13.
Spät aus der Wohnung tretend frage ich die Hausbesorgerin, ob denn schon der Briefträger in unserem Hause gewesen, worauf sie mit Schallkraft der überzeugter Überzeugung „ja“ erwidert. Da mich aber der Weg gleich darauf in die Strohgasse führte, fand ich dort zu meiner Ueberraschung den Briefträger, sozusagen erst am Beginne seiner Tätigkeit. Er überreicht mir eine Karte von der Tante, die eine frühere vollständig desavouirt. u. den Refrain aller ähnlichen Menschen enthält: „ich werde mein Möglichstes tun“, wofür sie selbstverständlich eine Rente für ihr Pflegekind im Stillen bereits heute in Anspruch nimmt. *Auch in der Liebe hat die Tat vor dem Wort einen Vorsprung; besser Liebe leben, als Liebe reden. {767} Dies ergibt sich schon daraus, daß Liebe leben zugleich auch Liebe reden bedeutet, umgekehrt aber nicht immer aber Liebe reden umgekehrt eine Liebestat in sich einzuschließen braucht. De nr Vorzug indessen, den leider auch in der Liebe das Wort vor der Tat genießt, ist wieder nur darauf zurückzuführen, daß das schöne Wort nur an das Ohr appelliert, also einen akustischen Eindruck vorstellt, der analog einem optischen als bloßer Nerveneindruck eben viel weniger Mühe verursacht, als eine Urteilsbildung. Während die Tat der Urteilskraft unterliegt u. nur diese über Güte oder Nichtgüte der Tat unterscheidet, hat das Ohr auf bequemste Weise ein schönes Wort aufgenommen, so daß innerhalb des Ohrbezirkes die Urteilskraft ausgeschaltet werden kann. Wer also das Urteilen als eine anstrengende Tätigkeit flieht, flüchtet sich lieber zum Wort. Daher das grotteske [sic] Ergebnis, daß man den urteilslosen Menschen beinahe mit Taten des Hasses setzen abfinde tn kann, wenn man ihn nur mit Worten der Liebe beteilt. Daher der Hang der Frau zu Liebesbeteuerungen des Mannes, die sie, weil bequemer, viel überzeugter annimmt, als alle auf wirkliche Liebe u. Förderung hinauslaufende Taten, die sie erst zu beurteilen hätte. *Als Deutschlands ja selbst Englands große Männer ein vernichtendes Urteil über Englands Nationalcharakter aussprachen, ließ man die Warnung an sich vorbeigehen, als käme sie von unzurechnungsfähigen, idealen, aber im Alltag oder der Politik keineswegs maßgebenden Menschen her. Das scharfe Urteil wurde wirksam niedergehalten durch Berichte von Reisenden jeden Kalibers, die den Engländer als Vorbild in Führung des Lebens u. der Geschäfte hinstellten. Wie immer haben also die Reisenden die Genies in einem allerwichtigsten Punkte des Lebens aus dem Felde geschlagen. Die da aus London kamen u. von der Nettigkeit der Engländer erzählten waren entscheidender auch im Rate der Kaiser u. Könige, so daß erst jetzt, im Laufe des , Krieges, die volle Wahrheit, wie sie jene großen Männer aussprachen, wie zum Durchbruch, leider zu spät, gekommen ist. So viel ist aber unter allen Umständen sicher, daß die Erfahrungen selbst dieses Krieges nicht dazu ausreichen werden, um die Menschheit den Worten u. Ratschlägen ihrer großen Männer zuzuwenden. Es ist zu erwarten, daß nach Beendigung des Krieges wieder die deutschen Reisenden zur Geltung bringen werden, was u. wie sie sehen, so daß die kräftigere Art der Genies in den Hintergrund treten u. nur gelten {768} wird, was die Reisenden sehen, nicht aber was die Genies sehen. Und mögen die Reisenden selbst am eigenen Leibe die Unstichhaltigkeit ihrer Wahrnehmungen erleben, sie werden doch wieder nur so sehen, wie sie eben sehen können u. darnach die Geschäfte des Staates zu wenden wissen, versteht sich zu eigenen Ungunsten, denn allemal hat der Strolch einen Vorsprung, so daß das Ende des Betruges seitens Englands nicht abzusehen ist. *
© Transcription Marko Deisinger. |
13.
