Wien, 17te. Jänner 39.

Verehrtester Freund!

Ihr lieber Brief 1 war ein hohes Lied der Güte. Bei einer Stelle Ihres Briefes musste ich lächeln, trotz Eindruckes den mir die Tatsache machte, daß die Juden in ihrer Not jetzt alles einholen möchten, sogar Dinge die sie in ihrer Gesamthistorie recht eigentlich vernachlässigten, sogar überhaupt nicht pflegten. Ich meine damit die Idee sich an die Kunst zu wenden wegen ihrer Kirchenmusik(?)!!!

Wie wunderbar aber die Tatsache, daß ich 2 Tage vor Empfang Ihres Briefes (es kam am 16ten hier an) mein Affidavit aus Amerika schon in Behandlung hatte. Ich hoffe es wird genügen. Es sieht ganz anständig aus, u. ich könnte, wenn es nur etwas präcisere, wohlwollendere Behandlung auf dem hiesigen amerik. Consulat gäbe, laut meiner Quotennummer Ende Februar fahren.

Wenn ich Ihnen heute für Ihre große Mühe u. Güte, die Sie jetzt einem anderen Hilfsbedürftigen angedeihen lassen können, einfach nur herzlichst danken kann, so tröstet mich das Bewustsein [sic] Sie in absehbares Zeit persönlich sprechen zu können. Das wird allerdings ein wenig erschütternd für Sie sein!!!

Nun bitte ich Sie inständigst mir darin zu helfen, worin Sie sicherlich viele Möglichkeiten besitzen dürften. Werden Sie mir Empfehlungen für San Francisko geben können?

{2} Heute lebt in mir nur ein Wunsch: anderen helfen zu können. Vielleicht kann ich meine Arbeit unter diesem Gesichtspunkt drüben noch leisten. Meine Frau wird auch tapfer arbeiten u. so ist’s mir für’s Leben nicht bange. Mit der Sprache bin ich von hier aus nur begrenzt bewaffnet. Das wird hoffentlich drüben besser werden. Also werden Sie mir beistehen?

Mit den getreuesten Grüßen u. der aufrichtigsten Freude Sie bald sehen u. sprechen zu können


Ihr [er]gebenster
[signed:] M Violin

© Transcription Ian Bent, 2020


Vienna, January 17, 1939

Most highly revered Friend,

Your kind letter 1 was a lofty song of benevolence. At one point in your letter I had to smile, in spite of the impression that the circumstance makes for me, that the Jews would now like to recover everything in their adversity: even things that they quite neglected in the course of their history, or did not practice at all. I am thinking of the idea of turning to art on account of their sacred music(?)!!!

How amazing, however, the fact that two days before receiving your letter (which arrived here on the 16th) I already had my affidavit from America in train. I hope it will be sufficient. It looks completely genuine; and I would be able to travel at the end of February if there were only a somewhat more precise, more benevolent treatment at the present American consulate.

If I am only able to give you my heartfelt thanks today for the great effort and kindness that you will now be able to devote to another person in need of help, then I am comforted by the knowledge of being able to speak with you in person in the near future. That will, at any rate, be a bit shocking for you!!!

Now I ask you most imploringly to help me in a way you are surely in possession of many possibilities. Will you be able to give me letters of recommendation for San Francisco?

{2} Today, my only desire is to help others. Perhaps I can still accomplish my work over there with this in mind. My wife will also work bravely; and so things won't go too badly in my life. As for language, I am equipped only in a limited way; that will, I hope, become better over there. So will you assist me?

With my most faithful greetings and genuine delight in being able to see you and speak with you soon,


Your most devoted
[signed:] M. Violin

© Translation William Drabkin, 2020


Wien, 17te. Jänner 39.

Verehrtester Freund!

Ihr lieber Brief 1 war ein hohes Lied der Güte. Bei einer Stelle Ihres Briefes musste ich lächeln, trotz Eindruckes den mir die Tatsache machte, daß die Juden in ihrer Not jetzt alles einholen möchten, sogar Dinge die sie in ihrer Gesamthistorie recht eigentlich vernachlässigten, sogar überhaupt nicht pflegten. Ich meine damit die Idee sich an die Kunst zu wenden wegen ihrer Kirchenmusik(?)!!!

Wie wunderbar aber die Tatsache, daß ich 2 Tage vor Empfang Ihres Briefes (es kam am 16ten hier an) mein Affidavit aus Amerika schon in Behandlung hatte. Ich hoffe es wird genügen. Es sieht ganz anständig aus, u. ich könnte, wenn es nur etwas präcisere, wohlwollendere Behandlung auf dem hiesigen amerik. Consulat gäbe, laut meiner Quotennummer Ende Februar fahren.

Wenn ich Ihnen heute für Ihre große Mühe u. Güte, die Sie jetzt einem anderen Hilfsbedürftigen angedeihen lassen können, einfach nur herzlichst danken kann, so tröstet mich das Bewustsein [sic] Sie in absehbares Zeit persönlich sprechen zu können. Das wird allerdings ein wenig erschütternd für Sie sein!!!

Nun bitte ich Sie inständigst mir darin zu helfen, worin Sie sicherlich viele Möglichkeiten besitzen dürften. Werden Sie mir Empfehlungen für San Francisko geben können?

{2} Heute lebt in mir nur ein Wunsch: anderen helfen zu können. Vielleicht kann ich meine Arbeit unter diesem Gesichtspunkt drüben noch leisten. Meine Frau wird auch tapfer arbeiten u. so ist’s mir für’s Leben nicht bange. Mit der Sprache bin ich von hier aus nur begrenzt bewaffnet. Das wird hoffentlich drüben besser werden. Also werden Sie mir beistehen?

Mit den getreuesten Grüßen u. der aufrichtigsten Freude Sie bald sehen u. sprechen zu können


Ihr [er]gebenster
[signed:] M Violin

© Transcription Ian Bent, 2020


Vienna, January 17, 1939

Most highly revered Friend,

Your kind letter 1 was a lofty song of benevolence. At one point in your letter I had to smile, in spite of the impression that the circumstance makes for me, that the Jews would now like to recover everything in their adversity: even things that they quite neglected in the course of their history, or did not practice at all. I am thinking of the idea of turning to art on account of their sacred music(?)!!!

How amazing, however, the fact that two days before receiving your letter (which arrived here on the 16th) I already had my affidavit from America in train. I hope it will be sufficient. It looks completely genuine; and I would be able to travel at the end of February if there were only a somewhat more precise, more benevolent treatment at the present American consulate.

If I am only able to give you my heartfelt thanks today for the great effort and kindness that you will now be able to devote to another person in need of help, then I am comforted by the knowledge of being able to speak with you in person in the near future. That will, at any rate, be a bit shocking for you!!!

Now I ask you most imploringly to help me in a way you are surely in possession of many possibilities. Will you be able to give me letters of recommendation for San Francisco?

{2} Today, my only desire is to help others. Perhaps I can still accomplish my work over there with this in mind. My wife will also work bravely; and so things won't go too badly in my life. As for language, I am equipped only in a limited way; that will, I hope, become better over there. So will you assist me?

With my most faithful greetings and genuine delight in being able to see you and speak with you soon,


Your most devoted
[signed:] M. Violin

© Translation William Drabkin, 2020

Footnotes

1 = OJ 70/35, [5], March 2, 1939.