15. X. 1914
Bei Mama mit Lie-Liechen. Ihren Aeußerungen ist zu entnehmen, daß sie weder zur Sophie noch nach P. will, so daß für mich, der genötigt ist Konsequenzen zu ziehen, noch immer kein anderer Ausweg bleibt, als sie bei Frau Kl. zu belassen. *In einem Feuilleton citiert Seligmann einen Ausspruch Goethes, der die richtige Erkenntnis wiedergibt, daß die Menschheit seit dem Altertum weder im aAesthetischen noch Sittlichen wirkliche Fortschritte gemacht habe, ein Standpunkt, den keine Generation als solche je zugeben u. begreifen wird. Und so schließt auch Seligmann den Aufsatz mit einer recht skeptischen Bemerkung, daß der Sieg im gegenwärtigen Kriege Weltkrieg sich zwar auf die Seite der Wahrheit u. Gerechtigkeit, wie sie im Zweibund verkörpert erscheine, neigen werde, jedoch nur deshalb, weil der Zweibund zufällig auch bessere Kanonen habe. 1 Schade, daß der Autor zu solchem Trugschluß gelangt ist u. , weil er den Zusammenhang zwischen Wahrheit u. „besseren Kanonen“ nicht eingesehen hat. Es ist eben kein Zweifel Zufall, wenn Franzosen, Russen oder Engländer Zeppeline oder 42cm Mörser nicht besitzen, ebensowenig als es Zufall ist, daß ich selbst in meinem Krieg wider Irrtum u. Bosheit ebenfalls die besseren geistigen Kanonen habe. Wie ist aber Seligmanns Trugschluß dennoch zu erklären? Einfach nur damit, daß er unter Erfolg der Wahrheit einfach nach Art der Durchschnittsmenschen doch nur denjenigen versteht, der in größerem Reichtum, also in der größeren Quantität von äußeren Machtmitteln zutage tritt. Er würde meine besseren Kanonen vermutlich schon darum allein noch lange nicht für besser erklären, weil ich es trotz ihnen damit noch nicht zu beträchtlichem Vermögen es gebracht habe. Indessen liegt die Wahrheit anders: Die Wahrheit siegt immer, weil sie immer zugleich über bessere Kanonen verfügt, so daß wenn Deutschland auch unterliegen würde, eben nur dieses Zufall wäre u. in Wahrheit der Sieg Deutschlands sich später auf irgend eine andere Weise der Welt sich dennoch offenbaren müßte! *Ansage bei Dr. Marienberg für Samstag. — Abends bei Fl., wo wir wieder auch Fr. Hauser treffen. Die Knappheit des Tisches scheint mir weder angebracht, noch auch dringend motiviert zu sein. In Anbetracht dessen, daß wir ja nur zweimal des Monats hinauskommen, wäre {744} eine Ueberschreitung um 1–2 Kronen schon unter dem Titel einer gebotenen Aufmerksamkeit sicherlich am Platze u. der Betrag würde höchstens nur einer Autotour gleichkommen. , die sich Fl. nicht schwer [recte schwer] leicht versagt. — Auf dem Wege ins Caféhaus überraschen uns Extraausgaben, die einen Sieg deutscher Truppen über 8 russische [illeg]Armeekorps melden, sowie einen Angriff unserer Truppen gegen die neue Offensive östlich von Przemysl. 2 — Die Unterhaltung geht nur mühsam u. ich empfinde es besonders qualvoll, den Stoff der Gesellschaft anpassen zu müssen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
October 15, 1914.
