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OJ 10/1, [56] - Handwritten letter from Dahms to Schenker, dated August 19, 1920
Ich 1 bin untröstlich in dem Gedanken, dass ich Sie möglicherweise in diesem Sommer garnicht sehen und Ihnen garnicht die Hand drücken kann. Und ich hätte es so nötig. Ich habe erhebliche Schwierigkeiten mit dem Pass; kann mich hier im Brief nicht näher darüber auslassen. Trotzdem mache ich morgen doch noch einen Versuch, um ohne Weiterungen und Unannehmlichkeiten zu meinem Ziel zu gelangen. Nur hoffe ich, Sie überhaupt noch zu treffen. Wollen Sie Ihren damals geäusserten Plan, das Manuskript des Contrapunktes persönlich zu Cotta zu bringen, verwirklichen? 2 Bitte, bitte, schreiben Sie mir dies. In dem Fall dürfte ich hoffen, Sie in München wenigstens auf der Durchreise auf eine Stunde zu sehen, wo ich Ihnen vielleicht gar irgendwie behilflich sein könnte. Oder: fahren Sie zurück über Salzburg? Vielleicht könnte ich am Bahnhof sein und Sie bei der Durchfahrt begrüssen? Jedenfalls sehe ich morgen noch einmal wegen des Passes nach Innsbruck nach. {2} Nun weiss ich nicht, was ich sagen soll, da Sie selbst, lieber Meister, den Wunsch nach meinen Biographien aussprechen. Ich habe bisweilen den Gedanken gehabt, Sie Ihnen zu schicken. Aber immer wieder sagte ich mir, dass dies unsinnig sei. Eine Hermeneutik, die Sie mit so überwältigendem Recht verneinen und erschlagen, die ich selbst seit dem Tage der B ersten flüchtigen Bekanntschaft mit Ihren Werken verachte, — dürfte ich Ihnen mit einer solchen Hermeneutik unter die Augen treten?! Ich wage es nicht, diese Frage zu bejahen. Besonders schwer ist mir die Hermeneutik beim Mendelssohn 3 geworden; denn ich war ja immerhin schon Vrieslanders Schüler. Das einzige Gute, was ich an den drei Büchern 4 für mich in Anspruch nehme, ist die Gesinnung. Ich habe sie im Gefühl des Dienens für den Genius geschrieben – mit schwachen Kräften und – leider – untauglichen Mitteln, nämlich dem des beschreibenden, poetisierenden Wortes. Im Mendelssohn erlaubte ich mir an einer Stelle Ihren Namen zu nennen; ich hoffe aber jetzt über Winter in einem neuen Buch Ihnen meine Huldigung in würdigerer Form darbringen zu können. – Nun schicke ich die drei Bücher an Sie ab mit der Bitte, Sie freundlich entgegen zu nehmen. Aber dieser Bitte bedarf es wohl kaum; Sie haben schon so viel Güte und Nachsicht erwiesen. © Transcription John Koslovsky, 2010 |
I 1 am saddened at the thought that I cannot see you at all or shake your hand this summer. And I felt it so necessary. I am having formidable difficulties with the passport; I cannot say anything more in this letter. Nevertheless I will make yet another attempt tomorrow to attain my goal without complications or discomfort. I only hope above all to meet you. Do you want to realize your expressed plan, to bring the Counterpoint manuscript personally to Cotta? 2 Please, please write to me on this matter. In this case I might hope to see you in Munich for at least an hour during your stopover, where I could be perhaps of some assistance to you. Or, will you travel back through Salzburg? Maybe I could be at the railway station and greet you on your transit? In any case I will inquire tomorrow once again about the passport to Innsbruck. {2} Now I don’t know what to say, since you yourself, dear master, express the wish for my biographies. I had the idea to send them to you. But I continually told myself that this would be absurd. A hermeneutic that you deny and strike down with such overwhelming correctness, and that I myself scorned since the first cursory acquaintance with your work, – ought I to confront you with such a hermeneutic?! I dare not answer this question in the affirmative. The hermeneutic in Mendelssohn 3 has become particularly burdensome since I was after all already a student of Vrieslander. The one good thing that I claim for the three books 4 is the attitude. I wrote them with the feeling that I was serving genius – with weak energy and – unfortunately – with inappropriate means, especially with descriptive and poeticized words. In Mendelssohn I allowed myself to mention your name in one place; I hope now during the winter to be able to offer a new book showing my homage to you in a more dignified way. – For now I send you the three books with the request that you accept them in a spirit of friendship. But this request is hardly necessary; you have already shown so much goodness and charity. © Translation John Koslovsky, 2010 |