Leaving the apartment late, I ask the landlady whether the mailman has already been to our building, whereupon she thunderously replies "Yes." As my path led immediately to the Strohgasse, I found the mailman there, to my surprise, right at the beginning of his task, so to speak. He hands me a postcard from my aunt that completely disavows an earlier one, and contains the refrain used by all such people: "I shall do my utmost," for which, even today, she is of course silently claiming a regular payment for her foster child. *In love, too, deeds are superior to words: it is better to live love than to speak love. {767} This already results from the fact that living love at the same time also means speaking love, whereas on the contrary talking about love does not have to embrace an act of love. The advantage, however, that unfortunately the word also enjoys over the deed, even in love, is again explained by the fact that the beautiful word only appeals to the ear – that is, it represents an acoustic impression which, being merely a sensory impression analogous to an optical one, causes so much less trouble than the formation of a judgment. While the deed is governed by the power of judgment and only this can tell us whether the deed is good or not good, the ear has taken in a pretty word in the most comfortable way, so that within the realm of the ear the power of judgment can be switched off. Anyone, then, who shies away from making a judgment, on account of it being a strenuous activity, would prefer to seek refuge in the word. Hence the grotesque result that one can pay off someone incapable of judgment almost with deeds of hatred merely by sharing words of love with them. Thus a woman's attraction to professions of love from a man which, because she accepts with much greater conviction because they are more comforting than any deeds that result in true love and support, she would first have to judge. *When Germany's and even England's own great men expressed a damning judgment of England's national character, the warning was ignored on the grounds of originating with those who were mentally incompetent, idealistic, and in no way authoritative in everyday life or politics. The sharp judgment was effectively suppressed by reports from travelers of that caliber who viewed the Englishman as a model in the conduct of life and business. As always, then, travelers have excluded the geniuses from the field in one all-important respect. Those who came from London and spoke of the politeness of the English were more influential in the council chambers of kings and emperors; so it is only now, in the course of the war, that the full truth as expressed by those great men has come out, unfortunately too late. In all events, however, so much is clear: the experiences even of this war will not be sufficient to make humanity heed the words and advice of its great men. It is to be expected that, after the end of the war, the German travelers will again esteem what they see, and how they see, so that the stronger nature of the geniuses will recede into the background; and {768} all that will count is what the travelers see, but not what the geniuses see. And even if the travelers are able to experience themselves, at first hand, the invalidity of their perceptions, they will still nonetheless see only as they are actually able to see; and, of course, they will accordingly be able to apply the affairs of the state to its own disadvantage. For the mischievous will always have an advantage, so that the end of the deception on the part of England will not be foreseen. *
© Translation William Drabkin. |
13.
Spät aus der Wohnung tretend frage ich die Hausbesorgerin, ob denn schon der Briefträger in unserem Hause gewesen, worauf sie mit Schallkraft der überzeugter Überzeugung „ja“ erwidert. Da mich aber der Weg gleich darauf in die Strohgasse führte, fand ich dort zu meiner Ueberraschung den Briefträger, sozusagen erst am Beginne seiner Tätigkeit. Er überreicht mir eine Karte von der Tante, die eine frühere vollständig desavouirt. u. den Refrain aller ähnlichen Menschen enthält: „ich werde mein Möglichstes tun“, wofür sie selbstverständlich eine Rente für ihr Pflegekind im Stillen bereits heute in Anspruch nimmt. *Auch in der Liebe hat die Tat vor dem Wort einen Vorsprung; besser Liebe leben, als Liebe reden. {767} Dies ergibt sich schon daraus, daß Liebe leben zugleich auch Liebe reden bedeutet, umgekehrt aber nicht immer aber Liebe reden umgekehrt eine Liebestat in sich einzuschließen braucht. De nr Vorzug indessen, den leider auch in der Liebe das Wort vor der Tat genießt, ist wieder nur darauf zurückzuführen, daß das schöne Wort nur an das Ohr appelliert, also einen akustischen Eindruck vorstellt, der analog einem optischen als bloßer Nerveneindruck eben viel weniger Mühe verursacht, als eine Urteilsbildung. Während die Tat der Urteilskraft unterliegt u. nur diese über Güte oder Nichtgüte der Tat unterscheidet, hat das Ohr auf bequemste Weise ein schönes Wort aufgenommen, so daß innerhalb des Ohrbezirkes die Urteilskraft ausgeschaltet werden kann. Wer also das Urteilen als eine anstrengende Tätigkeit flieht, flüchtet sich lieber zum Wort. Daher das grotteske [sic] Ergebnis, daß man den urteilslosen Menschen beinahe mit Taten des Hasses setzen abfinde tn kann, wenn man ihn nur mit Worten der Liebe beteilt. Daher der Hang der Frau zu Liebesbeteuerungen des Mannes, die sie, weil bequemer, viel überzeugter