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OJ 89/6, [9] - Handwritten letter from Schenker to Hoboken, dated July 25, 1933
So postwendend als es tunlich war sende ich Ihre Lieder zurück u. in Erwiderung des Benn -Buches 2 eine Sammlung von Feuilletons u. dgl. Gestatten Sie, daß ich Benn noch paar Tage behalten. Zu den Liedern: Machen Sie nur welchen Gebrauch immer, er wird gerechtfertigt sein. Das sagte ich schon öfter u. sage es wieder. Meinen Standpunkt kennen Sie ja; Talmi-Bach's, 3 Talmi-Brahmse u.s.w. in die Welt zu setzen, ist mir nie eingefallen; bei nur einigermaßen gegebener Anlage suche ich zu stützen, von den ersten Verlegenheiten zu befreien, statt sie ganz im Stiche zu lassen {2} u. mich in Schulphrasen um sie zu drücken. Übrigens lassen sich die großen Meister gar nicht talmisieren (gestatten Sie das neue Wort), daher spreche ich von ihnen, nicht um „Ebenbilder“ zu erziehen, nur um das Leben, den Geist, das Herz, die Zeit nach Tunlichkeit zu bereichern u. würdigst auszufüllen. Daß sich Ihre Anlage sehen u. hören lassen kann, sagte ich Ihnen auch oft genug. Ich weiß, Sie müßen einmal ausgreifen, auch auf die Gefahr von Sünden wider die Kunst, aber die Natur hat es besser mit Ihnen gemeint: entschlößen [sic] Sie sich einmal, sich einen guten Tag zu machen, so könnten Sie mit Leichtigkeit Strawinsky ’sch oder Prokofief’sch kommen! Aber wie ich Sie kenne würden Sie mitten in solcher Komponiererei selber lachen u. vor lauter Lachen—aufhören. Cortot ’s Besuch im Archiv hat mich wirklich gefreut, er ist aber ein schon Interessierter (sollte er {3} wirklich die „Or[i]g[inal]P[ar]t[itur]“ des KlvKonz. op. 15 besitzen oder was interessanter wäre, etwaige frühere Stadien des Werkes, das so reich an Vergangenheit war wie nur noch das F-moll Pianof.-Quintett, u. gar eine 4 te oder vor-1 te Berceuse ?! 4 ), solche interessierte Kreise wird es aber immer geben, wie wir aus den Jahrhunderten u. Jahrtausenden hinter uns wissen, immer u. immer, u. in diesen Kreisen wird Ihre Name u. Ihre Leistung mit aufrichtigstem Dank genannt werden. Und wie erst dankte man es Ihnen, wenn man die Geniemusik etwas erleuchteter hörte! (Ohne Zudringlichkeit: denken Sie gar nicht mehr an die polemische Arbeit wider die so überhebliche neue Chopin -Verdrehungs-Ausgabe, oder an das Scherzo? 5 Schade.) Zu den Feuilletons: Einige in den Leitartikel der „N.fr.Pr.“ gewickelte Feuilletons aus der „D.A.Z.“ er- {4} weisen, daß das furor teutonicus schon im Abflauen begriffen ist: die Dynamik des Willens ist schön u. belebend, allein aber ersetzt sie keineswegs die Tat. Kunst will gemacht, nicht blos gewollt sein. Fast war die soeben abgetane Dynamik des Jazz 6 lustiger als die der völkischen Kunst 7 von heute. Da die Aufläge 8 schon mutig genug ausgreifen, brauche ich hier nicht, doch am allerwenigsten zu Ihnen, noch ein Wort zu verlieren. — Auf mich selbst bezüglichen Ein Ab lauf 9 aus der allerjüngsten Zeit sehen Sie ganz unten: seit 1909 harrte ich des Tages, nun ist er da, R. Wagner ’s programmatische Erläuterung zur IX[.] Sinf., die ihr wie ein Schatten jahrzehntelang folgte, ist fallen gelassen worden, nun bin ich — leider in der „getarnten“ u. wie übel getarnten Fassung! — zum Schatten berufen worden. — Die kleine Kuriosität: Goos war Oppel ’s Schüler am Konservatorium Leipzig. Für heute sei genug! Ihnen u. Ihrer verehrten Gattin herzlichste Grüße von uns Beiden [inverted at top of page:] PS. Die Sammlung der Aufsätze erbitte ich bei Gelegenheit zurück. — Gehen Sie nicht nach Salzburg? © Transcription John Rothgeb and Heribert Esser, 2018 |
