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Sehr geehrter Herr Direktor!

Es 1 dürfte wohl das Vernünftigste u. Kürzeste sein, wenn ich Ihnen den jungen Dr mus. Hans Weisse (samt opus) zuschicke, was auch in Bälde geschehen wird.

Weit mehr aber als Ihre Klage über Papiernot u. erhöhte Kosten 2 hat mich Ihr mein op. 111 betreffendes P. S. erschreckt. Meinerseits noch zu mehreren Arbeiten für die „U.-E.“ bereit, wie zur „Kleinen Bibliothek“, zum Abschluß der nun einmal begonnenen Sonaten-Serie, ja sogar zu einer Ausgabe der Klaviersonaten von Beethoven, fühle ich mich in meiner zunächst nur rein theoretischen Bereitschaft schon wie gelähmt wenn ich befürchten muß, daß auch nur nachträglich meine bereits gedruckten Gedankengänge irgendwelchen anderweitigen Interes- {2} se geopfert werden könnten.

Ich bin gewohnt zu denken u. zu schreiben ganz allein nur so, wie der Stoff es fordert; es kann mir also niemals widerfahren, daß ich etwas zu bereuen oder zu widerrufen hätte. Auch dort, wo es für oberflächliche Leser den Anschein haben könnte, als hätte ich ein falsches oder ungerechtes Urteil abgegeben, braucht es eben nur der Zeit, damit man sich von der Sicherheit meiner Betrachtung überzeuge.

Ich erachte es aber auch nicht einmal für meines Lesers Sache, zu beurteilen, ob ich mit mehr oder wenigen Berechtigung den Krieg in die Debatte gezogen habe, denn meine Gründe gehen so ins Tiefe, daß er weder fürs erste noch fürs tausendste begreifen könnte, weshalb ich es getan. Erst bis mein Gesamtwerk in Erscheinung getreten ist, wozu ich natürlich auch alle noch zu veröffentlichenden Arbeiten zähle, wird man vielleicht zu beurteilen vermögen, weshalb ich den organischen Zusammenhang der Musik mit allen {3} übrigen also auch politischen Lebensäußerungen der Menschheit so hoch veranschlagt habe. Schreiben doch auch Sie selbst: „Die Stadt Beethovens, Mozarts, Schuberts wird das überleben“ 3 u. drücken damit, ohne zu wollen, einen Zusammenhang zwischen Kunst u. Politik aus.

Sie verstehen, daß mich aus eben diesem Grunde die augenblickliche Empfindung einzelner Leser gar nicht interessiert u. ich am allerwenigsten wohl geneigt wäre, der persönlichen oder gar nationalen Eitelkeit desselben Rechnung zu tragen. Vielmehr hat sich umgekehrt der Leser für den Autor zu interessieren, nach dessen Werk er langt, um eine Lehre zu empfangen, die er bis dahin nicht kannte: Bin nur ich allein es, der ihn heute unter Allen am besten belehrt[,] dann muß er sich wohl auch in die Art fügen, mit der ich ihn zur Wahrheit führe, u. sei die Art ihm persönlich noch so unangenehm. Oder aber – er lasse das Werk stehen u. gehe weiter als Ignorant durch die Welt! Selbst die Wahrheit verliert am {4} Wucht, wenn man sie bloß nach der Fasson der Leser, die naturnotwendig eine niedere sein muß, mundgerecht machen will.

Ich treibe Wahrheit, aber durchaus nicht Chauvinismus (der, wie schon das Wort sagt, eine echt französische Original-Marke ist), u. wenn ich dem Deutschtum den höchsten Rang zugewiesen habe, so waren mit mir bis zum Kriege selbst unsere Feinde darum einig[.] Im Laufe des Krieges wurden allerdings die immerzu geschlagenen Feinde um eine Million Grade infamer als sie schon früher gewesen, darum aber ist meine Wahrheit nicht um einen Grad nationaler geworden. Bloß also zu seiner Belehrung u. nicht zur Beleidigung will ich es dem Leser gesagt haben, wenn ich ihm zu ahnen u. zu verstehen aufgab, daß ein Beethoven niemals, bis ans Ende aller Zeiten niemals etwa auch in England, Frankreich, Italien, Serbien, Tschechien, geschweige denn in Amerika, dem letzten aller heutigen Kulturländer würde je erstehen können. Denn schärfe ich so {5} erst dem Leser die überhohe Bedeutung eines Meisters wie Beethoven ein, so erwirbt er dann umso eher auch die Fähigkeit vom Meister zu lernen, weit eher, als wenn ich ihm gestatten wurde, einen Beethoven nach heutiger Unverfrorenheit u. Verwilderung zu bagatellisieren u. zu glauben es könnte seinesgleichen heute, morgen wohl auch andererswo geben.

