DIE ZUKUNFT
HERAUSGEBER:
MAXIMILIAN HARDEN
[decorative rule]
BERLIN W. 9., den 11 Oktober 1892
27. Köthener Str.


Sehr geehrter Herr!

der erste Brief, den ich Ihnen schrieb, 1 harrt noch die Antwort und ich fürchte, da Sie vergaßen, Ihre Adresse anzugeben, ich fürchte er hat Sie gar nicht erreicht. Deshalb diesmal der Umweg via Lokal, das mir von Ihnen sprach.

Ich hatte Sie um die Erlaubniß zu einem Gewaltakt gebeten, zu einer sehr einschneidenden Operation an Ihrem Artikel, 2 der mir einen merkwürdig empfindenden Geist zeigte, der aber in seiner mir vorliegenden Form für meine besondren Zwecke nicht brauchbar war. Aus tausend Gründen, die ich schreiben und wiederholen würde, wenn ich nicht totmüde wäre und immer noch hoffte, im ersten Brief hätten Sie Alles gelesen. Hauptgrund: Ihr Berliner Debut sollte nicht verschnörkelt werden.

Inzwischen habe ich, da der Artikel sonst unbrauchbar geworden wäre und Ihre Entscheidung nicht eintraf, die lebensgefährlich Operation selbst vollzogen und kann Sie nur nachträglich um Absolution bitten. Ich gebe Ihnen nicht nur das Recht, sondern ich bitte Sie ausdrücklich darum, mir in dem zweiten Artikel das Theoretische – dummer Ausdruck, aber ich arbeite seit 14 Stunden – zu schreiben, das Sie diesmal allzu locker streiften und das ich tilgte. Und ich füge die Bitte hinzu, mich durch einige Zeilen vorher wissen zu lassen, was Sie schreiben wollen – so ungefähr –, damit wir uns verständigen. Herzlich freue ich mich unserer Verbindung und meine, Sie sollten hier herkommen, wo es noch nicht einmal einen Hanslick giebt u. die Musikkritik einfach zum bejammern ist.

Also entsetzen Sie sich gefl. [gefälligst] nicht über die arge Verstümmelung, wir werden Zeit genug, uns auszusprechen, haben.


In herzl. Hochachtung
Ihr
[signed:] Harden

© Transcription William Pastille, 2006


DIE ZUKUNFT
EDITOR:
MAXIMILIAN HARDEN
[decorative rule]
BERLIN W. 9., October 11, 1892
27 Köthener Straße


Dear Sir,[1]

The first letter I wrote to you 1 is still awaiting a reply, and I fear, since you forgot to specify your address, I fear it just didn't reach you. Hence the alternative route this time by way of the restaurant where they told me about you.

I had asked your permission for an act of violence ‒ an extremely invasive operation on your article, 2 which seemed remarkably perceptive to me in substance, but was not serviceable for my particular purposes in its existing form. For a thousand reasons, which I would repeat in writing if I were not dead tired and did not still hope you had read it all in the first letter. Principal reason: your Berlin debut should not be overelaborate.

In the meantime, since the article would have been unserviceable otherwise and your decision was not forthcoming, I completed the dangerous operation myself, and can now only belatedly beg your forgiveness. I not only give you the right, but I expressly entreat you to use the second article to write the theoretical stuff ‒ clumsy expression, but I've been working for fourteen hours ‒ which you skated over all too casually this time, and which I deleted. And I ask in addition that you send a few lines to let me know in advance what you want to write ‒ roughly ‒ so that we have an understanding. I am delighted that we are collaborating, and I think you should come here, where there is still not even a Hanslick and the musical criticism is downright deplorable.

So please don't be offended by the horrible disfigurement; we will have time enough to talk it through.


In sincere esteem,
Yours,
[signed:] Harden

© Translation William Pastille, 2006


DIE ZUKUNFT
HERAUSGEBER:
MAXIMILIAN HARDEN
[decorative rule]
BERLIN W. 9., den 11 Oktober 1892
27. Köthener Str.