As nearly by return mail as possible I send back your lieder, and, in response to the Benn book, 2 a collection of feuilletons and such. Allow me to keep the Benn a few more days. As to the lieder: make whatever use of them you wish ‒ it will be justified. I have already said that often and say it again. You of course know my position; to bring talmi-Bachs, 3 talmi-Brahmses into the world has never occurred to me; when talent is somehow present, I try to provide support, to help past the first embarrassments instead of leaving it completely in the lurch {2} and taking refuge behind school-phrases about it. Incidentally, the great masters cannot be talmized (permit me the new word); therefore I speak of them not in order to educate "exact copies," but only ‒ insofar as possible ‒ to enrich and most worthily fill out life, spirit, heart, and time. That your gifts are impressive I have also told you often enough. I know, you need to try your wings just once, even at the risk of sins against Art; but Nature had better plans for you: should you sometime decide to make a day of it, you could easily come off Stravinsky-ish or Prokofiev-ish. But as I know you, in the middle of such compositional foolishness you yourself would laugh, and ‒ doubled over with laughter ‒ stop. Cortot's visit to the Archive really delighted me; but he is one already interested (is he {3} actually supposed to own the "original score" of the Piano Concerto Op. 15, or, what would be still more interesting, possible earlier versions of the work, which has a rich past comparable only to the F-minor Piano Quintet, and even a fourth or pre-first Berceuse ?! 4 ); such interested circles will, however, always exist, as we know from the centuries and millennia behind us, ever and ever, and in these circles your name and your accomplishment will be mentioned with sincerest thanks. And how they would thank you if they heard the genius-music with somewhat better enlightenment! (Without wishing to intrude: do you no longer at all think of the polemical work against the so arrogant new Chopin-Distortion-Edition, or of the Scherzo? 5 Pity.) Regarding the feuilletons: a few feuilletons from the Deutsche Allgemeine Zeitung , folded into the lead article of the Neue freie Presse , prove {4} that the furor teutonicus is already abating: the dynamic of the will is beautiful and inspiring, but it alone by no means substitutes for the deed. Art needs to be made, not merely willed. It could almost be said that the recently repudiated dynamic of jazz 6 was more rollicking than that of today's nationalistic art. 7 Since the essays 8 depict this courageously enough, I need not here waste another word ‒ least of all to you. ‒ You see at the very bottom of the page a recently received item 9 pertaining to me personally from the most recent times: since 1909 I have awaited the day, and now it has come, when R. Wagner's programmatic explanation of the Ninth Symphony, which has followed it like a shadow for decades, would be dropped; now I ‒ unfortunately in the "disguised" (and how badly disguised) version! ‒ am promoted to the rank of a shadow. ‒ The small curiosity: Goos was Oppel's pupil at the Leipzig Conservatory. Enough for today! Warmest greetings to you and your esteemed wife from both of us. [inverted at top of page:] PS. I would like to have the collection of essays back sometime. ‒ Will you not go to Salzburg? © Translation John Rothgeb and Heribert Esser, 2018 |