Wie Sie sehen, mache ich es mit meinen Arbeiten – um einen Scherz zu wagen – zwar dem Verleger billig, aber aus wichtigen Gründen niemals meinem Leser. Ich dulde es auch niemals, daß der Leser von meinem Geistestische gesättigt sich erhebe, sein Gefühl aber wie sein Urteil sofort wider mich richte, als hätte er den Tisch sich selber gedeckt. Der ist niemals ein fähiger Leser von mir gewesen, der solches von sich gab. Die Art, in der andere Schriftsteller, wie gleichsam geistige Kellner im Frack, den zahlenden Leser-Gast „bedienen“, habe ich immer für falsch befunden – vielmehr bin ich {6} mit Überzeugung des Lesers Herr u. Meister.

Ich schreibe ja auch nicht für die Gegenwart, sondern – nur es mit vollem Bewußtsein auszusprechen – für Jahrtausende, da man mich dann als die allereinzige Quelle für die Blüte-Epoche der Musik zu erkennen u. zu schätzen gelernt haben wird etwa wie z.B. Aristoteles als Quelle für die Erkenntnis griechischen Wesens. Daher greife ich ins Volle der Zusammenhänge u. verschmähe es, des Lesers Eitelkeit zu ködern.

Uebrigens bin ich überzeugt, daß die absolute Rücksicht, wie ich sie die Wahrheit gegenüber übe, der Weiterverbreitung des Werkes weit förderlicher ist, als es die Rücksicht gegenüber Lesern sein könnte. Es hat auch einem Lessing durchaus nicht geschadet, wenn bis zum heutigen Tag in seiner vielgelesenen „Hamburgische Dramaturgie“ 4 z.B. der Satz: „Wie englisch, wie unanständig“ stehen geblieben ist u. daselbst auch sonst noch so viele Verspottungen u. Richtigstell- {7} ungen von geistigen Fälscherkunststücken der Corneille, Racine, Voltaire usw, Richtigstellungen, die allesamt doch wirklich nicht als Aeußerung eines deutschen Chauvinismus zu betrachten, sondern vielmehr als echte Wahrheitsliebe zu werten sind. Und was liest man nicht sonst noch alles an heftigsten Kritiken fremder Nationen bei Goethe, Schiller, Herder, Jean Paul? Was geht denn auch die Meister irgend eine Rücksicht auf Eitelkeit an? Haben denn Franzosen oder Engländer sich je ein Blatt vor den Mund genommen? Haben sie nicht vielmehr sogar bewußte Lügen in die Welt geschleudert, was doch gewiß verdammenswerter ist, als bloß die Wahrheit zu sagen?

Und was nun speziell das Vorwort zu op. 111 anlangt, so steht doch die Sache so, daß heute selbst Wiener Tagesblätter den Sieg der Entente 5 nur mit Gänsefüßchen als „Sieg“ anführen, d. h. die Fochiade 6 u. Wilsoniade eben nicht für einen wirklichen Sieg halten. Und ist dies nur eine erst journalistische Betrachtung, mit wie {8} viel mehr Recht schrieb ich darüber, der den Sieg ja nicht allein auf die errungenen Siege auf den Schlachtfeldern (die nicht weggelogen werden können) bezog, sondern auf Siege höherer Art. Und dieses nun aber zu beurteilen, ob ich einen Sieg der Deutschen mit Recht prophezirt habe, überlasse ich nicht dem Leser des Jahres 1920 oder 1921, sondern erst den späteren. Habe ich denn bezüglich Wilsons u. der Engländer überhaupt usw. nicht schon heute Recht behalten? Nun aber genug.

