. *It is odd how people, whose very own parents are witnesses to their previous nothingness before coming into being, and to whom their parents demonstrate the nothingness of their passing, cannot themselves cope with the latter when faced with their own turn. They come from nothingness and are afraid of nothingness, so much that the few breaths that they may take as a result of the miracle of creation go to their head. They, who were nothings and also are nothings in their lifetime, cannot understand that they must ultimately remain nothings. *Even Shaw is against general military conscription and in favor of mercenaries. The extent of his literary talent can now be best measured by this frivolous, typically English standpoint. {820} With a truly English businessman's mentality, the man, who makes himself out to be a writer, wishes to designate other people who, for the least amount of money, will give up their life for him. What a light falls here on the social-democratic mentality of the writer; and what inhumanity is it to find a sum of about 15 Kronen per day as a sufficient fee for someone who will give his life for him! I believe that cleaning boots is almost a more profitable business, and it takes the utter cynicism of a person brought up in the English atmosphere not to understand how imposing upon people to give up their lives for a stranger is depraving in the highest degree. And how different from this is the system in Germany, where everyone is initially responsible for himself, in order also to be indirectly responsible for his co-nationals. Now one can understand why Germany, must also have superior writers! *Potiorek has had to give up his position; Archduke Eugen is taking his place. 3 The Austrian government can only be congratulated for this sensitivity, if only it would show it elsewhere, too, and in other fields, for example, in art. Think of all that could be substantiated about the president in the Vienna Academy, and the director of that institute – yet they are left in their posts, apparently because art, as opposed to the army, still has no role to plays on the intellectual horizon of the ministry. *
© Translation William Drabkin. |
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Karte von Vrieslander; Karte von Fr. Deutsch mit Ankündigung für Donnerstag ½11h. — Weihnachtskarte von Frl. Newlov!! *Nach Tisch mit Lie-Liechen bei Mama; Lie-Liechen behauptet sie mache einen besseren Eindruck als Montag, während sie auf mich keinen besonders guten Eindruck macht. *AnsageWSLB 234 bei Hertzka für Donnerstag Nachmittag. *Ein oesterreichisches Unterseeboot torpediert das französische Admiralschiff, während ein französisches Unterseeboot, das in einen oesterreichischen Hafen eindringen wollte, zum Sinken gebracht wurde; 1 ein Erfolg, der nach der letzten Niederlage in Serbien 2 von großem moralischen Wert ist. *Sonderbar , daß die Menschen, denen ja ihre eigenen Eltern Zeugen ihres ehemaligen Nichts vor dem Eingang ins Leben sind , u. denen die Eltern das Nichts des Ausganges vormachen, über das letztere nicht hinwegkommen, wenn sie selbst in Frage kommen. Sie kommen aus dem Nichts u. fürchten sich vor dem Nichts, so sehr steigen ihnen die wenigen Athemzüge, die sie durch das Zeugungswunder verrichten dürfen, in den Kopf. Sie, die nichts waren u. auch bei Lebzeiten nichts sind, können es nicht fassen, daß sie schließlich Nichts bleiben müssen. *Auch Shaw ist gegen die allgemeine Wehrpflicht u. für Söldner. Das Ausmaß des dichterischen Talents kann man nun am besten an diesem frivolen, echt englischen Standpunkt mes- {820} sen. Mit echt englischer Krämergesinnung wünscht der Mann, der Dichter zu sein vorgibt, andere Menschen um billigstes Geld dazu zu bestimmen, ihr Leben für ihn zu lassen. Welch’ ein Licht fällt da auf die sozialdemokratische Gesinnung des Dichters u. welche Inhumanität ist es, einen Betrag von etwa 15 Kr. täglich für ausreichend zu finden als Honorar für denjenigen, der das Leben für ihn läßt! Ich glaube, daß beinahe Stiefelputzen ein einträglicheres Geschäft ist, u. es gehört der volle Cynismus eines in der englischen Athmosphäre aufgewachsenen Menschen dazu, um nicht zu verstehen, wie sehr die Zumutungen , an Menschen, um so billiges Geld ihr Leben für einen fremden Menschen zu lassen, im höchsten Grade depravierend ist. Und wie anders hebt sich davon das System in Deutschland ab, wo jedermann [sic] zuerst für seine eigene Person einsteht, um indirekt auch für seine Connationalen einzustehen. Nun begreift man, warum Deutschland auch überlegenere Dichter haben muß! *Potiorek mußte seinen Posten aufgeben; Erzherzog Eugen tritt an seine Stelle. 3 Zu dieser Empfindlichkeit wäre der oesterreichischen Regierung nur zu gratulieren, wenn sie sie nur auch sonst u. auf anderen Gebieten, z. B. in der Kunst, erweisen würde. Was wurde nicht alles dem Präsidenten in der Akademie nachgewiesen u. was nicht alles dem Direktor der Anstalt – dennoch wurden sie in ihren Aemtern belassen, weil offenbar die Kunst, im Gegensatz zur Armee, im geistigen Horizont des Ministeriums überhaupt noch keine Rolle spielt. *
© Transcription Marko Deisinger. |
23.