So postwendend als es tunlich war sende ich Ihre Lieder zurück u. in Erwiderung des Benn -Buches 2 eine Sammlung von Feuilletons u. dgl. Gestatten Sie, daß ich Benn noch paar Tage behalten. Zu den Liedern: Machen Sie nur welchen Gebrauch immer, er wird gerechtfertigt sein. Das sagte ich schon öfter u. sage es wieder. Meinen Standpunkt kennen Sie ja; Talmi-Bach's, 3 Talmi-Brahmse u.s.w. in die Welt zu setzen, ist mir nie eingefallen; bei nur einigermaßen gegebener Anlage suche ich zu stützen, von den ersten Verlegenheiten zu befreien, statt sie ganz im Stiche zu lassen {2} u. mich in Schulphrasen um sie zu drücken. Übrigens lassen sich die großen Meister gar nicht talmisieren (gestatten Sie das neue Wort), daher spreche ich von ihnen, nicht um „Ebenbilder“ zu erziehen, nur um das Leben, den Geist, das Herz, die Zeit nach Tunlichkeit zu bereichern u. würdigst auszufüllen. Daß sich Ihre Anlage sehen u. hören lassen kann, sagte ich Ihnen auch oft genug. Ich weiß, Sie müßen einmal ausgreifen, auch auf die Gefahr von Sünden wider die Kunst, aber die Natur hat es besser mit Ihnen gemeint: entschlößen [sic] Sie sich einmal, sich einen guten Tag zu machen, so könnten Sie mit Leichtigkeit Strawinsky ’sch oder Prokofief’sch kommen! Aber wie ich Sie kenne würden Sie mitten in solcher Komponiererei selber lachen u. vor lauter Lachen—aufhören. Cortot ’s Besuch im Archiv hat mich wirklich gefreut, er ist aber ein schon Interessierter (sollte er {3} wirklich die „Or[i]g[inal]P[ar]t[itur]“ des KlvKonz. op. 15 besitzen oder was interessanter wäre, etwaige frühere Stadien des Werkes, das so reich an Vergangenheit war wie nur noch das F-moll Pianof.-Quintett, u. gar eine 4 te oder vor-1 te Berceuse ?! 4 ), solche interessierte Kreise wird es aber immer geben, wie wir aus den Jahrhunderten u. Jahrtausenden hinter uns wissen, immer u. immer, u. in diesen Kreisen wird Ihre Name u. Ihre Leistung mit aufrichtigstem Dank genannt werden. Und wie erst dankte man es Ihnen, wenn man die Geniemusik etwas erleuchteter hörte! (Ohne Zudringlichkeit: denken Sie gar nicht mehr an die polemische Arbeit wider die so überhebliche neue Chopin -Verdrehungs-Ausgabe, oder an das Scherzo? 5 Schade.) Zu den Feuilletons: Einige in den Leitartikel der „N.fr.Pr.“ gewickelte Feuilletons aus der „D.A.Z.“ er- {4} weisen, daß das furor teutonicus schon im Abflauen begriffen ist: die Dynamik des Willens ist schön u. belebend, allein aber ersetzt sie keineswegs die Tat. Kunst will gemacht, nicht blos gewollt sein. Fast war die soeben abgetane Dynamik des Jazz 6 lustiger als die der völkischen Kunst 7 von heute. Da die Aufläge 8 schon mutig genug ausgreifen, brauche ich hier nicht, doch am allerwenigsten zu Ihnen, noch ein Wort zu verlieren. — Auf mich selbst bezüglichen Ein Ab lauf 9 aus der allerjüngsten Zeit sehen Sie ganz unten: seit 1909 harrte ich des Tages, nun ist er da, R. Wagner ’s programmatische Erläuterung zur IX[.] Sinf., die ihr wie ein Schatten jahrzehntelang folgte, ist fallen gelassen worden, nun bin ich — leider in der „getarnten“ u. wie übel getarnten Fassung! — zum Schatten berufen worden. — Die kleine Kuriosität: Goos war Oppel ’s Schüler am Konservatorium Leipzig. Für heute sei genug! Ihnen u. Ihrer verehrten Gattin herzlichste Grüße von uns Beiden [inverted at top of page:] PS. Die Sammlung der Aufsätze erbitte ich bei Gelegenheit zurück. — Gehen Sie nicht nach Salzburg? © Transcription John Rothgeb and Heribert Esser, 2018 |
As nearly by return mail as possible I send back your lieder, and, in response to the Benn book, 2 a collection of feuilletons and such. Allow me to keep the Benn a few more days. As to the lieder: make whatever use of them you wish ‒ it will be justified. I have already said that often and say it again. You of course know my position; to bring talmi-Bachs, 3 talmi-Brahmses into the world has never occurred to me; when talent is somehow present, I try to provide support, to help past the first embarrassments instead of leaving it completely in the lurch {2} and taking refuge behind school-phrases about it. Incidentally, the great masters cannot be talmized (permit me the new word); therefore I speak of them not in order to educate "exact copies," but only ‒ insofar as possible ‒ to enrich and most worthily fill out life, spirit, heart, and time. That your gifts are impressive I have also told you often