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28. Nov 1930

Hochverehrter Herr Doktor!

Wenn 1 mein Schreiben an Sie 2 wirklich so undeutlich war, so bedauere ich dann auf das tiefste - irgendwie bewußt ist es mir heute nicht. 3 Zunächst hatte ich doch, so viel ich mich erinnere, um allgemeine, nicht an bestimmte Personen gerichtete Zeilen gebeten, die mich nichts anderes vorläufig als legitimieren sollten - für Furtwängler selbst wären doch sicherlich auch solche von Dr Weisse genügend gewesen, ganz abgesehn davon, daß mir selbstverständlich klar war, daß eine solche Inkommodation im jetzigen Zeitpunkt doch eine Unmöglichkeit und eine Unbescheidenheit gegenüber Furtwängler gewesen wäre. Ich schrieb doch: vor allem bei F. 4 dh. doch nur, daß eine solche Legitimation von F. am ehesten anerkannt würde, aber doch nicht, daß sie ausschliesslich für ihn bestimmt wäre oder gar als persönliche Bitte an ihn gedacht war; denn das war mir unbedingt klar, daß ein Weg von mir zu Furtwängler jetzt ein rein persönlicher nur sein könnte (soweit es jedem unbenommen ist, ihn für sich zu interessieren) aber niemals jetzt unmittelbar von Dr Weisse oder Ihnen, verehrter Herr Doktor, unterstützt werden könnte. Ich habe schon Dr Weisse geschrieben, wie mich gerade die Einsicht dieser Unmöglichkeit solange unnütz in München zurückgehalten hat trotz des Zuredens aller Bekannten, es doch lieber in Berlin zu versuchen, und noch lange, als ich sogar eines Zugangs zu Furtw. von befreundeter Münchner Seite sicher war - Dinge, die in Anbetracht meiner so schwierigen Lage doch nicht ganz außer acht gelassen werden sollten.

Völlig rätselhaft aber ist mir, warum Sie aus meiner Mitteilung, daß ich in München einen Vortrag gehalten habe, schließen, daß ich in Berlin nun auch reden möchte - das habe ich nun doch auch in meinem Brief auch nicht mit einem Wort angedeutet, wüßte auch nicht, wo ich dazu die Möglichkeit nehmen sollte, abgesehn davon daß ich augenblicklich gar keinen Sinn darin erkennen könnte.

Ihr Skeptizismus nun gegenüber dem „Inhalt meiner Vorträge“ (es handelt sich übrigens nur um einen) - er mag mich auch schmerzlich berühren - begreiflich ist er mir natürlich, haben Sie doch Jahre hindurch von mir nichts Direktes mehr gehört, wenn ich auch annehmen konnte, daß Dr Weisse, der mir selbst (es mir ist mir nicht angenehm, von mir sprechen zu müssen) schon soviel Anerkennendes, auch Schmeichelhaftes über mein Erkennen und Wissen in Ihrer Lehre 5 gesagt hat, mich manchmal in diesem Sinn auch Ihnen gegenüber erwähnt hat. Warum Sie da gerade von mir, der ich seit mehr als 15 Jahren Ihnen und Ihrer Sache {2} ergeben bin - mindestens mit viel Herz, annehmen, daß ich Ihnen nun doch in der Folge nicht zustimmen könnte, das muß ich wohl nun hinnehmen, wiewohl ich so gut wie nur einer weiß und es mir nie aus dem Sinn gekommen ist, daß in geistigen Dingen nur das Absolute Geltung haben kann und ich daher auch in der „Folge“ zustimmen müßte.

Selbst wenn man in einem Vortrag vor Leuten, die doch zunächst in eine fremde Sache eingeführt und für sie gewonnen werden sollen, noch einfacher sein müßte und manches „Esoterische“ für ein weiteres zuerst zurückbehalten müßte, wer könnte da auf ein Nichtzustimmen schließen - solange das absolut Künstlerische im Vordergrund steht, und das kann auf jeder Stufe gewahrt werden; das Absolute ist im Standpunkt - wenn bei der Mitteilung auch noch vieles ungesagt bleiben muß. Und so konnte ich auch zuerst vor allem nur von dem sprechen, was mir zunächst als das Wichtigste (und auch als der fundamentale Unterschied zu jeder andern „Theorie“) erscheint: der Begriff der Auskomponierung, die Reproduktion des vertikalen (naturgegebenen) Klanges in die Zeit durch Horizontalisierung dem Verlauf der Musik in der Zeit entsprechend, woraus sich der neue und wahre Tonalitätsbegriff ableitet: Absteckung des Tonraumes (wodurch der Zeitverlauf gleichsam nun überwunden ist) - Wer könnte in einem Vortrag außer dem Wesentlichen schon alles sagen?

