19.
Mit L-L. bei Mama, wo ich der Sophie von der Absage Marienbergs Mitteilung mache u. sie verspricht anderwärts einen Versuch zu machen. Charakteristisch war die Aeußerung der Schwester, daß sie nach vollzogenem Wohnungswechsel leider nicht mehr in der Lage sein würde, täglich bei der Mutter zu sein, weil sie ja zu kochen habe. Wie rasch erreicht doch der niedrig dimensionierte Mensch seine Grenze! Habe ich nicht selbst den Weg zur Mama täglich gemacht[,] da sie krank war u. ich außer den Schülern die Arbeit an der IX. Sinfonie führte u. sonst noch die Last schwerer Mißverständnisse geduldig zu ertragen hatte? *Mit Fr. Deutsch zu Tisch, die nun endlich einmal zu einem ordentlichen Vergnügen nach ihrem Geschmacke kommt, da sie für ein wirklich gutes Mittagessen blos Kr. 1.26 entrichtet. Ich wette, dieser „Erfolg ihrer Tätigkeit“ hat ihr mehr Freude bereitet, als die Vermehrung ihrer Kenntnisse in der knapp vorausgegangenen Stunde, für die sie 20 Kr. zu zahlen hat! Bezeichnenderweise mißfiel ihr am selben Tag das Feuilleton des Alpheus im Morgen, 1 der die niedrige Psychologie des Reichen ganz treffend dargestellt hat. Wenngleich auch der häßlichste Mensch den wahrsten Spiegel noch immer zum Helfershelfer seiner Eitelkeit zu machen in der Lage ist, so gilt das merkwürdigerweise nicht von jenen Spiegeln, die in gedruckter Form seiner Seele vorgehalten werden. Vor solchen Spiegeln fühlt er seine eigene Häßlichkeit wie sie nun einmal beschaffen ist u. mißachtet eher den Spiegel, als daß er ihn zu seinen Gunsten gebraucht. *{747} Nachmittags Spaziergang bei schönstem nahezu frühlingshaftem Wetter. *Abends Revision der kleinen Bibliothek, deren Bestände nun ergänzt werden sollen. *Komitee – Komitatschis 2 – *Ein Breslauer Professor warf in diesen Tagen wieder einmal die Frage auf, warum die Deutschen den Ausländern verhaßt sind; doch findet er ebensowenig wie seine Vorredner die Antwort, die einzig u. allein die treffende ist: daß nämlich Deutschland, als Gesamt-Nation genial, schon dadurch allein den Neid u. Haß der übrigen Nationen herausfordern muß. Es ist also, wie daraus deutlich hervorgeht, den Deutschen ihre eigene Genialität noch lange nicht bewußt genug, u. dieses hat wieder seine Ursache darin, daß die Deutschen ihre Genies nicht kennen. Würden sie wissen, um wie viel mehr sie an ihren Genies besitzen, als Franzosen u. Engländer an ihren besten Köpfen, so würden sie mit Leichtigkeit den Schluß auf die höhere Veranlagung der deutschen Nation überhaupt ziehen u. endlich einmal für sich – um mich selbst zu zitieren – die Priorität der Arroganz beanspruchen, ehe sie das Recht darauf Engländer oder Franzosen überlassen. Sie würden dann begreifen, daß ihr geistiger Besitz u. ihre Tüchtigkeit, also in Summa ihre Kultur, ihnen die Verpflichtung auferlegt, alles Niedrige rücksichtslos niederzuringen u. totzuschlagen, als es unter Anzeichen von Sentimentalität zu beschmeicheln. Kultur hat die Aufgabe Unkultur zu vertilgen, so gut wie der Mensch Wanzen u. Flöhe als seine Feinde vertilgt. So gut wie es Aufgabe des Staates ist, im Namen der Kultur Strafen über Verbrecher zu verhängen, so gut hat auch der Deutsche die Verpflichtung, Strafen wider Engländer, Franzosen u. ähnliches Gelichter vorzunehmen! *
© Transcription Marko Deisinger. |
19.
