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OJ 14/45, [13] - Handwritten letter from Moriz Violin to Schenker, dated February 2, 1922
Vor allem vielen Dank für die Sendung! 2 Gestern kam sie, und ich kehrte noch abends meine gesamten Noten. Hab u. Gut um u. fand – – nichts!! Ich erinnere mich nur, daß Du einmal das a moll Konzert bei mir reklamiert hast u. ich es Dir auch gab. 3 Jetzt, nachdem ich suchte, ist es mir ein Rätsel, wie es nur verloren gehen konnte? Ist also nur noch mit einem Wunder zu rechnen? Die Stimmen des Doppel-Konzerts, sind immerhin ein mißlicher Verlust, aber mit Geld ist er gut zu machen. Entsetzlich ist mir der Gedanke, daß die Kadenzen verloren sein sollten! Sie waren mir, als wahre Musterstücke so an’s Hez Herz gewachsen, daß es mir schwer gelingen würde welche neu zu setzen. Dazu erinnere ich mich noch zu genau an sie. Ich konnte Dir genau den Bau der ersten aus dem Gedächtnis aufzeichnen. Konntest Du sie dann rekonstruieren? Die Andante Kadenz war ein Juwel. Sie habe ich leider nicht mehr in guter Erinnerung. Hans Weisse hat mir durchaus nicht abgesagt. Er schrieb mir nur, daß er die Vorträge nicht gerne im scheinbaren Zusammenhang mit der Aufführung seiner Werke, aus Dir bekannten Gründen, nicht halten will. Ich antwortete ihm, daß ich seine Argumente diesbezüglich anerkennen will, daß ich ihm nur auch die Freude bereiten wollte, seine Sachen hören zu können u. daß wir deshalb die Vorträge verschieben wollen u. fragte nochmals an, wie viel er gezahlt bekommen muß. Sollte seine Bescheidenheit eine verkappte Feigheit sein, so wäre das nicht gerade erbaulich[.] Ich werde mir da völlige Klarheit verschaffen! Sehr peinlich war mir der dumme Zufall der Landesmannschen Plauscherei. Seine Kentnisse muß er schon aus vierter Hand haben. Denn 1.) habe ich Landesmanns überhaupt noch nicht geschrieben u. 2.) habe ich kein Wunderkind außer meinen zwei Eigenen. Offenbar hat Fanny ihnen erzählt, daß hiesige Mäcene einen 13 j. Knaben ausbilden lassen u. ich den Klavierunterricht besorge. Ich habe Dir bis nun nichts schreiben wollen, denn all meine Arbeit ist Existenzgründungsarbeit. {2} Zufällig hat diese in den letzten 14 Tagen beträchtige Fortschritte gemacht. Ich habe jetzt 7 Privatstunden wöchentlich. In nächster Zeit kommen noch 3–4 dazu. Ich bekomme 50 M.[,] von einer sogar 70 M. p. Stunde. Ich werde also ausser dem geringen Verdienst im Conservatorium noch 2000 M. monatlich verdienen. Das reicht nicht. Aber es wird im Laufe des Jahres alles beträchtlich wachsen. Vally verdiente durch Verkauf von gehäckelten Hüten schon ein par tausend Mark. Vielleicht wird sie auch ein Geschäft einrichten. Ich schreibe Dir heute das alles, weil ich viel mutiger bin u. die sichere Überzeugung habe, das wir mit vereinbarten Kräften bald, zwar bescheiden aber gesichert haben werden können. Viel Kampf kostete mich die Beschaffung eines Flügels. Heute bekam ich von Steinway die Zusage, daß sie mir ein Instrument in der neuen Wohnung zur Verfügung stellen. Denke nun noch an meine spielen, noch unausgeführten Pläne u. Du wirst verstehen, daß ich dich nicht gerne an meinen Krämpfen teilnehmen lassen wollte. Das Publikum in Hamburg ist, glaube ich, durchwegs konservativ, bis auf die Kritik, die aber noch in der „Modernen“ ganz ungeübt ist u. teilweise noch [?erscheißt], weil das Publikum in Hamburg bei Exzessen noch aus dem Saal geht, teilweise mutig tut, weil in Berlin die „Moderne“ das „Jeschäft“ 4 ist. Die Musiker hier sind ebenso unbedeutend u. schwebend wie die Kritik. Ein außerordentlicher Organist, Sittard, ist hier. Es ist schwer für Hamburg eine Prognose zu stellen. Es ist in jeder Hinsicht im guten u. schlechten Sinne konservativ u. fortschrittlich. Starker Rheedereinschlag. Positiv ist nur der unangekränkelte [contined in left margin written sideways:] Geschmack des Publikums Bis Brahms inklusive wird geliebt. Ansonsten schaut es hier aus wie in Wien vor 30 Jahren. Bis einiges meiner Absichten sich verwirklichen wird, will ich Dir Klügeres u Wertvolleres schreiben. [?Das] [?spielt] bei allen meinen Gedanken die größte u. bedeutendste Rolle. 5 © Transcription William Drabkin, 2011 |