Ich bitte Sie, verehrter Herr Doktor, mir all diese Erklärungen nicht übel nehmen zu wollen - gesagt mußte es doch sein - und bitte bewahren Sie mich im Andenken


als Ihren stets ergebenen
[signed:] Oswald Jonas

Wollen Sie bitte auch meiner [sic] Verehrung Ihrer werten Frau Gemahlin gegenüber ausdrücken.

© Transcription John Rothgeb & Heribert Esser, 2006, 2011


November 28, 1930

Highly revered Doctor,

If 1 my letter to you 2 was really so unclear, then I am most deeply sorry – I am not in any way aware of it today. 3 In the first place, I had, as I recall, requested general lines (not ones directed to particular individuals), which would serve me only as a preliminary legitimation – for Furtwängler himself such recommendation from Dr. Weisse would certainly also have been sufficient, completely apart from the fact that it was undoubtedly clear to me that such an imposition at the present time would have been an impossibility and a presumption. I wrote, however, "above all with Furtwängler" 4 meaning only that such a legitimation would most readily be accepted as such by Furtwängler, but not that it would be intended exclusively for him or was conceived as nothing short of a personal request to him; because it was absolutely clear to me that a connection from me to Furtwängler now could be only a purely personal one (to the extent that anyone can take the liberty of trying to attract his interest), but could never at this time be directly supported by Dr. Weisse or by you, esteemed Doctor. I have already written to Dr. Weisse about how precisely the realization of this impossibility has kept me unnecessarily in Munich so long, despite the urging of all acquaintances to try Berlin instead, and still a long time, even after I was assured of access to Furtwängler by Munich friends. – [These are] things which, in view of my very difficult situation, really should not be left out of consideration.

But it is a complete mystery to me how, from my statement that I gave a lecture in Munich, you infer that I would also like to speak in Berlinthat I did not suggest with a single word of my letter, nor would I know where I could find the opportunity to, all of this aside from the fact that at the moment I could see no point at all in it.

Your skepticism concerning the "content of my lectures" (there was, incidentally, only one) – painful though it may be – is naturally understandable: for years you have no longer heard anything direct from me, though I could assume that Dr. Weisse, who has told me personally (it is not pleasant to have to speak of myself) so much of an approving, even flattering, nature about my understanding and knowledge of your theory, 5 has occasionally mentioned me in this vein to you as well. Why you assume that I, who {2} have been devoted to you and your cause for more than fifteen years, wholeheartedly at least, could later nevertheless fail to agree with you: to that I must now resign myself, although I know one thing as well as only one [other] and have never lost sight of it, [namely] that in matters of the spirit only the absolute can have validity, and I therefore would be obliged to agree "later" as well.

Even if, in a lecture for people who are to have an unfamiliar idea introduced in a way that wins their conviction, one has to simplify and reserve some "esoteric" matters for a later presentation, who could there infer a lack of agreement – so long as the absolute artistic stands in the foreground, and that can be ensured at every stage; the absolute is in the perspective – even if in the process of communication much must still remain unsaid. And thus I could speak at first above all of that which appears to me at the outset as the most important idea (and as the fundamental contrast to every other "theory"): the concept of Auskomponierung, the reproduction of the vertical (naturally-given) chord in time through horizontalization corresponding to the playing-out of music through time, from which the new and true tonality-concept emerges: staking-out of the tonal space (which enables us to cope, so to speak, with the temporal succession) – who could present in a lecture, besides the most important matters, everything at once?

I beg you, dear Doctor, not to take all of these explanations amiss; it had, in any case, to be said. And please think always of me as


Your ever grateful
[signed:] Oswald Jonas

Please convey my esteem also to your good wife.

© Translation John Rothgeb & Heribert Esser, 2006, 2011


28. Nov 1930

Hochverehrter Herr Doktor!

