Hamburg, 6. Februar 23.


Mein liebster u. bester H.! 1

Deine Gabe 2 kam vom Himmel in unserer schwersten Zeit. Denke daß wir uns (ich meine uns alle Unbegüterten in Hamburg, in Deutschland) auf die kommenden Zeiten des Abwehrkampfes, finanziell vorbereiten müssen. Mir ist es gut gelungen. Verstehst Du solch prosaischen Zustand, in dem man es nicht wagt die Würde vorzuschieben, die dazu gehört, Deine Gabe zu quittieren? Jetzt habe ich wenigstens recht u. schlecht den „Tonwille No 3“ durchgemacht. Ich schäme mich nur, meine Begeisterung auf's Papi[e]r zu bringen. Die Hauptsache: Es steht alles felsenlfest da; ärgern werden sie sich immer weil Du sagst: nur so u. nicht anders ist es! Wer nicht hören u. sehen lernt, dem wird nicht zu helfen sein! Deine Absicht mit dem folgenden Heft is so richtig u. meine schwachen Kräfte werden sich bemühen, sie vollstrecken zu helfen. Wenn Du mir gelegentlich, in bequemer, freier Minute einige Personalkenntnis verraten würdest, wäre ich sehr dankbar. Ich meine damit, Du mögest mir schreiben, was Du vom persönlichen künstlerischen Mut, von der Verläßlichkeit, dem Mitgehen mit einer Sache, bei einem Halm, Vrieslander, Dahms etc. etc. (hast Du mir nicht auch jemanden in Kiel 3 genannt) hältst?!?! Ich wäre Dir sehr dankbar!

Oben deutele ich Dir unseren Abwehrkampf an. Es ist nichts anderes als Vorsorge mit Lebensmitteln, Kleidern u. Heizmaterialen. Dazu waren 100.000de nötig. Ich habe enorm viel Stunden. (27–30 Privatstunden in der Woche) spielte u. spiele gegen Honorar in Hamburg u. Umgebung. Habe Papiere gekauft. Kurz: Ich bin heute aus dem äußern Dreck. Dafür desto intensiver stecke ich im inneren Dreck! Täglich fünf Stunden, üben für's öffentlich Spielen, eigenste Börsensorgen (ich mache alles allein) stets Sorge mit Bubi – – – alles in allem das unkünstlerischeste Vegitieren [sic]. Wo bleibe ich?

Aber auch das werde ich finden müssen, denn sonst lebe ich wirklich {2} nur aus Pflichtgefühl! Ich habe nicht weniger als 3 Ideen angeschnitten. Ich schreibe sie Dir nicht. Sie werden ja wieder an den tanderen zerschellen. Gelingt eine, kann ich's Dir noch immer sagen. Dieser Tage wurde an der Hamburger Universität Musik-Lehrauftrag erteilt. Seinerzeit dachte ich an Hans Weisse! Müller-Hartmann hat ihn bekommen. Wenigstens der Einzige, der sich immerhin in Hamburg Musiker nennen darf.

Hier steht alles Kopf. Zwischen Kriegsbegehren u. Ohnmachtsgefühl schwankt die ganze deutsche Welt. Wenn man darin auch eine höhere Gerechtigkeit erblicken will – – – schrecklich ist es zu erleben! Jetzt finden die Zeitungen das Wort vom Franzosenpeltz, Gesindel, Einbrecher, Schänder u.s.w. Ob Deutschland zu Grunde geht oder nicht – – – – seinen Leidensweg 4 muss es abdienen. In seiner Verkommenheit ist es mir noch lieber als alles andere. Ich lebe gerne hier, weil ich den Segen dieser Strafe verspüre.


Bleibt recht gesund,
von Uns innigst begrüßt!
Dein
[signed:] getreuer Fl.

Schönbergs „epochale“ Harmonielehre, als Reklame im Tonwillen geht über die Hutschnur. 5 Umgekehrt macht es Herr Hertzka nicht?

© Transcription William Drabkin, 2011


Hamburg, February 6, 1923


My dearest and best H.! 1

Your gift 2 came from heaven in our darkest hour. I think we (by which I mean all of us in Hamburg, in Germany, who are not affluent) have to prepare ourselves financially for the defensive fight that is to come. I have succeeded. Can you understand so prosaic a state of affairs as this, in which one does not dare to flaunt the dignity that comes with accepting your gift. I have at least somehow or another managed to get through Tonwille 3. Only I am ashamed to put my enthusiasm down on paper. The chief thing is: it is all out there, rock-like; they will all be annoyed because it is you who are saying it: that is how it is and always will be! Anyone who does not know how to hear and see cannot be helped! Your intentions for the next issue are so right, and my feeble powers will exert themselves to assist you. I should be very grateful if you could sometime find a quiet moment in which to divulge some personal information to me. What I mean by that is that you might write and tell me what you think of, say, Halm, Vrieslander, Dahms, etc, etc (did you not mention to me someone in Kiel? 3 ) in terms of personal artistic courage, of dependability, of readiness to stick with a cause?!?! I should be really grateful!

