Lieber Herr van Hoboken!

Erkrankung 1 u. unerwartete Schwierigkeiten 2 – ein bischen zu viel Störung für einen Mann, der im Begriffe ist, ein großes Gut 3 zu schenken. Nun, von der Erkrankung scheinen Sie sich ganz erholt zu haben, hier hilft ja die Natur weise u. großzügig nach; dagegen kommen die anderen Schwierigkeiten von den Menschen, die weniger weise u. großzügig sind als die Natur. Und gar, wenn es sich um ein Hohes handelt, das ihnen nicht einleuchtet! Sehen Sie, vor kurzem war ich bei Dr Haas u. ließ mir dort ein Abschrift zeigen, die Beethoven's Schüler {2} der Erzherzog (u. Erzbischof) Rudolph von der Sonate op. 90 unmittelbar nach der Handschrift für sich selbst verfertigte 4 – Sie müssen sich das Stück zeigen lassen, wie sauber, gewissenhaft, hingebend, hoch in Liebe u. Ausführung! –, nur eine Abschrift ist es u. doch wies sie mir Wege, die die Orig. Ausg. nicht ahnen lässt. Sollten wir auch nie zur Handschrift gelangen, getraute ich mich, nach dieser Abschrift allein ein Korrektur der meiner Ausgabe zu machen, [cued from lower margin:] auch Ihrem Archiv sei die Aufnahme derAbschrift empfohlen als Ersatz der Handschrift![end cue] wieder also ein Erlebnis, das praktisch die Dringlichkeit Ihrer Aufgabe zeigt. Daher ist mir auch kein Zweifel, daß wir Beide uns auch zu Wort zu melden haben werden, um die wichtigsten Korrekturen anzuzeigen u. zu begründen – dann wird das Werk den {3} Meister loben. 5

Bis Sie nur Ihre Schwierigkeiten überwunden haben werden, werden Sie gewiß auch eine Form für solche Mitteilungen finden (Dr Haas, Deutsch halten Anregungen u. Pläne für Sie bereit), ich tue freudigst mit, u. vor Allem Sie müssen die Feder gebrauchen, Sie sind 20 Jahre jünger als ich u. Sie sollen diese Kunst erben. Ihr Ohr ist treffend, Sie schreiben sachlich, Űbung u. ich werden nachhelfen. Wir dürfen uns um die Mitwelt nicht kümmern, müssen vielmehr große Toilette für die Nachwelt machen. Schließlich ist der Ruhm bei der Nachwelt, den Skeptiker verhöhnen, nicht schlechter als der bei der Mitwelt, genau genommen eher besser, viel, viel mehr.

Von Dahms 6 u. Vrieslander 7 sind inzwischen {4} zwei gewichtige Aufsätze eingelaufen, beide in Berlin erschienen (am besten, ich zeige sie Ihnen in Wien, nicht?)

Wissen Sie schon, daß Sie inzwischen auch zum glücklichen Besitzer der Gebethner GesammtAusgabe 8 von Chopin geworden sind? H. Deutsch fand sie in Graz.

Kommen Sie zum 23. nach Wien oder feieren Sie Ihren Geburtstag diesmal in Paris? Hier oder dort, Ich gedenke Ihrer mit aufrichtiger Freude!

Wir grüßen Sie Beide auf das herzlichste


Ihr
[signed:] HSchenker
16. 3. 28

Furtwängler scheint in Wien Oper u. Konzert zu übernehmen, vielleicht ganz hier zu - bleiben.

© Transcription John Rothgeb & Heribert Esser, 2009, 2010



Dear Mr. van Hoboken,

Illness 1 and unexpected difficulties 2 – a bit too much aggravation for a man who is about to make a grand contribution. 3 Well, you seem to have recovered completely from the illness – nature takes care of this with wisdom and generosity – ; but the other difficulties come from men, who are less wise and generous than nature. And above all when it is a matter of something lofty that doesn't quite make sense to them! Listen, just recently I visited Dr. Haas and had them show me a copy that Beethoven's pupil {2} the Archduke (and Archbishop) Rudolph made for himself directly from the manuscript of the Sonata Op. 90 4 – you must have them show you the item, how neat it is, scrupulous, dedicated, excellent in devotion and execution! –; it is only a copy and yet it showed me things that could not be guessed from the original edition. Even if we never get hold of the manuscript, I would confidently rely on this copy alone to make a revision of the my edition [cued from lower margin:] Inclusion of a photostat of the copy in your Archive too, as a substitute for the manuscript, would be most advisable![end cue] – yet another experience, then, that shows in practical terms the urgency of your task. Thus I also have no doubt that we both must also speak out to indicate and demonstrate the most important corrections – then the work will be a credit to the {3} master. 5

