7. XI.
Frau Kolischer erscheint bei mir um 12h, um wegen eventueller Uebernahme einer neuen Schülerin anzufragen; doch bleibt steht es dahin, ob nicht vielleicht aufgestachelte Neugier sie mir ins Haus geschickt hat oder nicht Frau Pairamall dahinter steckt, die gerne wissen möchte, ob ich noch die Stunde frei habe! *[in left margin: Vortrag!] Auch der Prosasatz bedarf des Gleichgewichts: Meistens steht im Centrum ein Wort, dessen Bedeutung hervorragt u. um dessentwillen alle Worte vor (ihm) u. nach ihm in richtiger Balance gruppiert sind, ähnlich wie in der Musik, bzw. beim Klavierspiel, ein Ton durch speciellen Druck hervorgehoben werden soll, dem zuliebe dann die Töne vor u. nach ihm in tieferem Schatten zu liegen haben. Bei Künstlern wie Jean Paul läßt sich das Gesagte am besten wahrnehmen. In der Dichtkunst bedeutet die Kunst, den Sinn: also das sinn- {465} tragende Wort mit dem metrischem metrischen Schema: der Prosodie auseinander zu setzen die Schwierigkeit, u. auch hier ist es ähnlich, wie in der Musik: Bald siegt das Schema, (der Takt), bald der Sinn (in der Musik z. B. sf auf schwachen Taktteilen [)]. In aufsteigender Reihe kann man dann endlich vom Gleichgewicht in der Darstellung des Gesamtinhaltes sprechen. Als Meister solchen Gleichgewichts darf in neuerer Zeit Ibsen gelten. In seinen Werken ist jedes Wort – um mit einem terminus technikus [sic] aus der Optik zu sprechen – centriert, so daß kein Wort den Radius verwischt, der zum Centrum der Handlung führt. Scheinbar bringt der Dialog ein Gespräch vom Tage u. mit Mitteln der Alltagsmenschen; scheinbar auch in jener chaotischen Wortfülle, die dem Alltagsmenschen so eigentümlich ist! Doch ist das Alles nur scheinbar. In der Tat enthält der Dialog vielmehr nur so viel Worte, als gerade notwendig sind, während das Chaotische mit künstlerischen Mitteln, also künstlich erzeugt wird. Man braucht nur z. B. an Gerhart Hauptmanns Technik zu denken, der in einem solchen Falle, dem Realismus zuliebe u. aus Mangel künstlerischer Centrierungskraft, einen Dialog zum wirklichen Dialog von Alltagsmenschen gestaltet, also auch mit allerlei überflüssigen Worten u. Wendungen ausstattet, die dann gleichsam wie Fransen vom Drama herabhängen. Aber der stilisierte Dialog von Ibsen erscheint gerade wegen der Stilisierung als der wirkliche Dialog, während die Wirklichkeit Hauptmanns, weil sie im letzten Grunde doch wieder keine Wirklichkeit ist, von der Bühne herab so fahl u. blass erscheint, wie die Gesichter der Schauspieler, die vor der Rampe nicht die Kunst der Schminke benützen. Was die Schminke für das Gesicht, ist die Zentrierung für den Inhalt: beides Erfordernisse der Bühne, rein technischer Natur. *
© Transcription Marko Deisinger. |
November 7.
Mrs. Kolischer appears at my place at 12 o'clock to inquire about my possibly taking on a new female pupil; but it remains is not clear whether being spurred by curiosity had perhaps brought her to [see] me at home, or not whether Mrs. Pairamall was behind it – someone who would dearly like to know whether the teaching hour is still free! *[in left margin: Performance!] Even prose writing requires balance. In most cases a word stands at the center, whose meaning is paramount and for whose sake all the words before and after it are grouped in the correct balance, just as in music (e.g. in piano playing) a note should be emphasized by a special pressure, for the sake of which the notes before and after it must lie in a deeper shadow. With artists like Jean Paul, one can perceive this sort of thing at its best. In poetry, the art lies in reconciling the sense, i.e. the {465} the word that bears the meaning, with the metric scheme, the prosody. [This is] the difficulty [of poetry], and here things are similar to what one finds in music: sometimes the schema (the pulse) is victorious, sometimes it is the meaning (in music, for example, a sforzando on a weak beat). At a higher level one can finally speak of the balance in the presentation of the content as a whole. In our time, we may identify Ibsen as a master of this sort of balance. In his works everything is centered, as one would say in the technical language of optics, so that no word blurs the radius that leads to the center of the plot. The dialog appears to offer the conversation of everyday life, through the medium of ordinary people; apparently, too, in that chaotic plethora of words, which is so peculiar to ordinary people! And yet all this is merely imaginary: the dialog, in fact, rather contains only just so many words as are actually needed, whereas the chaotic is produced by artificial means, i.e. it is produced artificially. One need only think, for example, of the technique of Gerhart Hauptmann, who in such a case, for sake of realism and from a lack of artistic centering power, makes a dialog into a genuine dialog of everyday people, i.e. furnishing it with all manner of superfluous words and expressions, which then seem to droop from the drama like fringes. But the stylized dialog of Ibsen, precisely on account of the stylization, appears as a genuine dialog, whereas Hauptmann's reality, because it is ultimately no reality, appears so pallid and faint when viewed from the stage, like the faces of actors who do not make use of the art of make-up when they stand at the front of the stage. As make-up is for the face, so is centering for the content: both stage requirements of a purely technical nature. *
