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OJ 10/1, [55] - Handwritten letter from Dahms to Schenker, dated July 30, 1920
Herzlichsten 1 Dank für Ihren Brief 2 und die Karte 3 – jedes für sich ein Erlebnis in dieser Umgebung. Hier sind zahlreiche sogenannte „Künstler“ aus Berlin etc. zur Sommerfrische und wenn ich mich bisweilen im Winter nach einem Gespräch von Mensch zu Mensch gesehnt habe, so bin ich jetzt nach den ersten Versuchen mit diesen Vertretern der „höchsten Kultur“, nämlich Berlins, gründlich geheilt. Die Musiker sind vor einer wahrhaft {2} ergreifenden Ahnungslosigkeit. Wie dankbar muss ich dem „guten Geist“ sein, dass er mich seinerzeit den Weg zu Ihnen finden liess. Wenn ich auch nur erst am allerersten Anfang dieses Weges stehe und noch dann und wann durch überraschende Ausblicke „abseits“ abgelenkt werden könnte, in der Hauptsache sehe ich doch jetzt schon klar und bin deshalb unfähig, mit diesen Musikern ein Gespräch ernsthaft über fünf Minuten fortzusetzen. Das Wort „Sÿnthese“ wird abgelehnt. Der {3} gehobene Busen und die schönen Gefühle sind die letzte Instanz, die angerufen wird, um sich überhaupt noch halten und als „Künstler“ fühlen zu können. Der Appell an Ihr Wort und Werk ist natürlich nutzlos. Der künstlerische Bolschewismus sitzt den Leuten schon zu tief im Blut. Ich danke Ihnen für Ihre Worte über Kurt’s Buch; bin jetzt ganz im Bilde über diese Angelegenheit. Allerdings musste ja schon die Riemannie des Verfassers misstrauisch machen. {4} Über all das andere vielleicht in diesem Sommer noch einmal mündlich. Vorläufig: innigsten Dank! – Bis Mitte August bin ich hier garnicht abkömmlich. Dürfte ich später mit meiner Frau für einen Tag in Ihre Nähe kommen? Ich glaube, dass eine Stunde mündlicher Aussprache f mir für die ganze nächste Zeit genügenden Arbeitsstoff etc. gäbe. Einstweilen herzliche Grüsse Ihnen, hochverehrter Meister und Ihrer Frau Gemahlin auch von meiner Frau Ihr dankbarster [signed:] Walter Dahms © Transcription John Koslovsky, 2010 |
Many 1 thanks for your letter 2 and the postcard 3 – each one in itself an experience in this environment. Here there are numerous so-called "artists" from Berlin (etc.) on summer vacation, and if I sometimes have a longing in the winter for a face-to-face conversation, after the first attempt I am fundamentally cured of these representatives of the "highest culture," namely Berlin’s. The musicians are of a truly {2} stirring ignorance. How thankful I must be to the "good spirit," since back then it allowed me to find the path to you. Even if I am still only at the very beginning of this path, and could still now and again become distracted through surprising glimpses "to left or right"; in essence I really do now already see clearly and am therefore unable to continue a serious conversation for more than five minutes with these musicians. The very word "synthesis" is dismissed. The {3} raised bosom and the beautiful feelings are the last resort to be called upon, in order to be able to feel what still counts as an "artist." The appeal to your word and work is of course useless. Artistic bolshevism already resides deep in the blood of the people. I thank you for your words regarding Kurth’s book; I can now see the picture very clearly. Indeed the Riemannian-ness of the author was already making me mistrustful. {4} About everything else perhaps [we will be able to talk] sometime this summer in person. For now: heartfelt thanks! – Until the middle of August I am not availabe here whatsoever. Might I come to you later with my wife for a day? I think that one hour of verbal conversation would give me sufficient material to work with for a long time, etc. In the meantime I give you my most cordial thanks, highly revered Master, and to your wife also from my wife. Your most thankful, [signed:] Walter Dahms © Translation John Koslovsky, 2010 |
