Charlottenburg 5
Friedbergstr. 23.
den 13. 4. 14.


Sehr geehrter Herr Dr! 1

Herzlichsten Dank für Ihren freundlichen Brief, 2 der mir als Zeichen Ihrer persönlichen Teilnahme an meinem Bestreben von ganz besonderem Wert ist.

Die Sachlage ist diese: ich habe an der Kreuz-Zeitung als Musikkritiker ein Gehalt von 200 Mark monatlich. Ausserdem verdiene ich auch durch andere Blätter ca 75 bis 100 Mark monatlich dazu, sodass ich mich also auf ca 300 M stehe. Diese müsste ich auch wohl in Wien haben, da die Lebensverhältnisse soviel ich gehört habe dort eher noch teurer sind. Der springende Punkt ist ja der, dass ich dies Geld ohne grossen Zeitaufwand, also ohne festen Büro- resp. Redaktionsdienst verdiene. Hier habe ich mindestens den halben Tag für mich. Einige Stunden genügen, um meine Berufspflichten zu erfüllen.

Wenn ich nach Wien käme, wäre dies nur, um bei Ihnen studieren zu können. Ausserdem {2} möchte aber auch noch bei einem guten Meister Klavierunterricht nehmen. Ich habe die Klaviatur in den letzten drei Jahren sehr vernachlässigen müssen, da meine Stellung, wie ich sie Ihnen schilderte, erst seit ganz kurzer Zeit so ist. Früher hatte ich schwer wirtschaftlich zu kämpfen und musste mich durch billige Stundengeben etc. mühsam durchbringen. Wollen Sie mir bitte eins sagen: wie lange Zeit brauche ich (ganz regen Fleiss und gewisse Vorkenntnisse vorausgesetzte), um in Ihrem Sinne vollkommen ausgebildet in der gesamten Musiktheorie zu sein?

Nun würde sich aber noch vielleicht ein zweiter Weg zur Erfüllung meines Wunsches öffnen. Urteilen Sie bitte einmal darüber. Ich bleibe hier, behalte dadurch meine sichere Stellung und meine Verbindungen, die mich ohne grosse Anstrengungen ernähren. Dann würde ich hier eifrigst Theorie studieren, dabei Ihre theoretischen Werke studieren, deren erste beiden Bände ich besitze und – vom September dieses Jahres ab so vorbereitet – käme ich im April oder Mai nächsten Jahres zu Ihnen, {3} um etwa 4 bis 5 Monate bis nichts anderes zu tun als nur bei Ihnen zu studieren. Für diese Zeit würde ich von der Zeitung Urlaub erhalten, könnte es also dann ohne die Brücken abzubrechen durchführen. Und in dem darauf folgenden Jahr würde ich es wieder ebenso machen.

Was halten Sie davon?

Bis Ende Juli d. J. bin ich noch mit literarischer Arbeit belastet. Dann möchte ich einige Wochen verreisen, um frische Kraft zu haben. Dann Sept 1914 bis März 1915 Studien in Berlin April 1915 bis ? (solange Sie in den Sommer hinein Zeit haben; ich erhalte sicher Urlaub bis September) Studien bei Ihnen. Dann wieder in Berlin ...

Meine herzlichste Bitte wäre die, Sie überdenken diesen Plan einmal und geben mir Nachricht, ob er Ihnen gut erscheint, gut in dem Sinne, dass ich mein Ziel erreiche.

{4} Haben Sie für Ihre bisher bewiesene Güte herzlichen Dank und ebensoviel im voraus.


Mit den besten Grüssen
verbleibe ich Ihr
ganz ergebener
[signed:] Walter Dahms

N.B. Per Drucksache sende ich Ihnen einen Artikel, den ich in der Kreuz-Zeitung veröffentlichte und hinter dem Sie stehen. 3

© Transcription John Koslovsky, 2012


Charlottenburg 5
Friedbergstraße 23
April 13, 1914


Dear Dr. [Schenker] , 1

Many thanks for your kind letter, 2 which is of great worth to me as a sign of your personal interest in my aspirations.

The situation is this: I make 200 Marks per month at the Kreuz-Zeitung as a music critic. Beyond this I earn between 75 and 100 Marks at other papers, so roughly I bring in about 300 Marks per month. I would have to have about this much in Vienna, as I have heard the cost of living there is much higher. The important point is of course that I earn this money without a great expenditure of time: that is, without having a fixed office or editorial position. Here I have at least a half a day to myself. A few hours a day suffice to fulfill my job obligations.

