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DLA 69.930/1 - Handwritten letter from Schenker to Halm, July 8, 1917
Ihre frdl. Zeilen 1 erreichten mich hier erst auf Umwegen über Wien. Desto kürzere Zeit dürfte aber meine Antwort beanspruchen, die ich postwendend abgehen lasse, u. die ja auch schon von Haus aus näheren Weg zu Ihnen hat. Das II[.] Var. Heft B. bei Peters ist, 2 soweit ich mich erinnere, nicht gerade das schlechteste Stück Ausgabe u. mag dem vermutlichen Original viel näher als die übrigen Stücke stehen. Die Var. dort gehören zu den wenigen [recte weniger] „berühmten“ u. da ersparen sich die „berühmten“ Herausgeber ihre Mühe, was den Stücken nur umsobesser bekommt. Bedenklich ist schon das I[.] Var. Heft mitgenommen, wo die Diab. u. Eroica-Var. Platz gefunden haben. Unter allen Umständen ziehe ich persönlich die Gesammt-Ausg. 3 vor, die, wenn sie auch vor den tiefsten Angelegenheiten der Komposition u. Schreibart versagt, so doch sonst die allerwenigsten Zutaten u. Änderungen macht. Zumal in jener Var. möchte sich wohl zum größten Teile das Original mit dem Nachbild der G. A. decken, obgleich ich nichts weniger als dazu aufgelegt bin, ihre wunderbare Kunst zu unterschätzen, die doch noch immer nicht übertroffen wurde. Es würde mich interessieren, zu erfahren, auf welcher Var Ihre Wahl gefallen ist. Würden Sie denn dazu Finger- {2} sätze machen? Da fällt mir ein, welch lohnende, schöne Aufgabe es wäre, z. B. sämmtliche Stellen aus sämmtlichen Werken B ’s in einem Heft zu vereinigen, die seine eigenen Fingersätze tragen u. daraus Schlüsse zu ziehen, die der Klaviertechnik unakademische Wege zu weisen vermöchten. Ihre frdl. Besprechung meiner B’Ausgaben 4 erwarte ich mit größtem Interesse. Kürzlich bekam ich eine zu Gesicht im „Kunstwart,“ gez. von A Liebscher, 5 der mir bei so viel freundlicher Anerkennung nichts mehr u. nichts weniger unterschob, als daß ich Bülow inferioren Instinkt vorwarf. Wie oft habe ich doch aber betont, daß ich es nur an Beethoven selbst geniessbar verstehe u. nicht an den Musikalischen sonst, u. welch gewaltigen Unterschied bedeutet das! Ja, aber darum, weil von einem Bülow zu Beeth. eine so übergroße Distanz ist, fordere ich, daß all die Übrigen nicht gar zu sehr hinter Bülow zurückbleiben mögen. An Cotta [recte UE] schreibe ich gleichzeitig, 6 daß er Ihnen unverzüglich ein Rezensionsex. zukommen lassen möge. Unbegreiflich ist es mir ja dahin, daß er Ihnen nicht schon selbst eines schickte. Der zweite Kontrap. Band wird bei Cotta erscheinen, nur bin ich noch mit der Feile beschäftigt. Schade, daß der Druck so lange dauert, Bd. I u. II1 haben ja 2 Jahre in Anspruch genommen. Doch ich habe Geduld. © Transcription Lee Rothfarb, 2006 |
Your cordial missive 1 reached me here only circuitously by way of Vienna. However, my reply, which I am sending right away, and which, in addition, has by nature a shorter path, may require all the shorter a time. So far as I recall, volume II of the Beethoven variations in the Peters edition 2 is not the worst edition and may be much closer to the supposed original than the others. The variations therein are among the less "famous" ones, and in those cases the "famous" editors save themselves the trouble, which is all the better for the pieces. Even the first volume of variations, where the "Diabelli" and "Eroica" Variations have been placed, is questionable. Under all circumstances, I personally prefer the Collected Edition, 3 which makes fewest additions and modifications, even if it fails with respect to the deepest issues of composition and notation. Especially in that variation, the original is likely in large part to match the rendering in the Collected Edition, although I am nothing less than well disposed to underestimate its wonderful art, which surely has never been exceeded. I would be interested to find out which variation you chose. Would you provide {2} fingerings for it? It occurs to me what a rewarding, pleasurable task it would be, for example, to bring together into one volume all passages from all of Beethoven's works that have his own fingerings, and to draw conclusions, which could indicate unacademic paths for piano technique. I look forward with greatest interest to your cordial review of my Beethoven editions. 