enough. I know, you need to try your wings just once, even at the risk of sins against Art; but Nature had better plans for you: should you sometime decide to make a day of it, you could easily come off Stravinsky-ish or Prokofiev-ish. But as I know you, in the middle of such compositional foolishness you yourself would laugh, and ‒ doubled over with laughter ‒ stop. Cortot's visit to the Archive really delighted me; but he is one already interested (is he {3} actually supposed to own the "original score" of the Piano Concerto Op. 15, or, what would be still more interesting, possible earlier versions of the work, which has a rich past comparable only to the F-minor Piano Quintet, and even a fourth or pre-first Berceuse ?! 4 ); such interested circles will, however, always exist, as we know from the centuries and millennia behind us, ever and ever, and in these circles your name and your accomplishment will be mentioned with sincerest thanks. And how they would thank you if they heard the genius-music with somewhat better enlightenment! (Without wishing to intrude: do you no longer at all think of the polemical work against the so arrogant new Chopin-Distortion-Edition, or of the Scherzo? 5 Pity.) Regarding the feuilletons: a few feuilletons from the Deutsche Allgemeine Zeitung , folded into the lead article of the Neue freie Presse , prove {4} that the furor teutonicus is already abating: the dynamic of the will is beautiful and inspiring, but it alone by no means substitutes for the deed. Art needs to be made, not merely willed. It could almost be said that the recently repudiated dynamic of jazz 6 was more rollicking than that of today's nationalistic art. 7 Since the essays 8 depict this courageously enough, I need not here waste another word ‒ least of all to you. ‒ You see at the very bottom of the page a recently received item 9 pertaining to me personally from the most recent times: since 1909 I have awaited the day, and now it has come, when R. Wagner's programmatic explanation of the Ninth Symphony, which has followed it like a shadow for decades, would be dropped; now I ‒ unfortunately in the "disguised" (and how badly disguised) version! ‒ am promoted to the rank of a shadow. ‒ The small curiosity: Goos was Oppel's pupil at the Leipzig Conservatory. Enough for today! Warmest greetings to you and your esteemed wife from both of us. [inverted at top of page:] PS. I would like to have the collection of essays back sometime. ‒ Will you not go to Salzburg? © Translation John Rothgeb and Heribert Esser, 2018 |
Footnotes1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 4/6, p. 3852, July 25, 1933: "An v. Hoboken (Br., Lieder, Aufsätze): Bemerkungen zu den Beilagen – Benn folgt später." ("To Hoboken (letter, songs, articles): observations on the enclosures – Benn will follow at a later time."). 2 Gottfried Benn (1886-1956). The book may have been either Nach dem Nihilismus (Berlin, 1932) or Der Neue Staat und die Intellectuellen (1933). 3 Talmi gold is an alloy, often coated with gold, used for making cheap jewelry. The implication here, of course, is "counterfeit." 4 Apparently a reference to the different versions of Chopin's Op. 57. See Maurice J. E. Brown, Chopin: An Index of His Works in Chronological Order (2nd revd edn, London, 1972), p. 158. 5 Probably Chopin's Op. 39, as can be inferred from Schenker's diary entries on van Hoboken's studies with him. 6 The dynamic, or driving force, of jazz was repudiated by the National Socialists as un-German. 7 As promoted by the National Socialists. 8 i.e. the feuilletons. 9 Not included with the letter as we have it, so that "the disguised version" referred to just below cannot be identified. |
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Commentary
Digital version created: 2018-02-16 |