Sehr geehrter Herr Direktor!

Im Bewußtsein, keine sonderliche Störung des dolce far niente 1 Ihnen zu verursachen, (da doch die Hauptsache in Ordnung ist,) bitte ich Sie der vollsten Sicherheit halber um Auskunft, ob ich mich nun an die Arbeit machen darf. 2 Ich bin zu dieser Frage, die vielleicht keine sein sollte, durch besondere neu hinzugekommene Umstände genötigt. Knapp vor meiner Abreise hat die K. K. Gesellschaft der Musikfreunde (gez. Marchet u. Dr. Kraus) mit ausführlichem u. sehr ehrenvollem Schreiben mich für Vorlesungen in der neu zu kreierenden freien Hochschule angeworben. 3 Von Bozen aus erklärte ich mich einverstanden u. schlug Vorlesungen über „Harmonielehre“ vor, um allmälig meine Zuhörer einzuführen u. sie zu befähigen, mit mir über „Gut u. Schlecht in einem musikalischen Werk,“ oder über „Die Unwandelbarkeit musikalischer Formen“ nachzudenken. In einem Antwortschreiben der K. K. Ges. d. Mskfr. wurde meine Zusage {2} freudig begrüßt u. für Mitte September eine Konferenz über den von mir vorgeschlagenen Modus der Vorlesungen wie des Honorars angesetzt. Es will mir scheinen, als würde eine Einigung sehr leicht zu Stande kommen, da vorläufig ja auch keine Differenz vorliegt, u. da muß ich wohl im Interesse der für die „ U.E.“ zu unternehmenden Arbeit an eine Einteilung alles meiner Pflichten denken. 4

Sollte es zu den Vorlesungen kommen, so würde ich, da sie schon am 1. Okt. beginnen, in der 2. Septemberhälfte Vorbereitungen dafür zu treffen haben, u. so würde es mir sehr gut passen, die bis dahin währende Zeit der Arbeit an der Sonate zu widmen. Fast kommt es mir leichtsinnig u. kindisch vor, eine so gelegene Arbeitszeit wie die gegenwärtige zu versäumen, wobei ich das Versäumnis durch gar nichts rechtfertigen kann. Eine wirkliche Sünde ist es! Kam doch jener Punkt noch niemals in unseren Verträgen vor, u. sind deshalb meine Arbeiten je schlecht ausgefallen? Was soll nun plötzlich der Punkt heute?? 5

Zudem kommt, daß ich endlich auf die Spur des vielgesuchten Manuscripts 6 gekommen bin u. nach so viel Korrespondenzen, die ich gepflogen haben, plötzlich stecken bleibe, weil ich nicht weiß, ob ich der {3} Besitzerin des Manuscripts zu schreiben habe oder nicht. 7 Erlösen Sie mich also aus all diesen recht kostspieligen Zweifeln mit einem Kräftigen „Ja,“ damit ich Zeit für die Arbeit gewinne, für das Studium des Manuscriptes u. dgl. mehr. (Und vergessen Sie nicht, das von mir so oft wiederholte Anliegen betreffs der „ IX Sinf. “! 8 ) Ihre Annonce in der „Musik“ habe ich gelesen. Eine Zeitlang werden meine lieben Fachkollegen noch „Strampeln“, aber ich werden die Schnur noch fester zuziehen, bis sie aufhören werden, Betrug u. Unwissenheit für „Fortschritt“ auszugeben!

Ein paar Zeilen erbittet so bald als möglich


Ihr ergebener,
Sie herzlich Begrüßender
[signed:] H Schenker


Paneveggio, 6. August 1912

© Transcription Ian Bent, 2007, 2023



Dear Director,

Conscious of not wishing to cause any great disturbance to your dolce far niente 1 (since the main preoccupation is definitely in good shape), I beg you, so as to be absolutely certain, to inform me whether I may now get down to work. 2 I am obliged to ask this question, which ought perhaps to be superfluous, because of special circumstances that have just arisen. Just before my departure, the Imperial-Royal Society for the Friends of Music, in a detailed and very honorable letter (signed by Gustav Marchet and Dr. Kraus), enlisted me to give lectures in the free high school soon to be created. 3 Writing from Bolzano, I declared myself agreeable and proposed lectures on "Theory of Harmony" so as to introduce my audience gradually and to enable it to reflect with me on "good and bad in a musical work" or on “the immutability of musical form.” In a letter of reply from the Imperial-Royal Society for the Friends of Music, my consent was greeted {2} with delight and a meeting was scheduled for the middle of September to discuss the type of the lectures suggested by me, as well as the fee. It looks to me as if agreement might be reached very easily, since at present no sign of any difference of opinion has emerged, and since, in the interests certainly of the work that I am to undertake for UE, I must think in terms of planning out all my obligations. 4