Postcard from Vrieslander; postcard from Mrs. Deutsch with notification for Thursday at 10:30. — Christmas card from Miss Newlov!! *After teatime, with Lie-Liechen at Mama's; Lie-Liechen maintains that she made a better impression than on Monday, whereas she did not make a particularly good impression on me. *AcceptanceWSLB 234 sent to Hertzka for Thursday afternoon. *An Austrian submarine torpedoes the French admiral's ship, while a French submarine that wanted to penetrate an Austrian harbor is sunk; 1 a success which, following the last defeat in Serbia, 2 is of great value for morale. *It is odd how people, whose very own parents are witnesses to their previous nothingness before coming into being, and to whom their parents demonstrate the nothingness of their passing, cannot themselves cope with the latter when faced with their own turn. They come from nothingness and are afraid of nothingness, so much that the few breaths that they may take as a result of the miracle of creation go to their head. They, who were nothings and also are nothings in their lifetime, cannot understand that they must ultimately remain nothings. *Even Shaw is against general military conscription and in favor of mercenaries. The extent of his literary talent can now be best measured by this frivolous, typically English standpoint. {820} With a truly English businessman's mentality, the man, who makes himself out to be a writer, wishes to designate other people who, for the least amount of money, will give up their life for him. What a light falls here on the social-democratic mentality of the writer; and what inhumanity is it to find a sum of about 15 Kronen per day as a sufficient fee for someone who will give his life for him! I believe that cleaning boots is almost a more profitable business, and it takes the utter cynicism of a person brought up in the English atmosphere not to understand how imposing upon people to give up their lives for a stranger is depraving in the highest degree. And how different from this is the system in Germany, where everyone is initially responsible for himself, in order also to be indirectly responsible for his co-nationals. Now one can understand why Germany, must also have superior writers! *Potiorek has had to give up his position; Archduke Eugen is taking his place. 3 The Austrian government can only be congratulated for this sensitivity, if only it would show it elsewhere, too, and in other fields, for example, in art. Think of all that could be substantiated about the president in the Vienna Academy, and the director of that institute – yet they are left in their posts, apparently because art, as opposed to the army, still has no role to plays on the intellectual horizon of the ministry. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Ein französisches Unterseeboot in der Adria vernichtet. Die Besatzung gefangen genommen. – Ein österreichisches Unterseeboot greift eine ganze französische Flotte an. – Das französische Flaggenschiff zweimal getroffen," Neues Wiener Journal, No. 7602, December 23, 1914, 22nd year, extra edition, p. 1. "Grosser Erfolg unserer Flotte in der Adria. Ein französisches Kriegsschiff vom Unterseeboot „XII" torpediert. Auch ein französisches Unterseeboot in den Grund geschossen," Wiener Mittags-Zeitung, No. 296, December 23, 1914, 64th year, special edition, p. 1. 2 Although Belgrade was captured and held for a short time in December 1914, the Austro-Hungarian army's offensive against Serbia, under the command of General Oskar Potiorek, failed on account of faulty planning and fierce Serbian resistance. The Serbs remained undefeated at the Battles of Cer and Kolubara and eventually forced the invaders to retreat into their own territory. 3 "Die Berufung des Erzherzogs Eugen zum Oberkommandanten der Balkanstreitkräfte. Enthebung des Feldzeugmeisters Potiorek," Neue Freie Presse, No. 18081, December 24, 1914, evening edition, p. 1. |