18. XI. 1914

Größere Sendung an Dr. Steinitz. — Um das schöne Wetter zu ehren machen wir früh, noch vor der 1. Stunde, einen kleinen Spaziergang in den Maria-Josepha-Park.

*

Die Haltung von Nationen u. Natiönchen in der gegenwärtigen Welt beweist, daß, was heute Nation, Stamm oder Rasse sich nennt, mehr nach Müttern u. Ammen, als nach besten Vätern u. Söhnen sich nen rubriziert. Das geringste Durcheinanderrütteln von nur wenigen Familien führt schon zu neuen Stämmen, u. was sich nur halbwegs in Mundart u. Tracht unterscheidet, wird ohneweiters schon als ein Individuum designirt, das Rechte in Anspruch nimmt nehmen darf, noch bevor es seine Individualität in anderen als blos äußerlichen Punkten erwiesen hat. Was soll aber Muttersprache in diesem Zusammenhange, wenn wirkliche Fragen der Menschheit im Vordergrunde stehen? Lehrt etwa die Muttersprache eine bessere Nächstenliebe, eine bessere Kunst u. überhaupt eine bessere Lebensführung; ? iIst sie mehr als dieser oder jener Kopfputz u. ist nicht jenseits der Muttersprache die entscheidender die innere Haltung des Menschen? Vor der Frage, ob der Mensch einen bedeutenden Sinn in sein Leben hineinträgt, muß da nicht die Frage nach seiner Muttersprache verstummen? Und doch, gerade das äußerlichste Moment wird zur Fahne kämpfender Stämme, Nationen u. Rassen. So gelangen die Menschen zu dem grottesken [sic] Ergebnis, daß sie nicht etwa um wichtige Güter Kriege führen, sondern fast nur um zu erweisen, daß die eine Muttersprache besser u. schöner sei als die andere, ein Thema, das wahrhaftig niemals erwiesen werden kann. Leider aber ist kaum zu erwarten, daß die Menschheit aus ihrer Geschichte gerade die Ammen verjagen würde!

*

Will man wissen wer die Slaven sind, so genügt es sich zu vergegenwärtigen, daß die Russen sozusagen de nren aktivsten Stamm der großen Rasse vorstellt – u. damit ist wohl alles gesagt. Wäre hinter der slavischen Rasse nicht die imposante Millionenziffer, die ihr ein Leben auf Jahrhunderte u. Jahrtausende hinaus sichert, man würde wahrhaftig kaum Gelegenheit haben, innerhalb der Kultur die Anwesenheit der Rasse zu merken. Passivität ist das Hauptmerkmal der Slaven, nur daß ein rasches jähes Auflodern sie selbst im ersten Augenblick darüber täuscht, so daß sie sich Aktivi- {773} tät einbilden können. Darüber ist es ihnen aber auch nicht einmal gegeben, ein wahrhaft aktives Wesen, wie das deutsche, zu begreifen.

*

Auch die Romanen haben nicht die stärksten Wörter der Kultur gesprochen! Kein Moses, kein Christus, kein Luther entstammte den Franzosen, auch nicht den Italienern, u. keine Erhebung gibt es in der Geschichte französischer oder romanischer Literatur, die nicht tausendfach innerhalb der deutschen Kultur überboten würde. Daher bedeuten auf der geistigen Landkarte die Franzosen, wie die Romanen überhaupt, nur ein bescheidenes Hügelland gegenüber dem den gleichsam gewaltig überlegenen Bergriesen Deutschland s u. der alten Hebräer, Griechen u. Römer.

*

Von den Engländern ist noch viel weniger zu sagen. Bis auf den heutigen Tag blieb ihnen jener Hang zum Grottesken [sic] erhalten, der deutlich verrät, daß man nur erst durch stärkste Mittel der Drastik ihren geldschlafenden [recte geldschaffenden] Nerven beikommen kann. Der Engländer hört nicht Shakespeare, nicht Goethe, nicht Musik, sondern hört, sieht, genießt, athmet nur Zinsen u. sonst muß er zu jedem Genuß erst aufgestachelt werden, weshalb auch der Gegenstand des Genusses grottesker [sic] u. stacheliger Natur sein muß.