In the above, I hint at our defensive fight. It is nothing other than preoccupation with providing food, clothing, and fuel. I have had to pay several hundred thousand for that. I have to give a huge number of lessons (27–30 private lessons a week), have been playing (still am) on a fee basis in Hamburg and the surrounding area. I have bought financial securities. In short: today I have freed myself from the outer mire. Instead, I am stuck all the deeper in the inner mire! Five lessons a day, practice for public performances, the most particular worries over stocks and shares (I have to do it all on my own), constant worry with my darling son — all in all, the most inartistic vegetative existence. What will become of me?

But then, I must find that out, since otherwise my life will be driven {2} only by a sense of obligation! I have embarked on no fewer than three ideas. I will not write to you about them. They will be destroyed by my other [work]. I can always tell you if one of them succeeds. The other day a music teaching post at the University of Hamburg was filled. At the time, I had thought of Hans Weisse! Müller-Hartmann was appointed. He is, at least, the only person in Hamburg who can call himself a musician.

Here everything is topsy-turvy. The entire German world vacillates between a yearning for war and a feeling of powerlessness. Even if one wants to see in it a higher justice – it is dreadful to experience! Now the newspapers are speaking about French swindlers, riff-raff, thieves, violaters, and suchlike. Whether or not Germany will go to wrack and ruin — it must endure its long ordeal 4 Even in its depravity, it is, in my view, preferable to all else. I am glad to be living here, because I feel the blessing of this punishment.


Do keep healthy,
warmest greetings from us all,
Your
[signed:] true Fl.

Schoenberg's "epoch-making" Theory of Harmony advertised in Der Tonwille : that is going too far! 5 On the other hand, how could Mr. Hertzka do otherwise!

© Translation William Drabkin, 2011


Hamburg, 6. Februar 23.


Mein liebster u. bester H.! 1

Deine Gabe 2 kam vom Himmel in unserer schwersten Zeit. Denke daß wir uns (ich meine uns alle Unbegüterten in Hamburg, in Deutschland) auf die kommenden Zeiten des Abwehrkampfes, finanziell vorbereiten müssen. Mir ist es gut gelungen. Verstehst Du solch prosaischen Zustand, in dem man es nicht wagt die Würde vorzuschieben, die dazu gehört, Deine Gabe zu quittieren? Jetzt habe ich wenigstens recht u. schlecht den „Tonwille No 3“ durchgemacht. Ich schäme mich nur, meine Begeisterung auf's Papi[e]r zu bringen. Die Hauptsache: Es steht alles felsenlfest da; ärgern werden sie sich immer weil Du sagst: nur so u. nicht anders ist es! Wer nicht hören u. sehen lernt, dem wird nicht zu helfen sein! Deine Absicht mit dem folgenden Heft is so richtig u. meine schwachen Kräfte werden sich bemühen, sie vollstrecken zu helfen. Wenn Du mir gelegentlich, in bequemer, freier Minute einige Personalkenntnis verraten würdest, wäre ich sehr dankbar. Ich meine damit, Du mögest mir schreiben, was Du vom persönlichen künstlerischen Mut, von der Verläßlichkeit, dem Mitgehen mit einer Sache, bei einem Halm, Vrieslander, Dahms etc. etc. (hast Du mir nicht auch jemanden in Kiel 3 genannt) hältst?!?! Ich wäre Dir sehr dankbar!

Oben deutele ich Dir unseren Abwehrkampf an. Es ist nichts anderes als Vorsorge mit Lebensmitteln, Kleidern u. Heizmaterialen. Dazu waren 100.000de nötig. Ich habe enorm viel Stunden. (27–30 Privatstunden in der Woche) spielte u. spiele gegen Honorar in Hamburg u. Umgebung. Habe Papiere gekauft. Kurz: Ich bin heute aus dem äußern Dreck. Dafür desto intensiver stecke ich im inneren Dreck! Täglich fünf Stunden, üben für's öffentlich Spielen, eigenste Börsensorgen (ich mache alles allein) stets Sorge mit Bubi – – – alles in allem das unkünstlerischeste Vegitieren [sic]. Wo bleibe ich?

Aber auch das werde ich finden müssen, denn sonst lebe ich wirklich {2} nur aus Pflichtgefühl! Ich habe nicht weniger als 3 Ideen angeschnitten. Ich schreibe sie Dir nicht. Sie werden ja wieder an den tanderen zerschellen. Gelingt eine, kann ich's Dir noch immer sagen. Dieser Tage wurde an der Hamburger Universität Musik-Lehrauftrag erteilt. Seinerzeit dachte ich an Hans Weisse! Müller-Hartmann hat ihn bekommen. Wenigstens der Einzige, der sich immerhin in Hamburg Musiker nennen darf.