First of all, many thanks for the communication! 2 It arrived yesterday, and in the evening I combed my entire collection of scores. I looked high and low and found – nothing!! I remember only that you once asked at my place for the return of the Concerto in A minor, and that I gave it back to you. Now, having looked, it is a mystery as to how it could have gone missing. 3 The parts to the Double Concerto are in any event an unfortunate loss, but with money they can be regained. For me, it is dreadful to think that your cadenzas could have gone missing. They had, so to speak, become attached to my heart, as true models of such pieces, that it would be difficult for me to succeed in composing new ones. In addition, I still remember them quite precisely. I could indicate to you the construction of the first cadenza from memory; could you then reconstruct it? The cadenza to the Andante was a gem: unfortunately, I cannot remember it well. Hans Weisse did not, most certainly, cancel [the lectures] that I arranged. He merely wrote to me to say that he would not like to give the lectures in apparent connection with the performance of his music, for reasons known to you. I replied to him, saying that I accepted his arguments, that I only wanted to give him the pleasure of being able hear his pieces and that was the reason we wanted to postpone the lectures; and I asked him again how much he would want to be paid [for giving the lectures]. If this modesty conceals a certain cowardice, this was not immediately discernible. I shall uncover the complete truth in the matter! The silly case of the Landesmanns' chit-chat was very painful to me. His information must have come fourth-hand. For, firstly, I have not written to the Landesmanns at all and, secondly, I do not have any child prodigies, other than my own two. Apparently Fanny told them that current patrons have arranged for the education of a thirteen-year-old boy, and that I am providing the piano tuition. Until now I did not want to write anything to you, since all my work is devoted to sustaining my existence. {2} By chance, this has made considerable progress in the last two weeks. I now have seven private lessons a week; in the near future there will be three or four more. I receive 50 Marks per lesson, from one pupil as much as 70 Marks per lesson. Apart from my marginal earnings at the Conservatory, I shall thus be earning 2,000 marks per month. That is not enough; but in the course of the year it will increase significantly. Vally is already earning a few thousand Marks from selling crocheted hats; perhaps she will even be able to start up a business. I am writing all this to you today because I am in much better spirits and I have the secure conviction that, by the uniting of our powers, we will be able to have a modest but secure existence. The acquisition of a piano cost me a lot of effort. Today I received confirmation from Steinway that they will furnish me with an instrument in the new apartment. Think, then, about my goals, my as yet unrealized plans, and you will understand that I was not happy to have you share in my fruitless efforts. The musical public in Hamburg is, I believe, thoroughly conservative, apart from the newspaper criticism, which is, however, still entirely inexperienced with respect to "modern" music. In part, it could not care less, because the Hamburg public will walk out of the concert hall when an excessively [modern] work is performed; in part it behaves audaciously, because in Berlin "modern music" is where the "action" 4 is. We have an outstanding organist here, by the name of Sittard. It is difficult to offer a prognosis for Hamburg: In every respect it is conservative and progressive in the good and bad senses of the terms. There is a strong Rheeder element. The only positive feature is the [contined in left margin written sideways:] public's uncorrupted taste. They love everything up to and including Brahms. Otherwise, things here look like they did in Vienna thirty years ago. As soon as one of my intentions is realized, I shall write you something cleverer and more valuable. That is what counts the most with respect to all my thoughts. 5
[valediction and signature in right margin:]
Heartfelt greetings from us to you, [signed:] Your Floriz © Translation William Drabkin, 2011 |