At Mama's with Lie-Liechen. From her utterances, one can conclude that she would like neither to be with Sophie nor to go to Podhajce; for me, then, who is required to draw consequences, there is still no alternative than to leave her with Mrs. Klumak. *In a feuilleton, Seligmann quotes a statement by Goethe which reproduces the correct observation that people, since ancient times, have not made real progress either in the aesthetic or the ethical domain, a viewpoint that no generation will admit or understand. And so even Seligmann concludes his article with a thoroughly skeptical remark, that victory in the present world war will incline towards the sign of truth and justice, as it appears embodied in the Dual Alliance, but only because the Dual Alliance happen also to have better cannons. 1 A pity that the author has arrived at such a false conclusion because he had not realized the connection between truth and "better cannons." It is indeed no coincidence that the French, Russians and English do not have any Zeppelins or 42-centimeter mortar shells; it is no less an accident that I myself, in my war against error and wickedness, have the better intellectual cannons. But how is Seligmann's false conclusion nonetheless to be explained? Simply in that, like a mediocre person, he understands the success of the truth only as that which comes to light in greater wealth, thus in the greater quantity of external means of power. He would presumably not by any means rate my better cannons as being better, for the simple reason that, in spite of them, I have not acquired a considerable amount of wealth. However, the truth lies elsewhere: truth is always victorious because it always makes use at the same time of better cannons; thus even if Germany were to be defeated, even this would be a coincidence; and in truth the victory of Germany would have to be revealed to the world later, in a different form! *Acceptance at Dr. Marienberg's for Saturday. — In the evening at Floriz's, where we again meet Mrs. Hauser. The sparseness of the meal seems to me neither proper nor urgently motivated. In view of the fact that we go there only twice a month, {744} an increased expenditure of 1 to 2 Kronen would surely be appropriate in terms of the required hospitality; and the sum would amount at most to the cost of a ride in an automobile, which Floriz would surely not deny himself. — On the way to the coffee house we are surprised by extra editions, which report a victory of German troops over eight Russian army corps, as well as an assault of our troops against the new offensive east of Przemysl. 2 — The conversation proceeds only sluggishly, and I find it particularly torturous to have to adapt to the party's subject matter. *
© Translation William Drabkin. |
15. X. 1914
Bei Mama mit Lie-Liechen. Ihren Aeußerungen ist zu entnehmen, daß sie weder zur Sophie noch nach P. will, so daß für mich, der genötigt ist Konsequenzen zu ziehen, noch immer kein anderer Ausweg bleibt, als sie bei Frau Kl. zu belassen. *In einem Feuilleton citiert Seligmann einen Ausspruch Goethes, der die richtige Erkenntnis wiedergibt, daß die Menschheit seit dem Altertum weder im aAesthetischen noch Sittlichen wirkliche Fortschritte gemacht habe, ein Standpunkt, den keine Generation als solche je zugeben u. begreifen wird. Und so schließt auch Seligmann den Aufsatz mit einer recht skeptischen Bemerkung, daß der Sieg im gegenwärtigen Kriege Weltkrieg sich zwar auf die Seite der Wahrheit u. Gerechtigkeit, wie sie im Zweibund verkörpert erscheine, neigen werde, jedoch nur deshalb, weil der Zweibund zufällig auch bessere Kanonen habe. 1 Schade, daß der Autor zu solchem Trugschluß gelangt ist u. , weil er den Zusammenhang zwischen Wahrheit u. „besseren Kanonen“ nicht eingesehen hat. Es ist eben kein Zweifel Zufall, wenn Franzosen, Russen oder Engländer Zeppeline oder 42cm Mörser nicht besitzen, ebensowenig als es Zufall ist, daß ich selbst in meinem Krieg wider Irrtum u. Bosheit ebenfalls die besseren geistigen Kanonen habe. Wie ist aber Seligmanns Trugschluß dennoch zu erklären? Einfach nur damit, daß er unter Erfolg der Wahrheit einfach nach Art der Durchschnittsmenschen doch nur denjenigen versteht, der in größerem Reichtum, also in der größeren Quantität von äußeren Machtmitteln zutage tritt. Er würde meine besseren Kanonen vermutlich schon darum allein noch lange nicht für besser erklären, weil ich es trotz ihnen damit noch nicht zu beträchtlichem Vermögen es gebracht habe. Indessen liegt die Wahrheit anders: Die Wahrheit siegt immer, weil sie immer zugleich über bessere Kanonen verfügt, so daß wenn Deutschland auch unterliegen würde, eben nur dieses Zufall wäre u. in Wahrheit der Sieg Deutschlands sich später auf irgend eine andere Weise der Welt sich dennoch offenbaren müßte! *Ansage bei Dr. Marienberg für Samstag. — Abends bei Fl., wo wir wieder auch Fr. Hauser treffen. Die Knappheit des Tisches scheint mir weder angebracht, noch auch dringend motiviert zu sein. In Anbetracht dessen, daß wir ja nur zweimal des Monats hinauskommen, wäre {744} eine Ueberschreitung um 1–2 Kronen schon unter dem Titel einer gebotenen Aufmerksamkeit sicherlich am Platze u. der Betrag würde höchstens nur einer Autotour gleichkommen. , die sich Fl. nicht schwer [recte schwer] leicht versagt. — Auf dem Wege ins Caféhaus überraschen uns Extraausgaben, die einen Sieg deutscher Truppen über 8 russische [illeg]Armeekorps melden, sowie einen Angriff unserer Truppen gegen die neue Offensive östlich von Przemysl. 2 — Die Unterhaltung geht nur mühsam u. ich empfinde es besonders qualvoll, den Stoff der Gesellschaft anpassen zu müssen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
October 15, 1914.