Sehr geehrter Herr!

der erste Brief, den ich Ihnen schrieb, 1 harrt noch die Antwort und ich fürchte, da Sie vergaßen, Ihre Adresse anzugeben, ich fürchte er hat Sie gar nicht erreicht. Deshalb diesmal der Umweg via Lokal, das mir von Ihnen sprach.

Ich hatte Sie um die Erlaubniß zu einem Gewaltakt gebeten, zu einer sehr einschneidenden Operation an Ihrem Artikel, 2 der mir einen merkwürdig empfindenden Geist zeigte, der aber in seiner mir vorliegenden Form für meine besondren Zwecke nicht brauchbar war. Aus tausend Gründen, die ich schreiben und wiederholen würde, wenn ich nicht totmüde wäre und immer noch hoffte, im ersten Brief hätten Sie Alles gelesen. Hauptgrund: Ihr Berliner Debut sollte nicht verschnörkelt werden.

Inzwischen habe ich, da der Artikel sonst unbrauchbar geworden wäre und Ihre Entscheidung nicht eintraf, die lebensgefährlich Operation selbst vollzogen und kann Sie nur nachträglich um Absolution bitten. Ich gebe Ihnen nicht nur das Recht, sondern ich bitte Sie ausdrücklich darum, mir in dem zweiten Artikel das Theoretische – dummer Ausdruck, aber ich arbeite seit 14 Stunden – zu schreiben, das Sie diesmal allzu locker streiften und das ich tilgte. Und ich füge die Bitte hinzu, mich durch einige Zeilen vorher wissen zu lassen, was Sie schreiben wollen – so ungefähr –, damit wir uns verständigen. Herzlich freue ich mich unserer Verbindung und meine, Sie sollten hier herkommen, wo es noch nicht einmal einen Hanslick giebt u. die Musikkritik einfach zum bejammern ist.

Also entsetzen Sie sich gefl. [gefälligst] nicht über die arge Verstümmelung, wir werden Zeit genug, uns auszusprechen, haben.


In herzl. Hochachtung
Ihr
[signed:] Harden

© Transcription William Pastille, 2006


DIE ZUKUNFT
EDITOR:
MAXIMILIAN HARDEN
[decorative rule]
BERLIN W. 9., October 11, 1892
27 Köthener Straße


Dear Sir,[1]

The first letter I wrote to you 1 is still awaiting a reply, and I fear, since you forgot to specify your address, I fear it just didn't reach you. Hence the alternative route this time by way of the restaurant where they told me about you.

I had asked your permission for an act of violence ‒ an extremely invasive operation on your article, 2 which seemed remarkably perceptive to me in substance, but was not serviceable for my particular purposes in its existing form. For a thousand reasons, which I would repeat in writing if I were not dead tired and did not still hope you had read it all in the first letter. Principal reason: your Berlin debut should not be overelaborate.

In the meantime, since the article would have been unserviceable otherwise and your decision was not forthcoming, I completed the dangerous operation myself, and can now only belatedly beg your forgiveness. I not only give you the right, but I expressly entreat you to use the second article to write the theoretical stuff ‒ clumsy expression, but I've been working for fourteen hours ‒ which you skated over all too casually this time, and which I deleted. And I ask in addition that you send a few lines to let me know in advance what you want to write ‒ roughly ‒ so that we have an understanding. I am delighted that we are collaborating, and I think you should come here, where there is still not even a Hanslick and the musical criticism is downright deplorable.

So please don't be offended by the horrible disfigurement; we will have time enough to talk it through.


In sincere esteem,
Yours,
[signed:] Harden

© Translation William Pastille, 2006

Footnotes

1 This item is not known to have survived.

2 "Mascagni in Wien," the first article of Schenker's published by Harden, which appeared in Die Zukunft on October 15, 1892, four days after the date on this letter. The article is reprinted in Hellmut Federhofer, Heinrich Schenker als Essayist und Kritiker (Hildesheim: Georg Olms Verlag, 1990), 26‒30.