4 Recently I saw a review in Kunstwart , signed by A. Liebscher, 5 who with such genial acknowledgment attributed to me nothing other and nothing less than accusing Bülow of inferior instinct. However, how often have I stressed that I understand it as enjoyable only with respect to Beethoven himself and not to the musical aspects generally, and what a tremendous difference that represents! Yes, and because there is such a huge distance from a Bülow to Beethoven, I demand that all of the others may not fall too much behind Bülow. I am writing to Cotta [recte UE] at the same time 6 that he should send you a review copy without delay. It is simply incomprehensible to me in that regard that he has not already sent you one on his own. The second volume of Counterpoint will appear with Cotta, but I am still putting the finishing touches [to it]. Too bad that the printing takes so long. Volumes I and II/1 have taken two years. But I have patience. © Translation Lee Rothfarb, 2006 |
Ihre frdl. Zeilen 1 erreichten mich hier erst auf Umwegen über Wien. Desto kürzere Zeit dürfte aber meine Antwort beanspruchen, die ich postwendend abgehen lasse, u. die ja auch schon von Haus aus näheren Weg zu Ihnen hat. Das II[.] Var. Heft B. bei Peters ist, 2 soweit ich mich erinnere, nicht gerade das schlechteste Stück Ausgabe u. mag dem vermutlichen Original viel näher als die übrigen Stücke stehen. Die Var. dort gehören zu den wenigen [recte weniger] „berühmten“ u. da ersparen sich die „berühmten“ Herausgeber ihre Mühe, was den Stücken nur umsobesser bekommt. Bedenklich ist schon das I[.] Var. Heft mitgenommen, wo die Diab. u. Eroica-Var. Platz gefunden haben. Unter allen Umständen ziehe ich persönlich die Gesammt-Ausg. 3 vor, die, wenn sie auch vor den tiefsten Angelegenheiten der Komposition u. Schreibart versagt, so doch sonst die allerwenigsten Zutaten u. Änderungen macht. Zumal in jener Var. möchte sich wohl zum größten Teile das Original mit dem Nachbild der G. A. decken, obgleich ich nichts weniger als dazu aufgelegt bin, ihre wunderbare Kunst zu unterschätzen, die doch noch immer nicht übertroffen wurde. Es würde mich interessieren, zu erfahren, auf welcher Var Ihre Wahl gefallen ist. Würden Sie denn dazu Finger- {2} sätze machen? Da fällt mir ein, welch lohnende, schöne Aufgabe es wäre, z. B. sämmtliche Stellen aus sämmtlichen Werken B ’s in einem Heft zu vereinigen, die seine eigenen Fingersätze tragen u. daraus Schlüsse zu ziehen, die der Klaviertechnik unakademische Wege zu weisen vermöchten. Ihre frdl. Besprechung meiner B’Ausgaben 4 erwarte ich mit größtem Interesse. Kürzlich bekam ich eine zu Gesicht im „Kunstwart,“ gez. von A Liebscher, 5 der mir bei so viel freundlicher Anerkennung nichts mehr u. nichts weniger unterschob, als daß ich Bülow inferioren Instinkt vorwarf. Wie oft habe ich doch aber betont, daß ich es nur an Beethoven selbst geniessbar verstehe u. nicht an den Musikalischen sonst, u. welch gewaltigen Unterschied bedeutet das! Ja, aber darum, weil von einem Bülow zu Beeth. eine so übergroße Distanz ist, fordere ich, daß all die Übrigen nicht gar zu sehr hinter Bülow zurückbleiben mögen. An Cotta [recte UE] schreibe ich gleichzeitig, 6 daß er Ihnen unverzüglich ein Rezensionsex. zukommen lassen möge. Unbegreiflich ist es mir ja dahin, daß er Ihnen nicht schon selbst eines schickte. Der zweite Kontrap. Band wird bei Cotta erscheinen, nur bin ich noch mit der Feile beschäftigt. Schade, daß der Druck so lange dauert, Bd. I u. II1 haben ja 2 Jahre in Anspruch genommen. Doch ich habe Geduld. © Transcription Lee Rothfarb, 2006 |