Once you have survived your difficulties, you too certainly will find a form for such communications (Dr. Haas, [Mr.] Deutsch have suggestions and plans ready for you); I will help with greatest pleasure, and above all you must take up the pen; you are twenty years younger than I and you have to become heir to this art. Your ear is excellent, your writing is to the point; practice will help you, as will I. We must not worry about contemporaries, we must rather spruce ourselves up in grand style for posterity. In the end, renown in posterity, which is derided by skeptics, is not worse than renown among contemporaries – in fact, it is instead better – much, much better.

In the interim {4} two important essays have arrived, by Dahms 6 and Vrieslander, 7 both published in Berlin (it's best if I show them to you in Vienna, don't you think?).

Did you know that also in the interim you have become the fortunate owner of the Gebethner collected edition of Chopin? 8 Mr. Deutsch found it in Graz.

Will you come to Vienna on the 23d or celebrate your birthday in Paris this time? Here or there, I will be thinking of you with true happiness!

Our warmest greetings to both,


Yours,
[signed:] H. Schenker
March 16, 1928

Furtwängler apparently will take over opera and concert in Vienna, and may remain here altogether.

© Translation John Rothgeb, 2009, 2010



Lieber Herr van Hoboken!

Erkrankung 1 u. unerwartete Schwierigkeiten 2 – ein bischen zu viel Störung für einen Mann, der im Begriffe ist, ein großes Gut 3 zu schenken. Nun, von der Erkrankung scheinen Sie sich ganz erholt zu haben, hier hilft ja die Natur weise u. großzügig nach; dagegen kommen die anderen Schwierigkeiten von den Menschen, die weniger weise u. großzügig sind als die Natur. Und gar, wenn es sich um ein Hohes handelt, das ihnen nicht einleuchtet! Sehen Sie, vor kurzem war ich bei Dr Haas u. ließ mir dort ein Abschrift zeigen, die Beethoven's Schüler {2} der Erzherzog (u. Erzbischof) Rudolph von der Sonate op. 90 unmittelbar nach der Handschrift für sich selbst verfertigte 4 – Sie müssen sich das Stück zeigen lassen, wie sauber, gewissenhaft, hingebend, hoch in Liebe u. Ausführung! –, nur eine Abschrift ist es u. doch wies sie mir Wege, die die Orig. Ausg. nicht ahnen lässt. Sollten wir auch nie zur Handschrift gelangen, getraute ich mich, nach dieser Abschrift allein ein Korrektur der meiner Ausgabe zu machen, [cued from lower margin:] auch Ihrem Archiv sei die Aufnahme derAbschrift empfohlen als Ersatz der Handschrift![end cue] wieder also ein Erlebnis, das praktisch die Dringlichkeit Ihrer Aufgabe zeigt. Daher ist mir auch kein Zweifel, daß wir Beide uns auch zu Wort zu melden haben werden, um die wichtigsten Korrekturen anzuzeigen u. zu begründen – dann wird das Werk den {3} Meister loben. 5

Bis Sie nur Ihre Schwierigkeiten überwunden haben werden, werden Sie gewiß auch eine Form für solche Mitteilungen finden (Dr Haas, Deutsch halten Anregungen u. Pläne für Sie bereit), ich tue freudigst mit, u. vor Allem Sie müssen die Feder gebrauchen, Sie sind 20 Jahre jünger als ich u. Sie sollen diese Kunst erben. Ihr Ohr ist treffend, Sie schreiben sachlich, Űbung u. ich werden nachhelfen. Wir dürfen uns um die Mitwelt nicht kümmern, müssen vielmehr große Toilette für die Nachwelt machen. Schließlich ist der Ruhm bei der Nachwelt, den Skeptiker verhöhnen, nicht schlechter als der bei der Mitwelt, genau genommen eher besser, viel, viel mehr.

Von Dahms 6 u. Vrieslander 7 sind inzwischen {4} zwei gewichtige Aufsätze eingelaufen, beide in Berlin erschienen (am besten, ich zeige sie Ihnen in Wien, nicht?)

Wissen Sie schon, daß Sie inzwischen auch zum glücklichen Besitzer der Gebethner GesammtAusgabe 8 von Chopin geworden sind? H. Deutsch fand sie in Graz.