If I were to come to Vienna it would be only to be able to study with you. Beyond this {2} I would also however like to take piano lessons with a good teacher. For the past three years I have had to neglect the keyboard, since my position, as I described it to you, has become what it is only very recently. Earlier I had to fight financial difficulties and had to scrape by with cheap lessons. Could you please just tell me one thing: how much time do I require (assuming a certain background of knowledge and working very diligently) to be completely competent in the totality of music theory?

But now perhaps a second way of fulfilling my wish would open up. Please let me know what you think. I remain here and thereby hold onto my secure position and my connections, which support my lifestyle without great stress. In this case I would most intently study theory here, at the same time study your own theoretical works (of which I possess the first two volumes) and then, having prepared since September of this year, I would come to you in April or May of next year, {3} and for about four-to-five months do nothing else than study with you. During this time I would obtain vacation time from my job at the newspaper, and thereby do so without completely breaking my ties with them. And then next year I would do exactly the same thing.

What do you think of such a plan?

Until the end of July of this year I am burdened with literary work. After this I would like to travel for a few weeks to gain new strength. Then, from September 1914 to March 1915, studies in Berlin; April 1915 until ? (if you have time into the summer, I would certainly get vacation until September), studies with you. Then back in Berlin . . .

My most heartfelt request is that you think over these plans and let me know if they sound good to you: good, in the sense that they fulfill my goal.

{4} You have my deepest gratitude for having shown such kindness so far, and I thank you in advance for your continued kindness.


With best greetings,
I remain
yours truly,
[signed:] Walter Dahms

N.B. As printed matter I send to you an article that I wrote in the Kreuz-Zeitung and behind which you lie. 3

© Translation John Koslovsky, 2012


Charlottenburg 5
Friedbergstr. 23.
den 13. 4. 14.


Sehr geehrter Herr Dr! 1

Herzlichsten Dank für Ihren freundlichen Brief, 2 der mir als Zeichen Ihrer persönlichen Teilnahme an meinem Bestreben von ganz besonderem Wert ist.

Die Sachlage ist diese: ich habe an der Kreuz-Zeitung als Musikkritiker ein Gehalt von 200 Mark monatlich. Ausserdem verdiene ich auch durch andere Blätter ca 75 bis 100 Mark monatlich dazu, sodass ich mich also auf ca 300 M stehe. Diese müsste ich auch wohl in Wien haben, da die Lebensverhältnisse soviel ich gehört habe dort eher noch teurer sind. Der springende Punkt ist ja der, dass ich dies Geld ohne grossen Zeitaufwand, also ohne festen Büro- resp. Redaktionsdienst verdiene. Hier habe ich mindestens den halben Tag für mich. Einige Stunden genügen, um meine Berufspflichten zu erfüllen.

Wenn ich nach Wien käme, wäre dies nur, um bei Ihnen studieren zu können. Ausserdem {2} möchte aber auch noch bei einem guten Meister Klavierunterricht nehmen. Ich habe die Klaviatur in den letzten drei Jahren sehr vernachlässigen müssen, da meine Stellung, wie ich sie Ihnen schilderte, erst seit ganz kurzer Zeit so ist. Früher hatte ich schwer wirtschaftlich zu kämpfen und musste mich durch billige Stundengeben etc. mühsam durchbringen. Wollen Sie mir bitte eins sagen: wie lange Zeit brauche ich (ganz regen Fleiss und gewisse Vorkenntnisse vorausgesetzte), um in Ihrem Sinne vollkommen ausgebildet in der gesamten Musiktheorie zu sein?

Nun würde sich aber noch vielleicht ein zweiter Weg zur Erfüllung meines Wunsches öffnen. Urteilen Sie bitte einmal darüber. Ich bleibe hier, behalte dadurch meine sichere Stellung und meine Verbindungen, die mich ohne grosse Anstrengungen ernähren. Dann würde ich hier eifrigst Theorie studieren, dabei Ihre theoretischen Werke studieren, deren erste beiden Bände ich besitze und – vom September dieses Jahres ab so vorbereitet – käme ich im April oder Mai nächsten Jahres zu Ihnen, {3} um etwa 4 bis 5 Monate bis nichts anderes zu tun als nur bei Ihnen zu studieren. Für diese Zeit würde ich von der Zeitung Urlaub erhalten, könnte es also dann ohne die Brücken abzubrechen durchführen. Und in dem darauf folgenden Jahr würde ich es wieder ebenso machen.

Was halten Sie davon?

Bis Ende Juli d. J. bin ich noch mit literarischer Arbeit belastet. Dann möchte ich einige Wochen verreisen, um frische Kraft zu haben. Dann Sept 1914 bis März 1915 Studien in Berlin April 1915 bis ? (solange Sie in den Sommer hinein Zeit haben; ich erhalte sicher Urlaub bis September) Studien bei Ihnen. Dann wieder in Berlin ...