Ich bin also, um es mit einem Wort zu sagen, nicht allein durchaus nicht einverstanden mit Ihrem Vorschlag sondern bitte Sie sogar ausdrücklich, die Ausgabe gerade nur so stehen zu lassen, wie sie aus meiner Feder gekommen ist: ich trage gern u. stolz die Verantwortung für jedes Wort, ja ich habe sogar vor, in den künftigen Arbeiten mir ebensoviel Rechte herauszunehmen, wie sie sich Menschen herausgenommen haben, {9} denen es mit weniger als mir zugekommen ist, wozu ich eben auch die Wilson, Lloyd-George, Clemenceau rechne, einschließlich Weingartner u. wie sie alle heißen M mögen. Musik ist ja – vergessen Sie es nicht, lieber Herr Direktor – nicht bloß Angelegenheit einer Privatstunde, eines häuslichen oder öffentlichen Konzertes, eines Konservatoriums, sondern eine eminent öffentliche Angelegenheit der Menschheit, in deren Interesse nun die Wortführer volle Freiheit des Wortes genießen müssen, ausgenommen die Freiheit eines Betruges am Stoffe!

Uebrigens freut es mich, daß Sie so weit sind, eine II. Auflage veranstalten zu können, da ich mir sonst nicht zu erklären wüßte, wie Sie gerade im Falle op. 111 das Vorwort vom Texte loslösen wollten.


mit besten Grüßen
Ihr ergebener
[signed:] H Schenker 12. Juni 1919

© Transcription Ian Bent, 2009



Dear Director,

It 1 would clearly be most sensible and efficacious if I were to send the young Hans Weisse, PhD (Mus.), to you (together with his opus), and this I shall do forthwith.

However, your P.S. concerning my Op. 111 has given me a far bigger fright than your lament about scarcity of paper and increased costs. 2 Prepared as I remain to contribute several works to UE, such as the Little Library , the completion of the already begun sonata series, indeed even an edition of the Beethoven piano sonatas, I feel as if my legs had already been cut from under me in my preparedness on the for now purely theoretical front if I must fear that even my already published trains of thought {2} could subsequently be sacrificed in the interests of something else.

I am accustomed to thinking and writing entirely in isolation, solely as the material itself demands. That way, I should never live to regret or have to revoke something. Even where to superficial readers it might appear as if I had pronounced a false or incorrect verdict, it will be only a matter of time before people will be convinced of the rectitude of my viewpoint.

However, I do not for a moment consider it a matter for my reader to judge whether or not I am justified in having drawn the war into my line of argument, for my reasons run so deep that he could not possibly even begin to fathom why I had done it. Only when my entire life's work has been completed (among which I of course count all those works yet to be published) will people perhaps be in a position to judge why I have rated so highly the organic relationship between music and all {3} other manifestations of human life, including even political ones. Even you yourself in fact write: "The city of Beethoven, Mozart and Schubert will outlive it," 3 and in so saying, without intending to, you imply a relationship between art and politics.

You must understand that, for this very reason, the feelings of individual readers at this particular moment do not interest me in the slightest, and least of all would I be inclined to take account of the personal or national vanity of those persons. On the contrary, all the more must the reader interest himself in the author whose work he takes up, in order to assimilate a theory of which until then he knew nothing. If today I am the only one among all others who can best instruct him, then he must just submit to the method by which I lead him toward the truth, however uncongenial he may personally find that method. Otherwise, let him drop the work, and go through life as an ignoramus! Even the truth loses {4} weight if after the fashion of readers – which must of absolute necessity be a lower fashion – people merely want to render it palatable.

I pursue truth, but never for one moment chauvinism (which, as the word itself signifies, bears the hallmark of something quintessentially French), and if I have accorded the highest status to Germanity, then even our enemies would have agreed with me on that up until the war. In the course of the war, however, our enemies, while constantly being defeated, became a million times more infamous than they had been earlier; but my truth did not become one iota more nationalistic on that account. Thus it was solely to instruct the reader and not to insult him that I said to him, when I [?gave] him his first inkling and understanding, that a Beethoven would never, not until the end of time, be able to arise in England, France, Italy, Serbia, Czechoslovakia, let alone America, the worst of all today's cultural lands. For if I impress upon {5} the reader from the outset the supreme importance of a master such as Beethoven, he then acquires the ability to learn from the master all the sooner, far far sooner than if I had allowed him to belittle a Beethoven in the manner of today's insolence and degeneracy, and to believe that there could be people of his ilk today, and tomorrow things could be quite quite different.