Should the lectures come about, then since, their being due to begin already on October 1, I would have to prepare for them in the second half of September, it would suit me very well to devote the time between now and then to working on the sonata. It is almost reckless and childish for me to neglect such opportune working time as the present ‒ negligence that I cannot possibly justify. It is a veritable sin! That one point has never arisen before in our contracts ‒ and have my books ever turned out badly as a result? Why should it suddenly do so today?? 5

Add to that, that I am finally on the trail of the much-sought-after manuscript, 6 and that after so much correspondence that I have conducted I am suddenly stalled because I do not know whether I have to write to the {3} owner of the manuscript or not. 7 So release me from all these rather costly doubts with a resounding "Yes," so that I can gain time for the work, for study of the manuscript, and for many other such things. (And don’t forget my request, so oft-repeated, regarding the Ninth Symphony ! 8 ) I have read your advertisement in Die Musik . My dear professional colleagues will still "kick" for a while, but I will tie the noose ever tighter until they stop perpetrating deception and ignorance in the name of "progress"!

A line or two as soon as possible is requested by


your devoted,
who greets you cordially
[signed:] H. Schenker


Paneveggio, August 6, 1912

© Translation Ian Bent, 2007, 2023



Sehr geehrter Herr Direktor!

Im Bewußtsein, keine sonderliche Störung des dolce far niente 1 Ihnen zu verursachen, (da doch die Hauptsache in Ordnung ist,) bitte ich Sie der vollsten Sicherheit halber um Auskunft, ob ich mich nun an die Arbeit machen darf. 2 Ich bin zu dieser Frage, die vielleicht keine sein sollte, durch besondere neu hinzugekommene Umstände genötigt. Knapp vor meiner Abreise hat die K. K. Gesellschaft der Musikfreunde (gez. Marchet u. Dr. Kraus) mit ausführlichem u. sehr ehrenvollem Schreiben mich für Vorlesungen in der neu zu kreierenden freien Hochschule angeworben. 3 Von Bozen aus erklärte ich mich einverstanden u. schlug Vorlesungen über „Harmonielehre“ vor, um allmälig meine Zuhörer einzuführen u. sie zu befähigen, mit mir über „Gut u. Schlecht in einem musikalischen Werk,“ oder über „Die Unwandelbarkeit musikalischer Formen“ nachzudenken. In einem Antwortschreiben der K. K. Ges. d. Mskfr. wurde meine Zusage {2} freudig begrüßt u. für Mitte September eine Konferenz über den von mir vorgeschlagenen Modus der Vorlesungen wie des Honorars angesetzt. Es will mir scheinen, als würde eine Einigung sehr leicht zu Stande kommen, da vorläufig ja auch keine Differenz vorliegt, u. da muß ich wohl im Interesse der für die „ U.E.“ zu unternehmenden Arbeit an eine Einteilung alles meiner Pflichten denken. 4

Sollte es zu den Vorlesungen kommen, so würde ich, da sie schon am 1. Okt. beginnen, in der 2. Septemberhälfte Vorbereitungen dafür zu treffen haben, u. so würde es mir sehr gut passen, die bis dahin währende Zeit der Arbeit an der Sonate zu widmen. Fast kommt es mir leichtsinnig u. kindisch vor, eine so gelegene Arbeitszeit wie die gegenwärtige zu versäumen, wobei ich das Versäumnis durch gar nichts rechtfertigen kann. Eine wirkliche Sünde ist es! Kam doch jener Punkt noch niemals in unseren Verträgen vor, u. sind deshalb meine Arbeiten je schlecht ausgefallen? Was soll nun plötzlich der Punkt heute?? 5

Zudem kommt, daß ich endlich auf die Spur des vielgesuchten Manuscripts 6 gekommen bin u. nach so viel Korrespondenzen, die ich gepflogen haben, plötzlich stecken bleibe, weil ich nicht weiß, ob ich der {3} Besitzerin des Manuscripts zu schreiben habe oder nicht. 7 Erlösen Sie mich also aus all diesen recht kostspieligen Zweifeln mit einem Kräftigen „Ja,“ damit ich Zeit für die Arbeit gewinne, für das Studium des Manuscriptes u. dgl. mehr. (Und vergessen Sie nicht, das von mir so oft wiederholte Anliegen betreffs der „ IX Sinf. “! 8 ) Ihre Annonce in der „Musik“ habe ich gelesen. Eine Zeitlang werden meine lieben Fachkollegen noch „Strampeln“, aber ich werden die Schnur noch fester zuziehen, bis sie aufhören werden, Betrug u. Unwissenheit für „Fortschritt“ auszugeben!