*

Als Motto der Italiener mag auch noch heute der schmutzige Dudelsackpfeifer mit dem dem Affen gelten. Eine kleine Geschicklichkeit im Verkehr mit dem Affen, die sofortige Ausnützung einer solchen Geschicklichkeit, dazu eine schöne Kehle u. der Bettler ist fertig, der nicht müde wird zu betteln, sich aber heimlich für den idealsten Sohn der Welt zu halten.

*

Zur Frage, weshalb Deutschland von allen Völkern gehaßt wird, sei hier die Antwort kurz gegeben: Wäre der Deutsche borniert, dünkelhaft u. unbegabt wie der Engländer, es würde ihm selbst das höchste Maß dieser Laster in den Augen der Welt nicht schaden; wäre er eitel, verlogen u. prahlerisch wie der Franzose, der selbst die Daten der Weltgeschichte nur nach den Daten seiner eigenen Landesgeschichte mißt u. daher von einem 14. Juli, einem 13. August, 16. September emphatisch spricht, 1 als wären es auch Daten der gesamten Menschheit – alle solche {774} Eitelkeiten würden den Deutschen nichts schaden. Wäre er eine Bettlernatur wie der Italiener, auch dieses würde sein Ansehen nicht mindern. Nur aber der Umstand, daß der Deutsche nicht scheint, sondern wirklich Einer ist, dieses allein zieht ihm den Haß der Menschheit zu, wie überhaupt jedes Individuum, das ist u. nicht blos scheint, die leidige Welt der Menschen herausfordert, die auch sonst alle Laster lieber als das ein wahres Wesen vertragen.

*

Vor Jahren war es, da trafen wir, Lie-Liechen, ich u. auch Violins in Heiligenkreuz ein. Einer allgemeinen Sitte folgend ließen wir uns auch das Stiftsgebäude in allen seinen Räumlichkeiten zeigen. Wie ich es schon in diesen Blättern erzählt habe, gelangten wir auch in die Sakristei. Als die Tür aufging, fühlten wir uns fast betäubt von einem schweren Gewölk, das – vom Küster improvisiert wurde. – Auf dieses Erlebnis greife ich nun heute zurück, um an einem drastischen Beispiel zeigen zu können, worin die wahre Tragödie der Menschheit beruht. Denn so an sich der Vorfall verständlich gewesen, muß man sich dennoch fragen, woher denn der Küster den Mut genommen hat, die Anwesenheit so vieler kostbare rn u. heilige rn Reliquien durch seine Hinterländer- Leistung zu beschmutzen. Mit anderen Worten: es fragt sich: waren warum denn gerade dem Küster die Gegenstände nicht verehrungswürdig erschienen, die er hernach gegen Entgelt den Besuchern als heilig u. verehrungswürdig selbst vorgeführt u. angepriesen? Bei Beantwortung dieser Frage stößt man eben auf den Fluch der Menschheit, niemals für kein Wunder dasjenige zu halten, dem man in irgend einer Weise selbst näher als der andere steht, sei es, daß man an der Erzeugung beteiligt oder nur auf entferntere Weise damit zusammenhängt. sSchon ist einer Mutter die Mutterschaft weniger heilig, als dem Manne, blos weil sei den Gebärungsakt absolviert; schon steht sie dem Wunder der Gebärung nüchterner u. stumpfer als der Vater gegenüber, blos weil sie als Werkzeug der Natur das Wunder erfüllt. Kein Zweifel, daß sie andächtiger vor dem Wunder sich neigen würde, wenn der Mann dessen Träger wäre. – Und so ist es auch mit den Priestern u. deren Gehilfen. Sie allein kennen die Geschichte der Reliquien, der Meßgewänder, u. können unmöglich dafür jene Andacht aufbringen, die wie sie die übrigen Menschen zollen, die nichts Näheres von den „Heiligtümern u. Wundern“ wissen. Der Umstand aber, daß so viele Menschen die schönsten Illusionen an Gegen- {775} ständen verlieren, die ihnen, den Priestern, vermöge ihrer Herkunft gar keine Andacht entlocken können, versetzt die letzteren notwendigerweise in den Zustand der Über Erhebung über die Borniertheit der anderen. Daher die ewige Klage der Menschheit über die Betrügereien aller Pfaffen u. Priester; denn sie kann nicht begreifen, daß nicht auch ihnen, den Priestern, heilig sein sollte, was ihr selbst heilig ist. (Umgekehrt kann natürlich der Priester nicht begreifen, wie die Welt sich an Gegenständen illusioniert, deren Wertlosigkeit er am besten beurteilen kann.) Nun denn, so hat denn eben der Küster in Heiligenkreuz sein Werturteil über die Religion uns in einer nicht mißzuverstehenden Weise kundgetan, was freilich die meisten Besucher dennoch nicht verhindert hat, sie volle Andacht zu entfalten.

