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OJ 11/54, [35] - Handwritten letter from Hoboken to Schenker, dated September 27, 1931
⇧ 27. IX. ’31. ⇧ HOTEL VIER JAHRESZEITEN RESTAURANT WALTERSPIEL MÜNCHEN Sehr verehrter und lieber Herr Dr. ! 1 Anbei erlaube ich mir, Ihnen Ihr Honorar in Form eines Schecks zuzuschicken. Es ist wieder berechnet auf die [recte der] Basis von 60 Sch. pro Stunde, für drei Monaten = 13 Wochen, 3 Stunden wöchentlich. Ich werde voraussichtlich am 1n Oktober noch nicht in Wien zurück sein, möchte aber, dass Sie das Geld pünktlich erhalten. Ich bin mit den verbrachten Sommermonaten nur mässig zufrieden. Ich habe zwar viel, und recht systematisch, Klavier geübt, aber das ist, ausser dass ich ziemlich etwas gelesen habe, eigentlich alles, was {2} ich mit gutem Gewissen behaupten kann. Mit Urlinien-Arbeiten habe ich mich wenig befasst, obwohl das eigentlich nicht richtig ausgedrückt ist. Aber ich bin mit einer gewissen Scheu um schriftliche Arbeiten auf dem Gebiet herumgegangen. Dies liegt keineswegs an Ihre [recte Ihrer] Theorie selber, noch weniger daran, dass ich von ihrer Richtigkeit nicht mehr überzeugt wäre. Aber mein Tätigkeitsdrang führt mich eben jetzt mehr zum Klavierspielen als wie zu jener Arbeit, wozu so unendlich viel mehr innere Ruhe und Sammlung gehört. Natürlich werden Sie nun erwidern, dass durch stetes Beschäftigen mit der Materie die Ruhe schon kommen wird. Ich selber glaube das auch; diesen Sommer war [es] aber nun einmal noch nicht der Fall. {3} Ich weiss aber, dass ich eines Tages zu dieser Arbeit kommen muss und werde, weil es mir sonst einfach unmöglich ist, Musikstücke in ihrem ganzen Sinn zu erfassen und auch, weil ich nur auf dieser Basis anderen analytischen Werken kritisch gegenüberstehen kann. So fiel mir in Königsberg eine neues Werkchen in die Hand, „Form und Linie in der Musik“ von Hans Meyer worin er versucht, die Sonate Op. 57 von Beethoven zu deutet [recte deuten] , indem er die Noten der Motive zählt, die Taktgruppen zählt, die Takte zählt, kurz: alles zählt um damit zu beweisen, dass die Sonate durchwegs auf denselben Zahlenverhältnisse beruht ([illegible numerical proportion], glaube ich). Dabei zählt er natürlich falsch {4} und willkürlich und teilt die Gruppen nach den klavieristischen Figuren ein. Er zitiert Sie übrigens, aber so, dass man gleich sieht, dass er Ihre Arbeiten nicht gelesen hat. So eine Arbeit ist jedoch nicht schwer zu widerlegen. Schwerer ist das schon bei Cassirer, der seinen unbestimmten Erfühlen nun in noch unbestimmteren Worten Ausdruck verleihen will. Was soll man ernstlich dagegen sagen, wenn er z. B. am Schlusse der Appassionata ausruft , : „Homunculi, das will alles gerinnen und sinken!“. Was soll gerinnen und sinken? Seine Gedanken? die Gedanken des Spielers; oder des Lesers? Doch sicher nicht die Beethoven’s, die in der Sonate doch vollkommen geronnen {5} und gesunken vor uns liegen! Was also? Aber er wird gepriesen und zitiert als denjenigen [recte derjenige] , dessen Verdienst es ist, die „Einmotivik“, 2 wie das heute heisst, in den Werken Beethovens festgestellt zu haben während andererseits Lorentz [sic] dafür gelobt wird, als erster (!!) entdeckt zu haben, dass Beethoven’sche Durchführungen nicht ohne System komponiert seien. Und dergleichen mehr! Sie werden das alles zur Genüge kennen; ich komme jetzt erst hinein. Das Wetter war im Norde[n] miserabel {6} und in den Bergen, sagt man mir, soll es nicht viel besser gewesen sein. Haben Sie auch so wenig Sonne gehabt und haben Sie sich trotzdem gut erholt? Ich will in dieser Woche nach Wien zurückfahren, möchte mich aber an einen bestimmten Tag nicht binden. Zu Hause wird dann erfahrungsgemäss wohl wieder manche Bibliotheks- und sonstige Angelegenheiten auf Erledigung warten sodass ich es vorziehe, erst am Dienstag den 13ten wieder in die Stunde zu kommen. Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen und begrüsse Sie, mit den freundlichsten Empfehlungen an Ihre Gattin, als © Transcription John Rothgeb & Heribert Esser, 2016 |