Hier steht alles Kopf. Zwischen Kriegsbegehren u. Ohnmachtsgefühl schwankt die ganze deutsche Welt. Wenn man darin auch eine höhere Gerechtigkeit erblicken will – – – schrecklich ist es zu erleben! Jetzt finden die Zeitungen das Wort vom Franzosenpeltz, Gesindel, Einbrecher, Schänder u.s.w. Ob Deutschland zu Grunde geht oder nicht – – – – seinen Leidensweg 4 muss es abdienen. In seiner Verkommenheit ist es mir noch lieber als alles andere. Ich lebe gerne hier, weil ich den Segen dieser Strafe verspüre.


Bleibt recht gesund,
von Uns innigst begrüßt!
Dein
[signed:] getreuer Fl.

Schönbergs „epochale“ Harmonielehre, als Reklame im Tonwillen geht über die Hutschnur. 5 Umgekehrt macht es Herr Hertzka nicht?

© Transcription William Drabkin, 2011


Hamburg, February 6, 1923


My dearest and best H.! 1

Your gift 2 came from heaven in our darkest hour. I think we (by which I mean all of us in Hamburg, in Germany, who are not affluent) have to prepare ourselves financially for the defensive fight that is to come. I have succeeded. Can you understand so prosaic a state of affairs as this, in which one does not dare to flaunt the dignity that comes with accepting your gift. I have at least somehow or another managed to get through Tonwille 3. Only I am ashamed to put my enthusiasm down on paper. The chief thing is: it is all out there, rock-like; they will all be annoyed because it is you who are saying it: that is how it is and always will be! Anyone who does not know how to hear and see cannot be helped! Your intentions for the next issue are so right, and my feeble powers will exert themselves to assist you. I should be very grateful if you could sometime find a quiet moment in which to divulge some personal information to me. What I mean by that is that you might write and tell me what you think of, say, Halm, Vrieslander, Dahms, etc, etc (did you not mention to me someone in Kiel? 3 ) in terms of personal artistic courage, of dependability, of readiness to stick with a cause?!?! I should be really grateful!

In the above, I hint at our defensive fight. It is nothing other than preoccupation with providing food, clothing, and fuel. I have had to pay several hundred thousand for that. I have to give a huge number of lessons (27–30 private lessons a week), have been playing (still am) on a fee basis in Hamburg and the surrounding area. I have bought financial securities. In short: today I have freed myself from the outer mire. Instead, I am stuck all the deeper in the inner mire! Five lessons a day, practice for public performances, the most particular worries over stocks and shares (I have to do it all on my own), constant worry with my darling son — all in all, the most inartistic vegetative existence. What will become of me?

But then, I must find that out, since otherwise my life will be driven {2} only by a sense of obligation! I have embarked on no fewer than three ideas. I will not write to you about them. They will be destroyed by my other [work]. I can always tell you if one of them succeeds. The other day a music teaching post at the University of Hamburg was filled. At the time, I had thought of Hans Weisse! Müller-Hartmann was appointed. He is, at least, the only person in Hamburg who can call himself a musician.

Here everything is topsy-turvy. The entire German world vacillates between a yearning for war and a feeling of powerlessness. Even if one wants to see in it a higher justice – it is dreadful to experience! Now the newspapers are speaking about French swindlers, riff-raff, thieves, violaters, and suchlike. Whether or not Germany will go to wrack and ruin — it must endure its long ordeal 4 Even in its depravity, it is, in my view, preferable to all else. I am glad to be living here, because I feel the blessing of this punishment.


Do keep healthy,
warmest greetings from us all,
Your
[signed:] true Fl.

Schoenberg's "epoch-making" Theory of Harmony advertised in Der Tonwille : that is going too far! 5 On the other hand, how could Mr. Hertzka do otherwise!

© Translation William Drabkin, 2011

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/4, p. 2494, February 8, 1923: "Von Fl. (Br.): habe viele Stunden, muß aber auch Geschäfte machen." ("From Floriz (letter): he has many lessons, but must do business.").

2 A copy of Tonwille 3; see OJ 8/4, [20].

3 Reinhard Oppel, who taught in Kiel from 1911 to 1924; he later obtained a post at the University of Leipzig.

4 "Leidensweg": i. e. the path taken by Christ to the Cross.

5 Tonwille 3 carries a full-page advertisement on the inside back page (opposite Schenker's Urlinie-Tafeln) for Schoenberg's Harmonielehre (1911), now newly revised, which speaks of the first edition as having "been epoch-making ten years ago." This must surely have irked Schenker.