As you can see, with my works – if I may venture a joke – I make things easy for the publisher, whereas for very good reason I never do so for my reader. I never once tolerate the reader getting up from my intellectual table fully sated but turning his feelings and also his judgment immediately against me as if he had himself set the table. There has never been a competent reader of my work who has behaved in such a way. I have always considered false the way in which other writers, like, so to speak, intellectual waiters in tails, "serve" the paying reader-customer. Instead, {6} I am lord and master in convincing my reader.

I do not write for the present time, but – and I am fully conscious of what I am saying here – for millenia, since people will then come to recognize and value me as the one and only source for the supreme epoch of music, rather like, for example, Aristotle as the source for our knowledge of Greek way of life. This is why I delve into the relationships [between art and life] in all their fullness, and repudiate all pandering to the reader's vanity.

Incidentally, I am convinced that the uncompromising approach as I practice it in regard to the truth is far more advantageous to the wide dissemination of my work than the approach that privileges the reader ever could be. It has done even a Lessing not the slightest harm that, for example, the phrase "how English, how unseemly" has stood the test of time in his widely read Hamburg Dramaturgy 4 to the present day, whereas intellectually counterfeit minor works of art by Corneille, Racine, Voltaire and their likes have received so much derision and recitification, {7} rectification that without exception can in no way be seen as an expression of German chauvinism, but rather deserve appreciation as exhibiting a genuine love of the truth. And besides all of that, does one not read the sternest of criticisms of foreign nations by Goethe, Schiller, Herder, and Jean Paul? So when did the masters ever show any kind of regard for vanity? So have Frenchmen or Englishmen ever minced matters? Have they not instead spread patent lies far and wide, and is that not all the more heinous than speaking the truth?

And now as specifically concerns the Foreword to Op. 111 , the situation is such that even the Vienna daily papers are today reporting the victory of the Entente 5 as a "victory" only within quotation-marks, i. e. they do not consider the Fochiade 6 and Wilsoniade as a real victory. And if this is a merely journalistic way of looking at it, with {8} how much greater justice did I write about this when I portrayed the victory not only in terms of battlefield victories (which cannot be dismissed with lies) but also in terms of victories or a higher order. But I leave judging whether I was correct in prophesying a victory by the Germans not to the reader of the year 1920 or 1921 but to even later years. Have I not in fact already been proved right over Wilson and the English etc? But that's enough of that.

So – to put it in a nutshell – not only do I completely disagree with your suggestion, but I ask you expressly to leave the edition exactly as it is, just as it flowed from my pen: I stand by every word gladly and proudly, indeed I even intend in my future works to take quite as many liberties as other people have taken {9} whom it befits even less than it does me, among whom I count even the Wilsons, Lloyd-Georges, Clemenceaus, including Weingartner, and whatever else their names may be. Music is truly – and don't you forget it, dear Director – not just the business of the private lesson, of the domestic or public concert, of the conservatory, but a pre-eminent public business of humankind, in the interests of which its spokesmen must enjoy full freedom of verbal expression, with the exception of the freedom to lie about the substance!

By the way, I am delighted that you have reached the point at which you can arrange for a second edition – I see no other way to interpret the fact that in the very case of Op. 111 you were wanting to detach its Foreword from its text. –


With cordial greetings,
Yours truly,
[signed:] H. Schenker June 12, 1919

© Translation Ian Bent, 2009



Sehr geehrter Herr Direktor!

Es 1 dürfte wohl das Vernünftigste u. Kürzeste sein, wenn ich Ihnen den jungen Dr mus. Hans Weisse (samt opus) zuschicke, was auch in Bälde geschehen wird.

Weit mehr aber als Ihre Klage über Papiernot u. erhöhte Kosten 2 hat mich Ihr mein op. 111 betreffendes P. S. erschreckt. Meinerseits noch zu mehreren Arbeiten für die „U.-E.“ bereit, wie zur „Kleinen Bibliothek“, zum Abschluß der nun einmal begonnenen Sonaten-Serie, ja sogar zu einer Ausgabe der Klaviersonaten von Beethoven, fühle ich mich in meiner zunächst nur rein theoretischen Bereitschaft schon wie gelähmt wenn ich befürchten muß, daß auch nur nachträglich meine bereits gedruckten Gedankengänge irgendwelchen anderweitigen Interes- {2} se geopfert werden könnten.