⇧ September 27, 1931 ⇧ HOTEL FOUR SEASONS RESTAURANT WALTERSPIEL MUNICH Greatly revered and dear Dr. [Schenker], 1 I take the liberty of sending you your honorarium in the form of a check. It is again calculated on the basis of 60 shillings per lesson, for three months = 13 weeks, 3 lessons per week. Looking ahead, I will not yet be in Vienna on October 1, but would like you to have the money punctually. I am only moderately satisfied with the way I spent the summer months. I have, it is true, practiced piano much, and very systematically, but that ‒ aside from the fact that I have done a lot of reading ‒ is really all that {2} I can claim in good conscience. I have concerned myself but little with Urlinie-studies, although that really is not correctly expressed. But I have circumnavigated the field with a certain inhibition when it comes to written work. This is by no means the fault of your theory itself, still less of the notion that I am no longer convinced of its validity. But the desire for occupation leads me just now more to piano playing than to that work, for which so infinitely much more peace of mind and composure is required. Naturally you will counter that through constant application to the matter, peace will certainly ensue. I myself believe that too; but this summer, it was definitely not the case. {3} I know, however, that one day I must and shall come to this work, because otherwise it is simply impossible for me to grasp pieces of music in their full meaning, and also because only on this basis can I critically approach other analytical works. In Königsberg, for example, I came upon a new booklet, "Form and Line in Music," by Hans Meyer, in which he attempts to interpret the Sonata Op. 57 by Beethoven, by counting the notes in the motifs, counting the measure-groups, counting the measures, in short: counting everything in order to prove that the Sonata rests throughout on the same numerical relations ([illegible numerical proportion], I believe.) In the process he naturally counts wrongly {4} and arbitrarily, and divides the groups according to the pianistic figures. He cites you, incidentally, but in such a way that one sees at once that he has not read your works. Such a study, however, is not difficult to refute. More difficult is that of Cassirer, who strives to lend expression to his indefinite sensation in still more indefinite words. What should one seriously say when, for example, at the conclusion of the Appassionata he cries out: "homunculi, that will coagulate and sink everything!" What is supposed to coagulate and sink? His ideas? The ideas of the player, or those of the reader? But certainly not Beethoven’s ideas, which, in the sonata to the contrary, lie before us completely coagulated {5} and sunken! What, then? But he is praised and cited as the one whose merit is to have discovered the Einmotivik, 2 as it is called today, in the works of Beethoven, while on the other hand Lorenz is praised as the first (!!) to have revealed that Beethoven's developments were not composed without a system. And more of the same! You will be familiar enough with that; I am a new arrival. The weather in the North was miserable, {6} and it is said not to have been much better in the mountains. Have you too had so little sun, and have you nevertheless had a good vacation? I want to return to Vienna this week, but do not wish to commit to a particular day. At home, I can affirm from experience, many library matters and other business will again await attention, so that I prefer not to come for a lesson until Tuesday the 13th. I look forward to seeing you again, and greet you, with warmest greetings to your wife, as © Translation John Rothgeb & Heribert Esser, 2016 |