*

Günstige Meldungen aus Russisch-Polen 2 u. Serbien. 3

*

Erster Schnee!!

*

© Transcription Marko Deisinger.

November 18, 1914.

A rather large package sent to Dr. Steinitz. — In honor of the beautiful weather, we take a short walk in the Maria-Josepha-Park even before the first hour [of daylight].

*

The behavior of nations large and small in today's world demonstrates that what we call nation, stock, or race is classified more according to mothers and wet-nurses, and not according to fathers and sons. The smallest amount of intermingling of even just a few families already leads to new lineages; and that which is distinguished only partly in manner of speech and dress is, without further ado, already designated as something individual which may exercise its rights even before it has proven its individuality in more than merely external respects. What should mother tongue signify when real questions of humanity stand in the foreground. Does a mother tongue teach a better love of one's neighbors, a better art, and a better conduct of life in general? Is it more than this or that headdress; and, beyond the mother tongue, is not the inner character of a person more decisive? When asking whether a person carries within him a significant meaning in his life, mustn't the question of his mother tongue be silent? And yet, this very external factor has become the banner of warring stocks, nations, and races. Thus, people arrive at the grotesque result that they are not waging war, say, for important assets but almost only to show that one mother tongue is better and more beautiful than another: a theme that verily will never be proved. Unfortunately, one can hardly expect that humanity will expel the wet-nurses in particular from its history!

*

If one wants to know who the Slavs are, it is sufficient to recognize that the Russians represent, so to speak, their most active stock – and with that perhaps everything has been said. If the Slavic race did not number in imposing millions, which secures for them a life for centuries and millennia, one would hardly have occasion to notice the presence of the race within culture. Passivity is the chief characteristic of the Slavs; only a quick and sudden flaring-up deceives them at the first opportunity, so that they can imagine themselves as being active. {773} In this respect, however, they are not at all able to understand the meaning of a truly active being, like that of the Germans.

*

Even the Romanic peoples did not speak the strongest words of culture! No Moses, no Christ, no Luther originated with the Italians; and there is no elevation in the history of French or Romance literature that could not be topped a thousandfold within German culture. Thus in the intellectual map the French, like the Roman peoples in general, signify merely a modest uplands compared to the almost mightily superior mountain giants of Germany and the ancient Hebrews, Greeks, and Romans.

*

Of the English, even much less can be said. Right up to the present time, they have retained their inclination towards the grotesque, which clearly betrays the fact that only the strongest, most drastic measures will gain access to their money-creating nerves. The Englishman does not hear Shakespeare, nor Goethe, nor music; rather he hears, sees, enjoys, and breathes only interest rates. And otherwise he must first be pricked up for any enjoyment, which is also why the object of enjoyment must be of a more grotesque, prickly nature.