© Translation William Drabkin. |
7. XI.
Frau Kolischer erscheint bei mir um 12h, um wegen eventueller Uebernahme einer neuen Schülerin anzufragen; doch bleibt steht es dahin, ob nicht vielleicht aufgestachelte Neugier sie mir ins Haus geschickt hat oder nicht Frau Pairamall dahinter steckt, die gerne wissen möchte, ob ich noch die Stunde frei habe! *[in left margin: Vortrag!] Auch der Prosasatz bedarf des Gleichgewichts: Meistens steht im Centrum ein Wort, dessen Bedeutung hervorragt u. um dessentwillen alle Worte vor (ihm) u. nach ihm in richtiger Balance gruppiert sind, ähnlich wie in der Musik, bzw. beim Klavierspiel, ein Ton durch speciellen Druck hervorgehoben werden soll, dem zuliebe dann die Töne vor u. nach ihm in tieferem Schatten zu liegen haben. Bei Künstlern wie Jean Paul läßt sich das Gesagte am besten wahrnehmen. In der Dichtkunst bedeutet die Kunst, den Sinn: also das sinn- {465} tragende Wort mit dem metrischem metrischen Schema: der Prosodie auseinander zu setzen die Schwierigkeit, u. auch hier ist es ähnlich, wie in der Musik: Bald siegt das Schema, (der Takt), bald der Sinn (in der Musik z. B. sf auf schwachen Taktteilen [)]. In aufsteigender Reihe kann man dann endlich vom Gleichgewicht in der Darstellung des Gesamtinhaltes sprechen. Als Meister solchen Gleichgewichts darf in neuerer Zeit Ibsen gelten. In seinen Werken ist jedes Wort – um mit einem terminus technikus [sic] aus der Optik zu sprechen – centriert, so daß kein Wort den Radius verwischt, der zum Centrum der Handlung führt. Scheinbar bringt der Dialog ein Gespräch vom Tage u. mit Mitteln der Alltagsmenschen; scheinbar auch in jener chaotischen Wortfülle, die dem Alltagsmenschen so eigentümlich ist! Doch ist das Alles nur scheinbar. In der Tat enthält der Dialog vielmehr nur so viel Worte, als gerade notwendig sind, während das Chaotische mit künstlerischen Mitteln, also künstlich erzeugt wird. Man braucht nur z. B. an Gerhart Hauptmanns Technik zu denken, der in einem solchen Falle, dem Realismus zuliebe u. aus Mangel künstlerischer Centrierungskraft, einen Dialog zum wirklichen Dialog von Alltagsmenschen gestaltet, also auch mit allerlei überflüssigen Worten u. Wendungen ausstattet, die dann gleichsam wie Fransen vom Drama herabhängen. Aber der stilisierte Dialog von Ibsen erscheint gerade wegen der Stilisierung als der wirkliche Dialog, während die Wirklichkeit Hauptmanns, weil sie im letzten Grunde doch wieder keine Wirklichkeit ist, von der Bühne herab so fahl u. blass erscheint, wie die Gesichter der Schauspieler, die vor der Rampe nicht die Kunst der Schminke benützen. Was die Schminke für das Gesicht, ist die Zentrierung für den Inhalt: beides Erfordernisse der Bühne, rein technischer Natur. *
© Transcription Marko Deisinger. |
November 7.
Mrs. Kolischer appears at my place at 12 o'clock to inquire about my possibly taking on a new female pupil; but it remains is not clear whether being spurred by curiosity had perhaps brought her to [see] me at home, or not whether Mrs. Pairamall was behind it – someone who would dearly like to know whether the teaching hour is still free! *[in left margin: Performance!] Even prose writing requires balance. In most cases a word stands at the center, whose meaning is paramount and for whose sake all the words before and after it are grouped in the correct balance, just as in music (e.g. in piano playing) a note should be emphasized by a special pressure, for the sake of which the notes before and after it must lie in a deeper shadow. With artists like Jean Paul, one can perceive this sort of thing at its best. In poetry, the art lies in reconciling the sense, i.e. the {465} the word that bears the meaning, with the metric scheme, the prosody. [This is] the difficulty [of poetry], and here things are similar to what one finds in music: sometimes the schema (the pulse) is victorious, sometimes it is the meaning (in music, for example, a sforzando on a weak beat). At a higher level one can finally speak of the balance in the presentation of the content as a whole. In our time, we may identify Ibsen as a master of this sort of balance. In his works everything is centered, as one would say in the technical language of optics, so that no word blurs the radius that leads to the center of the plot. The dialog appears to offer the conversation of everyday life, through the medium of ordinary people; apparently, too, in that chaotic plethora of words, which is so peculiar to ordinary people! And yet all this is merely imaginary: the dialog, in fact, rather contains only just so many words as are actually needed, whereas the chaotic is produced by artificial means, i.e. it is produced artificially. One need only think, for example, of the technique of Gerhart Hauptmann, who in such a case, for sake of realism and from a lack of artistic centering power, makes a dialog into a genuine dialog of everyday people, i.e. furnishing it with all manner of superfluous words and expressions, which then seem to droop from the drama like fringes. But the stylized dialog of Ibsen, precisely on account of the stylization, appears as a genuine dialog, whereas Hauptmann's reality, because it is ultimately no reality, appears so pallid and faint when viewed from the stage, like the faces of actors who do not make use of the art of make-up when they stand at the front of the stage. As make-up is for the face, so is centering for the content: both stage requirements of a purely technical nature. *
© Translation William Drabkin. |