At Mama's with Lie-Liechen. From her utterances, one can conclude that she would like neither to be with Sophie nor to go to Podhajce; for me, then, who is required to draw consequences, there is still no alternative than to leave her with Mrs. Klumak. *In a feuilleton, Seligmann quotes a statement by Goethe which reproduces the correct observation that people, since ancient times, have not made real progress either in the aesthetic or the ethical domain, a viewpoint that no generation will admit or understand. And so even Seligmann concludes his article with a thoroughly skeptical remark, that victory in the present world war will incline towards the sign of truth and justice, as it appears embodied in the Dual Alliance, but only because the Dual Alliance happen also to have better cannons. 1 A pity that the author has arrived at such a false conclusion because he had not realized the connection between truth and "better cannons." It is indeed no coincidence that the French, Russians and English do not have any Zeppelins or 42-centimeter mortar shells; it is no less an accident that I myself, in my war against error and wickedness, have the better intellectual cannons. But how is Seligmann's false conclusion nonetheless to be explained? Simply in that, like a mediocre person, he understands the success of the truth only as that which comes to light in greater wealth, thus in the greater quantity of external means of power. He would presumably not by any means rate my better cannons as being better, for the simple reason that, in spite of them, I have not acquired a considerable amount of wealth. However, the truth lies elsewhere: truth is always victorious because it always makes use at the same time of better cannons; thus even if Germany were to be defeated, even this would be a coincidence; and in truth the victory of Germany would have to be revealed to the world later, in a different form! *Acceptance at Dr. Marienberg's for Saturday. — In the evening at Floriz's, where we again meet Mrs. Hauser. The sparseness of the meal seems to me neither proper nor urgently motivated. In view of the fact that we go there only twice a month, {744} an increased expenditure of 1 to 2 Kronen would surely be appropriate in terms of the required hospitality; and the sum would amount at most to the cost of a ride in an automobile, which Floriz would surely not deny himself. — On the way to the coffee house we are surprised by extra editions, which report a victory of German troops over eight Russian army corps, as well as an assault of our troops against the new offensive east of Przemysl. 2 — The conversation proceeds only sluggishly, and I find it particularly torturous to have to adapt to the party's subject matter. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 A. F. S., "Der Krieg im Zeitalter der Humanität und Zivilisation," Neue Freie Presse, No. 18012, October 16, 1914, morning edition, pp. 1–3. 2 "Schwere Niederlage der Russen in Russisch-Polen. 7 bis 8 Armeekorps geschlagen. Die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen vor Warschau," Wiener Allgemeine Zeitung, No. 10955, October 15, 1914, special edition, p. 1. "Die Siege der Deutschen. Grosse Erfolge der deutschen und österreichisch-ungarischen Armeen in Russland," Neues Wiener Tagblatt, No. 285, October 15, 1914, 48th year, special edition, p. 1. |