an Herrn Moriz Violin, San Francisco

Erst nach dem Tode anerkannt werden - - - - - ! 1

Ich habe in diesen Tagen viel persönliche Anerkennung gefunden, worüber ich mich sehr gefreut haben, weil sie mir die Achtung meiner Freunde und anderer Wohlgesinnter bezeugt.

Andrerseits aber habe ich mich seit vielen Jahren damit abgefunden, dass ich auf volles und liebevolles Verständnis für mein Werk, für das also, was ich musikalisch zu sagen habe, bei meinen Lebzeiten nicht rechnen darf. Wohl weiss ich, dass mancher meiner Freunde sich in meine Ausdrucksweise bereits eingelebt hat und mit meinen Gedanken vertraut worden ist. Solche mögen es dann sein, die erfüllen, was ich vor genau siebenunddreissig Jahren in einem Aphorismus voraussagte:

„Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts wird durch Ueberschätzung schlecht machen, was die erste Hälfte durch Unterschätzung gut gelassen hat an mir.“

Ich bin etwas beschämt über all diese Lobpreisungen. Aber ich sehe dennoch auch etwas Ermutigendes darin. Nämlich: Tat es denn so selbstverständlich, dass man trotz dem Widerstand der ganzen Welt nicht aufgibt, sondern fortfährt aufzuschreiben, was man produziert? 2

Ich weiss nicht, wie Große darübergedacht haben. Mozart und Schubert waren jung genug, dieser Frage nicht näher treten zu müssen. Aber Beethoven, wenn Grillparzer, die Neunte konfus nannte, oder Wagner, wenn der Bayreuther Plan zu versagen drohte, oder Mahler, wenn alle ihn trivial fanden ‒ wie konnten diese weiterschreiben?

Ich weiss nur eine Antwort: Sie hatten Dinge zu sagen, die gesagt werden mussten. Ich wurde einmal beim Militär gefragt, ob ich wirklich dieser Komponist A.S. bin. „Einer hat es sein müssen,“ sagte ich, „keiner hat es sein wollen, so habe ich mich dazu hergegeben.“

Vielleicht musste auch ich Dinge sagen, unpopuläre erscheinend, die gesagt worden mussten.

———

Und nun bitte ich Sie alle, die Sie mir mit Ihren Glückwünschen und Ehrungen wirkliche Freude bereitet haben, dies anzunehmen als einen Versuch, meine Dankbarkeit auszudrücken ‒


Vielen, herzlichsten Dank!
[signed:] Arnold Schoenberg

Los Angeles, California, 16. September 1949

Lieber Freund!

wie schade, dass Sie nicht kommen konnten. Wir haben nicht gefeiert. 3 Wir haben allen Leuten sagen lassen, dass wir fort fahren {2} werden, sind aber dann doch allein zuhause geblieben und nur wenig gestört worden. Wenn Sie gekommen wären hätten wir wirklich plaudern können.

Sie erinnern mich, dass auch Sie aufgehört haben, ein Jüngling zu sein. Wie geht es Ihnen. Ich hoffe, Sie sind gesünder als ich.

Ich habe mich sehr über Ihren Bericht über Ihr Lecture-Konzert gefreut. 4 Ich bin immer sicher gewesen, dass Sie dafür ein Publikum finden. Es scheint eine Zeit für Philip Emanuel Bach heranzukommen! Ich persönlich kann mich allerdings nicht für ihn entscheiden. Ich nehme es ihm dauernd übel, dass er seinen Vater veraltet genannt. 5

So Unrecht darf man nicht haben. Das erzeugt eine Stellung an der Geschichte. 6

Gerne würde ich seine Musik durch Sie näher kennen lernen.

Hoffentlich können Sie doch einmal kommen.

Ich muss soviele Dankbriefe schreiben!

Also hoffentlich! auf baldiges Wiedersehen.


Herzlichst Ihr
[signed:] Arnold Schoenberg

X/14. 1949

© Transcription Ian Bent & Arnold Whittall, 2020


To: Mr. Moriz Violin, San Francisco

To be recognized only after one's death - - - - - ! 1

In recent days I have received much personal recognition, which has given me great joy because it bears witness to the esteem of my friends and other well-disposed people.

On the other hand, I have, however, for many years now resigned myself to the fact that I may not count in my lifetime on full and loving understanding for my work, hence for what I have said through music. I well know that many a friend of mine has already become accustomed to my mode of expression, and has become familiar with my ideas. It is they, then, who may fulfil what I prophesied in an aphorism precisely thirty-seven years ago:

"The second half of this century will through overvaluation spoil what the first half through undervaluation has left intact of me."

