Bayrisch Gmain b/ Bad Reichenhall
15. Juni 1920.

Lieber, verehrter Meister!

Zu 1 Ihrem Geburtstage 2 sende ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche insbesondere für Ihre Gesundheit und Schaffenskraft, die unerlässlichen Vorbedingungen für die Vollbringung Ihrer Riesenaufgabe. Hoffentlich haben Sie im neuen Lebensjahre die Genugtuung, dass sich die Verhältnisse in Mitteleuropa in moralischer Hinsicht etwas bessern; das wird auch den Boden bereiten helfen für Ihre Saat. Wenn es uns nur vergönnt wäre, mehr zu wirken! Aber jetzt ist man ja immer noch am Zerstören, sodass der Aufbau eine Sache der Zukunft bleibt. Und vielleicht ist die Kunst mehr denn je dazu verurteilt, eine Angelegenheit der ganz wenigen zu sein, die zu ihrem Dienst bereit sind. Ganz traurig stimmte mich vor einigen Tagen der Bericht eines Besuchers aus Linz, dass dort die Kirchenmusik vollständig eingegangen wäre, weil niemand mehr ohne Entgelt mitwirken wolle. Und so geht es überall unter den Segnungen der „Aufklärung.“

{2} Doch genug davon. Wird in diesem Jahre noch eine Ihrer neuen Werke erscheinen? Dies wäre das Wichtigste.


Inzwischen verbleibe ich mit den herzlichsten Grüssen
auch an Ihre verehrte Frau Gemahlin
in unveränderlicher Anhänglichkeit
und Dankbarkeit
Ihr
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2010


Bavarian Großgmain, near Bad Reichenhall
June 15, 1920

Dear, revered Master,

I 1 send to you on your birthday 2 my most cordial best wishes, in particular for your health and energy to work – the necessary prerequisites in bringing your massive work to completion. Hopefully you will have in this new year of your life the satisfaction that circumstances in central Europe become somewhat better from a moral point of view; that will help prepare the ground for your seed. If only it were granted us to work more! But now one is always on the path to destruction, in such a way that construction remains a matter for the future. And perhaps art is condemned more than ever to be a matter for the very few who are prepared for its service. A report from someone visiting from Linz a few days ago struck me as altogether sad, namely that church music there has completely ceased to exist because no one wants to participate without a fee. This is how it goes everywhere under the blessing of the "Enlightenment."

{2} But enough of that. Will one of your new works appear this year? That would be the most important thing.


In the meantime I remain, with the most cordial greetings
to you and your dear wife,
in unwavering devotedness
and thankfulness,
Your
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2010


Bayrisch Gmain b/ Bad Reichenhall
15. Juni 1920.

Lieber, verehrter Meister!

Zu 1 Ihrem Geburtstage 2 sende ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche insbesondere für Ihre Gesundheit und Schaffenskraft, die unerlässlichen Vorbedingungen für die Vollbringung Ihrer Riesenaufgabe. Hoffentlich haben Sie im neuen Lebensjahre die Genugtuung, dass sich die Verhältnisse in Mitteleuropa in moralischer Hinsicht etwas bessern; das wird auch den Boden bereiten helfen für Ihre Saat. Wenn es uns nur vergönnt wäre, mehr zu wirken! Aber jetzt ist man ja immer noch am Zerstören, sodass der Aufbau eine Sache der Zukunft bleibt. Und vielleicht ist die Kunst mehr denn je dazu verurteilt, eine Angelegenheit der ganz wenigen zu sein, die zu ihrem Dienst bereit sind. Ganz traurig stimmte mich vor einigen Tagen der Bericht eines Besuchers aus Linz, dass dort die Kirchenmusik vollständig eingegangen wäre, weil niemand mehr ohne Entgelt mitwirken wolle. Und so geht es überall unter den Segnungen der „Aufklärung.“

{2} Doch genug davon. Wird in diesem Jahre noch eine Ihrer neuen Werke erscheinen? Dies wäre das Wichtigste.


Inzwischen verbleibe ich mit den herzlichsten Grüssen
auch an Ihre verehrte Frau Gemahlin
in unveränderlicher Anhänglichkeit
und Dankbarkeit
Ihr
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2010


Bavarian Großgmain, near Bad Reichenhall
June 15, 1920

Dear, revered Master,

I 1 send to you on your birthday 2 my most cordial best wishes, in particular for your health and energy to work – the necessary prerequisites in bringing your massive work to completion. Hopefully you will have in this new year of your life the satisfaction that circumstances in central Europe become somewhat better from a moral point of view; that will help prepare the ground for your seed. If only it were granted us to work more! But now one is always on the path to destruction, in such a way that construction remains a matter for the future. And perhaps art is condemned more than ever to be a matter for the very few who are prepared for its service. A report from someone visiting from Linz a few days ago struck me as altogether sad, namely that church music there has completely ceased to exist because no one wants to participate without a fee. This is how it goes everywhere under the blessing of the "Enlightenment."

{2} But enough of that. Will one of your new works appear this year? That would be the most important thing.


In the meantime I remain, with the most cordial greetings
to you and your dear wife,
in unwavering devotedness
and thankfulness,
Your
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2010

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/1, p. 2245, June 21, 1921: "Von Dahms (Br.): Geburtstagsgruß." ("From Dahms (letter): birthday greetings").

2 Schenker's 52nd birthday fell on June 19, 1920.