*

As symbol of the Italians, even today one could use the dirty bagpiper with his monkey. A little experience in handling a monkey, the immediate exploitation of such expertise, to which one can add a pretty throat – and the beggar is complete. He will not tire of begging, but secretly fancies himself as the most ideal son in the world.

*

The question as to why Germany is hated by all peoples may be answered here briefly: if the German was as narrow-minded, arrogant, and ungifted as an Englishman, then even the greatest amount of these vices would do no harm to him in the eyes of the world. Were he as vain, deceitful and pretentious as a Frenchman, who measures the dates of world history only according to the dates of his own national history and thus speaks emphatically of a "July 14," an August 13, and a September 16, 1 as if these were important dates for the whole of humanity – all such {774} vanities would not harm the Germans in any respects. If he were a beggar type, like the Italian, even this would not diminish his esteem. It is only the fact that the German is not someone who appears in this or that way, but is rather a real person, this alone attracts the hatred of humanity – as any individual at all who is and does not merely appear to be, would provoke the wretched world of humanity, which in other ways as well would rather tolerate all vices than a true being.

*

Years ago, we – Lie-Liechen and I, and also the Violins met in Heiligenkreuz. Following a general tradition, we too had a look at the monastery in all its magnificence. As I have already explained in these pages, we also entered the sacristy. As the door opened we felt almost deafened by a thunderous cloud of sound – improvised by the sexton. I refer again today to this experience in order to give an extreme example of that one which the human tragedy is based. For as understandable as the incident may have been, one must nonetheless ask how the sexton had summoned the courage to defile the presence of so many valuable and sacred relics with his outlandish act. In other words, the question arises: why, then, did these objects not appear venerable to the sexton, of all people, since he himself afterwards presented and extolled them to the fee-paying visitors? In answering this question, one comes up against the very curse of humanity, which never regards as a miracle that which one is closer to than someone else, regardless of whether one has a role in its production or is related to it more distantly. Even motherhood is less sacred to a mother than to a man, merely because she fulfills the act of procreation; she regards the miracle of giving birth in a more mundane and matter-of-fact manner than the father, merely because she serves as a tool of nature to fulfill the miracle. No doubt she would have approached the miracle with more devotion if the man were the bearer. – And so it is also with priests and their assistants. They alone know the history of the relics and the Eucharistic vestments, and they are unable to summon that devotion, the likes of which are paid for by other people who know nothing specifically about "sanctuaries and miracles." The fact, however, that so many people harbor the most beautiful illusions about objects {775} which cannot elicit any devotion at all in them, the priests, by dint of their ancestry must of necessity place the latter in the condition of arrogance at the narrow-mindedness of the others. Hence the eternal complaint of humanity about the deceitfulness of all clerics and priests: for they cannot comprehend why that which is sacred to them should not also be sacred to the priests. (Conversely, the priest cannot of course understand how the world can harbor illusions about objects whose worthlessness he is best placed to judge.) Now then, this is just how the sexton in Heiligenkreuz proclaimed his judgment about religion in a way that we would not misunderstand – something which, of course, did not prevent the majority of visitors from displaying complete devotion to it.

*

Favorable reports from Russian Poland 2 and Serbia. 3

*

First snow!!

*

© Translation William Drabkin.

18. XI. 1914

Größere Sendung an Dr. Steinitz. — Um das schöne Wetter zu ehren machen wir früh, noch vor der 1. Stunde, einen kleinen Spaziergang in den Maria-Josepha-Park.