⇧ 27. IX. ’31. ⇧ HOTEL VIER JAHRESZEITEN RESTAURANT WALTERSPIEL MÜNCHEN Sehr verehrter und lieber Herr Dr. ! 1 Anbei erlaube ich mir, Ihnen Ihr Honorar in Form eines Schecks zuzuschicken. Es ist wieder berechnet auf die [recte der] Basis von 60 Sch. pro Stunde, für drei Monaten = 13 Wochen, 3 Stunden wöchentlich. Ich werde voraussichtlich am 1n Oktober noch nicht in Wien zurück sein, möchte aber, dass Sie das Geld pünktlich erhalten. Ich bin mit den verbrachten Sommermonaten nur mässig zufrieden. Ich habe zwar viel, und recht systematisch, Klavier geübt, aber das ist, ausser dass ich ziemlich etwas gelesen habe, eigentlich alles, was {2} ich mit gutem Gewissen behaupten kann. Mit Urlinien-Arbeiten habe ich mich wenig befasst, obwohl das eigentlich nicht richtig ausgedrückt ist. Aber ich bin mit einer gewissen Scheu um schriftliche Arbeiten auf dem Gebiet herumgegangen. Dies liegt keineswegs an Ihre [recte Ihrer] Theorie selber, noch weniger daran, dass ich von ihrer Richtigkeit nicht mehr überzeugt wäre. Aber mein Tätigkeitsdrang führt mich eben jetzt mehr zum Klavierspielen als wie zu jener Arbeit, wozu so unendlich viel mehr innere Ruhe und Sammlung gehört. Natürlich werden Sie nun erwidern, dass durch stetes Beschäftigen mit der Materie die Ruhe schon kommen wird. Ich selber glaube das auch; diesen Sommer war [es] aber nun einmal noch nicht der Fall. {3} Ich weiss aber, dass ich eines Tages zu dieser Arbeit kommen muss und werde, weil es mir sonst einfach unmöglich ist, Musikstücke in ihrem ganzen Sinn zu erfassen und auch, weil ich nur auf dieser Basis anderen analytischen Werken kritisch gegenüberstehen kann. So fiel mir in Königsberg eine neues Werkchen in die Hand, „Form und Linie in der Musik“ von Hans Meyer worin er versucht, die Sonate Op. 57 von Beethoven zu deutet [recte deuten] , indem er die Noten der Motive zählt, die Taktgruppen zählt, die Takte zählt, kurz: alles zählt um damit zu beweisen, dass die Sonate durchwegs auf denselben Zahlenverhältnisse beruht ([illegible numerical proportion], glaube ich). Dabei zählt er natürlich falsch {4} und willkürlich und teilt die Gruppen nach den klavieristischen Figuren ein. Er zitiert Sie übrigens, aber so, dass man gleich sieht, dass er Ihre Arbeiten nicht gelesen hat. So eine Arbeit ist jedoch nicht schwer zu widerlegen. Schwerer ist das schon bei Cassirer, der seinen unbestimmten Erfühlen nun in noch unbestimmteren Worten Ausdruck verleihen will. Was soll man ernstlich dagegen sagen, wenn er z. B. am Schlusse der Appassionata ausruft , : „Homunculi, das will alles gerinnen und sinken!“. Was soll gerinnen und sinken? Seine Gedanken? die Gedanken des Spielers; oder des Lesers? Doch sicher nicht die Beethoven’s, die in der Sonate doch vollkommen geronnen {5} und gesunken vor uns liegen! Was also? Aber er wird gepriesen und zitiert als denjenigen [recte derjenige] , dessen Verdienst es ist, die „Einmotivik“, 2 wie das heute heisst, in den Werken Beethovens festgestellt zu haben während andererseits Lorentz [sic] dafür gelobt wird, als erster (!!) entdeckt zu haben, dass Beethoven’sche Durchführungen nicht ohne System komponiert seien. Und dergleichen mehr! Sie werden das alles zur Genüge kennen; ich komme jetzt erst hinein. Das Wetter war im Norde[n] miserabel {6} und in den Bergen, sagt man mir, soll es nicht viel besser gewesen sein. Haben Sie auch so wenig Sonne gehabt und haben Sie sich trotzdem gut erholt? Ich will in dieser Woche nach Wien zurückfahren, möchte mich aber an einen bestimmten Tag nicht binden. Zu Hause wird dann erfahrungsgemäss wohl wieder manche Bibliotheks- und sonstige Angelegenheiten auf Erledigung warten sodass ich es vorziehe, erst am Dienstag den 13ten wieder in die Stunde zu kommen. Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen und begrüsse Sie, mit den freundlichsten Empfehlungen an Ihre Gattin, als © Transcription John Rothgeb & Heribert Esser, 2016 |