annimmt, als alle auf wirkliche Liebe u. Förderung hinauslaufende Taten, die sie erst zu beurteilen hätte. *Als Deutschlands ja selbst Englands große Männer ein vernichtendes Urteil über Englands Nationalcharakter aussprachen, ließ man die Warnung an sich vorbeigehen, als käme sie von unzurechnungsfähigen, idealen, aber im Alltag oder der Politik keineswegs maßgebenden Menschen her. Das scharfe Urteil wurde wirksam niedergehalten durch Berichte von Reisenden jeden Kalibers, die den Engländer als Vorbild in Führung des Lebens u. der Geschäfte hinstellten. Wie immer haben also die Reisenden die Genies in einem allerwichtigsten Punkte des Lebens aus dem Felde geschlagen. Die da aus London kamen u. von der Nettigkeit der Engländer erzählten waren entscheidender auch im Rate der Kaiser u. Könige, so daß erst jetzt, im Laufe des , Krieges, die volle Wahrheit, wie sie jene großen Männer aussprachen, wie zum Durchbruch, leider zu spät, gekommen ist. So viel ist aber unter allen Umständen sicher, daß die Erfahrungen selbst dieses Krieges nicht dazu ausreichen werden, um die Menschheit den Worten u. Ratschlägen ihrer großen Männer zuzuwenden. Es ist zu erwarten, daß nach Beendigung des Krieges wieder die deutschen Reisenden zur Geltung bringen werden, was u. wie sie sehen, so daß die kräftigere Art der Genies in den Hintergrund treten u. nur gelten {768} wird, was die Reisenden sehen, nicht aber was die Genies sehen. Und mögen die Reisenden selbst am eigenen Leibe die Unstichhaltigkeit ihrer Wahrnehmungen erleben, sie werden doch wieder nur so sehen, wie sie eben sehen können u. darnach die Geschäfte des Staates zu wenden wissen, versteht sich zu eigenen Ungunsten, denn allemal hat der Strolch einen Vorsprung, so daß das Ende des Betruges seitens Englands nicht abzusehen ist. *
© Transcription Marko Deisinger. |
13.
Leaving the apartment late, I ask the landlady whether the mailman has already been to our building, whereupon she thunderously replies "Yes." As my path led immediately to the Strohgasse, I found the mailman there, to my surprise, right at the beginning of his task, so to speak. He hands me a postcard from my aunt that completely disavows an earlier one, and contains the refrain used by all such people: "I shall do my utmost," for which, even today, she is of course silently claiming a regular payment for her foster child. *In love, too, deeds are superior to words: it is better to live love than to speak love. {767} This already results from the fact that living love at the same time also means speaking love, whereas on the contrary talking about love does not have to embrace an act of love. The advantage, however, that unfortunately the word also enjoys over the deed, even in love, is again explained by the fact that the beautiful word only appeals to the ear – that is, it represents an acoustic impression which, being merely a sensory impression analogous to an optical one, causes so much less trouble than the formation of a judgment. While the deed is governed by the power of judgment and only this can tell us whether the deed is good or not good, the ear has taken in a pretty word in the most comfortable way, so that within the realm of the ear the power of judgment can be switched off. Anyone, then, who shies away from making a judgment, on account of it being a strenuous activity, would prefer to seek refuge in the word. Hence the grotesque result that one can pay off someone incapable of judgment almost with deeds of hatred merely by sharing words of love with them. Thus a woman's attraction to professions of love from a man which, because she accepts with much greater conviction because they are more comforting than any deeds that result in true love and support, she would first have to judge. *When Germany's and even England's own great men expressed a damning judgment of England's national character, the warning was ignored on the grounds of originating with those who were mentally incompetent, idealistic, and in no way authoritative in everyday life or politics. The sharp judgment was effectively suppressed by reports from travelers of that caliber who viewed the Englishman as a model in the conduct of life and business. As always, then, travelers have excluded the geniuses from the field in one all-important respect. Those who came from London and spoke of the politeness of the English were more influential in the council chambers of kings and emperors; so it is only now, in the course of the war, that the full truth as expressed by those great men has come out, unfortunately too late. In all events, however, so much is clear: the experiences even of this war will not be sufficient to make humanity heed the words and advice of its great men. It is to be expected that, after the end of the war, the German travelers will again esteem what they see, and how they see, so that the stronger nature of the geniuses will recede into the background; and {768} all that will count is what the travelers see, but not what the geniuses see. And even if the travelers are able to experience themselves, at first hand, the invalidity of their perceptions, they will still nonetheless see only as they are actually able to see; and, of course, they will accordingly be able to apply the affairs of the state to its own disadvantage. For the mischievous will always have an advantage, so that the end of the deception on the part of England will not be foreseen. *
© Translation William Drabkin. |