Wenn 1 mein Schreiben an Sie 2 wirklich so undeutlich war, so bedauere ich dann auf das tiefste - irgendwie bewußt ist es mir heute nicht. 3 Zunächst hatte ich doch, so viel ich mich erinnere, um allgemeine, nicht an bestimmte Personen gerichtete Zeilen gebeten, die mich nichts anderes vorläufig als legitimieren sollten - für Furtwängler selbst wären doch sicherlich auch solche von Dr Weisse genügend gewesen, ganz abgesehn davon, daß mir selbstverständlich klar war, daß eine solche Inkommodation im jetzigen Zeitpunkt doch eine Unmöglichkeit und eine Unbescheidenheit gegenüber Furtwängler gewesen wäre. Ich schrieb doch: vor allem bei F. 4 dh. doch nur, daß eine solche Legitimation von F. am ehesten anerkannt würde, aber doch nicht, daß sie ausschliesslich für ihn bestimmt wäre oder gar als persönliche Bitte an ihn gedacht war; denn das war mir unbedingt klar, daß ein Weg von mir zu Furtwängler jetzt ein rein persönlicher nur sein könnte (soweit es jedem unbenommen ist, ihn für sich zu interessieren) aber niemals jetzt unmittelbar von Dr Weisse oder Ihnen, verehrter Herr Doktor, unterstützt werden könnte. Ich habe schon Dr Weisse geschrieben, wie mich gerade die Einsicht dieser Unmöglichkeit solange unnütz in München zurückgehalten hat trotz des Zuredens aller Bekannten, es doch lieber in Berlin zu versuchen, und noch lange, als ich sogar eines Zugangs zu Furtw. von befreundeter Münchner Seite sicher war - Dinge, die in Anbetracht meiner so schwierigen Lage doch nicht ganz außer acht gelassen werden sollten.

Völlig rätselhaft aber ist mir, warum Sie aus meiner Mitteilung, daß ich in München einen Vortrag gehalten habe, schließen, daß ich in Berlin nun auch reden möchte - das habe ich nun doch auch in meinem Brief auch nicht mit einem Wort angedeutet, wüßte auch nicht, wo ich dazu die Möglichkeit nehmen sollte, abgesehn davon daß ich augenblicklich gar keinen Sinn darin erkennen könnte.

Ihr Skeptizismus nun gegenüber dem „Inhalt meiner Vorträge“ (es handelt sich übrigens nur um einen) - er mag mich auch schmerzlich berühren - begreiflich ist er mir natürlich, haben Sie doch Jahre hindurch von mir nichts Direktes mehr gehört, wenn ich auch annehmen konnte, daß Dr Weisse, der mir selbst (es mir ist mir nicht angenehm, von mir sprechen zu müssen) schon soviel Anerkennendes, auch Schmeichelhaftes über mein Erkennen und Wissen in Ihrer Lehre 5 gesagt hat, mich manchmal in diesem Sinn auch Ihnen gegenüber erwähnt hat. Warum Sie da gerade von mir, der ich seit mehr als 15 Jahren Ihnen und Ihrer Sache {2} ergeben bin - mindestens mit viel Herz, annehmen, daß ich Ihnen nun doch in der Folge nicht zustimmen könnte, das muß ich wohl nun hinnehmen, wiewohl ich so gut wie nur einer weiß und es mir nie aus dem Sinn gekommen ist, daß in geistigen Dingen nur das Absolute Geltung haben kann und ich daher auch in der „Folge“ zustimmen müßte.

Selbst wenn man in einem Vortrag vor Leuten, die doch zunächst in eine fremde Sache eingeführt und für sie gewonnen werden sollen, noch einfacher sein müßte und manches „Esoterische“ für ein weiteres zuerst zurückbehalten müßte, wer könnte da auf ein Nichtzustimmen schließen - solange das absolut Künstlerische im Vordergrund steht, und das kann auf jeder Stufe gewahrt werden; das Absolute ist im Standpunkt - wenn bei der Mitteilung auch noch vieles ungesagt bleiben muß. Und so konnte ich auch zuerst vor allem nur von dem sprechen, was mir zunächst als das Wichtigste (und auch als der fundamentale Unterschied zu jeder andern „Theorie“) erscheint: der Begriff der Auskomponierung, die Reproduktion des vertikalen (naturgegebenen) Klanges in die Zeit durch Horizontalisierung dem Verlauf der Musik in der Zeit entsprechend, woraus sich der neue und wahre Tonalitätsbegriff ableitet: Absteckung des Tonraumes (wodurch der Zeitverlauf gleichsam nun überwunden ist) - Wer könnte in einem Vortrag außer dem Wesentlichen schon alles sagen?

Ich bitte Sie, verehrter Herr Doktor, mir all diese Erklärungen nicht übel nehmen zu wollen - gesagt mußte es doch sein - und bitte bewahren Sie mich im Andenken


als Ihren stets ergebenen
[signed:] Oswald Jonas

Wollen Sie bitte auch meiner [sic] Verehrung Ihrer werten Frau Gemahlin gegenüber ausdrücken.