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Die Haltung von Nationen u. Natiönchen in der gegenwärtigen Welt beweist, daß, was heute Nation, Stamm oder Rasse sich nennt, mehr nach Müttern u. Ammen, als nach besten Vätern u. Söhnen sich nen rubriziert. Das geringste Durcheinanderrütteln von nur wenigen Familien führt schon zu neuen Stämmen, u. was sich nur halbwegs in Mundart u. Tracht unterscheidet, wird ohneweiters schon als ein Individuum designirt, das Rechte in Anspruch nimmt nehmen darf, noch bevor es seine Individualität in anderen als blos äußerlichen Punkten erwiesen hat. Was soll aber Muttersprache in diesem Zusammenhange, wenn wirkliche Fragen der Menschheit im Vordergrunde stehen? Lehrt etwa die Muttersprache eine bessere Nächstenliebe, eine bessere Kunst u. überhaupt eine bessere Lebensführung; ? iIst sie mehr als dieser oder jener Kopfputz u. ist nicht jenseits der Muttersprache die entscheidender die innere Haltung des Menschen? Vor der Frage, ob der Mensch einen bedeutenden Sinn in sein Leben hineinträgt, muß da nicht die Frage nach seiner Muttersprache verstummen? Und doch, gerade das äußerlichste Moment wird zur Fahne kämpfender Stämme, Nationen u. Rassen. So gelangen die Menschen zu dem grottesken [sic] Ergebnis, daß sie nicht etwa um wichtige Güter Kriege führen, sondern fast nur um zu erweisen, daß die eine Muttersprache besser u. schöner sei als die andere, ein Thema, das wahrhaftig niemals erwiesen werden kann. Leider aber ist kaum zu erwarten, daß die Menschheit aus ihrer Geschichte gerade die Ammen verjagen würde!

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Will man wissen wer die Slaven sind, so genügt es sich zu vergegenwärtigen, daß die Russen sozusagen de nren aktivsten Stamm der großen Rasse vorstellt – u. damit ist wohl alles gesagt. Wäre hinter der slavischen Rasse nicht die imposante Millionenziffer, die ihr ein Leben auf Jahrhunderte u. Jahrtausende hinaus sichert, man würde wahrhaftig kaum Gelegenheit haben, innerhalb der Kultur die Anwesenheit der Rasse zu merken. Passivität ist das Hauptmerkmal der Slaven, nur daß ein rasches jähes Auflodern sie selbst im ersten Augenblick darüber täuscht, so daß sie sich Aktivi- {773} tät einbilden können. Darüber ist es ihnen aber auch nicht einmal gegeben, ein wahrhaft aktives Wesen, wie das deutsche, zu begreifen.

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Auch die Romanen haben nicht die stärksten Wörter der Kultur gesprochen! Kein Moses, kein Christus, kein Luther entstammte den Franzosen, auch nicht den Italienern, u. keine Erhebung gibt es in der Geschichte französischer oder romanischer Literatur, die nicht tausendfach innerhalb der deutschen Kultur überboten würde. Daher bedeuten auf der geistigen Landkarte die Franzosen, wie die Romanen überhaupt, nur ein bescheidenes Hügelland gegenüber dem den gleichsam gewaltig überlegenen Bergriesen Deutschland s u. der alten Hebräer, Griechen u. Römer.

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Von den Engländern ist noch viel weniger zu sagen. Bis auf den heutigen Tag blieb ihnen jener Hang zum Grottesken [sic] erhalten, der deutlich verrät, daß man nur erst durch stärkste Mittel der Drastik ihren geldschlafenden [recte geldschaffenden] Nerven beikommen kann. Der Engländer hört nicht Shakespeare, nicht Goethe, nicht Musik, sondern hört, sieht, genießt, athmet nur Zinsen u. sonst muß er zu jedem Genuß erst aufgestachelt werden, weshalb auch der Gegenstand des Genusses grottesker [sic] u. stacheliger Natur sein muß.