Ein paar Zeilen erbittet so bald als möglich


Ihr ergebener,
Sie herzlich Begrüßender
[signed:] H Schenker


Paneveggio, 6. August 1912

© Transcription Ian Bent, 2007, 2023



Dear Director,

Conscious of not wishing to cause any great disturbance to your dolce far niente 1 (since the main preoccupation is definitely in good shape), I beg you, so as to be absolutely certain, to inform me whether I may now get down to work. 2 I am obliged to ask this question, which ought perhaps to be superfluous, because of special circumstances that have just arisen. Just before my departure, the Imperial-Royal Society for the Friends of Music, in a detailed and very honorable letter (signed by Gustav Marchet and Dr. Kraus), enlisted me to give lectures in the free high school soon to be created. 3 Writing from Bolzano, I declared myself agreeable and proposed lectures on "Theory of Harmony" so as to introduce my audience gradually and to enable it to reflect with me on "good and bad in a musical work" or on “the immutability of musical form.” In a letter of reply from the Imperial-Royal Society for the Friends of Music, my consent was greeted {2} with delight and a meeting was scheduled for the middle of September to discuss the type of the lectures suggested by me, as well as the fee. It looks to me as if agreement might be reached very easily, since at present no sign of any difference of opinion has emerged, and since, in the interests certainly of the work that I am to undertake for UE, I must think in terms of planning out all my obligations. 4

Should the lectures come about, then since, their being due to begin already on October 1, I would have to prepare for them in the second half of September, it would suit me very well to devote the time between now and then to working on the sonata. It is almost reckless and childish for me to neglect such opportune working time as the present ‒ negligence that I cannot possibly justify. It is a veritable sin! That one point has never arisen before in our contracts ‒ and have my books ever turned out badly as a result? Why should it suddenly do so today?? 5

Add to that, that I am finally on the trail of the much-sought-after manuscript, 6 and that after so much correspondence that I have conducted I am suddenly stalled because I do not know whether I have to write to the {3} owner of the manuscript or not. 7 So release me from all these rather costly doubts with a resounding "Yes," so that I can gain time for the work, for study of the manuscript, and for many other such things. (And don’t forget my request, so oft-repeated, regarding the Ninth Symphony ! 8 ) I have read your advertisement in Die Musik . My dear professional colleagues will still "kick" for a while, but I will tie the noose ever tighter until they stop perpetrating deception and ignorance in the name of "progress"!

A line or two as soon as possible is requested by


your devoted,
who greets you cordially
[signed:] H. Schenker


Paneveggio, August 6, 1912

© Translation Ian Bent, 2007, 2023

Footnotes

1 dolce far niente: "pleasant idleness." The phrase is (intentionally or unintentionally) ironic, since Hertzka is currently intensely busy, with the première of Schreker's opera Der ferne Klang (August 18, Frankfurt) and other matters.

2 Schenker hotly contested one of the clauses of the draft contract for Die letzten fünf Sonaten von Beethoven in WSLB 128, July 21, 1912, and an impasse seems to have existed since then. (There is no surviving correspondence over the two whole past weeks.) The matter is referred to by Hertzka in OC 52/95-96, August 22, 1912 and resolved in the final contract, OC 52/494, August 25, 1912.

3 The letter from the Gesellschaft der Musikfreunde (previously mentioned in WSLB 124, June 27, 1912) is OJ 11/22, [2], June 21, 1912, after which several letters from Schenker to the signatories survive.

4 No paragraph-break in original.

5 No paragraph-break in original.

6 The manuscript of Beethoven's sonata Op. 109, previously referred to in WSLB 123, June 24, and WSLB 128, July 21, 1912.

7 The manuscript of Op. 109 had been in the possession of the family of its publisher, Schlesinger, was auctioned in 1907 and entered the possession of the Wittgenstein family of Vienna. Schenker had been apprised of its current whereabouts as recorded in his diary for August 2, 1912: "Mandyczewski teilt mir mit, daß das Manuscript op. 109 in Wien sich befindet!" ("Mandyczewski informs me that the manuscript of Op. 109 is located in Vienna!"). Mandyczewski's postcard to this effect, OJ 12/49, [3], August 1, 1912, reads: "Das Autograph von op 109 ist im Privatbesitz, merkwürdigerweise in Wien, bei Frau Poldy Wittgenstein, Alleegasse." ("The autograph manuscript of Op. 109 is in private possession, strangely enough in Vienna, with Mrs. Poldy Wittgenstein, Alleegasse.").

8 In WSLB 116, June 2, Schenker asked for an additional 400 Kronen for reading the proofs of Beethovens neunte Sinfonie , and in OC 52/427, June 3 and repeated the request several times since then; Hertzka responded that he hoped to be able to do this, but that the printing costs had been high.