Meine herzlichste Bitte wäre die, Sie überdenken diesen Plan einmal und geben mir Nachricht, ob er Ihnen gut erscheint, gut in dem Sinne, dass ich mein Ziel erreiche.

{4} Haben Sie für Ihre bisher bewiesene Güte herzlichen Dank und ebensoviel im voraus.


Mit den besten Grüssen
verbleibe ich Ihr
ganz ergebener
[signed:] Walter Dahms

N.B. Per Drucksache sende ich Ihnen einen Artikel, den ich in der Kreuz-Zeitung veröffentlichte und hinter dem Sie stehen. 3

© Transcription John Koslovsky, 2012


Charlottenburg 5
Friedbergstraße 23
April 13, 1914


Dear Dr. [Schenker] , 1

Many thanks for your kind letter, 2 which is of great worth to me as a sign of your personal interest in my aspirations.

The situation is this: I make 200 Marks per month at the Kreuz-Zeitung as a music critic. Beyond this I earn between 75 and 100 Marks at other papers, so roughly I bring in about 300 Marks per month. I would have to have about this much in Vienna, as I have heard the cost of living there is much higher. The important point is of course that I earn this money without a great expenditure of time: that is, without having a fixed office or editorial position. Here I have at least a half a day to myself. A few hours a day suffice to fulfill my job obligations.

If I were to come to Vienna it would be only to be able to study with you. Beyond this {2} I would also however like to take piano lessons with a good teacher. For the past three years I have had to neglect the keyboard, since my position, as I described it to you, has become what it is only very recently. Earlier I had to fight financial difficulties and had to scrape by with cheap lessons. Could you please just tell me one thing: how much time do I require (assuming a certain background of knowledge and working very diligently) to be completely competent in the totality of music theory?

But now perhaps a second way of fulfilling my wish would open up. Please let me know what you think. I remain here and thereby hold onto my secure position and my connections, which support my lifestyle without great stress. In this case I would most intently study theory here, at the same time study your own theoretical works (of which I possess the first two volumes) and then, having prepared since September of this year, I would come to you in April or May of next year, {3} and for about four-to-five months do nothing else than study with you. During this time I would obtain vacation time from my job at the newspaper, and thereby do so without completely breaking my ties with them. And then next year I would do exactly the same thing.

What do you think of such a plan?

Until the end of July of this year I am burdened with literary work. After this I would like to travel for a few weeks to gain new strength. Then, from September 1914 to March 1915, studies in Berlin; April 1915 until ? (if you have time into the summer, I would certainly get vacation until September), studies with you. Then back in Berlin . . .

My most heartfelt request is that you think over these plans and let me know if they sound good to you: good, in the sense that they fulfill my goal.

{4} You have my deepest gratitude for having shown such kindness so far, and I thank you in advance for your continued kindness.


With best greetings,
I remain
yours truly,
[signed:] Walter Dahms

N.B. As printed matter I send to you an article that I wrote in the Kreuz-Zeitung and behind which you lie. 3

© Translation John Koslovsky, 2012

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 1/14, p. 553, April 14, 1914: "Brief von Dahms mit starker Zumutung betreffs des Unterrichtes von April bis September. Offenbar nimmt der Briefschreiber an, daß günstige materielle Verhältnisse mir derlei Freundlichkeiten ohne weiters ermöglichen." ("Letter from Dahms with great imposition regarding tuition from April to September. Apparently the letter writer assumes that favorable financial circumstances open the way for all manner of kindnesses on my part without more ado.").

2 Schenker's letter is not known to survive, but its writing is recorded in his diary at OJ 1/14, p. 550, April 10, 1914: "Brief an Dahms mit Erklärung der Bereitschaft ihn zur Verfügung zu stehen, allerdings unter Anführung der in diesem Falle waltenden Schwierigkeiten." ("Letter to Dahms declaring my willingness to be at his disposal, making clear however the difficulties inherent this case.").

3 Walter Dahms, "Musikalischer 'Fortschritt'," Neue Preussische Kreuz-Zeitung April 9, 1914, a copy of which is preserved in Schenker's scrapbook at OC 2/pp.41‒42. Receipt of this item is recorded in Schenker's diary at OJ 1/14, p. 554, April 15, 1914: "Von Dahms langt der von ihm im Brief angekündigte Aufsatz ein, worin er von mir als von einem „Reformator“ spricht. (Offenbar zum Zweck der Kaptivierung.)" ("The article promised in his letter arrives from Dahms, in which he speaks of me as a 'reformer'. (Obviously in order to propitiate [me]).").