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Als Motto der Italiener mag auch noch heute der schmutzige Dudelsackpfeifer mit dem dem Affen gelten. Eine kleine Geschicklichkeit im Verkehr mit dem Affen, die sofortige Ausnützung einer solchen Geschicklichkeit, dazu eine schöne Kehle u. der Bettler ist fertig, der nicht müde wird zu betteln, sich aber heimlich für den idealsten Sohn der Welt zu halten.

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Zur Frage, weshalb Deutschland von allen Völkern gehaßt wird, sei hier die Antwort kurz gegeben: Wäre der Deutsche borniert, dünkelhaft u. unbegabt wie der Engländer, es würde ihm selbst das höchste Maß dieser Laster in den Augen der Welt nicht schaden; wäre er eitel, verlogen u. prahlerisch wie der Franzose, der selbst die Daten der Weltgeschichte nur nach den Daten seiner eigenen Landesgeschichte mißt u. daher von einem 14. Juli, einem 13. August, 16. September emphatisch spricht, 1 als wären es auch Daten der gesamten Menschheit – alle solche {774} Eitelkeiten würden den Deutschen nichts schaden. Wäre er eine Bettlernatur wie der Italiener, auch dieses würde sein Ansehen nicht mindern. Nur aber der Umstand, daß der Deutsche nicht scheint, sondern wirklich Einer ist, dieses allein zieht ihm den Haß der Menschheit zu, wie überhaupt jedes Individuum, das ist u. nicht blos scheint, die leidige Welt der Menschen herausfordert, die auch sonst alle Laster lieber als das ein wahres Wesen vertragen.

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Vor Jahren war es, da trafen wir, Lie-Liechen, ich u. auch Violins in Heiligenkreuz ein. Einer allgemeinen Sitte folgend ließen wir uns auch das Stiftsgebäude in allen seinen Räumlichkeiten zeigen. Wie ich es schon in diesen Blättern erzählt habe, gelangten wir auch in die Sakristei. Als die Tür aufging, fühlten wir uns fast betäubt von einem schweren Gewölk, das – vom Küster improvisiert wurde. – Auf dieses Erlebnis greife ich nun heute zurück, um an einem drastischen Beispiel zeigen zu können, worin die wahre Tragödie der Menschheit beruht. Denn so an sich der Vorfall verständlich gewesen, muß man sich dennoch fragen, woher denn der Küster den Mut genommen hat, die Anwesenheit so vieler kostbare rn u. heilige rn Reliquien durch seine Hinterländer- Leistung zu beschmutzen. Mit anderen Worten: es fragt sich: waren warum denn gerade dem Küster die Gegenstände nicht verehrungswürdig erschienen, die er hernach gegen Entgelt den Besuchern als heilig u. verehrungswürdig selbst vorgeführt u. angepriesen? Bei Beantwortung dieser Frage stößt man eben auf den Fluch der Menschheit, niemals für kein Wunder dasjenige zu halten, dem man in irgend einer Weise selbst näher als der andere steht, sei es, daß man an der Erzeugung beteiligt oder nur auf entferntere Weise damit zusammenhängt. sSchon ist einer Mutter die Mutterschaft weniger heilig, als dem Manne, blos weil sei den Gebärungsakt absolviert; schon steht sie dem Wunder der Gebärung nüchterner u. stumpfer als der Vater gegenüber, blos weil sie als Werkzeug der Natur das Wunder erfüllt. Kein Zweifel, daß sie andächtiger vor dem Wunder sich neigen würde, wenn der Mann dessen Träger wäre. – Und so ist es auch mit den Priestern u. deren Gehilfen. Sie allein kennen die Geschichte der Reliquien, der Meßgewänder, u. können unmöglich dafür jene Andacht aufbringen, die wie sie die übrigen Menschen zollen, die nichts Näheres von den „Heiligtümern u. Wundern“ wissen. Der Umstand aber, daß so viele Menschen die schönsten Illusionen an Gegen- {775} ständen verlieren, die ihnen, den Priestern, vermöge ihrer Herkunft gar keine Andacht entlocken können, versetzt die letzteren notwendigerweise in den Zustand der Über Erhebung über die Borniertheit der anderen. Daher die ewige Klage der Menschheit über die Betrügereien aller Pfaffen u. Priester; denn sie kann nicht begreifen, daß nicht auch ihnen, den Priestern, heilig sein sollte, was ihr selbst heilig ist. (Umgekehrt kann natürlich der Priester nicht begreifen, wie die Welt sich an Gegenständen illusioniert, deren Wertlosigkeit er am besten beurteilen kann.) Nun denn, so hat denn eben der Küster in Heiligenkreuz sein Werturteil über die Religion uns in einer nicht mißzuverstehenden Weise kundgetan, was freilich die meisten Besucher dennoch nicht verhindert hat, sie volle Andacht zu entfalten.