Ich bin gewohnt zu denken u. zu schreiben ganz allein nur so, wie der Stoff es fordert; es kann mir also niemals widerfahren, daß ich etwas zu bereuen oder zu widerrufen hätte. Auch dort, wo es für oberflächliche Leser den Anschein haben könnte, als hätte ich ein falsches oder ungerechtes Urteil abgegeben, braucht es eben nur der Zeit, damit man sich von der Sicherheit meiner Betrachtung überzeuge.

Ich erachte es aber auch nicht einmal für meines Lesers Sache, zu beurteilen, ob ich mit mehr oder wenigen Berechtigung den Krieg in die Debatte gezogen habe, denn meine Gründe gehen so ins Tiefe, daß er weder fürs erste noch fürs tausendste begreifen könnte, weshalb ich es getan. Erst bis mein Gesamtwerk in Erscheinung getreten ist, wozu ich natürlich auch alle noch zu veröffentlichenden Arbeiten zähle, wird man vielleicht zu beurteilen vermögen, weshalb ich den organischen Zusammenhang der Musik mit allen {3} übrigen also auch politischen Lebensäußerungen der Menschheit so hoch veranschlagt habe. Schreiben doch auch Sie selbst: „Die Stadt Beethovens, Mozarts, Schuberts wird das überleben“ 3 u. drücken damit, ohne zu wollen, einen Zusammenhang zwischen Kunst u. Politik aus.

Sie verstehen, daß mich aus eben diesem Grunde die augenblickliche Empfindung einzelner Leser gar nicht interessiert u. ich am allerwenigsten wohl geneigt wäre, der persönlichen oder gar nationalen Eitelkeit desselben Rechnung zu tragen. Vielmehr hat sich umgekehrt der Leser für den Autor zu interessieren, nach dessen Werk er langt, um eine Lehre zu empfangen, die er bis dahin nicht kannte: Bin nur ich allein es, der ihn heute unter Allen am besten belehrt[,] dann muß er sich wohl auch in die Art fügen, mit der ich ihn zur Wahrheit führe, u. sei die Art ihm persönlich noch so unangenehm. Oder aber – er lasse das Werk stehen u. gehe weiter als Ignorant durch die Welt! Selbst die Wahrheit verliert am {4} Wucht, wenn man sie bloß nach der Fasson der Leser, die naturnotwendig eine niedere sein muß, mundgerecht machen will.

Ich treibe Wahrheit, aber durchaus nicht Chauvinismus (der, wie schon das Wort sagt, eine echt französische Original-Marke ist), u. wenn ich dem Deutschtum den höchsten Rang zugewiesen habe, so waren mit mir bis zum Kriege selbst unsere Feinde darum einig[.] Im Laufe des Krieges wurden allerdings die immerzu geschlagenen Feinde um eine Million Grade infamer als sie schon früher gewesen, darum aber ist meine Wahrheit nicht um einen Grad nationaler geworden. Bloß also zu seiner Belehrung u. nicht zur Beleidigung will ich es dem Leser gesagt haben, wenn ich ihm zu ahnen u. zu verstehen aufgab, daß ein Beethoven niemals, bis ans Ende aller Zeiten niemals etwa auch in England, Frankreich, Italien, Serbien, Tschechien, geschweige denn in Amerika, dem letzten aller heutigen Kulturländer würde je erstehen können. Denn schärfe ich so {5} erst dem Leser die überhohe Bedeutung eines Meisters wie Beethoven ein, so erwirbt er dann umso eher auch die Fähigkeit vom Meister zu lernen, weit eher, als wenn ich ihm gestatten wurde, einen Beethoven nach heutiger Unverfrorenheit u. Verwilderung zu bagatellisieren u. zu glauben es könnte seinesgleichen heute, morgen wohl auch andererswo geben.

Wie Sie sehen, mache ich es mit meinen Arbeiten – um einen Scherz zu wagen – zwar dem Verleger billig, aber aus wichtigen Gründen niemals meinem Leser. Ich dulde es auch niemals, daß der Leser von meinem Geistestische gesättigt sich erhebe, sein Gefühl aber wie sein Urteil sofort wider mich richte, als hätte er den Tisch sich selber gedeckt. Der ist niemals ein fähiger Leser von mir gewesen, der solches von sich gab. Die Art, in der andere Schriftsteller, wie gleichsam geistige Kellner im Frack, den zahlenden Leser-Gast „bedienen“, habe ich immer für falsch befunden – vielmehr bin ich {6} mit Überzeugung des Lesers Herr u. Meister.