I feel somewhat shamefaced at all these eulogies. Nevertheless, I see in them also something heartening, to whit: Is it then so self-explanatory that one does not give up, despite the opposition of the whole world, but rather continues to compose what one produces? 2

I do not know what great men have thought about this. Mozart and Schubert were young enough not to have to address this question. But Beethoven, when Grillparzer deemed the Ninth Symphony "confused," or Wagner, when his Bayreuth plan was under threat of rejection, or Mahler, when everybody found him trivial – how could these men go on composing?

I know only one answer: They had things to say that had to be said. I was once asked by the military whether I was really this composer A.S.: "Somebody had to be him," said I, "nobody else wanted to be, so I took it upon myself."

Perhaps I, too, had things to say, seemingly unpopular things, that had to be said.

———

And now I ask all of you, you who with your congratulations and tributes have afforded me genuine joy, to accept this as an attempt to express my gratitude.


Most cordial thanks!
[signed:] Arnold Schoenberg

Los Angeles, California, September 16, 1949

Dear Friend,

What a shame you couldn't come visit. We did not celebrate. 3 We let everybody know that we were going away, {2} but then stayed all alone at home and were disturbed only a little. If you had come, we really could have had a good chat.

You remind me that even you have ceased being a youth. How are things with you? I hope you are in better health than I am.

I was delighted at your report of your lecture-concert. 4 I continue to be sure that you will find a public for it: It seems the time has come for C. P. E. Bach! Personally, however, I am in no position to take his side: I can never forgive him for calling his father outmoded. 5

No one should suffer such an injustice. It sets up a historical bias. 6

I would very much like to get to know his music through you.

I hope you will be able to come visit one of these days.

I have so many thankyou letters to write!

Alright then. Let us hope to get together soon.


Most cordially, your
[signed:] Arnold Schoenberg

October 14, 1949

© Translation Ian Bent, 2020


an Herrn Moriz Violin, San Francisco

Erst nach dem Tode anerkannt werden - - - - - ! 1

Ich habe in diesen Tagen viel persönliche Anerkennung gefunden, worüber ich mich sehr gefreut haben, weil sie mir die Achtung meiner Freunde und anderer Wohlgesinnter bezeugt.

Andrerseits aber habe ich mich seit vielen Jahren damit abgefunden, dass ich auf volles und liebevolles Verständnis für mein Werk, für das also, was ich musikalisch zu sagen habe, bei meinen Lebzeiten nicht rechnen darf. Wohl weiss ich, dass mancher meiner Freunde sich in meine Ausdrucksweise bereits eingelebt hat und mit meinen Gedanken vertraut worden ist. Solche mögen es dann sein, die erfüllen, was ich vor genau siebenunddreissig Jahren in einem Aphorismus voraussagte:

„Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts wird durch Ueberschätzung schlecht machen, was die erste Hälfte durch Unterschätzung gut gelassen hat an mir.“

Ich bin etwas beschämt über all diese Lobpreisungen. Aber ich sehe dennoch auch etwas Ermutigendes darin. Nämlich: Tat es denn so selbstverständlich, dass man trotz dem Widerstand der ganzen Welt nicht aufgibt, sondern fortfährt aufzuschreiben, was man produziert? 2

Ich weiss nicht, wie Große darübergedacht haben. Mozart und Schubert waren jung genug, dieser Frage nicht näher treten zu müssen. Aber Beethoven, wenn Grillparzer, die Neunte konfus nannte, oder Wagner, wenn der Bayreuther Plan zu versagen drohte, oder Mahler, wenn alle ihn trivial fanden ‒ wie konnten diese weiterschreiben?

Ich weiss nur eine Antwort: Sie hatten Dinge zu sagen, die gesagt werden mussten. Ich wurde einmal beim Militär gefragt, ob ich wirklich dieser Komponist A.S. bin. „Einer hat es sein müssen,“ sagte ich, „keiner hat es sein wollen, so habe ich mich dazu hergegeben.“

Vielleicht musste auch ich Dinge sagen, unpopuläre erscheinend, die gesagt worden mussten.

———

Und nun bitte ich Sie alle, die Sie mir mit Ihren Glückwünschen und Ehrungen wirkliche Freude bereitet haben, dies anzunehmen als einen Versuch, meine Dankbarkeit auszudrücken ‒


Vielen, herzlichsten Dank!
[signed:] Arnold Schoenberg

Los Angeles, California, 16. September 1949

Lieber Freund!

wie schade, dass Sie nicht kommen konnten. Wir haben nicht gefeiert. 3 Wir haben allen Leuten sagen lassen, dass wir fort fahren {2} werden, sind aber dann doch allein zuhause geblieben und nur wenig gestört worden. Wenn Sie gekommen wären hätten wir wirklich plaudern können.

Sie erinnern mich, dass auch Sie aufgehört haben, ein Jüngling zu sein. Wie geht es Ihnen. Ich hoffe, Sie sind gesünder als ich.