© Transcription John Rothgeb & Heribert Esser, 2006, 2011


November 28, 1930

Highly revered Doctor,

If 1 my letter to you 2 was really so unclear, then I am most deeply sorry – I am not in any way aware of it today. 3 In the first place, I had, as I recall, requested general lines (not ones directed to particular individuals), which would serve me only as a preliminary legitimation – for Furtwängler himself such recommendation from Dr. Weisse would certainly also have been sufficient, completely apart from the fact that it was undoubtedly clear to me that such an imposition at the present time would have been an impossibility and a presumption. I wrote, however, "above all with Furtwängler" 4 meaning only that such a legitimation would most readily be accepted as such by Furtwängler, but not that it would be intended exclusively for him or was conceived as nothing short of a personal request to him; because it was absolutely clear to me that a connection from me to Furtwängler now could be only a purely personal one (to the extent that anyone can take the liberty of trying to attract his interest), but could never at this time be directly supported by Dr. Weisse or by you, esteemed Doctor. I have already written to Dr. Weisse about how precisely the realization of this impossibility has kept me unnecessarily in Munich so long, despite the urging of all acquaintances to try Berlin instead, and still a long time, even after I was assured of access to Furtwängler by Munich friends. – [These are] things which, in view of my very difficult situation, really should not be left out of consideration.

But it is a complete mystery to me how, from my statement that I gave a lecture in Munich, you infer that I would also like to speak in Berlinthat I did not suggest with a single word of my letter, nor would I know where I could find the opportunity to, all of this aside from the fact that at the moment I could see no point at all in it.

Your skepticism concerning the "content of my lectures" (there was, incidentally, only one) – painful though it may be – is naturally understandable: for years you have no longer heard anything direct from me, though I could assume that Dr. Weisse, who has told me personally (it is not pleasant to have to speak of myself) so much of an approving, even flattering, nature about my understanding and knowledge of your theory, 5 has occasionally mentioned me in this vein to you as well. Why you assume that I, who {2} have been devoted to you and your cause for more than fifteen years, wholeheartedly at least, could later nevertheless fail to agree with you: to that I must now resign myself, although I know one thing as well as only one [other] and have never lost sight of it, [namely] that in matters of the spirit only the absolute can have validity, and I therefore would be obliged to agree "later" as well.

Even if, in a lecture for people who are to have an unfamiliar idea introduced in a way that wins their conviction, one has to simplify and reserve some "esoteric" matters for a later presentation, who could there infer a lack of agreement – so long as the absolute artistic stands in the foreground, and that can be ensured at every stage; the absolute is in the perspective – even if in the process of communication much must still remain unsaid. And thus I could speak at first above all of that which appears to me at the outset as the most important idea (and as the fundamental contrast to every other "theory"): the concept of Auskomponierung, the reproduction of the vertical (naturally-given) chord in time through horizontalization corresponding to the playing-out of music through time, from which the new and true tonality-concept emerges: staking-out of the tonal space (which enables us to cope, so to speak, with the temporal succession) – who could present in a lecture, besides the most important matters, everything at once?

I beg you, dear Doctor, not to take all of these explanations amiss; it had, in any case, to be said. And please think always of me as


Your ever grateful
[signed:] Oswald Jonas

Please convey my esteem also to your good wife.

© Translation John Rothgeb & Heribert Esser, 2006, 2011

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 4/4, pp. 3548-3549, November 29, 1930: "Von Jonas (Br.): entschuldigt sich u. legt sein theoretisches Bekenntnis ab, sogar in guter einwandfreier Fassung. Freilich ist seine Lage nicht zu heilen; ihn bekannt zu machen ist ja kein hinreichend praktisches Mittel, mit dem er sein Ziel erreichen könnte!" ("From Jonas (letter): apologizes and acknowledges his theoretical allegiance, even in a good, unimpeachable formulation. Of course, his situation cannot be remedied; to announce him is really not a sufficiently practical means by which he could attain his goal.").

2 i.e. OJ 12/6, [4], November 17, 1930.

3 Schenker's response is OJ 5/18, 2, November 26, 1930.

4 These words are quoted from the letter under discussion, OJ12/6, [4].

5 comma deleted at this point.

Commentary

Format
2p letter, holograph message and signature
Provenance
Schenker, Heinrich (document date-1935)--Schenker, Jeanette (1935-c.1942)--Ratz, Erwin (c.1942-c.1955)--Jonas, Oswald (c.1955-1978)--University of California, Riverside (1978--)
Rights Holder
Heirs of Oswald Jonas, published by kind permission
License
Permission to publish granted by the heirs of Oswald Jonas October 20, 1913

Digital version created: 2006-04-21