With L-L. at Mama's, where I inform Sophie that Marienberg has declined [to provide accommodation for my mother], and she promises to try elsewhere. It was characteristic of my sister to assert that, having completed her change of residence she would no longer be in the position of seeing our mother on a daily basis, as she has to cook. How quickly, then, does a person of lower dimensions reach his boundary! Did I not make my way to Mama's every day when she was ill and, in addition to my pupils, also continue my work on the Ninth Symphony , and moreover had to bear the burden of difficult misunderstandings with patience? *Lunch with Mrs. Deutsch, who has for once finally found something to truly enjoy after her fashion, as she paid a mere 1.26 Krone for a truly excellent midday meal. I believe that this "success in her activity" gave her more pleasure than the increase in her skills during the lesson that she had just taken, for which she had to pay 20 Kronen! Tellingly, she was displeased by the feuilleton by Alpheus that appeared the same day in Der Morgen , 1 which portrayed the base psychology of the rich most aptly. Even if the ugliest person is in a position to continue to make the truest mirror the accomplice of his vanity, that does not, surprisingly, apply to those mirrors that are placed before his soul in printed form. In front of such mirrors, he feels his own ugliness as it is actually composed, and he would rather disregard the mirror than use it to his advantage. *{747} In the afternoon, a walk in most beautiful, almost spring-like weather. *In the evening, revision of the Little Library , whose contents ought now be expanded. *Committee – committee members. 2 – *A professor from Breslau again broached the question about why the Germans are hated by foreigners, but he was no more successful than his predecessors in finding the one and only correct answer: that Germany, which as a nation overall is endowed with genius, must for this very reason alone provoke the envy and hatred of the other nations. It is thus the case, as a clear result of this, that the Germans are nowhere near to being sufficiently aware of their own ingeniousness; and this again has its roots in the fact that the Germans do not recognize their geniuses. If they knew how many more geniuses they had than the French or the English among their brightest people, they would easily be able to draw the conclusion that the German nation was superior and, once and for all – if I may quote myself – lay claim to the priority of arrogance instead of relinquishing the right to it to the French or English. They would then grasp that their intellectual holdings and their capability – in sum, their culture – imposes upon them the duty to ruthlessly bring down and strike dead everything that is base, instead of flattering it for sake of sentimentality. Culture has the role of eliminating barbarism, just as a person will get rid of bugs and fleas, which are his enemies. As much as it is the role of the state, in the name of culture, to inflict punishments upon criminals, so the German is obliged to carry out punishments against the English, the French, and similar riff-raff! *
© Translation William Drabkin. |
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Mit L-L. bei Mama, wo ich der Sophie von der Absage Marienbergs Mitteilung mache u. sie verspricht anderwärts einen Versuch zu machen. Charakteristisch war die Aeußerung der Schwester, daß sie nach vollzogenem Wohnungswechsel leider nicht mehr in der Lage sein würde, täglich bei der Mutter zu sein, weil sie ja zu kochen habe. Wie rasch erreicht doch der niedrig dimensionierte Mensch seine Grenze! Habe ich nicht selbst den Weg zur Mama täglich gemacht[,] da sie krank war u. ich außer den Schülern die Arbeit an der IX. Sinfonie führte u. sonst noch die Last schwerer Mißverständnisse geduldig zu ertragen hatte? *Mit Fr. Deutsch zu Tisch, die nun endlich einmal zu einem ordentlichen Vergnügen nach ihrem Geschmacke kommt, da sie für ein wirklich gutes Mittagessen blos Kr. 1.26 entrichtet. Ich wette, dieser „Erfolg ihrer Tätigkeit“ hat ihr mehr Freude bereitet, als die Vermehrung ihrer Kenntnisse in der knapp vorausgegangenen Stunde, für die sie 20 Kr. zu zahlen hat! Bezeichnenderweise mißfiel ihr am selben Tag das Feuilleton des Alpheus im Morgen, 1 der die niedrige Psychologie des Reichen ganz treffend dargestellt hat. Wenngleich auch der häßlichste Mensch den wahrsten Spiegel noch immer zum Helfershelfer seiner Eitelkeit zu machen in der Lage ist, so gilt das merkwürdigerweise nicht von jenen Spiegeln, die in gedruckter Form seiner Seele vorgehalten werden. Vor solchen Spiegeln fühlt er seine eigene Häßlichkeit wie sie nun einmal beschaffen ist u. mißachtet eher den Spiegel, als daß er ihn zu seinen Gunsten gebraucht. *{747} Nachmittags Spaziergang bei schönstem nahezu frühlingshaftem Wetter. *Abends Revision der kleinen Bibliothek, deren Bestände nun ergänzt werden sollen. *Komitee – Komitatschis 2 – *Ein Breslauer Professor warf in diesen Tagen wieder einmal die Frage auf, warum die Deutschen den Ausländern verhaßt sind; doch findet