Ich habe mich sehr über Ihren Bericht über Ihr Lecture-Konzert gefreut. 4 Ich bin immer sicher gewesen, dass Sie dafür ein Publikum finden. Es scheint eine Zeit für Philip Emanuel Bach heranzukommen! Ich persönlich kann mich allerdings nicht für ihn entscheiden. Ich nehme es ihm dauernd übel, dass er seinen Vater veraltet genannt. 5

So Unrecht darf man nicht haben. Das erzeugt eine Stellung an der Geschichte. 6

Gerne würde ich seine Musik durch Sie näher kennen lernen.

Hoffentlich können Sie doch einmal kommen.

Ich muss soviele Dankbriefe schreiben!

Also hoffentlich! auf baldiges Wiedersehen.


Herzlichst Ihr
[signed:] Arnold Schoenberg

X/14. 1949

© Transcription Ian Bent & Arnold Whittall, 2020


To: Mr. Moriz Violin, San Francisco

To be recognized only after one's death - - - - - ! 1

In recent days I have received much personal recognition, which has given me great joy because it bears witness to the esteem of my friends and other well-disposed people.

On the other hand, I have, however, for many years now resigned myself to the fact that I may not count in my lifetime on full and loving understanding for my work, hence for what I have said through music. I well know that many a friend of mine has already become accustomed to my mode of expression, and has become familiar with my ideas. It is they, then, who may fulfil what I prophesied in an aphorism precisely thirty-seven years ago:

"The second half of this century will through overvaluation spoil what the first half through undervaluation has left intact of me."

I feel somewhat shamefaced at all these eulogies. Nevertheless, I see in them also something heartening, to whit: Is it then so self-explanatory that one does not give up, despite the opposition of the whole world, but rather continues to compose what one produces? 2

I do not know what great men have thought about this. Mozart and Schubert were young enough not to have to address this question. But Beethoven, when Grillparzer deemed the Ninth Symphony "confused," or Wagner, when his Bayreuth plan was under threat of rejection, or Mahler, when everybody found him trivial – how could these men go on composing?

I know only one answer: They had things to say that had to be said. I was once asked by the military whether I was really this composer A.S.: "Somebody had to be him," said I, "nobody else wanted to be, so I took it upon myself."

Perhaps I, too, had things to say, seemingly unpopular things, that had to be said.

———

And now I ask all of you, you who with your congratulations and tributes have afforded me genuine joy, to accept this as an attempt to express my gratitude.


Most cordial thanks!
[signed:] Arnold Schoenberg

Los Angeles, California, September 16, 1949

Dear Friend,

What a shame you couldn't come visit. We did not celebrate. 3 We let everybody know that we were going away, {2} but then stayed all alone at home and were disturbed only a little. If you had come, we really could have had a good chat.

You remind me that even you have ceased being a youth. How are things with you? I hope you are in better health than I am.

I was delighted at your report of your lecture-concert. 4 I continue to be sure that you will find a public for it: It seems the time has come for C. P. E. Bach! Personally, however, I am in no position to take his side: I can never forgive him for calling his father outmoded. 5

No one should suffer such an injustice. It sets up a historical bias. 6

I would very much like to get to know his music through you.

I hope you will be able to come visit one of these days.

I have so many thankyou letters to write!

Alright then. Let us hope to get together soon.


Most cordially, your
[signed:] Arnold Schoenberg

October 14, 1949

© Translation Ian Bent, 2020

Footnotes

1 The document from which this edition was made is a photocopy held by the Oswald Jonas Memorial Collection; the whereabouts of the original is not known. There exists also (LC ALS) a typed version of the letter in English translation (see footnote 2, below). Schoenberg's open letter is known to have gone also to Helene Berg, Edward Clark, E. S. Coolidge, Luigi Dallapiccola, Rudolf Goehr, Alma Mahler, Hans Nachod, Dika Newlin, Josef Rufer, Nicolas Slonimsky, Leonard Stein, Eduard Steuermann, Gerald Strang, and Adolf Weiss, and many others.

2 ", sondern ... produziert" (", but rather ... produces"): this clause is not present in the typewritten version of the letter in translation (see footnote 1, above).

3 Schoenberg's birthday fell on September 13, thus he would have been 75 on that date in 1949. Hence the words " Lobpreisungen ... Glückwünschen und Ehrungen" ("eulogies ... congratulations and tributes") in the open letter.

4 The third paragraph of this letter is clearly a response to LC ASC 27/45, [34], undated, in which Violin reports on his successful performance at the Carmel Bach Festival.

5 There are crosses in blue crayon in the left margin (presumably by Violin) against "Lecture-Konzert" ("lecture concert") and "Ich persönlich ... entscheiden" ("personally ... outmoded").

6 There is a cross in blue crayon in the left margin (presumably by Violin) beside this paragraph.