Kommen Sie zum 23. nach Wien oder feieren Sie Ihren Geburtstag diesmal in Paris? Hier oder dort, Ich gedenke Ihrer mit aufrichtiger Freude!

Wir grüßen Sie Beide auf das herzlichste


Ihr
[signed:] HSchenker
16. 3. 28

Furtwängler scheint in Wien Oper u. Konzert zu übernehmen, vielleicht ganz hier zu - bleiben.

© Transcription John Rothgeb & Heribert Esser, 2009, 2010



Dear Mr. van Hoboken,

Illness 1 and unexpected difficulties 2 – a bit too much aggravation for a man who is about to make a grand contribution. 3 Well, you seem to have recovered completely from the illness – nature takes care of this with wisdom and generosity – ; but the other difficulties come from men, who are less wise and generous than nature. And above all when it is a matter of something lofty that doesn't quite make sense to them! Listen, just recently I visited Dr. Haas and had them show me a copy that Beethoven's pupil {2} the Archduke (and Archbishop) Rudolph made for himself directly from the manuscript of the Sonata Op. 90 4 – you must have them show you the item, how neat it is, scrupulous, dedicated, excellent in devotion and execution! –; it is only a copy and yet it showed me things that could not be guessed from the original edition. Even if we never get hold of the manuscript, I would confidently rely on this copy alone to make a revision of the my edition [cued from lower margin:] Inclusion of a photostat of the copy in your Archive too, as a substitute for the manuscript, would be most advisable![end cue] – yet another experience, then, that shows in practical terms the urgency of your task. Thus I also have no doubt that we both must also speak out to indicate and demonstrate the most important corrections – then the work will be a credit to the {3} master. 5

Once you have survived your difficulties, you too certainly will find a form for such communications (Dr. Haas, [Mr.] Deutsch have suggestions and plans ready for you); I will help with greatest pleasure, and above all you must take up the pen; you are twenty years younger than I and you have to become heir to this art. Your ear is excellent, your writing is to the point; practice will help you, as will I. We must not worry about contemporaries, we must rather spruce ourselves up in grand style for posterity. In the end, renown in posterity, which is derided by skeptics, is not worse than renown among contemporaries – in fact, it is instead better – much, much better.

In the interim {4} two important essays have arrived, by Dahms 6 and Vrieslander, 7 both published in Berlin (it's best if I show them to you in Vienna, don't you think?).

Did you know that also in the interim you have become the fortunate owner of the Gebethner collected edition of Chopin? 8 Mr. Deutsch found it in Graz.

Will you come to Vienna on the 23d or celebrate your birthday in Paris this time? Here or there, I will be thinking of you with true happiness!

Our warmest greetings to both,


Yours,
[signed:] H. Schenker
March 16, 1928

Furtwängler apparently will take over opera and concert in Vienna, and may remain here altogether.

© Translation John Rothgeb, 2009, 2010

Footnotes

1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 4/1, p. 3183, March 16, 1928: "An Hoboken (Br.): "über die Aufsätze von Dahms u. Vrieslander; über die Abschrift des Erzherzog Rudolf der Sonate op. 90; über die Möglichkeit, durch das 1. Heft der Mitteilungen sich einen Weg zu Haunack[?] zu bahnen, falls Paris endgiltig versagen sollte (?)." [a question-mark above "versagen" and "sollte"] ("About the articles by Dahms and Vrieslander; about the Erzherzog Rudolf's copy of the [Beethoven] Sonata Op. 90; about the possibility the issue 1 of the Mitteilungen to gain access to Haunack[?] in the event that Paris might ultimately refuse.")

2 See OJ 11/54, [22], March 11, 1928.

3 i. e. the Photogrammarchiv.

4 The first page of this copy is reproduced in Ludwig van Beethoven, Klaviersonate e-Moll op. 90, Faksimile des Autographs, edited with commentary by Michael Ladenburger (Bonn: Beethoven-Haus, 1993), p. 36.

5 The last six words are a slight modification of a line from the first stanza of Schiller's Lied von der Glocke (1799). Schenker makes no paragraph-break at this point.

6 Presumably Walter Dahms, "Das Meisterwerk in der Musik," Allgemeine Musikzeitung, February 3, 1928, a copy of which is preserved in Schenker's scrapbook at OJ 2/p. 75.

7 Presumably Otto Vrieslander, "Heinrich Schenker," Deutsche Tonkünstler-Zeitung, March 5, 1928, a copy of which is preserved in Schenker's scrapbook at OJ 2/p. 76.

8 Chopin collected edition published by Gebethner & Wolff (1/18??, 2/1882).