Vor allem vielen Dank für die Sendung! 2 Gestern kam sie, und ich kehrte noch abends meine gesamten Noten. Hab u. Gut um u. fand – – nichts!! Ich erinnere mich nur, daß Du einmal das a moll Konzert bei mir reklamiert hast u. ich es Dir auch gab. 3 Jetzt, nachdem ich suchte, ist es mir ein Rätsel, wie es nur verloren gehen konnte? Ist also nur noch mit einem Wunder zu rechnen? Die Stimmen des Doppel-Konzerts, sind immerhin ein mißlicher Verlust, aber mit Geld ist er gut zu machen. Entsetzlich ist mir der Gedanke, daß die Kadenzen verloren sein sollten! Sie waren mir, als wahre Musterstücke so an’s Hez Herz gewachsen, daß es mir schwer gelingen würde welche neu zu setzen. Dazu erinnere ich mich noch zu genau an sie. Ich konnte Dir genau den Bau der ersten aus dem Gedächtnis aufzeichnen. Konntest Du sie dann rekonstruieren? Die Andante Kadenz war ein Juwel. Sie habe ich leider nicht mehr in guter Erinnerung. Hans Weisse hat mir durchaus nicht abgesagt. Er schrieb mir nur, daß er die Vorträge nicht gerne im scheinbaren Zusammenhang mit der Aufführung seiner Werke, aus Dir bekannten Gründen, nicht halten will. Ich antwortete ihm, daß ich seine Argumente diesbezüglich anerkennen will, daß ich ihm nur auch die Freude bereiten wollte, seine Sachen hören zu können u. daß wir deshalb die Vorträge verschieben wollen u. fragte nochmals an, wie viel er gezahlt bekommen muß. Sollte seine Bescheidenheit eine verkappte Feigheit sein, so wäre das nicht gerade erbaulich[.] Ich werde mir da völlige Klarheit verschaffen! Sehr peinlich war mir der dumme Zufall der Landesmannschen Plauscherei. Seine Kentnisse muß er schon aus vierter Hand haben. Denn 1.) habe ich Landesmanns überhaupt noch nicht geschrieben u. 2.) habe ich kein Wunderkind außer meinen zwei Eigenen. Offenbar hat Fanny ihnen erzählt, daß hiesige Mäcene einen 13 j. Knaben ausbilden lassen u. ich den Klavierunterricht besorge. Ich habe Dir bis nun nichts schreiben wollen, denn all meine Arbeit ist Existenzgründungsarbeit. {2} Zufällig hat diese in den letzten 14 Tagen beträchtige Fortschritte gemacht. Ich habe jetzt 7 Privatstunden wöchentlich. In nächster Zeit kommen noch 3–4 dazu. Ich bekomme 50 M.[,] von einer sogar 70 M. p. Stunde. Ich werde also ausser dem geringen Verdienst im Conservatorium noch 2000 M. monatlich verdienen. Das reicht nicht. Aber es wird im Laufe des Jahres alles beträchtlich wachsen. Vally verdiente durch Verkauf von gehäckelten Hüten schon ein par tausend Mark. Vielleicht wird sie auch ein Geschäft einrichten. Ich schreibe Dir heute das alles, weil ich viel mutiger bin u. die sichere Überzeugung habe, das wir mit vereinbarten Kräften bald, zwar bescheiden aber gesichert haben werden können. Viel Kampf kostete mich die Beschaffung eines Flügels. Heute bekam ich von Steinway die Zusage, daß sie mir ein Instrument in der neuen Wohnung zur Verfügung stellen. Denke nun noch an meine spielen, noch unausgeführten Pläne u. Du wirst verstehen, daß ich dich nicht gerne an meinen Krämpfen teilnehmen lassen wollte. Das Publikum in Hamburg ist, glaube ich, durchwegs konservativ, bis auf die Kritik, die aber noch in der „Modernen“ ganz ungeübt ist u. teilweise noch [?erscheißt], weil das Publikum in Hamburg bei Exzessen noch aus dem Saal geht, teilweise mutig tut, weil in Berlin die „Moderne“ das „Jeschäft“ 4 ist. Die Musiker hier sind ebenso unbedeutend u. schwebend wie die Kritik. Ein außerordentlicher Organist, Sittard, ist hier. Es ist schwer für Hamburg eine Prognose zu stellen. Es ist in jeder Hinsicht im guten u. schlechten Sinne konservativ u. fortschrittlich. Starker Rheedereinschlag. Positiv ist nur der unangekränkelte [contined in left margin written sideways:] Geschmack des Publikums Bis Brahms inklusive wird geliebt. Ansonsten schaut es hier aus wie in Wien vor 30 Jahren. Bis einiges meiner Absichten sich verwirklichen wird, will ich Dir Klügeres u Wertvolleres schreiben. [?Das] [?spielt] bei allen meinen Gedanken die größte u. bedeutendste Rolle. 5 © Transcription William Drabkin, 2011 |