Herzlichsten 1 Dank für Ihren Brief 2 und die Karte 3 – jedes für sich ein Erlebnis in dieser Umgebung. Hier sind zahlreiche sogenannte „Künstler“ aus Berlin etc. zur Sommerfrische und wenn ich mich bisweilen im Winter nach einem Gespräch von Mensch zu Mensch gesehnt habe, so bin ich jetzt nach den ersten Versuchen mit diesen Vertretern der „höchsten Kultur“, nämlich Berlins, gründlich geheilt. Die Musiker sind vor einer wahrhaft {2} ergreifenden Ahnungslosigkeit. Wie dankbar muss ich dem „guten Geist“ sein, dass er mich seinerzeit den Weg zu Ihnen finden liess. Wenn ich auch nur erst am allerersten Anfang dieses Weges stehe und noch dann und wann durch überraschende Ausblicke „abseits“ abgelenkt werden könnte, in der Hauptsache sehe ich doch jetzt schon klar und bin deshalb unfähig, mit diesen Musikern ein Gespräch ernsthaft über fünf Minuten fortzusetzen. Das Wort „Sÿnthese“ wird abgelehnt. Der {3} gehobene Busen und die schönen Gefühle sind die letzte Instanz, die angerufen wird, um sich überhaupt noch halten und als „Künstler“ fühlen zu können. Der Appell an Ihr Wort und Werk ist natürlich nutzlos. Der künstlerische Bolschewismus sitzt den Leuten schon zu tief im Blut. Ich danke Ihnen für Ihre Worte über Kurt’s Buch; bin jetzt ganz im Bilde über diese Angelegenheit. Allerdings musste ja schon die Riemannie des Verfassers misstrauisch machen. {4} Über all das andere vielleicht in diesem Sommer noch einmal mündlich. Vorläufig: innigsten Dank! – Bis Mitte August bin ich hier garnicht abkömmlich. Dürfte ich später mit meiner Frau für einen Tag in Ihre Nähe kommen? Ich glaube, dass eine Stunde mündlicher Aussprache f mir für die ganze nächste Zeit genügenden Arbeitsstoff etc. gäbe. Einstweilen herzliche Grüsse Ihnen, hochverehrter Meister und Ihrer Frau Gemahlin auch von meiner Frau Ihr dankbarster [signed:] Walter Dahms © Transcription John Koslovsky, 2010 |
Many 1 thanks for your letter 2 and the postcard 3 – each one in itself an experience in this environment. Here there are numerous so-called "artists" from Berlin (etc.) on summer vacation, and if I sometimes have a longing in the winter for a face-to-face conversation, after the first attempt I am fundamentally cured of these representatives of the "highest culture," namely Berlin’s. The musicians are of a truly {2} stirring ignorance. How thankful I must be to the "good spirit," since back then it allowed me to find the path to you. Even if I am still only at the very beginning of this path, and could still now and again become distracted through surprising glimpses "to left or right"; in essence I really do now already see clearly and am therefore unable to continue a serious conversation for more than five minutes with these musicians. The very word "synthesis" is dismissed. The {3} raised bosom and the beautiful feelings are the last resort to be called upon, in order to be able to feel what still counts as an "artist." The appeal to your word and work is of course useless. Artistic bolshevism already resides deep in the blood of the people. I thank you for your words regarding Kurth’s book; I can now see the picture very clearly. Indeed the Riemannian-ness of the author was already making me mistrustful. {4} About everything else perhaps [we will be able to talk] sometime this summer in person. For now: heartfelt thanks! – Until the middle of August I am not availabe here whatsoever. Might I come to you later with my wife for a day? I think that one hour of verbal conversation would give me sufficient material to work with for a long time, etc. In the meantime I give you my most cordial thanks, highly revered Master, and to your wife also from my wife. Your most thankful, [signed:] Walter Dahms © Translation John Koslovsky, 2010 |
Footnotes1 Receipt of this letter is not recorded in Schenker's diary. 2 This letter is not known to survive, but its writing is recorded in Schenker's diary at OJ 3/1, p., 2557, July 19, 1920: "An Dahms (Br.): habe es so gemeint, daß er sich gewisse Anfangsgründe aus den gang u. gebe-Lehrbücher verschaffen u. selbst eine Art Kreuzverhör zwischen Theorie u. Wahrheit anstellen soll; zeige an der Emoll-Fuge; Unisono-Stelle, urdeutsche Sachgemäßheit, von der die Heutigen so weit abstehen; über Rückgang im Choralsatz Bruckners, Mahlers usw.; rege ihn an hierher zu kommen u. die 1600 Kronen entgegenzunehmen." ("To Dahms (letter): intended for him to draw certain initial basics from standard textbooks and undertake a sort of cross-examination between theory and truth; illustrate using the E-minor Fugue; unison passage, ur-German appropriateness, so different from today’s; about regression in Bruckner’s, Mahler’s choral writing, etc.; propose that he come here and receive the 1,600 Kronen"). 3 This postcard is not known to survive, but its writing is recorded in Schenker's diary at OJ 3/1, p. 2252, july 4, 1920: " An Vrieslander u. Dahms Karten mit Adresse" ("To Vrieslander and Dahms postcards with address"). |
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Commentary
Digital version created: 2011-05-05 |