er ebensowenig wie seine Vorredner die Antwort, die einzig u. allein die treffende ist: daß nämlich Deutschland, als Gesamt-Nation genial, schon dadurch allein den Neid u. Haß der übrigen Nationen herausfordern muß. Es ist also, wie daraus deutlich hervorgeht, den Deutschen ihre eigene Genialität noch lange nicht bewußt genug, u. dieses hat wieder seine Ursache darin, daß die Deutschen ihre Genies nicht kennen. Würden sie wissen, um wie viel mehr sie an ihren Genies besitzen, als Franzosen u. Engländer an ihren besten Köpfen, so würden sie mit Leichtigkeit den Schluß auf die höhere Veranlagung der deutschen Nation überhaupt ziehen u. endlich einmal für sich – um mich selbst zu zitieren – die Priorität der Arroganz beanspruchen, ehe sie das Recht darauf Engländer oder Franzosen überlassen. Sie würden dann begreifen, daß ihr geistiger Besitz u. ihre Tüchtigkeit, also in Summa ihre Kultur, ihnen die Verpflichtung auferlegt, alles Niedrige rücksichtslos niederzuringen u. totzuschlagen, als es unter Anzeichen von Sentimentalität zu beschmeicheln. Kultur hat die Aufgabe Unkultur zu vertilgen, so gut wie der Mensch Wanzen u. Flöhe als seine Feinde vertilgt. So gut wie es Aufgabe des Staates ist, im Namen der Kultur Strafen über Verbrecher zu verhängen, so gut hat auch der Deutsche die Verpflichtung, Strafen wider Engländer, Franzosen u. ähnliches Gelichter vorzunehmen! *
© Transcription Marko Deisinger. |
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With L-L. at Mama's, where I inform Sophie that Marienberg has declined [to provide accommodation for my mother], and she promises to try elsewhere. It was characteristic of my sister to assert that, having completed her change of residence she would no longer be in the position of seeing our mother on a daily basis, as she has to cook. How quickly, then, does a person of lower dimensions reach his boundary! Did I not make my way to Mama's every day when she was ill and, in addition to my pupils, also continue my work on the Ninth Symphony , and moreover had to bear the burden of difficult misunderstandings with patience? *Lunch with Mrs. Deutsch, who has for once finally found something to truly enjoy after her fashion, as she paid a mere 1.26 Krone for a truly excellent midday meal. I believe that this "success in her activity" gave her more pleasure than the increase in her skills during the lesson that she had just taken, for which she had to pay 20 Kronen! Tellingly, she was displeased by the feuilleton by Alpheus that appeared the same day in Der Morgen , 1 which portrayed the base psychology of the rich most aptly. Even if the ugliest person is in a position to continue to make the truest mirror the accomplice of his vanity, that does not, surprisingly, apply to those mirrors that are placed before his soul in printed form. In front of such mirrors, he feels his own ugliness as it is actually composed, and he would rather disregard the mirror than use it to his advantage. *{747} In the afternoon, a walk in most beautiful, almost spring-like weather. *In the evening, revision of the Little Library , whose contents ought now be expanded. *Committee – committee members. 2 – *A professor from Breslau again broached the question about why the Germans are hated by foreigners, but he was no more successful than his predecessors in finding the one and only correct answer: that Germany, which as a nation overall is endowed with genius, must for this very reason alone provoke the envy and hatred of the other nations. It is thus the case, as a clear result of this, that the Germans are nowhere near to being sufficiently aware of their own ingeniousness; and this again has its roots in the fact that the Germans do not recognize their geniuses. If they knew how many more geniuses they had than the French or the English among their brightest people, they would easily be able to draw the conclusion that the German nation was superior and, once and for all – if I may quote myself – lay claim to the priority of arrogance instead of relinquishing the right to it to the French or English. They would then grasp that their intellectual holdings and their capability – in sum, their culture – imposes upon them the duty to ruthlessly bring down and strike dead everything that is base, instead of flattering it for sake of sentimentality. Culture has the role of eliminating barbarism, just as a person will get rid of bugs and fleas, which are his enemies. As much as it is the role of the state, in the name of culture, to inflict punishments upon criminals, so the German is obliged to carry out punishments against the English, the French, and similar riff-raff! *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Alpheus, "Mein Haupttreffer," Der Morgen, No. 42, October 19, 1914, 5th year, pp. 4–5. 2 Komitadschi (also Komitadji, Comitadjis, Komitas): in Turkish, "committee members"; here it refers to members of rebel bands (chetas) operating in the Balkans during the final period of the Ottoman Empire. They fought against the Turkish authorities and were supported by the governments of the neighboring states, especially Bulgaria. |