Your cordial missive 1 reached me here only circuitously by way of Vienna. However, my reply, which I am sending right away, and which, in addition, has by nature a shorter path, may require all the shorter a time. So far as I recall, volume II of the Beethoven variations in the Peters edition 2 is not the worst edition and may be much closer to the supposed original than the others. The variations therein are among the less "famous" ones, and in those cases the "famous" editors save themselves the trouble, which is all the better for the pieces. Even the first volume of variations, where the "Diabelli" and "Eroica" Variations have been placed, is questionable. Under all circumstances, I personally prefer the Collected Edition, 3 which makes fewest additions and modifications, even if it fails with respect to the deepest issues of composition and notation. Especially in that variation, the original is likely in large part to match the rendering in the Collected Edition, although I am nothing less than well disposed to underestimate its wonderful art, which surely has never been exceeded. I would be interested to find out which variation you chose. Would you provide {2} fingerings for it? It occurs to me what a rewarding, pleasurable task it would be, for example, to bring together into one volume all passages from all of Beethoven's works that have his own fingerings, and to draw conclusions, which could indicate unacademic paths for piano technique. I look forward with greatest interest to your cordial review of my Beethoven editions. 4 Recently I saw a review in Kunstwart , signed by A. Liebscher, 5 who with such genial acknowledgment attributed to me nothing other and nothing less than accusing Bülow of inferior instinct. However, how often have I stressed that I understand it as enjoyable only with respect to Beethoven himself and not to the musical aspects generally, and what a tremendous difference that represents! Yes, and because there is such a huge distance from a Bülow to Beethoven, I demand that all of the others may not fall too much behind Bülow. I am writing to Cotta [recte UE] at the same time 6 that he should send you a review copy without delay. It is simply incomprehensible to me in that regard that he has not already sent you one on his own. The second volume of Counterpoint will appear with Cotta, but I am still putting the finishing touches [to it]. Too bad that the printing takes so long. Volumes I and II/1 have taken two years. But I have patience. © Translation Lee Rothfarb, 2006 |
Footnotes1 = OJ 11/35, 5, July 2, 1917. 2 This is in response to Halm’s remark: "I would like to incorporate the easier Beethoven variations into my piano method, the ones that appear in volume 2 of the Peters edition ‒ a selection naturally." (OJ 11/35, 5, July 2, 1917) 3 i.e. the collected edition of Beethoven's works by Breitkopf & Härtel (Leipzig, 1862–65). The piano variations occupied vol. 17, of which Schenker owned a copy (OC Scores/32). 4 August Halm, "Heinrich Schenker," Freie Schulgemeinde, October 1, 1917, a clipping of which is preserved in Schenker's scrapbook at OC 2/p.53. 5 Artur Liebscher, "Musikalische Urtextausgaben," Der Kunstwart, April 1917 [re Die letzten fünf Sonaten Beethovens], a clipping of which is preserved in Schenker's scrapbook, OC 2/p.52. 6 There is indeed a letter from Schenker to UE, WSLB 288, of the same date, which reports that Halm is about to publish a review of Meisterwerk III, and asking for a copy to be sent to him when UE receives it, whereas there is no letter from Schenker to Cotta from this period. |