Ich schreibe ja auch nicht für die Gegenwart, sondern – nur es mit vollem Bewußtsein auszusprechen – für Jahrtausende, da man mich dann als die allereinzige Quelle für die Blüte-Epoche der Musik zu erkennen u. zu schätzen gelernt haben wird etwa wie z.B. Aristoteles als Quelle für die Erkenntnis griechischen Wesens. Daher greife ich ins Volle der Zusammenhänge u. verschmähe es, des Lesers Eitelkeit zu ködern.

Uebrigens bin ich überzeugt, daß die absolute Rücksicht, wie ich sie die Wahrheit gegenüber übe, der Weiterverbreitung des Werkes weit förderlicher ist, als es die Rücksicht gegenüber Lesern sein könnte. Es hat auch einem Lessing durchaus nicht geschadet, wenn bis zum heutigen Tag in seiner vielgelesenen „Hamburgische Dramaturgie“ 4 z.B. der Satz: „Wie englisch, wie unanständig“ stehen geblieben ist u. daselbst auch sonst noch so viele Verspottungen u. Richtigstell- {7} ungen von geistigen Fälscherkunststücken der Corneille, Racine, Voltaire usw, Richtigstellungen, die allesamt doch wirklich nicht als Aeußerung eines deutschen Chauvinismus zu betrachten, sondern vielmehr als echte Wahrheitsliebe zu werten sind. Und was liest man nicht sonst noch alles an heftigsten Kritiken fremder Nationen bei Goethe, Schiller, Herder, Jean Paul? Was geht denn auch die Meister irgend eine Rücksicht auf Eitelkeit an? Haben denn Franzosen oder Engländer sich je ein Blatt vor den Mund genommen? Haben sie nicht vielmehr sogar bewußte Lügen in die Welt geschleudert, was doch gewiß verdammenswerter ist, als bloß die Wahrheit zu sagen?

Und was nun speziell das Vorwort zu op. 111 anlangt, so steht doch die Sache so, daß heute selbst Wiener Tagesblätter den Sieg der Entente 5 nur mit Gänsefüßchen als „Sieg“ anführen, d. h. die Fochiade 6 u. Wilsoniade eben nicht für einen wirklichen Sieg halten. Und ist dies nur eine erst journalistische Betrachtung, mit wie {8} viel mehr Recht schrieb ich darüber, der den Sieg ja nicht allein auf die errungenen Siege auf den Schlachtfeldern (die nicht weggelogen werden können) bezog, sondern auf Siege höherer Art. Und dieses nun aber zu beurteilen, ob ich einen Sieg der Deutschen mit Recht prophezirt habe, überlasse ich nicht dem Leser des Jahres 1920 oder 1921, sondern erst den späteren. Habe ich denn bezüglich Wilsons u. der Engländer überhaupt usw. nicht schon heute Recht behalten? Nun aber genug.

Ich bin also, um es mit einem Wort zu sagen, nicht allein durchaus nicht einverstanden mit Ihrem Vorschlag sondern bitte Sie sogar ausdrücklich, die Ausgabe gerade nur so stehen zu lassen, wie sie aus meiner Feder gekommen ist: ich trage gern u. stolz die Verantwortung für jedes Wort, ja ich habe sogar vor, in den künftigen Arbeiten mir ebensoviel Rechte herauszunehmen, wie sie sich Menschen herausgenommen haben, {9} denen es mit weniger als mir zugekommen ist, wozu ich eben auch die Wilson, Lloyd-George, Clemenceau rechne, einschließlich Weingartner u. wie sie alle heißen M mögen. Musik ist ja – vergessen Sie es nicht, lieber Herr Direktor – nicht bloß Angelegenheit einer Privatstunde, eines häuslichen oder öffentlichen Konzertes, eines Konservatoriums, sondern eine eminent öffentliche Angelegenheit der Menschheit, in deren Interesse nun die Wortführer volle Freiheit des Wortes genießen müssen, ausgenommen die Freiheit eines Betruges am Stoffe!