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Günstige Meldungen aus Russisch-Polen 2 u. Serbien. 3

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Erster Schnee!!

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© Transcription Marko Deisinger.

November 18, 1914.

A rather large package sent to Dr. Steinitz. — In honor of the beautiful weather, we take a short walk in the Maria-Josepha-Park even before the first hour [of daylight].

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The behavior of nations large and small in today's world demonstrates that what we call nation, stock, or race is classified more according to mothers and wet-nurses, and not according to fathers and sons. The smallest amount of intermingling of even just a few families already leads to new lineages; and that which is distinguished only partly in manner of speech and dress is, without further ado, already designated as something individual which may exercise its rights even before it has proven its individuality in more than merely external respects. What should mother tongue signify when real questions of humanity stand in the foreground. Does a mother tongue teach a better love of one's neighbors, a better art, and a better conduct of life in general? Is it more than this or that headdress; and, beyond the mother tongue, is not the inner character of a person more decisive? When asking whether a person carries within him a significant meaning in his life, mustn't the question of his mother tongue be silent? And yet, this very external factor has become the banner of warring stocks, nations, and races. Thus, people arrive at the grotesque result that they are not waging war, say, for important assets but almost only to show that one mother tongue is better and more beautiful than another: a theme that verily will never be proved. Unfortunately, one can hardly expect that humanity will expel the wet-nurses in particular from its history!

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If one wants to know who the Slavs are, it is sufficient to recognize that the Russians represent, so to speak, their most active stock – and with that perhaps everything has been said. If the Slavic race did not number in imposing millions, which secures for them a life for centuries and millennia, one would hardly have occasion to notice the presence of the race within culture. Passivity is the chief characteristic of the Slavs; only a quick and sudden flaring-up deceives them at the first opportunity, so that they can imagine themselves as being active. {773} In this respect, however, they are not at all able to understand the meaning of a truly active being, like that of the Germans.

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Even the Romanic peoples did not speak the strongest words of culture! No Moses, no Christ, no Luther originated with the Italians; and there is no elevation in the history of French or Romance literature that could not be topped a thousandfold within German culture. Thus in the intellectual map the French, like the Roman peoples in general, signify merely a modest uplands compared to the almost mightily superior mountain giants of Germany and the ancient Hebrews, Greeks, and Romans.

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Of the English, even much less can be said. Right up to the present time, they have retained their inclination towards the grotesque, which clearly betrays the fact that only the strongest, most drastic measures will gain access to their money-creating nerves. The Englishman does not hear Shakespeare, nor Goethe, nor music; rather he hears, sees, enjoys, and breathes only interest rates. And otherwise he must first be pricked up for any enjoyment, which is also why the object of enjoyment must be of a more grotesque, prickly nature.

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As symbol of the Italians, even today one could use the dirty bagpiper with his monkey. A little experience in handling a monkey, the immediate exploitation of such expertise, to which one can add a pretty throat – and the beggar is complete. He will not tire of begging, but secretly fancies himself as the most ideal son in the world.