⇧ September 27, 1931 ⇧ HOTEL FOUR SEASONS RESTAURANT WALTERSPIEL MUNICH Greatly revered and dear Dr. [Schenker], 1 I take the liberty of sending you your honorarium in the form of a check. It is again calculated on the basis of 60 shillings per lesson, for three months = 13 weeks, 3 lessons per week. Looking ahead, I will not yet be in Vienna on October 1, but would like you to have the money punctually. I am only moderately satisfied with the way I spent the summer months. I have, it is true, practiced piano much, and very systematically, but that ‒ aside from the fact that I have done a lot of reading ‒ is really all that {2} I can claim in good conscience. I have concerned myself but little with Urlinie-studies, although that really is not correctly expressed. But I have circumnavigated the field with a certain inhibition when it comes to written work. This is by no means the fault of your theory itself, still less of the notion that I am no longer convinced of its validity. But the desire for occupation leads me just now more to piano playing than to that work, for which so infinitely much more peace of mind and composure is required. Naturally you will counter that through constant application to the matter, peace will certainly ensue. I myself believe that too; but this summer, it was definitely not the case. {3} I know, however, that one day I must and shall come to this work, because otherwise it is simply impossible for me to grasp pieces of music in their full meaning, and also because only on this basis can I critically approach other analytical works. In Königsberg, for example, I came upon a new booklet, "Form and Line in Music," by Hans Meyer, in which he attempts to interpret the Sonata Op. 57 by Beethoven, by counting the notes in the motifs, counting the measure-groups, counting the measures, in short: counting everything in order to prove that the Sonata rests throughout on the same numerical relations ([illegible numerical proportion], I believe.) In the process he naturally counts wrongly {4} and arbitrarily, and divides the groups according to the pianistic figures. He cites you, incidentally, but in such a way that one sees at once that he has not read your works. Such a study, however, is not difficult to refute. More difficult is that of Cassirer, who strives to lend expression to his indefinite sensation in still more indefinite words. What should one seriously say when, for example, at the conclusion of the Appassionata he cries out: "homunculi, that will coagulate and sink everything!" What is supposed to coagulate and sink? His ideas? The ideas of the player, or those of the reader? But certainly not Beethoven’s ideas, which, in the sonata to the contrary, lie before us completely coagulated {5} and sunken! What, then? But he is praised and cited as the one whose merit is to have discovered the Einmotivik, 2 as it is called today, in the works of Beethoven, while on the other hand Lorenz is praised as the first (!!) to have revealed that Beethoven's developments were not composed without a system. And more of the same! You will be familiar enough with that; I am a new arrival. The weather in the North was miserable, {6} and it is said not to have been much better in the mountains. Have you too had so little sun, and have you nevertheless had a good vacation? I want to return to Vienna this week, but do not wish to commit to a particular day. At home, I can affirm from experience, many library matters and other business will again await attention, so that I prefer not to come for a lesson until Tuesday the 13th. I look forward to seeing you again, and greet you, with warmest greetings to your wife, as © Translation John Rothgeb & Heribert Esser, 2016 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 4/5, p. 3663, September 28, 1931: "Von v. Hoboken (Br.): schickt den Scheck, berichtet über den Sommer u. die Klavierstudien. Urlinien habe er nicht gearbeitet!" ("From Hoboken (letter): sends the check, reports on his summer and piano studies; he has not done much work on Urlinie studies!") 2 "Einmotivik": the hypothesis that each of Beethoven's works is based on a single motif and its transmutations. |