Uebrigens freut es mich, daß Sie so weit sind, eine II. Auflage veranstalten zu können, da ich mir sonst nicht zu erklären wüßte, wie Sie gerade im Falle op. 111 das Vorwort vom Texte loslösen wollten.


mit besten Grüßen
Ihr ergebener
[signed:] H Schenker 12. Juni 1919

© Transcription Ian Bent, 2009



Dear Director,

It 1 would clearly be most sensible and efficacious if I were to send the young Hans Weisse, PhD (Mus.), to you (together with his opus), and this I shall do forthwith.

However, your P.S. concerning my Op. 111 has given me a far bigger fright than your lament about scarcity of paper and increased costs. 2 Prepared as I remain to contribute several works to UE, such as the Little Library , the completion of the already begun sonata series, indeed even an edition of the Beethoven piano sonatas, I feel as if my legs had already been cut from under me in my preparedness on the for now purely theoretical front if I must fear that even my already published trains of thought {2} could subsequently be sacrificed in the interests of something else.

I am accustomed to thinking and writing entirely in isolation, solely as the material itself demands. That way, I should never live to regret or have to revoke something. Even where to superficial readers it might appear as if I had pronounced a false or incorrect verdict, it will be only a matter of time before people will be convinced of the rectitude of my viewpoint.

However, I do not for a moment consider it a matter for my reader to judge whether or not I am justified in having drawn the war into my line of argument, for my reasons run so deep that he could not possibly even begin to fathom why I had done it. Only when my entire life's work has been completed (among which I of course count all those works yet to be published) will people perhaps be in a position to judge why I have rated so highly the organic relationship between music and all {3} other manifestations of human life, including even political ones. Even you yourself in fact write: "The city of Beethoven, Mozart and Schubert will outlive it," 3 and in so saying, without intending to, you imply a relationship between art and politics.

You must understand that, for this very reason, the feelings of individual readers at this particular moment do not interest me in the slightest, and least of all would I be inclined to take account of the personal or national vanity of those persons. On the contrary, all the more must the reader interest himself in the author whose work he takes up, in order to assimilate a theory of which until then he knew nothing. If today I am the only one among all others who can best instruct him, then he must just submit to the method by which I lead him toward the truth, however uncongenial he may personally find that method. Otherwise, let him drop the work, and go through life as an ignoramus! Even the truth loses {4} weight if after the fashion of readers – which must of absolute necessity be a lower fashion – people merely want to render it palatable.

I pursue truth, but never for one moment chauvinism (which, as the word itself signifies, bears the hallmark of something quintessentially French), and if I have accorded the highest status to Germanity, then even our enemies would have agreed with me on that up until the war. In the course of the war, however, our enemies, while constantly being defeated, became a million times more infamous than they had been earlier; but my truth did not become one iota more nationalistic on that account. Thus it was solely to instruct the reader and not to insult him that I said to him, when I [?gave] him his first inkling and understanding, that a Beethoven would never, not until the end of time, be able to arise in England, France, Italy, Serbia, Czechoslovakia, let alone America, the worst of all today's cultural lands. For if I impress upon {5} the reader from the outset the supreme importance of a master such as Beethoven, he then acquires the ability to learn from the master all the sooner, far far sooner than if I had allowed him to belittle a Beethoven in the manner of today's insolence and degeneracy, and to believe that there could be people of his ilk today, and tomorrow things could be quite quite different.

As you can see, with my works – if I may venture a joke – I make things easy for the publisher, whereas for very good reason I never do so for my reader. I never once tolerate the reader getting up from my intellectual table fully sated but turning his feelings and also his judgment immediately against me as if he had himself set the table. There has never been a competent reader of my work who has behaved in such a way. I have always considered false the way in which other writers, like, so to speak, intellectual waiters in tails, "serve" the paying reader-customer. Instead, {6} I am lord and master in convincing my reader.

I do not write for the present time, but – and I am fully conscious of what I am saying here – for millenia, since people will then come to recognize and value me as the one and only source for the supreme epoch of music, rather like, for example, Aristotle as the source for our knowledge of Greek way of life. This is why I delve into the relationships [between art and life] in all their fullness, and repudiate all pandering to the reader's vanity.