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The question as to why Germany is hated by all peoples may be answered here briefly: if the German was as narrow-minded, arrogant, and ungifted as an Englishman, then even the greatest amount of these vices would do no harm to him in the eyes of the world. Were he as vain, deceitful and pretentious as a Frenchman, who measures the dates of world history only according to the dates of his own national history and thus speaks emphatically of a "July 14," an August 13, and a September 16, 1 as if these were important dates for the whole of humanity – all such {774} vanities would not harm the Germans in any respects. If he were a beggar type, like the Italian, even this would not diminish his esteem. It is only the fact that the German is not someone who appears in this or that way, but is rather a real person, this alone attracts the hatred of humanity – as any individual at all who is and does not merely appear to be, would provoke the wretched world of humanity, which in other ways as well would rather tolerate all vices than a true being.

*

Years ago, we – Lie-Liechen and I, and also the Violins met in Heiligenkreuz. Following a general tradition, we too had a look at the monastery in all its magnificence. As I have already explained in these pages, we also entered the sacristy. As the door opened we felt almost deafened by a thunderous cloud of sound – improvised by the sexton. I refer again today to this experience in order to give an extreme example of that one which the human tragedy is based. For as understandable as the incident may have been, one must nonetheless ask how the sexton had summoned the courage to defile the presence of so many valuable and sacred relics with his outlandish act. In other words, the question arises: why, then, did these objects not appear venerable to the sexton, of all people, since he himself afterwards presented and extolled them to the fee-paying visitors? In answering this question, one comes up against the very curse of humanity, which never regards as a miracle that which one is closer to than someone else, regardless of whether one has a role in its production or is related to it more distantly. Even motherhood is less sacred to a mother than to a man, merely because she fulfills the act of procreation; she regards the miracle of giving birth in a more mundane and matter-of-fact manner than the father, merely because she serves as a tool of nature to fulfill the miracle. No doubt she would have approached the miracle with more devotion if the man were the bearer. – And so it is also with priests and their assistants. They alone know the history of the relics and the Eucharistic vestments, and they are unable to summon that devotion, the likes of which are paid for by other people who know nothing specifically about "sanctuaries and miracles." The fact, however, that so many people harbor the most beautiful illusions about objects {775} which cannot elicit any devotion at all in them, the priests, by dint of their ancestry must of necessity place the latter in the condition of arrogance at the narrow-mindedness of the others. Hence the eternal complaint of humanity about the deceitfulness of all clerics and priests: for they cannot comprehend why that which is sacred to them should not also be sacred to the priests. (Conversely, the priest cannot of course understand how the world can harbor illusions about objects whose worthlessness he is best placed to judge.) Now then, this is just how the sexton in Heiligenkreuz proclaimed his judgment about religion in a way that we would not misunderstand – something which, of course, did not prevent the majority of visitors from displaying complete devotion to it.

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Favorable reports from Russian Poland 2 and Serbia. 3

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First snow!!

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Bastille Day, the French national day commemorating the storming of the Bastille on July 14, 1789, a turning point of the French Revolution; the Fête de la Fédération celebrates the unification of the French people on July 14, 1790. Why Schenker also mentions the dates August 13 and September 16 is not clear, as they do not mark important events in French history.

2 "Der Sieg in Russisch-Polen. Große Befriedigung in der Monarchie und im Deutschen Reiche," Neue Freie Presse, No. 18045, November 18, 1914, evening edition, p. 1. "Große Kämpfe in Russisch-Polen. 3000 russische Gefangene," Neues Wiener Tagblatt, No. 319, November 18, 1914, 48th year, extra edition, p. 1.

3 "Die Einnahme von Valjevo. Beschießung von Belgrad," Neue Freie Presse, No. 18045, November 18, 1914, morning edition, pp. 1–2. "Die erfolgreiche Offensive in Serbien," Neues Wiener Tagblatt, No. 319, November 18, 1914, 48th year, extra edition, p. 1.