First of all, many thanks for the communication! 2 It arrived yesterday, and in the evening I combed my entire collection of scores. I looked high and low and found – nothing!! I remember only that you once asked at my place for the return of the Concerto in A minor, and that I gave it back to you. Now, having looked, it is a mystery as to how it could have gone missing. 3 The parts to the Double Concerto are in any event an unfortunate loss, but with money they can be regained. For me, it is dreadful to think that your cadenzas could have gone missing. They had, so to speak, become attached to my heart, as true models of such pieces, that it would be difficult for me to succeed in composing new ones. In addition, I still remember them quite precisely. I could indicate to you the construction of the first cadenza from memory; could you then reconstruct it? The cadenza to the Andante was a gem: unfortunately, I cannot remember it well. Hans Weisse did not, most certainly, cancel [the lectures] that I arranged. He merely wrote to me to say that he would not like to give the lectures in apparent connection with the performance of his music, for reasons known to you. I replied to him, saying that I accepted his arguments, that I only wanted to give him the pleasure of being able hear his pieces and that was the reason we wanted to postpone the lectures; and I asked him again how much he would want to be paid [for giving the lectures]. If this modesty conceals a certain cowardice, this was not immediately discernible. I shall uncover the complete truth in the matter! The silly case of the Landesmanns' chit-chat was very painful to me. His information must have come fourth-hand. For, firstly, I have not written to the Landesmanns at all and, secondly, I do not have any child prodigies, other than my own two. Apparently Fanny told them that current patrons have arranged for the education of a thirteen-year-old boy, and that I am providing the piano tuition. Until now I did not want to write anything to you, since all my work is devoted to sustaining my existence. {2} By chance, this has made considerable progress in the last two weeks. I now have seven private lessons a week; in the near future there will be three or four more. I receive 50 Marks per lesson, from one pupil as much as 70 Marks per lesson. Apart from my marginal earnings at the Conservatory, I shall thus be earning 2,000 marks per month. That is not enough; but in the course of the year it will increase significantly. Vally is already earning a few thousand Marks from selling crocheted hats; perhaps she will even be able to start up a business. I am writing all this to you today because I am in much better spirits and I have the secure conviction that, by the uniting of our powers, we will be able to have a modest but secure existence. The acquisition of a piano cost me a lot of effort. Today I received confirmation from Steinway that they will furnish me with an instrument in the new apartment. Think, then, about my goals, my as yet unrealized plans, and you will understand that I was not happy to have you share in my fruitless efforts. The musical public in Hamburg is, I believe, thoroughly conservative, apart from the newspaper criticism, which is, however, still entirely inexperienced with respect to "modern" music. In part, it could not care less, because the Hamburg public will walk out of the concert hall when an excessively [modern] work is performed; in part it behaves audaciously, because in Berlin "modern music" is where the "action" 4 is. We have an outstanding organist here, by the name of Sittard. It is difficult to offer a prognosis for Hamburg: In every respect it is conservative and progressive in the good and bad senses of the terms. There is a strong Rheeder element. The only positive feature is the [contined in left margin written sideways:] public's uncorrupted taste. They love everything up to and including Brahms. Otherwise, things here look like they did in Vienna thirty years ago. As soon as one of my intentions is realized, I shall write you something cleverer and more valuable. That is what counts the most with respect to all my thoughts. 5
[valediction and signature in right margin:]
Heartfelt greetings from us to you, [signed:] Your Floriz © Translation William Drabkin, 2011 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/3, p. 2415, February 11, 1922: "Von Floriz (Br.): wegen der Kadenz, die er bei sich nicht findet, wegen des Konzertes überhaupt." ("From Floriz (letter): regarding the cadenza, which he cannot find at home, regarding the concert in general"). 2 = OJ 6/7, [2]. 3 All that Schenker had reported missing were two cadenzas to the A-minor concerto. 4 Violin writes "Geschäft" in the way in which it is pronounced by Berliners. 5 The edge of the paper is crumpled, or torn, and one or two words at the beginning of the sentence are virtually illegible. |