Incidentally, I am convinced that the uncompromising approach as I practice it in regard to the truth is far more advantageous to the wide dissemination of my work than the approach that privileges the reader ever could be. It has done even a Lessing not the slightest harm that, for example, the phrase "how English, how unseemly" has stood the test of time in his widely read Hamburg Dramaturgy 4 to the present day, whereas intellectually counterfeit minor works of art by Corneille, Racine, Voltaire and their likes have received so much derision and recitification, {7} rectification that without exception can in no way be seen as an expression of German chauvinism, but rather deserve appreciation as exhibiting a genuine love of the truth. And besides all of that, does one not read the sternest of criticisms of foreign nations by Goethe, Schiller, Herder, and Jean Paul? So when did the masters ever show any kind of regard for vanity? So have Frenchmen or Englishmen ever minced matters? Have they not instead spread patent lies far and wide, and is that not all the more heinous than speaking the truth?

And now as specifically concerns the Foreword to Op. 111 , the situation is such that even the Vienna daily papers are today reporting the victory of the Entente 5 as a "victory" only within quotation-marks, i. e. they do not consider the Fochiade 6 and Wilsoniade as a real victory. And if this is a merely journalistic way of looking at it, with {8} how much greater justice did I write about this when I portrayed the victory not only in terms of battlefield victories (which cannot be dismissed with lies) but also in terms of victories or a higher order. But I leave judging whether I was correct in prophesying a victory by the Germans not to the reader of the year 1920 or 1921 but to even later years. Have I not in fact already been proved right over Wilson and the English etc? But that's enough of that.

So – to put it in a nutshell – not only do I completely disagree with your suggestion, but I ask you expressly to leave the edition exactly as it is, just as it flowed from my pen: I stand by every word gladly and proudly, indeed I even intend in my future works to take quite as many liberties as other people have taken {9} whom it befits even less than it does me, among whom I count even the Wilsons, Lloyd-Georges, Clemenceaus, including Weingartner, and whatever else their names may be. Music is truly – and don't you forget it, dear Director – not just the business of the private lesson, of the domestic or public concert, of the conservatory, but a pre-eminent public business of humankind, in the interests of which its spokesmen must enjoy full freedom of verbal expression, with the exception of the freedom to lie about the substance!

By the way, I am delighted that you have reached the point at which you can arrange for a second edition – I see no other way to interpret the fact that in the very case of Op. 111 you were wanting to detach its Foreword from its text. –


With cordial greetings,
Yours truly,
[signed:] H. Schenker June 12, 1919

© Translation Ian Bent, 2009

Footnotes

1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 2/14, p. 2079, two days earlier, June 10, 1919: "An Hertzka (Br.): wegen des Vorwortes (liegt im Copierbuch)." ("To Hertzka (letter): concerning the Foreword (is in the copybook).") Then on OJ 2/14, p. 2080, June 13: "An Hertzka recomm. Brief abgeschickt." ("To Hertzka registered letter sent off.")

2 in OJ 52/923, June 6, 1919.

3 in OJ 52/923, June 6, 1919.

4 Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie (1767), a treatise on poetry and drama, which can be seen as a new interpretation of Aristotle's theory of drama.

5 (Triple) Entente: the alignment between Great Britain, France, and Russia agreed in 1907 as a counter force to the Triple Alliance of Germany, Austria-Hungary, and Italy.

6 Schenker used the word "Fochiade" also in his "The Mission of German Genius," Der Tonwille Heft 1 (1921), 12 (Eng. trans., p. 12), the suffix "iade" generally implying a celebration or competition (e.g. "Olympiade"), but being freighted here with scorn in referring to Foch's part (and also Wilson's two words later) in the Treaty of Versailles.

Commentary

Format
9p letter, oblong format, message in Jeanette Kornfeld/Schenker's hand, holograph valediction and signature
Rights Holder
Heirs of Heinrich Schenker, in the public domain
License
This document is deemed to be in the public domain as of January 1, 2006. All reasonable steps have been taken to locate the heirs of Heinrich Schenker. Any claim to intellectual rights should be addressed to the Schenker Correspondence Project, Faculty of Music, University of Cambridge, at schenkercorrespondence [at] mus (dot) cam (dot) ac (dot) uk.
Provenance
Universal Edition Archive (document date-1976)—on permanent loan to the Wienbibliothek im Rathhaus (1976-)

Digital version created: 2006-05-01
Last updated: 2010-05-04