Ich 1 bin untröstlich in dem Gedanken, dass ich Sie möglicherweise in diesem Sommer garnicht sehen und Ihnen garnicht die Hand drücken kann. Und ich hätte es so nötig. Ich habe erhebliche Schwierigkeiten mit dem Pass; kann mich hier im Brief nicht näher darüber auslassen. Trotzdem mache ich morgen doch noch einen Versuch, um ohne Weiterungen und Unannehmlichkeiten zu meinem Ziel zu gelangen. Nur hoffe ich, Sie überhaupt noch zu treffen. Wollen Sie Ihren damals geäusserten Plan, das Manuskript des Contrapunktes persönlich zu Cotta zu bringen, verwirklichen? 2 Bitte, bitte, schreiben Sie mir dies. In dem Fall dürfte ich hoffen, Sie in München wenigstens auf der Durchreise auf eine Stunde zu sehen, wo ich Ihnen vielleicht gar irgendwie behilflich sein könnte. Oder: fahren Sie zurück über Salzburg? Vielleicht könnte ich am Bahnhof sein und Sie bei der Durchfahrt begrüssen? Jedenfalls sehe ich morgen noch einmal wegen des Passes nach Innsbruck nach. {2} Nun weiss ich nicht, was ich sagen soll, da Sie selbst, lieber Meister, den Wunsch nach meinen Biographien aussprechen. Ich habe bisweilen den Gedanken gehabt, Sie Ihnen zu schicken. Aber immer wieder sagte ich mir, dass dies unsinnig sei. Eine Hermeneutik, die Sie mit so überwältigendem Recht verneinen und erschlagen, die ich selbst seit dem Tage der B ersten flüchtigen Bekanntschaft mit Ihren Werken verachte, — dürfte ich Ihnen mit einer solchen Hermeneutik unter die Augen treten?! Ich wage es nicht, diese Frage zu bejahen. Besonders schwer ist mir die Hermeneutik beim Mendelssohn 3 geworden; denn ich war ja immerhin schon Vrieslanders Schüler. Das einzige Gute, was ich an den drei Büchern 4 für mich in Anspruch nehme, ist die Gesinnung. Ich habe sie im Gefühl des Dienens für den Genius geschrieben – mit schwachen Kräften und – leider – untauglichen Mitteln, nämlich dem des beschreibenden, poetisierenden Wortes. Im Mendelssohn erlaubte ich mir an einer Stelle Ihren Namen zu nennen; ich hoffe aber jetzt über Winter in einem neuen Buch Ihnen meine Huldigung in würdigerer Form darbringen zu können. – Nun schicke ich die drei Bücher an Sie ab mit der Bitte, Sie freundlich entgegen zu nehmen. Aber dieser Bitte bedarf es wohl kaum; Sie haben schon so viel Güte und Nachsicht erwiesen. © Transcription John Koslovsky, 2010 |
I 1 am saddened at the thought that I cannot see you at all or shake your hand this summer. And I felt it so necessary. I am having formidable difficulties with the passport; I cannot say anything more in this letter. Nevertheless I will make yet another attempt tomorrow to attain my goal without complications or discomfort. I only hope above all to meet you. Do you want to realize your expressed plan, to bring the Counterpoint manuscript personally to Cotta? 2 Please, please write to me on this matter. In this case I might hope to see you in Munich for at least an hour during your stopover, where I could be perhaps of some assistance to you. Or, will you travel back through Salzburg? Maybe I could be at the railway station and greet you on your transit? In any case I will inquire tomorrow once again about the passport to Innsbruck. {2} Now I don’t know what to say, since you yourself, dear master, express the wish for my biographies. I had the idea to send them to you. But I continually told myself that this would be absurd. A hermeneutic that you deny and strike down with such overwhelming correctness, and that I myself scorned since the first cursory acquaintance with your work, – ought I to confront you with such a hermeneutic?! I dare not answer this question in the affirmative. The hermeneutic in Mendelssohn 3 has become particularly burdensome since I was after all already a student of Vrieslander. The one good thing that I claim for the three books 4 is the attitude. I wrote them with the feeling that I was serving genius – with weak energy and – unfortunately – with inappropriate means, especially with descriptive and poeticized words. In Mendelssohn I allowed myself to mention your name in one place; I hope now during the winter to be able to offer a new book showing my homage to you in a more dignified way. – For now I send you the three books with the request that you accept them in a spirit of friendship. But this request is hardly necessary; you have already shown so much goodness and charity. © Translation John Koslovsky, 2010 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/1, p. 2273, August 23, 1920: " Von Dahms (Br.): über Schwierigkeiten der Herreise; werde die Bücher per Post senden; kündigt eine Huldigung in der nächsten Arbeit an; fragt, ob er mich nicht in Salzburg treffen könnte. ("From Dahms (letter): about difficulties in traveling here; will send the books by mail; says the next book will include a homage; asks whether he couldn't meet me in Salzburg."). 2 Schenker planned to take the manuscript of Counterpoint 2 in person to Cotta in Stuttgart in September 1920 (CA 171), but in the end Vrieslander delivered the first section of it to them in October (CA 180, 181). 3 Walter Dahms, Mendelssohn (Berlin & Leipzig: Schuster & Loeffler, 1919). 4 Three biographies by Dahms: Mendelssohn (Berlin & Leipzig: Schuster & Loeffler, 1919); Schubert (Berlin & Leipzig: Schuster & Loeffler, 1912); Schumann (Berlin & Leipzig: Schuster & Loeffler, 1916). All three books were in Schenker's personal library at his death: Musik und Theater. Enthaltend die Bibliothek des Herrn Dr. Heinrich Schenker, Wien (Vienna: Heinrich Hinterberger [1936]). |
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Commentary
Digital version created: 2011-05-05 |